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Wie die männliche Schwangerschaft bei Seepferdchen möglich ist

Bei Seepferdchen tragen die Männchen den Nachwuchs aus. Ein Forschungsteam unter Leitung des Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer ergründete die zellulären Grundlagen der „männlichen Schwangerschaft“. 

Männliches koreanisches Seepferdchen (Hippocampus haema) bei der Geburt. Die Jungtiere verlassen die Bruttasche.

Männliches koreanisches Seepferdchen (Hippocampus haema) bei der Geburt. Die Jungtiere verlassen die Bruttasche. Copyright: Jinggong Zhang

Vertauschte Geschlechterrollen: Bei den Seepferdchen ist es das Männchen, das die Babys austrägt. Das Weibchen legt hierzu seine Eier in eine spezielle Bruttasche am Bauch des Männchens, wo sie von dessen Spermien befruchtet werden. Die Embryos verbleiben im Inneren der Bruttasche und werden vom Körper des Männchens mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt, bis die jungen Seepferdchen schließlich per Lebendgeburt (Viviparie) auf die Welt kommen. Wie aber kann das funktionieren? Ein deutsch-chinesisches Forschungsteam um den Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit Liu Yali und Lin Qiang vom South China Sea Institute for Oceanography in Guangzhou untersuchte die genetischen und zellulären Mechanismen, die den Rollentausch möglich machen. Es stieß dabei auf ungewöhnliche hormonelle Abläufe und einzigartige Strategien der Immuntoleranz, die diese evolutionäre Entwicklung ermöglichten. 

Die Bruttasche – eine evolutionäre Neuheit
Evolutionär gesehen ist die Bruttasche eine einzigartige Innovation – und mit ihr die „männliche Schwangerschaft“. Die Bruttasche der männlichen Seepferdchen übernimmt die Aufgaben des Uterus und der Plazenta. Während der Schwangerschaft verändert sich ihr Gewebe und bildet eine Struktur aus, die der Plazenta weiblicher Säugtiere ähnelt. Dieser Prozess ist durchaus vergleichbar mit der Bildung der Plazenta bei schwangeren Säugetieren. 

Wie das funktioniert, wurde mit vergleichenden genomischen Methoden anhand von RNA-Analysen auf zellulärer Basis erforscht. Die Zellen und zellulären Signale, die die Plazenta der Säugetiere ausmachen, wurden mit denen der männlichen Bruttasche der Seepferdchen verglichen. In allen anderen Fällen der Lebendgeburt spielen weibliche Hormone eine Schlüsselrolle bei den körperlichen Veränderungen in der Schwangerschaft und für die Entwicklung der Embryos. Wie Axel Meyer und sein Team nun jedoch nachwiesen, verläuft die „männliche Schwangerschaft“ bei Seepferdchen interessanterweise ohne diese typischen weiblichen Hormone. 

„Unsere Untersuchungen bestätigten, dass Androgene – also männliche Sexualhormone – anstelle von klassischen weiblichen Hormonen bei der Entwicklung der Embryos in der Bruttasche eine zentrale Rolle spielen“, erläutert Axel Meyer. „Die Androgene induzieren die Verdickung und die Gefäßbildung der Hautschicht im Bauchbereich zu einer Struktur, die der Plazenta von Säugetieren ähnelt. Hier zeigt sich ein interessanter Unterschied zur Entwicklung des weiblichen Uterus der Säugetiere inklusive des Menschen, die typischerweise von weiblichen Hormonen geleitet wird.“

Ebenso überraschend ist der Blick auf das Immunsystem. Bei einer Lebendgeburt muss sichergestellt sein, dass das Immunsystem der Mutter – oder in diesem Fall des „schwangeren“ Männchens – die Embryos nicht als Fremdkörper versteht und immunologisch abstößt. Hierfür sorgt typischerweise das Gen foxp3, ein Schlüssel-Gen des Immunsystems bei vielen lebendgebärenden Arten. Erstaunlicherweise fehlt jedoch genau dieses Gen bei der Schwangerschaft des männlichen Seepferdchens. Dennoch kommt es nicht zu einer Autoimmunreaktion, also zur Abstoßung des Embryos. Axel Meyer vermutet eine ungewöhnliche Immuntoleranz-Strategie bei den Seepferdchen, bei der erneut die männlichen Hormone eine entscheidende Rolle spielen könnten: „Androgene üben oft eine immunsuppressive Wirkung aus, also eine Unterdrückung der Immunabwehr. Dies könnte zu dieser einzigartigen Immuntoleranz beitragen.“

Evolutionäre Einblicke
Die genetischen und zellulären Besonderheiten der Bruttasche erlauben einen spannenden Blick auf die evolutionäre Entwicklung von eierlegenden zu lebendgebärenden Arten. „Die unterschiedlichen evolutionären Stadien innerhalb der Familie der Syngnathidae, der Seepferdchen, machen sie zu einem hervorragenden Modell, um die Entwicklung von der Oviparie ihrer Vorfahren (eierlegende Fortpflanzung) zur Viviparie (Lebendgeburt) nachzuvollziehen.“ Die Fachleute vermuten, dass ein erster Schritt die Entwicklung von „klebrigen Eiern“ war, die am Körper des Männchens – damals noch ohne Bruttasche – anhaften. Der nächste evolutionäre Schritt war daraufhin die Entwicklung der Bruttasche des Männchens, welche die Eier aufnimmt, schützt und mit Nährstoffen versorgt. „Dank unserer Untersuchungen verstehen wir nun die genetischen, molekularen und zellulären Mechanismen besser, die dieser bemerkenswerten evolutionären Entwicklung unterliegen – wie sich die Schwangerschaft bei weiblichen Säugetieren und männlichen Seepferdchen wiederholt entwickelte, aber auf unterschiedlichen genetischen und hormonellen Wegen“, schließt Axel Meyer.

Universität Konstanz


Originalpublikation:

Liu, Y., Jiang, H., Miao, Y. et al. Cellular and molecular mechanisms of seahorse male pregnancy. Nat Ecol Evol (2025). doi.org/10.1038/s41559-025-02883-5

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