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Referenzgenome geben erste Einblicke in die genetischen Wurzeln der Vielfalt von Marderartigen

Bild von Lubos Houska auf Pixabay

Innerhalb der Raubtiere bilden Marder die ökologisch und taxonomisch vielfältigste Familie. Sie bewohnen höchst unterschiedliche ökologische Nischen, an die sie sich im Laufe der Evolution durch eine jeweils artspezifische Ernährung, Fortpflanzung und Körperbau angepasst haben. Ein Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) führte eine vergleichende Analyse der Komplettgenome verschiedener Marderarten durch, um Einblicke in die molekularen Grundlagen dieser Anpassungen zu erhalten. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Molecular Ecology“ veröffentlicht.

Das Team identifizierte mehrere Mechanismen, die zu der beobachteten genomischen Vielfalt innerhalb der Marderfamilie führten – unter anderem Strukturunterschiede im Genom, welche die Anzahl, Position, Orientierung und/oder Größe von Genen im Genom einer Art verändern. Diese strukturellen Varianten werden bei Genomstudien von Wildtieren häufig nicht berücksichtigt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler argumentieren in dem Aufsatz, dass sich dies ändern muss.

Zu den Mustelidae (Marderartigen) gehören die Marder, Dachse, Frettchen, Wiesel und Otter. Sie sind die ökologisch und taxonomisch vielfältigste Familie innerhalb der Ordnung der Raubtiere (Carnivora). Selbst eng verwandte Marderartige bewohnen oft Lebensräume, in denen sie mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Infolgedessen entwickelte sich bei ihnen eine große Vielfalt an artspezifischen Anpassungen in Verhalten, Physiologie und Körperbau in Bezug auf Ernährung und Fortpflanzung. Der große Fortschritt bei Sequenzierungstechnologien und Analysemethoden erlaubt mittlerweile den kostengünstigen Zugang zu Komplettgenomen zahlreicher Wildtierarten. Ein Vergleich dieser Genome ermöglicht es somit, eine Verbindung zwischen Abschnitten im Genom und ökologisch relevanten Merkmalen herzustellen.
„Wir haben uns auf die Unterfamilie Guloninae konzentriert, da deren Vertreter eine besonders große Spannbreite ökologischer Nischen besetzt haben – von der allesfressenden Tayra (Eira barbara) in den Neotropen bis zum fleischfressenden Vielfraß (Gulo gulo) im ressourcenarmen Subpolarkreis“, sagt Lorena Derežanin, Doktorandin in der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionsgenetik und Erstautorin des Aufsatzes. „Dies ist die erste Untersuchung, die die Genome ökologisch unterschiedlicher Arten innerhalb dieser vielfältigen Unterfamilie vergleicht und Aufschlüsse darüber gibt, wie sich diese Arten entwickelt haben“, sagt Klaus-Peter Koepfli, Senior Research Scientist an der George Mason University in den USA und Koautor des Aufsatzes.

Um seine ökologischen Fragen zu beantworten, erstellte das Team das weltweit erste Referenzgenom der Tayra und verglich es mit den Genomen des Vielfraßes und des Zobels (Martes zibellina), zwei anderen, vom Tayra ökologisch sehr verschiedenen Mitgliedern der Guloninae. Sie fanden heraus, dass nicht nur die „Einzelnukleotid-Variation“ ¬– also Änderungen einzelner „Buchstaben“ im genetischen Code – zu Unterschieden zwischen den Arten bei mit bestimmten Merkmalen assoziierten Genen beitragen. Vielmehr fanden sie auch erheblich größere Abweichungen, sogenannte strukturelle Varianten, die Teile einzelner Gene oder mehrerer Gene oder größere Chromosomenabschnitte betreffen können. „Unsere Ergebnisse sind wichtig, da sie zeigen, dass alle Mechanismen berücksichtigt werden müssen, die zu Genomvariationen führen können, einschließlich solcher, die die Anzahl und Funktion von Genen in einem Genom schnell verändern können“, sagt Derežanin. Daniel Förster, Wissenschaftler am Leibniz-IZW und Seniorautor des Aufsatzes, fügt hinzu: „Wenn wir ein ‚Buch‘ als Metapher für das Genom verwenden, dann sind die Veränderungen, über die wir hier sprechen, vergleichbar mit dem Löschen, Verschieben oder Verdoppeln großer Textabschnitte, und zwar in der Größenordnung von Absätzen, Seiten oder sogar ganzen Kapiteln.“

Das Forschungsteam identifizierte Veränderungen in vielen Genen, die für die Ausbildung von Merkmalen relevant sind, die mit den unterschiedlichen Lebensweisen der Arten zusammenhängen. So fanden sie beispielsweise im Genom der Tayra, der einzigen Guloninae-Art, die sich ganzjährig fortpflanzt, viele Veränderungen in Genen, die mit Reproduktion und Trächtigkeit zusammenhängen. Beim fleischfressenden Vielfraß, der mit der saisonalen Nahrungsknappheit im Taiga- und Tundragürtel zurechtkommen muss, standen viele der veränderten Gene mit der Ernährung und dem Körperzustand in Verbindung. „In gewisser Weise gehört längeres Hungern zum Lebensstil des Vielfraßes, und wir haben Kandidaten für jene Gene identifiziert, die es ihm ermöglichen, mit dieser Lebensweise gut zurecht zu kommen“, sagt Jörns Fickel, Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionsgenetik. „Die Sequenzierung und die Analyse weiterer Genome von Arten aus dieser vielfältigen Säugetierfamilie wird uns helfen zu verstehen, wie Genome in Wechselwirkung mit verschiedenen Umweltbedingungen und -herausforderungen evolvieren.“

(Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.)


Originalpublikation:
Derežanin L, Blažytė A, Dobrynin P, Duchêne DA, Grau JH, Jeon S, Kliver S, Koepfli KP, Meneghini D, Preick M, Tomarovsky A, Totikov A, Fickel J, Förster DW (2022):
Multiple types of genomic variation contribute to adaptive traits in the mustelid subfamily Guloninae. Molecular Ecology, 31, 2898– 2919. DOI:

10.1111/mec.16443