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Arktische Viren im Rhythmus der Jahreszeiten

Viren in der Arktis treten im Jahresverlauf stark schwankend auf – und ähneln dem Virenvorkommen in der Antarktis. Diese überraschende Entdeckung ist das Ergebnis einer mehrjährigen Zeitreihenstudie unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel. Die Studie liefert Einblicke in das empfindliche Gleichgewicht der polaren Ökosysteme und zeigt, dass Viren – über deren Grundmuster bislang nur wenig bekannt ist – als Indikatoren für Veränderungen im Ozean dienen könnten. 

Arktis Wasser mit Eisschollen

Für ihre Studie untersuchten die Forschenden Millionen von DNA-Sequenzen aus arktischen Wasserproben und konnten so Virengemeinschaften identifizieren und diese ihren bevorzugten Wirten - meist Bakterien - zuordnen. Das fein austarierte mikrobielle Gleichgewicht könnte durch den Klimawandel ins Wanken geraten, warnen sie. Foto: Georgi Laukert, GEOMAR

Die Polarregionen unterliegen den stärksten jahreszeitlichen Schwankungen auf der Erde. Der Arktische Ozean ist dabei bekannt als unwirtlicher, oft von Eis bedeckter Lebensraum. Bei näherem Blick offenbart er jedoch eine Vielfalt an Leben, das von winzigen Organismen dominiert wird. Viren, die in dem kalten Wasser leben, sind dabei eng mit ihren Wirten – meist Bakterien – verknüpft. Diese mikrobiellen Partnerschaften verändern sich stark im Laufe der Jahreszeiten – je nach Licht, Temperatur und Nährstoffverfügbarkeit. 

Gleiche Viren an beiden Polen – eine Überraschung

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat nun in einer Langzeitstudie festgestellt, dass die Zusammensetzung der Virengemeinschaften im Arktischen Ozean stark saisonal geprägt ist und dem Virenvorkommen im Südlichen Ozean rund um die Antarktis überraschend ähnelt. Dies widerspricht Annahmen, dass sich die Virenpopulationen zwischen Nord- und Südpol stark unterscheiden. In wärmeren Breiten konnten diese viralen Gruppen nicht nachgewiesen werden.

„Dass sich an den geografisch so weit entfernten Polen ähnliche virale Muster zeigen, war völlig unerwartet“, sagt Alyzza Calayag, Meeresökologin am GEOMAR und Erstautorin der Studie. „Wie diese Ähnlichkeit zustande kommt, ist eine der spannenden Fragen für künftige Studien.“ 

Proben aus einer mehrjährigen Zeitreihe

Die Proben für die Studie wurden mithilfe autonomer Wasserprobennehmer im HAUSGARTEN-Observatorium des Alfred-Wegener-Instituts in der Arktis gesammelt. Über vier Jahre hinweg (2016 bis 2020) sammelten die Geräte kontinuierlich Wasserproben in der Framstraße, der Meerespassage zwischen Grönland und Spitzbergen.

Um Viren zu erkennen, durchsuchten die Forschenden Millionen langer DNA-Sequenzen mithilfe von Computerprogrammen, die virale DNA-Signaturen identifizieren. So konnten Viren sowohl innerhalb als auch an Bakterien haftend nachgewiesen werden. Mithilfe computergestützter Netzwerkanalysen konnten die Forschenden zudem bestimmte Viren-Gruppen ihren bevorzugten Wirten zuordnen.

Um herauszufinden, ob diese Viren auch außerhalb der Arktis vorkommen, verglich das Team sie mit globalen Metagenomdaten – also mit Umwelt-DNA aus verschiedenen Weltregionen. In diesen globalen Datensätzen konnten 42 Prozent der arktischen Viren auch in antarktischen Regionen nachgewiesen werden. 

Virale Hochsaison: 30 Viren pro Bakterie im Sommer

Überraschend war für das Forschungsteam auch der starke saisonale Unterschied in der Anzahl und Zusammensetzung der Viren: „Im Winter fanden wir in den Wasserproben etwa gleich viele Viren wie Bakterien“, erklärt Calayag. Doch im Spätsommer zwischen August und September schnellten die Zahlen in die Höhe: „Im Durchschnitt kamen 30 Viren auf jede einzelne Bakterie.“

Dieser extreme Anstieg – ein sogenannter saisonaler „Peak“ – sei bisher völlig unerkannt geblieben, da sich frühere Studien nicht auf eine kontinuierliche Probenahme stützen konnten und keine Proben während der dunklen Wintermonate erhoben wurden. 

Die Forscherin betont: „Wir sehen, dass sich mit den Jahreszeiten nicht nur die Anzahl der Viren verändert, sondern auch ihre Zusammensetzung. Das bedeutet, dass sich je nach Umweltbedingungen ganz unterschiedliche Virentypen durchsetzen – und diese wiederum haben unterschiedliche Effekte auf das mikrobielle Nahrungsnetz.“

Denn Viren befallen gezielt bestimmte Bakterien und kontrollieren damit ihr Wachstum und ihre Verbreitung. So beeinflussen sie, welche Stoffe im Wasser umgesetzt werden und wie Energie in der Nahrungskette weitergegeben wird. Dieses fein austarierte Gleichgewicht könnte durch den Klimawandel ins Wanken geraten.

Klimawandel könnte das mikrobielle Gleichgewicht verschieben

„Wenn sich Temperatur, Salzgehalt oder Eisbedeckung verändern, geraten auch die Lebensbedingungen für die Viren durcheinander“, so Calayag. „An Kälte angepasste Viren könnten verdrängt werden, neue Typen könnten sich etablieren. Das hätte Auswirkungen auf das gesamte ökologische Zusammenspiel. Genau deshalb sind Viren wichtige Frühindikatoren für den Wandel in den Polarregionen.“

GEOMAR


Originalpublikation:

Calayag, A., Priest, T., Oldenburg, E., Muschiol, J., Popa, O., Wietz, M. & Needham, D. M. (2025): Arctic Ocean virus communities and their seasonality, bipolarity, and prokaryotic associations, Nature Communications. https://doi.org/10.1038/s41467-025-61568-6

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