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Süße Entdeckung: Zucker aus dem salzigen Ozean sind für einen Großteil der Eiskeime über Südhalbkugel verantwortlich

Wolken in der Antarktis
Wolken in der Antarktis. Den Einfluss von Zuckerverbindungen auf die Wolkenbildung hat 2019 die spanische Expedition PI-ICE, an der auch Forschende vom TROPOS beteiligt waren. Quelle: Sebastian Zeppenfeld, TROPOS

Aktuelle Klimamodelle können bisher die Wolken über dem Südlichen Ozean rund um die Antarktis nur unzureichend wiedergeben. Ein wichtiger Schritt, diese Lücke zu füllen, ist jetzt einem internationalen Team gelungen: Die Forschenden konnten nachweisen, dass der überwiegende Teil an Eiskeimen in der Atmosphäre dort auf Zuckerverbindungen von marinen Mikroorganismen aus dem Meerwasser zurückgeht. 

Durch Gischt und Verdunstung gelangen sie in die saubere Luft über dem Meer, lassen dort Wassertröpfchen vereisen und treiben so Wolken und Niederschläge an. Die Eisbildung hat großen Einfluss auf das Klima, da Eispartikel in Wolken das Sonnenlicht deutlich stärker reflektieren als reine Wasserwolken. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung biologischer Quellen für die Niederschlagsbildung in abgelegenen Meeresregionen wie rund um die Antarktis, schreiben Forschende des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Arctic University of Norway in Tromsø im Fachjournal Environmental Science & Technology.

Eisbildungsprozesse beeinflussen die Strahlungseigenschaften, die Niederschlagsbildung und folglich die Lebensdauer von Wolken. Die Eisbildung wird durch sogenannte eiskeimbildende Partikel (eng. Ice Nucleating Particles, INPs) ermöglicht. In abgelegenen Meeresregionen wie dem Südlichen Ozean, wo die INP-Konzentrationen in der sauberen Atmosphäre niedrig sind, wurden große Unterschiede bei den Strahlungseffekten zwischen Modellen und Messungen festgestellt. Um die Klimamodelle zu verbessern, ist deshalb ein besseres Verständnis der Quellen und Eigenschaften von Eiskeimen nötig, wie z. B. Aerosolpartikel, die aus der Meeresgischt stammen.

Dass eisbildende Makromoleküle, die von marinen Mikroorganismen wie Pilze, Einzeller oder Hefen im Meerwasser produziert werden, über die Gischt in die Atmosphäre gelangen können, ist bereits seit über einem Jahrzehnt bekannt. Für terrestrische Quellen gibt es inzwischen einiges Wissen, um die Makromoleküle spezifischen Proteinen und Mehrfachzuckern (Polysacchariden) zuordnen zu können. Dagegen fehlte es bisher an Wissen über die chemische Identität dieser eisbildenden Makromoleküle aus marinen Quellen. „Während der Polarstern-Expedition PS106 2017 hatten wir bei Proben in Arktis erhöhte Glukose-Konzentrationen beobachtet und daraus geschlossen, dass diese Glukose ein Indikator für Eiskeime im Meerwasser sein kann. Der Einfachzucker Glukose ist ein Abbauprodukt von Mehrfachzuckern. Für uns lag daher nah, dass Mehrfachzucker das fehlende Puzzleteil sein könnten“, erklärt Dr. Sebastian Zeppenfeld vom TROPOS. 

