VBIO

Wie schnell können Pilze wachsen?

Mikroskopische Aufnahme von Aspergillus-Zellfäden in optimaler Kultur. Um maximales Wachstum zu erzielen, müssen die Zellen der Pilze „frei“ in der Kulturbrühe schweben, sodass die ganze Oberfläche zum Stoffwechsel zur Verfügung steht. Der Durchmesser der Fäden beträgt ca. 2 µm, das sind zwei tausendstel Millimeter. Foto: Susanne Nieland

Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Universität Malaysia zeigte Susanne Nieland, wissenschaftliche Mitarbeiterin der BTU Cottbus-Senftenberg und Master-Absolventin des Studiengangs Biotechnologie, erstmals, dass ein Isolat der Gattung Aspergillus, ein Schimmelpilz, unter optimalen Bedingungen eine Wachstumsrate von 0,7 pro Stunde erreicht. Das bedeutet, der Pilz legt innerhalb einer Stunde 70 Prozent an Biomasse zu. Bisher gemessene Wachstumsraten von Pilzen liegen meist um die 0,3 pro Stunde.

„Um diese stoffwechselphysiologische Höchstleistung des Pilzes experimentell zeigen zu können, sind jahrelange Erfahrung und ein hoher technischer Aufwand nötig“, sagt die Wissenschaftlerin Susanne Nieland. „Zudem muss das biologische System bezüglich des Aufbaustoffwechsels omnipotent sein, also alle lebensnotwendigen Bausteine selbst herstellen können. Zum Vergleich: Der Mensch kann neun Aminosäuren und 13 Vitamine nicht selbst synthetisieren, unser Pilz ist dazu in der Lage. Wir haben außerdem herausgefunden, dass das Wachstum unseres Isolats bei 40 Grad Celsius beinahe doppelt so schnell ist wie bei 30 Grad Celsius“, so Nieland. „Damit konnten wir erstmals zeigen, dass selbst komplexe biologische Systeme wie fadenförmige Pilze dem Zusammenhang zwischen Reaktionsgeschwindigkeit und Temperatur unterliegen, den bereits Svante August Arrhenius, ein schwedischer Wissenschaftler und Nobelpreisträger für Chemie aus dem Jahr 1903, entdeckte.“

Erhöht man die Temperatur um 10 Grad, dann verdoppelt sich die Reaktionsgeschwindigkeit. Dass diese einfache Regel nicht nur für einstufige chemische Umsetzungen gilt, sondern auch für höhere Zellen, die mit zirka 1000 Biokatalysatoren, also Enzymen, arbeiten, steht jetzt der Fachwelt zur Diskussion.

Der von der BTU-Wissenschaftlerin Susanne Nieland genutzte Pilz ist ein Naturisolat aus einem Komposthaufen. Taxonomisch bestimmt wurde er von einer Spezialistin, die an der Charité in Berlin ein Referenzlabor für Pilze leitet. Die Bestimmung erfolgt durch Analyse ausgewählter DNA-Abschnitte wodurch eine Zuordnung in ein stammesgeschichtlich strukturiertes Namen-gebendes System möglich ist. Aktuell sind über 100.000 Pilze auf diese Weise klassifiziert. Eingesetzt werden könnte dieses Pilzisolat zur Umsetzung von Palmöl zu hochwertigen Produkten wie zum Beispiel Vitaminen.

„Unser Isolat wächst auch bei 40 Grad Celsius optimal“, erläutert Susanne Nieland. Bei technischen Produktionsprozessen wird meist viel Wärme produziert, und es muss energetisch aufwendig gekühlt werden. Ist eine höhere Produktionstemperatur möglich, muss weniger gekühlt werden. Gleichzeitig wird eine Selektivität erzeugt, denn viele unerwünschte Mikroorganismen überleben Temperaturen von 40 Grad Celsius nicht.“ Auch dazu gelang der Wissenschaftlerin kürzlich eine Veröffentlichung. In der Fachzeitschrift BIOspektrum erschien eine deutsche Zusammenfassung der Ergebnisse der letzten Jahre.

Susanne Nieland hatte das Senftenberger Friedrich-Engels-Gymnasium besucht, nach ihrem Abitur zunächst in Senftenberg Chemieingenieurwesen studiert und dann den Master in Biotechnologie nachgelegt. „Ich hatte mich auch an zwei großen Universitäten über den Studiengang Chemie informiert, habe mich aber für Senftenberg entschieden. Denn hier wird jedem Studenten ein Praktikumsplatz garantiert. Damit war es möglich, mein Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen. Ich habe es nie bereut.“

Am Institut für Biotechnologie der BTU Cottbus-Senftenberg betreut sie heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Technische Mikrobiologie Studierende im Praktikum. Dabei werden überwiegend angewandte Fragen zur Nutzung von Pilzen für technische Prozesse, das heißt die Produktion von Wertstoffen, wie zum Beispiel Vitaminen, beantwortet. Genutzt werden nachwachsende Rohstoffe, zum Beispiel Rapsöl. Susanne Nieland freut sich nun auf das kommende Semester. Jeder Abiturient, der nach Senftenberg zum Studium der Biotechnologie kommt, hat die Chance, bei ihr Wesentliches zum Wachstum von Mikroorganismen zu lernen und dann damit Neues zu entdecken.

BTU Cottbus-Senftenberg


Originalpublikation:

Susanne Nieland Susann Barig Julian Salzmann Frauke Gehrau Arief Izzairy Zamani Annabell Richter Julia Ibrahim Yvonne Gräser Chyan Leong Ng Klaus-Peter Stahmann: Aspergillus fumigatus AR04 obeys Arrhenius' rule in cultivation temperature shifts from 30 to 40°C, Microb. Biotechnol. (2021) 14(4), 1422– 1432

https://doi.org/10.1111/1751-7915.13739