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Menschen können Biodiversität wahrnehmen

Frau liest an einem Tisch
In der Studie beurteilten zwei Gruppen von je 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmern entweder Fotografien oder Tonaufnahmen aus Wäldern mit unterschiedlich hoher Biodiversität. Copyright: K. Rozario / iDiv

Menschen sind in der Lage, Biodiversität anhand von visuellen und akustischen Eindrücken korrekt einzuschätzen – dabei spielen Farben, Licht und Vogelgesang eine zentrale Rolle. 

Eine neue Studie, veröffentlicht in People and Nature, zeigt, dass sowohl visuelle als auch akustische Reize unsere Wahrnehmung von Biodiversität beeinflussen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sogar etwas treffsicherer, wenn sie die Biodiversität in Wäldern über Tonaufnahmen einschätzen. Die Untersuchung wurde von Forschenden des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ sowie der Universität Leipzig durchgeführt. Sie vereint Methoden der Umweltpsychologie mit Ansätzen aus der Wald- und Umweltakustik.

In der Studie beurteilten zwei Gruppen von je 48 Teilnehmerinnen und Teilnehmern entweder Fotografien oder Tonaufnahmen aus Wäldern mit unterschiedlich hoher Biodiversität. Sie sollten diese nach dem wahrgenommenen Grad an Vielfalt einordnen. Die Auswertung ergab, dass visuelle Vielfalt vor allem mit Farbgebung, Vegetationsdichte, Lichtstimmung und Waldstruktur assoziiert wurde. Akustische Vielfalt hingegen wurde durch Aspekte wie Vogelgesang, Lautstärke und saisonale Faktoren – beispielsweise Frühlingsgesänge – geprägt.

Die Ergebnisse knüpfen an eine frühere Studie des Erstautors an, die den Zusammenhang zwischen Wald-Biodiversität und psychischem Wohlbefinden beleuchtete. Damals zeigte sich, dass die subjektiv wahrgenommene Artenvielfalt – nicht die tatsächliche Baumartenanzahl – statistisch signifikant verbunden war mit kurzfristigen positiven Effekten auf die mentale Gesundheit.

Biodiversität mit allen Sinnen erleben 

In beiden Experimenten stimmte die wahrgenommene eng mit der tatsächlichen Biodiversität überein. Dies deutet darauf hin, dass Menschen Unterschiede in Artenreichtum und Waldstruktur durchaus erkennen können – besonders dann, wenn sie Vergleichsmaterial wie weitere Bilder oder Tonaufnahmen zur Verfügung haben. Zudem schnitten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Einschätzung akustischer Vielfalt leicht besser ab als bei der Einschätzung visueller Vielfalt. Ein möglicher Grund: Die Tonaufnahmen enthielten weniger ablenkende Elemente als die Bilder.

„Die Teilnehmenden konnten Unterschiede in der Biodiversität wahrnehmen, wenn sie Waldaufnahmen visuell oder akustisch miteinander verglichen und sortierten“, erklärt Kevin Rozario, Koautor der Studie. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die mit den Augen wahrgenommene Waldbiodiversität von der Dichte und Struktur des Waldes, den Lichtverhältnissen und den Farben abhängt, während beim Anhören der Aufnahmen die Melodie der Vogelstimmen, sowie physikalische Eigenschaften wie die subjektive Lautstärke und die wahrgenommenen jahreszeitlichen Merkmale eine Rolle spielten.“

Dieses Wissen könnte künftig helfen, naturnahe Lebensräume mit hoher Vielfalt zu schaffen, die von Menschen auch wahrgenommen wird. Effektive Naturschutz- und Begrünungsmaßnahmen sollten laut den Autorinnen und Autoren auch berücksichtigen, wie Biodiversität sinnlich wahrgenommen wird. Elemente wie vielfältiger Vogelgesang oder abwechslungsreiche Vegetationsstrukturen könnten sowohl die Naturverbundenheit als auch den Naturschutz fördern.

„Wenn Städte wachsen und sich natürliche Räume verändern, bietet die Gestaltung von urbanen Umwelten mit hoher visueller und akustischer Vielfalt eine Chance, die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu stärken – zugunsten von Artenvielfalt und Wohlbefinden“, ergänzt Prof. Dr. Aletta Bonn, Leiterin der Forschungsgruppe „Biodiversität und Mensch“ bei UFZ, iDiv und der Universität Jena.

Während die Studie aufschlussreiche Einblicke darin bietet, wie Menschen Biodiversität wahrnehmen, weisen die Forschenden auch auf wichtige Einschränkungen hin – etwa darauf, dass künftige Untersuchungen mit einer breiteren demografischen Streuung notwendig sind, um diese ersten Erkenntnisse weiter zu untermauern und zu präzisieren.

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig


Originalpublikation:

Rozario K., Shaw T., Marselle M., Oh R. R. Y., Schröger E., Giraldo Botero M., Frey J., Ștefan V., Müller S., Scherer-Lorenzen M., Jaroszewicz B., Verheyen K., Bonn A. (2025). Perceived biodiversity: is what we measure also what we see and hear?, People and Nature. DOI: 10.1002/pan3.70087