Im Oberflächenfilm der Ozeane, der Meerwasser und Atmosphäre darüber trennt, lebt ein Kosmos an Mikroorganismen wie Bakterien, Algen, marine Kieselalgen, Haloarchaea, Viren, Hefen oder Pilze. Neben Algen und Bakterien, die in erster Linie zur Produktion und zum Abbau von Biomasse beitragen, rücken nun auch die marinen Pilze ins wissenschaftliche Interesse. Da ihre potenzielle Rolle als Eiskeime noch weitgehend unerforscht war, nahmen die Forschende marine Pilze besonders unter die Lupe. „In dieser Studie untersuchten wir die Eiskeimbildung von marinen Polysacchariden, die aus marinen Pilzen und Einzeller stammen, sowie von kommerziell erhältlichen Standardpolysacchariden“, berichtet Dr. Susan Hartmann vom TROPOS, die die Eiskeimbildung im Labor mit Hilfe des Tröpfchengefriertests INDA (Ice Nucleation Droplet Array) untersucht hat. Im Ergebnis entstand eine Datensammlung, die angibt, wieviel Eiskeime bei welchen Temperaturen durch welche Bestandteile in den Wolkentropfen gebildet werden. Die jetzt veröffentlichten Daten sind die ersten zu Einzellern und Pilzen aus dem Meerwasser, die die besagten Mehrfachzucker produzieren, und die Eisbildung katalysieren. Dass die marine Biologie in großer Zahl Eiskeime in der Atmosphäre bereitstellt, war schon bekannt. Mit der neuen Studie konnte nun gezeigt werde, dass die Mehrfachzucker die Gesamtanzahl biologischer Eiskeime zwischen etwa -15 und -20 Grad Celcius erklären. Aus verschiedensten anderen Studien ergibt sich zusammen mit den neuen Daten ein differenziertes Bild, welche Komponenten in der unbelasteten Atmosphäre der hohen Breiten der Südhemisphäre für Eis in den Wolkentropfen sorgen: In warmen Wolken unter -2 Grad Celsius sind das hauptsächlich Proteine, in mittelkalten Wolken unter -10 Grad Celsius sind das vor allem die jetzt nachgewiesenen Mehrfachzucker und erst in sehr kalten Wolken unter -20 Grad Celsius dominiert der bekannte Mineralstaub. Da jedoch ausgedehnte Mineralstaubquellen (z.B. Wüsten), in der Südhemisphäre Mangelware sind, ist die Bedeutung von Mineralstaub für die Eisbildung in der sehr sauberen Luft über den Meeren rund um die Antarktis viel geringer als in der Nordhemisphäre. Die Mischphasenwolken mit Flüssigwasser und Eis befinden sich meist im Temperaturbereich zwischen -15 und -20 Grad Celsius, also genau im Bereich, in dem die Mehrfachzucker zu den wichtigsten Eiskeimen zählen. „Wir konnten in unseren Simulationen zeigen, dass bei -15 bis -16 Grad Celsius die Mehrfachzucker über gigantischen Flächen der Ozeane in der sauberen Südhemisphäre die wohl bedeutendsten Eiskeime sind, d.h. sie tragen mehr zur Eisbildung bei als der Mineralstaub der Wüsten, der normalerweise in Klimamodellen als Eiskeim angenommen wird. Das ist eine neue und für die Klimamodelle wichtige Erkenntnis“, fasst Dr. Roland Schrödner vom TROPOS zusammen, der die Daten mit Hilfe des globalen Atmosphärenchemietransportmodell TM5 ausgewertet hat. 

Die Studie baut auf jahrelangen Vorarbeiten dreier Gruppen am TROPOS auf: Die Mikrophysik untersucht seit langem die Eisbildung in Wolkentropfen, die Atmosphärische Modellierung erforscht den Einfluss verschiedenster Partikelarten auf das Klima und die Atmosphärenchemie analysiert die chemische Zusammensetzung. Die Konzentrationen an Mehrfachzucker in der Atmosphäre hatten die Forschenden zuvor bei verschiedenen Expeditionen gemessen, so u.a. während der spanischen Antarktis-Expedition PI-ICE, der deutschen Arktis-Expedition PASCAL/PS106, der Kampagne MarParCloud im tropischen Atlantik oder durch Messungen auf Spitzbergen in der Arktis. Erst durch das Zusammenführen dieser Arbeiten wurden diese neuen Erkenntnisse möglich. 

Aus Sicht der Forschenden unterstreicht diese Studie, wie wichtig natürliche biologische Bestandteile in der Atmosphäre sind und dass Biosphäre und Atmosphäre im Erdsystem eng gekoppelt sind. Wenn die ambitionierten Klimaschutzziele vieler Länder in den nächsten Jahrzehnten umgesetzt werden, dann werden die vom Menschen verursachten Emissionen voraussichtlich abnehmen und natürliche Aerosolpartikel für die Wolkenmikrophysik noch wichtiger werden. Wolken in einer sauberen Umgebung, d.h. mit einer niedrigen Tröpfchenzahl, reagieren empfindlicher auf Schwankungen der Aerosolzahlkonzentration. Die saubere Südhemisphäre rund die Antarktis ist deshalb für die Wolkenforschung besonders spannend: Die Mission „HALO-South“ des deutschen Forschungsflugzeugs HALO wird von Juli bis Oktober 2025 von Neuseeland aus unter TROPOS-Leitung das Zusammenspiel von Wolken, Aerosolen und Strahlung über dem Südlichen Ozean genauer untersuchen. Die Messungen in der Luft werden ergänzt durch Messungen am Boden. Während der Messkampagne „goSouth-2“ werden Forschende von TROPOS und Universität Leipzig zusammen mit Partnern die Wolken des Südlichen Ozeans erforschen. Dazu wird die mobile Aerosol- und Wolkenfernerkundungsanlage LACROS von September 2025 bis März 2027 bei Invercargill an der Südspitze Neuseelands im Einsatz sein. Die Wolken in der weniger vom Menschen beeinflussten Südhemisphäre halten noch einige Geheimnisse bereit, die die Forschenden aus Leipzig in den nächsten Jahren lüften wollen. 

Leibniz-Institut für Troposphärenforschung e. V.


Originalpublikation:

Susan Hartmann, Roland Schrödner, Brandon T. Hassett, Markus Hartmann, Manuela van Pinxteren, Khanneh Wadinga Fomba, Frank Stratmann, Hartmut Herrmann, Mira Pöhlker, and Sebastian Zeppenfeld (2025): Polysaccharides─Important Constituents of Ice-Nucleating Particles of Marine Origin. Environmental Science & Technology, DOI: 10.1021/acs.est.4c08014, https://doi.org/10.1021/acs.est.4c08014