Ein interdisziplinäres Forschungsteam gefördert vom Exzellenzcluster ROOTS an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) veröffentlicht jetzt in einem Sonderband zu Fragen der frühen Kultivierung und Domestikation in der internationalen Fachzeitschrift Philosophical Transactions of the Royal Society B neue Ergebnisse, die die bisherige Sichtweise infrage stellen. Die verwendeten modernen Analysemethoden zeigen, dass Roggen wohl schon zu Beginn seiner Kultivierung mehr war als eine anspruchslose Alternative für arme Böden. „Zu einer dominierenden Kulturpflanze wurde er nicht langsam als Ersatzpflanze, sondern durch seine frühe Integration in ein damals schon bestehendes arbeitsintensives Düngesystem, das hauptsächlich auf Stallmist basierte“, sagt der Paläoökologe Dr. Frank Schlütz vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU, Erstautor der Studie.
Für die Studie haben die Beteiligten verkohlte Roggenkörner untersucht, die bei archäologischen Grabungen an der niedersächsischen Nordseeküste sowie in Siedlungen auf den nährstoffarmen Sandböden des heutigen Brandenburg gefunden worden sind. Die Körner stammen aus der Zeit zwischen dem 4. Jahrhundert und dem 15. Jahrhundert.
In den Körnern wurden die Mengenanteile stabiler Isotope von Stickstoff, Kohlenstoff und Schwefel gemessen. „Die Stickstoff- und Schwefelisotope geben uns Hinweise auf die Art und Intensität der damaligen Düngung, die Kohlenstoffisotope über den einstigen Ertrag des Getreides“, erklärt Frank Schlütz.
Allerdings hängt die Wirkung der Düngung auf die Isotope in den Getreidekörnern auch von der Bodenqualität ab. Das Team hat daher zum Vergleich auch Analysen an modernem Roggen auf unterschiedlichen Böden durchgeführt. Es nutzte dazu bestehende landwirtschaftliche Versuchsfläche mit Mistdüngung in Thyrow (Brandenburg) und Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt).
Insgesamt zeigen die Messungen in der Zusammenschau, dass der Roggen zu Beginn zumeist auf gut gedüngten Feldern und nur teils auf armen, ungedüngten Böden angebaut wurde. Die Schwefelisotope lassen vermuten, dass stellenweise wohl auch mit Torfen gedüngt wurde. Die Höhe der Ernteerträge hängt neben der Düngung auch stark von der Wasserversorgung ab. Ob der angebaute Roggen unter Trockenheit litt oder unter feuchten Bedingungen wuchs, zeigen die Kohlenstoffisotope. Insgesamt die höchsten Erträge hatten wohl die an der Nordseeküste gelegenen Wurten. Hier waren die Niederschläge von Natur aus hoch und die Tierhaltung auf den fetten Wiesen der Marsch lieferte reichlich Mist für die Düngung.
So zeigt die neue Studie, dass Roggen ganz allgemein eben nicht nur wegen seiner Anspruchslosigkeit zu einer im nördlichen Mitteleuropa dominierenden Kulturpflanze wurde. Vielmehr war es produktiv, ihn in ein divers aufgestelltes Landwirtschaftssystem mit stark gedüngten Äckern zu integrieren.
Das hat auch Folgen für die soziale Bewertung des Roggens. Ackerbau und Viehzucht waren offenbar eng miteinander verwoben und förderten die Domestizierung des Roggen – und eine arbeitsintensive Landwirtschaft mit Überschüssen, deren Kontrolle letztendlich auch soziale Ungleichheit begünstigte und mittelalterliche Machtstrukturen festigte.
„Vieles deutet darauf hin, dass die Anhäufung und Kontrolle von Roggenüberschüssen im Verlauf des Mittelalters ein Mittel der Oberschicht und der Kirche waren, ihre beherrschende Position zu festigen“, erklärt Frank Schlütz. Über tausend Jahre aber blieb Roggen das Hauptnahrungsgetreide, bevor er in den 1950er Jahren vom uns heute vertrauteren Weizen abgelöst wurde.
Exzellenzcluster ROOTS an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Originalpublikation:
Schlütz F., Bittmann F., Jahns S,. König S., Shumilovskikh L., Baumecker M., Kirleis W. 2025. Stable isotope analyses (δ15N, δ34S, δ13C) locate early rye cultivation in northern Europe within diverse manuring practices. Phil. Trans. R. Soc. B 380: 20240195. https://doi.org/10.1098/rstb.2024.0195