Weltweit sind nach Schätzungen der WHO etwa 200 bis 300 Millionen Menschen mit Schistosomiasis – auch Bilharziose genannt – infiziert, jedes Jahr sterben rund 200.000 Menschen an den Folgen. In den betroffenen tropischen Regionen hat die Erkrankung auch weitreichende sozioökonomische Auswirkungen: Die Betroffenen sind oftmals nicht arbeitsfähig und Kinder zu schwach, um in die Schule gehen zu können. Der Übertragungsweg erfolgt über die Haut durch infiziertes Wasser. Der Erreger ist ein parasitärer Saugwurm der Gattung Schistosoma – der sogenannte Pärchenegel. Bislang sind fünf verschiedene Schistosoma-Arten bekannt, die den Menschen befallen können. Die etwa zwei Zentimeter langen Würmer setzen sich in der Wand des Darms, der Blase oder der Leber fest. Die Folge sind Entzündungen und schwere Organschäden, die zum Tod führen können. Schistosomiasis kann mit einem Anti-Wurmmittel behandelt werden. Jedoch schützt es nicht vor einer Neuinfektion. „Das Problem sind die kontaminierten Gewässer“, sagt Prof. Matthias Liess, Leiter des Departments System-Ökotoxikologie am UFZ. „Um Schistosomiasis einzudämmen, muss etwas gegen die Verbreitung der Erreger in Gewässern getan werden.“
Matthias Liess forscht gemeinsam mit seinem Team am UFZ daran, wie sich Pestizide auf die Lebensgemeinschaften in Fließgewässern auswirken. „Empfindliche Insektenarten verschwinden und die Populationen unempfindlicher Arten wie etwa Süßwasserschnecken nehmen im Gegenzug zu – und das schon bei äußerst geringen Pestizidkonzentrationen, die in der Risikobewertung als unbedenklich gelten“, erklärt Liess. „In tropischen Gewässern – und seit 2011 auch auf Korsika – spielen Süßwasserschnecken als Zwischenwirte im Lebenszyklus des parasitischen Saugwurms eine zentrale Rolle.“ Gelangen seine Eier über den Kot oder den Urin infizierter Personen in ein Gewässer, schlüpfen im Wasser Wimpernlarven (Mirazidien), die sich in Süßwasserschnecken ungeschlechtlich vermehren. Dabei entstehen aus einer Wimpernlarve mehrere tausend sogenannter Zerkarien, die ins Wasser entlassen werden. Erreichen diese einen menschlichen Wirt, bohren sie sich durch die Haut in den Körper und entwickeln sich dort zu erwachsenen Würmern.
In ihrer aktuellen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie haben die Forscher in Felduntersuchungen 48 Fließgewässer in Kenia im Bereich des Victoriasees auf Pestizidbelastung, Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften und Schneckenvorkommen hin untersucht. „Es zeigte sich, dass dort, wo es keine Pestizidbelastung gab, und die Lebensgemeinschaft des Fließgewässers in einem natürlichen Gleichgewicht war, nur wenige Schnecken vorkamen“, sagt Liess. „Konnten wir Pestizide im Gewässer nachweisen, dominierten die Schneckenpopulationen die Gemeinschaften.“ Laboruntersuchungen ergaben darüber hinaus, dass die Schneckenarten, die im Lebenszyklus des Saugwurms Schistosoma als Zwischenwirt dienen, äußerst tolerant gegenüber hohen Pestizidkonzentrationen waren. Mithilfe von Modelluntersuchungen fahndeten die Forscher nach weiteren Faktoren, die die Schnecken im pestizidbelasteten Ökosystem fördern. Dabei zeigte sich, dass die Schneckenpopulationen vor allem durch das Fehlen von Nahrungskonkurrenten wachsen. „Im Wasser lebende Insektenlarven, die ebenso wie die Süßwasserschnecken Algenbewuchs von Steinen abgrasen, werden durch die Pestizidbelastung stark dezimiert oder verschwinden ganz. Für die Schnecken ergeben sich daraus optimale Nahrungsbedingungen, und sie können sich stark vermehren“, erklärt Liess. „Und die große Zahl potenzieller Zwischenwirte ist wiederum ideal für die Ausbreitung des Saugwurms Schistosoma.“
Um die Kontamination mit Schistosomiasis-Erregern in Fließgewässern betroffener Regionen zu verringern, wäre zum einen der Bau effektiver Kläranlagen hilfreich, um die Einträge ungeklärter kontaminierter Abwässer zu reduzieren. Doch das allein wäre aus Sicht der Forscher nicht ausreichend. „Selbst wenn nur wenige Erreger ins Wasser gelangen, dort aber auf eine riesige Schneckenpopulation treffen, ist das Problem nicht gelöst“, sagt Liess. „Daher ist es wichtig, hier an beiden Stellschrauben zu drehen, und auch auf Maßnahmen zur Reduktion der Pestizidbelastung zu setzen, um das Erkrankungsrisiko für Schistosomiasis effektiv eindämmen zu können.“ So könnten etwa durch das Anlegen von Randstreifen neben landwirtschaftlich genutzten Flächen oder den Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden direkt neben Gewässern deutliche Veränderungen der Artenzusammensetzung hin zu einer ursprünglichen Lebensgemeinschaft mit nur wenigen Schnecken gefördert werden, sagen die Forscher. „Dass bereits geringe Pestizidkonzentrationen ein ernstzunehmendes Umweltrisiko darstellen und dabei nicht nur zum Insektensterben beitragen, sondern auch indirekt für den Menschen gefährliche Krankheiten fördern können, konnten wir mit unserer Studie eindrücklich zeigen“, sagt Liess. „Wir hoffen, dass wir mit unseren Ergebnissen dazu beitragen können, dass in Schistosomiasis-Hot-Spots der Einsatz von Pestiziden in Gewässernähe künftig reduziert oder vermieden wird, und so das Infektionsrisiko verringert werden kann.“
UFZ
Originalpublikation:
Jeremias M. Becker, Akbar A. Ganatra, Faith Kandie, Lina Mühlbauer, Jörg Ahlheim, Werner Brack, Baldwyn Torto, Eric L. Agola, Francis McOdimba, Henner Hollert, Ulrike Fillinger, Matthias Liess (2020): Pesticide pollution in freshwater increases risk of human infection with schistosomiasis, Scientific Reports