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Arktisches Meereis schrumpft auf zweitkleinste Sommerfläche seit Beginn der Satellitenmessungen

Karte der Meereisausdehnung am 15. September 2020
Karte der Meereisausdehnung am 15. September 2020 (Grafik: meereisportal.de)

Die Meereisdecke des Arktischen Ozeans ist in diesem Sommer auf die zweitkleinste Fläche seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979 geschrumpft. Mitte September betrug die verbleibende Eisfläche nur noch 3,8 Millionen Quadratkilometer. Damit liegt die aktuelle Meereisfläche etwa 0,5 Millionen Quadratkilometer über dem Negativrekord aus dem Jahr 2012. 

Damals war die Eisdecke nach Angaben der Universität Bremen auf 3,27 Millionen Quadratkilometer geschrumpft. Die Ursachen für den starken Eisverlust in diesem Sommer sind vielschichtig: Zum einen wurde im zurückliegenden Winter in den russischen Randmeeren überwiegend dünnes Meereis gebildet, welches dann im Frühling schnell geschmolzen ist. Zum anderen verzeichnete die Arktis in diesem Jahr besonders hohe Luft- und Wassertemperaturen. Wärmewellen haben dem Eis demzufolge sowohl von oben als auch von unten zugesetzt und es großflächig schmelzen lassen.

Zum zweiten Mal in der 42-jährigen Geschichte der satellitenbasierten Meereisbeobachtung ist das arktische Meereis in diesem Sommer auf eine Restfläche von weniger als 4 Millionen Quadratkilometer geschrumpft. Aktuellen Satellitenaufnahmen zufolge bedeckte das verbleibende Eis am Ende der zweiten Septemberwoche nur noch eine Fläche von 3,80 Millionen Quadratkilometer. Noch weniger Eis gab es nur im Negativrekordjahr 2012. Damals betrug das sogenannte September-Meereisminimum nach Angaben der Universität Bremen 3,27 Millionen Quadratkilometer. 

Dieser besonders starke Rückgang überrascht aus zwei Gründen kaum einen Beobachter. Zum einen war im vergangenen Winter in den russischen Randmeeren des Arktischen Ozeans nur auffallend dünnes Meereis gebildet worden, weil beständig wehende ablandige Winde es schnell nach Norden geschoben hatten. Infolgedessen blieb auch die Eisdecke der Laptewsee, Karasee und Ostsibirischen See vergleichsweise dünn und brach bereits im Monat März wieder auf – früher als jemals zuvor. 

Zum anderen machte die Arktis in diesem Jahr vor allem durch Wärmerekorde von sich reden. Im Mai und Juni beispielsweise verharrte eine große Warmluftzelle über der sibirischen Küste, infolge derer die Lufttemperatur bis zu 6 Grad Celsius über dem Langzeitmittel lag. „Diese Wärme schmolz zunächst das dünne Meereis in der Laptewsee, anschließend beschleunigte sie den Rückzug des Eises in der Ostsibirischen See, sodass die russische Arktis bereits im Juni dieses Jahres rund eine Million Quadratkilometer weniger Meereis aufwies als in den sieben Jahren zuvor“, sagt Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven.

Im Juli wanderte eine Wärmezelle dann in die zentrale Arktis und ließ die Lufttemperaturen dort bis zu 6 Grad Celsius über das Langzeitmittel der Jahre 1981 bis 2010 steigen. Im selben Monat fegte zudem ein Sturm über den kanadischen Sektor des Arktischen Ozeans und verteilte das dort treibende Meereis großflächig. Viele der Schollen schmolzen anschließend innerhalb kurzer Zeit, weil sich das nun stellenweise offene Oberflächenwasser infolge der Sonneneinstrahlung erwärmte. 

Überdurchschnittlich warmes Wasser

Die zunehmende Wärme im Klimasystem der Erde griff das Meereis in diesem Jahr aber auch von unten an. Dort, wo die Meereisdecke früh im Jahr verschwand, konnte die dunkle Meeresoberfläche länger als sonst Sonnenenergie absorbieren. Das Oberflächenwasser erwärmte sich demzufolge besonders stark. Die Meeresoberflächentemperatur in den russischen Randmeeren sowie in der Barentssee und der Tschuktschensee lag bis zu 4,5 Grad Celsius über dem Langzeitmittel. „Wir gehen davon aus, dass es bedingt durch das stabile Hochdruckgebiet über der zentralen Arktis im Juli und August deutlich mehr wolkenlose Tage gab. Dadurch konnte die sonst durch Wolken verringerte einfallende Sonneneinstrahlung in diesem Jahr ebenfalls zur Eisschmelze beitragen“, erläutert AWI-Klimatologin Dr. Monica Ionita.

Eine weitere Rolle dürfte Wärme aus der Tiefe des Ozeans gespielt haben. Wie aktuelle Forschung zeigt, steigen im östlichen Teil des Arktischen Ozeans warme atlantische Wassermassen, die bislang in Tiefen von etwa 150 Metern zirkulierten, langsam auf und verändern unter anderem den Wärmeaustausch zwischen den arktischen Wassermassen. Wärme aus der Tiefe kann unter diesen Voraussetzungen selbst im Winter häufiger bis an die Meeresoberfläche aufsteigen und das Eis von unten schmelzen oder aber sein Wachstum verlangsamen. Aus diesem Grund ist das Eis dann zum Ende des Winters bereits dünner gewesen als in den Jahrzehnten zuvor.

Zeugen des rapiden Meereisrückganges

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Bord des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern konnten die rapide Eisschmelze in diesem Sommer live miterleben. "Das Meereis der Arktis hat sich in diesem Jahr atemberaubend weit zurückgezogen. Als wir den Nordpol kürzlich erreicht haben, sahen wir weite Bereiche offenen Wassers fast bis zum Pol, umgeben von Eis, welches durch massives Schmelzen völlig durchlöchert war. Das Eis der Arktis schwindet in dramatischer Geschwindigkeit. Mit der MOSAiC-Expedition untersuchen wir die zugrundeliegenden Prozesse detaillierter als jemals zuvor direkt vor Ort, damit wir diese rasanten Veränderungen der Arktis in unseren Klimamodellen richtig wiedergeben können", sagt Expeditionsleiter Prof. Markus Rex.

Zu welchem Zeitpunkt das arktische Meereis sein absolutes Minimum erreichen wird, hängt von den Wetterbedingungen in der Arktis ab. Dieses kann erst dann bestimmt werden, wenn die Meereisfläche nachweislich wieder zu wachsen beginnt. Erfahrungsgemäß ist dies zur Mitte des Monats September, manchmal aber auch erst in der zweiten Monatshälfte der Fall.

AWI


Originalpublikation:

Polyakov, I. V., and Coauthors, 2020: Weakening of Cold Halocline Layer Exposes Sea Ice to Oceanic Heat in the Eastern Arctic Ocean. J. Climate, 33, 8107–8123

doi.10.1175/JCLI-D-19-0976.1.