Mückenfledermäuse (Pipistrellus pygmaeus) wiegen nur wenige Gramm, legen aber auf nächtlichen Wanderungen von Nordost- nach Südwesteuropa vermutlich jedes Jahr tausende Kilometer zurück. Wie sie in der Dunkelheit ihren Kurs über diese langen Distanzen finden, ist bislang unklar. Ein internationales Team um den Biologen Dr. Oliver Lindecke von der Universität Oldenburg hat nun Hinweise darauf gefunden, dass bei der Navigation der Mückenfledermäuse der Magnetsinn eine Rolle spielen könnte. Mit Hilfe von Verhaltensexperimenten fand das Team heraus, dass zwei unterschiedliche Komponenten des Erdmagnetfelds die Orientierung der Tiere beeinflussen.
Lindecke untersucht die Wanderungen der kleinen Säugetiere bereits seit zehn Jahren. Der Biologe erklärt: „Anders als bei Vögeln ist der Magnetsinn von Säugetieren, die über lange Distanzen wandern, praktisch noch nicht erforscht.“ Die Ergebnisse der aktuellen Studie legen zusammen mit früheren Ergebnissen nun nahe, dass Mückenfledermäuse über einen magnetischen Kompass verfügen und diesen bei Sonnenuntergang kalibrieren.
Er und seine Kollegen führten ihre Experimente auf der Ornithologischen Station der Universität von Lettland in Pape durch, einem Dorf im äußersten Südwesten des Landes an der Ostsee. „Im August und September wandern hier Zehntausende Fledermäuse entlang der Küste, vor allem Richtung Mitteleuropa“, berichtet Lindecke. In einer früheren Studie hatte er bereits herausgefunden, dass Mückenfledermäuse ihren inneren Kompass bei Sonnenuntergang neu justieren: Sie nutzen dafür den Punkt, an dem die Sonne untergeht, um ihre Flugroute auch später in der Nacht bestimmen zu können.
Um herauszufinden, ob die Tiere einen Magnetsinn besitzen und diesen bei der Navigation einsetzen, fingen die Forschenden 65 Mückenfledermäuse und setzten einen Teil der Tiere am folgenden Tag zur Zeit des Sonnenuntergangs mittels einer sogenannten Helmholtz-Spule einem manipulierten Magnetfeld aus. Dessen horizontale Richtung war um 120 Grad im Uhrzeigersinn gegenüber dem Erdmagnetfeld gedreht, also so, dass eine Kompassnadel nicht nach Norden, sondern nach Südosten zeigen würde. Bei einer zweiten Gruppe kehrte das Team zusätzlich die Neigungsrichtung des Magnetfeldes um, die sogenannte Inklination. Diese entsprach somit natürlichen, auf der Südhalbkugel der Erde gemessenen Werten. Ein weiterer Teil der Fledermäuse diente als Kontrollgruppe und war nur dem natürlichen Erdmagnetfeld in den Dünen von Pape ausgesetzt.
Einige Stunden später ließen die Forscher die Fledermäuse bei Nacht einzeln in einem Feldlabor frei und bestimmten dabei deren Abflugrichtung. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass die Tiere die einmal gewählte Richtung auf ihren nächtlichen Flügen beibehalten.
Das Ergebnis: Aus der Kontrollgruppe flog etwa die Hälfte der Tiere nach Süden, die andere Hälfte nach Norden. Die beiden Gruppen mit manipuliertem Magnetfeld verhielten sich unterschiedlich: Diejenigen Tiere, bei denen die horizontale Richtung des Magnetfeldes gedreht war, orientierten sich überwiegend nach Nordwesten. Bei der Gruppe, bei der zusätzlich die Inklination umgekehrt war, war hingegen keine bevorzugte Abflugrichtung zu erkennen. Die Ergebnisse zeigen vor allem eins, sagt Lindecke: „Die Fledermäuse sind bei Sonnenuntergang sowohl für die horizontale Richtung als auch für die Inklination des Magnetfeldes sensibel – und das beeinflusst ihren Abflug noch Stunden später.“
Welcher Mechanismus dem Magnetsinn der Fledermäuse zugrunde liegt, ist bislang nicht geklärt. Die Studie zeige jedoch, dass sie ähnlich wie Vögel die Inklination des Erdmagnetfeldes für ihre Navigation nutzen könnten, so Lindecke. Die genauen Zusammenhänge werden im Sonderforschungsbereich (SFB) „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten“ der Universität Oldenburg erforscht, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 2018 fördert. Lindecke ist dem SFB seit 2021 als Fellow angeschlossen und leitet 2023 ein Teilprojekt, das sich auf wandernde Fledermäuse konzentriert. Der SFB finanzierte auch einen Teil der aktuellen Studie. An der Publikation waren außerdem Forscher der Bangor University in Großbritannien und von der Universität von Lettland beteiligt.
Universität Oldenburg
Originalpublikation:
William Schneider, Richard Holland, Oskars Keišs, Oliver Lindecke: “Migratory bats are sensitive to magnetic inclination changes during the compass calibration period.” Biology Letters 19: 20230181. DOI:10.1098/rsbl.2023.0181, https://doi.org/10.1098/rsbl.2023.0181