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Klein aber Oho! – Neueste Erkenntnisse über Flugleistungen von Kleinstinsekten

Zwergkäfer Paratuposa placentis
Der Zwergkäfer Paratuposa placentis (links) besitzt vordere schalenartige Deckflügel und aus etwa 42 Haaren bestehende Hinterflügel für den Flug. Er hat eine Körperlänge von nur 395 Mikrometern. Er ist damit etwa gleich groß wie die einzellige Amöbe Amoeba proteus (rechts) (Foto: Alexey A. Polilov, Universität Moskau)

Seit einigen Jahren gibt es in der Wissenschaft ein verstärktes Interesse, die Fortbewegung von Tieren, die nur wenige Millimeter groß sind, zu verstehen. Das internationale Wissenschaftlerteam aus Russland, Japan, China, Vietnam und Deutschland, dem auch Professor Fritz-Olaf Lehmann, Leiter des Lehrstuhls für Tierphysiologie an der Universität Rostock, angehört, ist den Geheimnissen des rasanten Flugs dieser Kleinstinsekten nun nähergekommen.

Eine Erklärung dafür könnten die unverwechselbaren Flügelbewegungen und die extrem leichten, aus Borsten bestehenden Flügel dieser Kleinstinsekten sein. Im Mittelpunkt ihrer Forschung stand dabei der Zwergkäfer Paratuposa placentis, der weniger als einen halben Millimeter groß ist (395 Mikrometer). Die Familie der Zwergkäfer oder Federflügler (Ptiliidae) umfassen weltweit etwa 500 Arten, mit Körpergrößen von weniger als 1,3 Millimeter. In der biologischen Aerodynamik sind Zwergkäfer durch ihre speziellen Anpassungen der Flügel von besonderem Interesse.

Wie schnell ein Insekt fliegt, hängt im Allgemeinen von seiner Größe ab: je größer das Insekt, desto mehr Flugkraft kann es erzeugen und desto schneller ist die Fluggeschwindigkeit. Sehr kleine Tiere haben es dabei besonders schwer, weil die Zähigkeit der Luft eine größere Rolle spielt als bei größeren Insekten und die Vorwärtsbewegung des Tiers stark abbremst. Einige Miniaturinsekten widersprechen jedoch dieser Regel. Ein Beispiel ist der kleine Zwergkäfer, der ähnliche Fluggeschwindigkeiten erreichen kann wie Insekten, die dreimal so groß sind. Die Frage, so Fritz-Olaf Lehmann, sei es, warum diese Tiere Flügel aus einzelnen Haaren mit Zwischenräumen besitzen um sich damit fortzubewegen. Spannend sei auch, ob derartige Flügel einen Vorteil für den Flug haben oder nicht. „Die Hinterflügel des Käfers bewegen sich in besonderer Art und Weise, nämlich im Sinne einer liegenden Acht. Der Flügelschlagzyklus besteht dabei aus zwei kräftigen Halbschlägen, die eine große Aufwärtskraft erzeugen, gefolgt von zwei langsamen Erholungsschlägen in Gegenrichtung. Die vorderen, schalenartigen Deckflügel von Käfern dienen eigentlich nur zum Schutz der Hinterflügel im ruhenden Tier. Beim untersuchten Zwergkäfer schwingen jedoch auch die Deckflügel im Flug hin- und her und dämpfen so übermäßige Vibrationen des Insektenköpers.“

Die Forscher vermuten, dass die Bewegung beborsteter Flügel zudem nicht so viel Muskelkraft erfordert wie die von schwereren Membranflügeln, wodurch die Leistung der Flugmuskulatur gleichmäßiger im einzigartigen Bewegungszyklus der Flügel verteilt wird. Diese Anpassungen könnten nach Meinung der Forscher erklären, wie sich die winzigen Insekten während des Prozesses der Miniaturisierung eine so hervorragende Flugleistung bewahren konnten. Dies könnte eine wichtige Komponente ihres evolutionären Erfolgs darstellen.
„Es handelt sich hier um Grundlagenforschung, bei der es um das Grundverständnis der Fortbewegung von Kleinstlebewesen geht und der Frage, wie die Probleme des Fliegens bei extremer Reduzierung der Körpergröße gelöst werden“, unterstreicht Fritz-Olaf Lehmann, ein Spezialist für die Aerodynamik des Insektenflugs.

Die publizierten Ergebnisse leisten darüber hinaus einen wichtigen Beitrag für andere Forschungsbereiche, wie beispielsweise der Bionik, die technische Herausforderungen nach dem Vorbild biologischer Funktionen zu lösen versucht. Für Professor Sven Grundmann, Leiter des Lehrstuhls für Strömungsmechanik an der Universität Rostock, sei das besonders reizvoll, „weil es weniger um die eigene Erfindung als um das Enträtseln existierender optimierter Systeme geht. Im Fall fliegender Insekten beispielsweise sind die grundlegenden strömungsmechanischen Abläufe zwar verstanden. Aber je mehr Details zutage gefördert werden, desto mehr Detaillösungen müssen erkannt und begriffen werden.“ Er ergänzt: „Die geringe Größe des Zwergkäfers und seine hohen Flügelschlagfrequenzen fordern unsere Methoden bis an die Grenzen.“
Neben der Strömungsmechanik sind bei der Umsetzung biologischer Lösungen für technische Nachbauten weitere Ingenieurdisziplinen involviert. Dies betreffe die Mechanik der Baumaterialien von Körpern und Flügeln, die Kinematik und Dynamik der Muskeln und Antriebe, aber auch die Sensorik und Regelcharakteristik des gesamten Flugsteuerungssystems. „Die kleinsten Insekten sind gerade deswegen besonders spannend, weil die Systeme, insbesondere das neuronale System, vergleichsweise einfach sind und noch am ehesten die Chance bieten, sie beispielsweise mit künstlicher Intelligenz nachzubilden“, so Sven Grundmann.

Universität Rostock


Originalpublikation:

Originalveröffentlichung: Farisenkov, S. E., Kolomenskiy, D., Petrov, P.N., Engels, T., Lapina, N. A., Lehmann, F.-O., Onishi, R., Liu, H., and Polilov, A. A. Novel flight style and light wings boost flight performance of tiny beetles. Nature (2022).
https://doi.org/10.1038/s41586-021-04303-7