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Spätzünder mit Sprungkraft: Warzenbeißer wird „Insekt des Jahres 2026“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Das Insekt des Jahrs 2026: Der Warzenbeißer (Decticus verrucivorus).
Das Insekt des Jahrs 2026: Der Warzenbeißer (Decticus verrucivorus). Copyright: Senckenberg/Schmitt

Der Warzenbeißer (Decticus verrucivorus) ist das Insekt des Jahres 2026 für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Das Kuratorium „Insekt des Jahres“ unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg, wählte die markante Langfühlerheuschrecke aus einer Reihe von Vorschlägen. Der Warzenbeißer erhielt seinen ungewöhnlichen Namen aufgrund des alten Volksglaubens, sein kräftiger Biss und sein „scharfer Saft“ könnten Warzen heilen. Das bis zu vier Zentimeter große Tier steht exemplarisch für die bedrohte Insektenvielfalt von halbtrockenen Wiesenlandschaften. 

Der Warzenbeißer ist mit seinem bulligen Körper, den langen Fühlern und dem charakteristischen würfelförmigen Muster auf den kurzen Vorderflügeln kaum zu verwechseln. „Seine Farben reichen von leuchtendem Grün bis zu erdigen Brauntönen – eine erstaunliche Variabilität, die ihn in vielen Habitaten anpassungsfähig macht“, erklärt Kuratoriumsvorsitzender Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg und fährt fort: „Aufgrund ihrer hohen ökologischen Ansprüche sind größere Populationen des Warzenbeißers aber nur dann anzutreffen, wenn ausreichend große Flächen für die Insekten zur Verfügung stehen.“ 

Der Warzenbeißer ist in ganz Europa und Asien verbreitet, und auch in Deutschland findet man ihn im gesamten Bundesgebiet. Dennoch führt der Wandel in der Landschaft zu einem Rückgang dieser Langfühlerheuschrecken: „Die intensivere Landwirtschaft, Drainage und Aufforstung zerstören seine Lebensräume – offene, halbtrockene Magerrasen, die für die Art so wichtig sind, verschwinden immer mehr“, warnt Schirmherr Prof. Dr. Martin Husemann, Direktor am Naturkundemuseum Karlsruhe. Besonders problematisch sei die Isolierung kleiner Populationen – genetischer Austausch werde erschwert, wenn natürliche Korridore fehlten. 

Seinen ungewöhnlichen Namen verdankt der Warzenbeißer einem alten Volksglauben: Man war überzeugt, dass der kräftige Biss und der „scharfe Saft“ des Insekts Warzen heilen könnten. „Ob diese Kur wirklich wirksam war, ist bis heute nicht geklärt – schmerzhaft war sie aber in jedem Fall“, so Schmitt. Auch der Lebenszyklus des Warzenbeißers ist spannend: Er bildet nur eine Generation pro Jahr. Die Weibchen legen im Spätsommer und Herbst 200 bis 300 Eier im Boden ab – manche überdauern dort bis zu sieben Jahre. „Schlüpfen dann diese larvalen ‚Spätzünder‘, brauchen sie viel Wärme und Sonne, um zu überleben. Auch wenn die Jungtiere sich in hoher Vegetation vor Fraßfeinden verstecken, ist die Sterblichkeitsrate bis zum Erreichen der adulten Erscheinung sehr hoch“, so Schmitt. Erwachsene Tiere sind von Juni bis Oktober aktiv, am häufigsten im August. Neben pflanzlicher Nahrung sind sie vor allem räuberisch und jagen andere Insekten. Obwohl Decticus verrucivorus flugfähig ist, setzen die tagaktiven Tiere vor allem auf kräftige Sprünge.

Vögel sind bedeutende Fressfeinde, doch das Tarnverhalten und eine Strategie des Versteckens schützen den Warzenbeißer häufig. „Männchen klettern auf Pflanzen, um von dort mit ihrem Gesang Weibchen anzulocken – bei Gefahr verstummen sie aber und lassen sich leise zu Boden fallen. Damit entgehen sie vielen Feinden“, so Schmitt. Historische Berichte schreiben sogar von regelrechten Kämpfen mit Vögeln, bei denen die Heuschrecken „ätzenden Saft“, gemeint ist der Verdauungssaft, verspritzten. Auch Parasiten wie Fadenwürmer und Fliegenmaden stellen eine tödliche Bedrohung für die Insekten dar.

Die langsam beginnenden und dann immer schneller werdenden, markanten „Zick“-Laute des Männchens sind bei Sonnenschein ab etwa 23 Grad Celsius zu hören. „Der Ruf des Warzenbeißers erinnert an den Motor eines alten Traktors“, beschreibt Husemann. Die Männchen singen nicht nur, um Weibchen anzulocken, sondern auch, um Rivalen zu vertreiben: „In ihrem wenige Quadratmeter großen Revier reagieren sie mit unregelmäßiger Versfolge auf Konkurrenten – ein akustisches Duell.“

Mit der Wahl des Warzenbeißers zum Insekt des Jahres 2026 soll auch auf die Erhaltung von Magerrasen und extensiv genutzten Wiesen aufmerksam gemacht werden. „Er ist ein Botschafter für gefährdete Lebensraumtypen. Nur durch naturschutzorientierte Pflege, die Vernetzung von Flächen und eine nachhaltige Bewirtschaftung kann das Fortbestehen dieser Art gesichert werden“, schließt Schmitt.

Das Insekt des Jahres wird seit 1999 gekürt. Die Idee hierzu stammte vom Prof. Dr. Holger Dathe, damaliger Leiter des heutigen Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler*innen und Vertreter*innen wissenschaftlicher Institutionen angehören, wählt das Insekt jedes Jahr aus verschiedenen Vorschlägen aus.

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

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