Die Analyse alter menschlicher Genome ist ein wichtiges Werkzeug zur Erforschung der Menschheitsgeschichte. Sie zeigt Zusammenhänge zwischen Menschen, die zu unterschiedlichen Zeiten lebten und gibt Aufschluss zu Mobilität und Interaktion. In den letzten zehn Jahren konnte alte DNA immer wieder Beweise liefern, um Mythen von "Reinheit" von Populationen - und damit rassistische sowie nationalistische Narrative - zu widerlegen. Die rasche Entwicklung dieser Art der Forschung machte aber neue ethische Standards für dieses Feld notwendig, die aktuell in Nature publiziert werden.
Aufgrund der raschen Verbreitung der Forschung an alter DNA und ihrer Auswirkungen auf die Archäologie und andere Forschungsfelder wurde der Ruf nach der Entwicklung ethischer Standards für diesen Forschungszweig laut. Die Wissenschaft war gefordert, über empfohlene Vorgangsweisen zur Probenahme menschlicher Überreste und zur wissenschaftlichen Analyse unter Berücksichtigung diverser Interessensgruppen nachzudenken, denn weltweit gibt es nach wie vor Unterschiede im Verständnis eines angemessenen Umgangs mit menschlicher DNA.
Ein Team von 64 Forscher*innen aus 24 Ländern, alle aktiv in der Forschung an alter DNA beteiligt, hat nun einheitliche ethische Standards formuliert. Diese sollten global für jeglichen Forschungskontext im Zusammenhang mit Forschung an alter DNA Anwendung finden. Dazu zählt etwa, dass geltende Vorschriften an Orten, an denen menschliche Überreste entnommen werden, einzuhalten sind. Dass die Bedürfnisse aller beteiligten Interessensgruppen berücksichtigt werden und diesen Respekt und Feingefühl entgegengebracht wird. Vor Beginn jeder Studie sind detaillierte Planungen zu machen und Daten bereitzustellen, um eine kritische Überprüfung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ermöglichen. Vor allem aber sollen Beschädigungen an menschlichen Überresten minimiert werden.
Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie an der Univerisät Wien hat an diesen neuen Ethik-Regelungen mitgearbeitet. Er und sein Team waren bei der Maximierung von extrahierter alter DNA aus Knochen äußerst erfolgreich. In Experimenten hat sein Team eine Methode entwickelt, mit der hundertmal mehr genetische Daten als bislang üblich gewonnen werden können. "Wir extrahieren die DNA aus dem Felsenbein statt wie davor üblich aus anderen Knochen. Unsere Methode ist mittlerweile die am weitesten verbreitete", erklärt Pinhasi. Als invasive Technik bewirkt sie jedoch eine Zerstörung von Knochenmaterial. Um die Schäden am Knochen möglichst gering zu halten und trotzdem eine große Menge von DNA zu erhalten, entwickeln die Forscher*innen neue Methoden: Eine davon ist die Extraktion von DNA aus den kleinen Gehörknöchelchen. In einer weiteren wird alte DNA durch Lösung statt Bohrung aus dem Wurzelzement von Zähnen gewonnen.
"Die Technik der DNA-Gewinnung durch Lösung möchten wir weiterentwickeln, um destruktive Methoden nach und nach zu ersetzen. Dazu experimentieren wir mit verschiedenen Zahn- und Skelettelementen. Wir verfolgen das Ziel, durch Lösung vergleichbare Mengen an alter DNA extrahieren zu können wie durch destruktive Methoden", so Ron Pinhasi abschließend.
(Universität Wien)
Originalpublikation:
Ethics of DNA research on human remains: five globally applicable guidelines: Lars Fehren-Schmitz, Mary E. Prendergast, David Reich, Jakob Sedig, Kendra Sirak, Philipp W. Stockhammer, Ron Pinhasi et al. (2021). Nature
DOI: 10.1038/s41586-021-04008-x