Um zu überleben, müssen biologische Organismen auf ihre Umwelt reagieren. Während Menschen oder Tiere über ein komplexes Nervensystem verfügen, um ihre Umgebung wahrzunehmen und bewusste Entscheidungen zu treffen, haben einzellige Organismen andere Strategien entwickelt. In der Biologie bewegen sich kleine Organismen wie Parasiten und Bakterien beispielsweise durch enge Kanäle wie Blutgefäße. Sie tun dies oft in einer regelmäßigen, oszillierenden Weise, die auf hydrodynamischen Wechselwirkungen mit der begrenzenden Wand des Kanals beruht. "In unseren Experimenten konnten wir das theoretische Modell bestätigen, das die spezifische Dynamik der Mikroschwimmer in Abhängigkeit von ihrer Größe und den Wechselwirkungen mit der Kanalwand beschreibt", sagt Corinna Maass, Leiterin der Studie. Diese regelmäßigen Bewegungsmuster könnten auch genutzt werden, um Mechanismen für die gezielte Verabreichung von Medikamenten zu entwickeln – sogar für den Transport von Gütern gegen die Strömung, wie in einer früheren Studie gezeigt wurde.
Eine Spur aus verbrauchtem Treibstoff
In einer weiteren Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen, wie sich bewegte Mikroschwimmer gegenseitig beeinflussen. In ihrem Versuchsmodell bewegen sich kleine Öltröpfchen in einer Seifenlösung selbstständig, indem sie kleine Mengen Öl absondern und so einen Antrieb erzeugen. Ähnlich wie ein Flugzeug Kondensstreifen hinterlässt, erzeugen die Mikroschwimmer eine Spur von verbrauchtem Treibstoff, die andere Schwimmer abstoßen kann. Auf diese Weise können sie erkennen, ob ein anderer Mikroschwimmer kurz zuvor an der gleichen Stelle gewesen ist. "Interessanterweise führt dies bei einzelnen Mikroschwimmern zu einer selbstausweichenden Bewegung, während ein Ensemble von ihnen dazu führt, dass die Tröpfchen zwischen den Spuren der anderen gefangen werden", berichtet Babak Vajdi Hokmabad, Erstautor der Studie. Die Abstoßung des zweiten Tropfens auf der Flugbahn eines zuvor vorbeiziehenden Tropfens hängt von seinem Annäherungswinkel und der nach dem ersten Schwimmer verstrichenen Zeit ab. Diese experimentellen Ergebnisse bestätigen auch die theoretischen Arbeiten auf diesem Gebiet, die zuvor von Ramin Golestanian, Geschäftsführer des MPI-DS, durchgeführt wurden. Die Forschung wurde im Rahmen des „Max Planck Center for Complex Fluid Dynamic“ durchgeführt, einem gemeinsamen Forschungszentrum des MPI-DS, des MPI für Polymerforschung und der Universität Twente.
Kollektive Bewegung durch Kooperation
Schließlich untersuchte die Gruppe auch das kollektive hydrodynamische Verhalten von mehreren Mikroschwimmern. Es stellte sich heraus, dass sich mehrere Tröpfchen zu Clustern zusammenschließen können, die spontan wie Luftkissenboote zu schweben beginnen oder sich wie mikroskopische Hubschrauber erheben und drehen. Die Rotation des Clusters beruht dabei auf einer kooperativen Kopplung zwischen den einzelnen Tröpfchen, die zu einem koordinierten Verhalten führt - obwohl einzelne Tröpfchen sich nicht auf diese Weise bewegen. Solche koordinierten Anordnungen stellen somit ein weiteres physikalisches Prinzip dar, wie Mikroschwimmer sich fortbewegen können – und das ohne dabei Gehirn oder Muskeln zu benutzen.
(Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation)
Originalpublikation:
https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2122269119
https://www.nature.com/articles/s41467-022-30611-1
https://pubs.rsc.org/en/content/articlelanding/2022/sm/d1sm01795k