Das Atlantische oder auch englische Hasenglöckchen ist eine auch im äußersten Westen Deutschlands selten vorkommende Pflanze. In England, einem seiner Hauptverbreitungsgebiete, teilt es seinen Lebensraum seit Jahrhunderten mit der einer nicht-einheimischen Art, die als „spanisches" Hasenglöckchen bezeichnet wird, oder mit Kreuzungen (Hybride) zwischen den beiden Arten. Über Jahrzehnte vermuteten Botaniker und Naturschützer, dass die fortlaufenden Kreuzungen die Genpools der beiden Arten so stark durchmischen könnten, dass das ursprüngliche, englische Hasenglöckchen im Laufe der Zeit aussterben könnte. Um das wahre Ausmaß dieser möglichen Bedrohung zu verstehen, sollte in der neuen Studie der Umfang der Hybridisierung zwischen den einheimischen und den nicht einheimischen Arten bestimmt werden.
Genetische Analysen von 501 Proben von Hasenglöckchen aus 56 Populationen in Großbritannien und auf der Iberischen Halbinsel brachten ans Licht, dass es sich bei den in Großbritannien gesammelten nicht-einheimischen Hasenglöckchen mitnichten um das „spanische Hasenglöckchen“ handelte, sondern um eine Kreuzung aus ihr und der britischen Art. Diese kräftigwüchsigere Art wird auch in Deutschen Gärten gerne gepflanzt. Außerdem zeigte sich, zur Überraschung aller, dass die Invasorin aus Portugal und nicht Spanien nach Großbritannien kam.
Die Auswertung der Proben ergab, dass der Anteil der Kreuzungen (Hybriden) an der Gesamtzahl der untersuchten Pflanzen nur 16 Prozent beträgt. Von den einheimischen Hasenglöckchen, die aus natürlichen Lebensräumen entnommen wurden, wiesen nur zwei Prozent Anzeichen für eine sogenannte Introgression auf, also für die Übertragung genetischer Informationen von einer Art auf eine andere als Folge von Hybridisierung. Rückkreuzungen zwischen den nicht-einheimischen Hasenglöckchen und der britischen Art wurden dabei vor allem in öffentlichen Parks gefunden.
Eine Erklärung, für die weite Verbreitung der nicht-einheimischen Hybride im Vereinigten Königreich könnte somit sein, „dass nicht die Wuchskraft der Hybride und die verbesserte Konkurrenzfähigkeit, sondern die Anpflanzung der nicht-einheimischen Pflanze in privaten und öffentlichen Gärten – in Verbindung mit falsch etikettiertem Baumschulmaterial – ihre landesweite Verbreitung begünstigt haben könnte,“, so Dr. Markus Ruhsam, Molekularökologe an der RBGE und Hauptautor der Forschungsarbeit.
Professor Peter Hollingsworth, wissenschaftlicher Direktor und stellvertretender Keeper der RBGE, betont daher: „Die Hauptaussage dieser Studie ist, dass an Orten, an denen nicht-einheimische Hasenglöckchen in großem Umfang eingeführt wurden, wie z. B. auf dem Gelände von Herrenhäusern oder in Wohngebieten, zwar häufig gekreuzt wird, der Genaustausch jedoch nicht über die unmittelbare Kontaktzone hinaus verbreitet zu sein scheint.“
„Generell“, darauf weist Professor Vogel hin, „erweist sich das Saat- und Pflanzgut regionalen Ursprungs als besser an die klimatischen und regionalen Bedingungen angepasst und ist auch widerstandfähiger. Es sollte deshalb auch bei der Gestaltung von Straßenrändern, Parks oder Gärten bevorzugt eingesetzt werden.“
Museum für Naturkunde Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung
Originalpublikation:
Ruhsam, M., Kohn, D., Marquardt, J., Leitch, A. R., Schneider, H., Vogel, J., Barrett, S. C. H., Hulme, P. E., Squirrell, J., & Hollingsworth, P. M. (2023). Is hybridisation with non-native congeneric species a threat to the UK native bluebell Hyacinthoides non-scripta? Plants, People, Planet, 1– 13. https://doi.org/10.1002/ppp3.10387