VBIO

Koexistenz ist möglich: Das Weiden von Vieh tagsüber hat keine negativen Auswirkungen auf Tüpfelhyänen in Tansania

Tüpfelhyäne und Massai-Hirte im Ngorongoro-Krater in Tansania
Tüpfelhyäne und Massai-Hirte im Ngorongoro-Krater in Tansania Oliver Höner/Leibniz-IZW

Wenn Hirten ihre Rinder tagsüber auf ausgetretenen Pfaden durch die Territorien von Tüpfelhyänenclans treiben, verringert dies weder die Fortpflanzungsleistung noch erhöht es die physiologische Belastung („Stress“) der Hyänen. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Ngorongoro Conservation Area Authority (NCAA). Das Wissenschaftsteam analysierte 24 Jahre demografischer und physiologischer Daten von 8 Clans, von denen 2 den Aktivitäten der Viehhirten ausgesetzt waren. Diese waren vorhersehbar, fanden tagsüber statt und störten keine wichtigen Verhaltensweisen der vorwiegend dämmerungs- und nachtaktiven Hyänen.

Menschliche Aktivitäten können starke Auswirkungen auf wildlebende Tiere haben, wobei die Auswirkungen je nach Art der Aktivität und den Merkmalen der betroffenen Art sehr unterschiedlich sein können. Um die Koexistenz von Menschen und Wildtieren zu fördern, ist es daher wichtig zu beurteilen, welche menschlichen Aktivitäten für eine bestimmte Art nachhaltig verträglich sind. Verhaltensanpassungen von Wildtieren an menschliche Aktivitäten wurden bereits oft dokumentiert, aber es wurde selten untersucht, ob solche Anpassungen Belastungen erzeugen oder Nachteile auf Überlebenschancen oder den Fortpflanzungserfolg der Tiere haben, obwohl dies für den langfristige Überlebensfähigkeit einer Population entscheidend ist.

„Langzeitdaten für derartige Forschungen zu gewinnen – insbesondere bei großen, in Gruppen lebenden Raubtieren, die besonders konfliktanfällig sind – ist wegen des enormen finanziellen und zeitlichen Aufwands nicht einfach. Wir untersuchten zum ersten Mal die Auswirkungen einer häufigen menschlichen Aktivität – der Viehhaltung auf der natürlichen Weide – auf den Fortpflanzungserfolg und mögliche Belastungen vor dem Hintergrund der Biologie und des Sozialsystems der Wildtierart“, erklärt Erstautor Arjun Dheer, Doktorand am Leibniz-IZW und Erstautor das Fachaufsatzes. Die Untersuchung wurde an acht Clans von Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) durchgeführt, die im Ngorongoro-Krater, einem UNESCO-Welterbe im Norden Tansanias, leben. „Nahezu täglich weideten die Rinder der Massai-Hirten in den Territorien von zwei unserer acht Clans, die wir seit 1996 untersuchen“, sagt Dheer. Dieses ‚natürliche Experiment‘ mit exponierten und nicht exponierten Clans machten sich die Wissenschaftler:innen zu Nutze. „Wir testeten, ob die Hyänen der exponierten Clans weniger überlebende Nachkommen haben als die nicht exponierten Clans und ob die Weideaktivitäten die physiologische Belastung der Hyänen erhöhen“, erklärt Dr. Oliver Höner (Leibniz-IZW), Leiter des Ngorongoro-Hyänenprojekts. Um die Auswirkungen auf den Fortpflanzungserfolg zu beurteilen, nutzte das Team detaillierte demografische Daten der acht Clans aus 24 Jahren Feldforschung. Um die Belastung abzuschätzen, maßen sie die Konzentration von Glukokortikoid-Stoffwechselprodukten (fGMC) in 975 Kotproben von 475 Hyänen der acht Clans. Das Team berücksichtigte auch die Auswirkungen weiterer ökologischer Parameter wie Krankheitsausbrüche und die Häufigkeit des Hauptkonkurrenten der Hyänen (Löwen, Panthera leo) sowie der Beutetiere, um deren Effekte in dieser Analyse auszuschließen.
Das wichtigste Ergebnis ist, dass Hyänenclans, die den Massai-Hirten und ihren Rindern ausgesetzt waren, ähnliche Jungtierzahlen und fGMC-Werte aufwiesen wie nicht exponierte Clans. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Hyänen im Ngorongoro-Krater gut mit der Weidewirtschaft am Tag zurechtkommen“, erklärt Dheer. Eine wahrscheinliche Erklärung für das Fehlen nachweisbarer Auswirkungen auf die Hyänen ist, dass die Weideaktivitäten vorhersehbar sind und kaum störend wirken, da sie tagsüber stattfinden. „Hyänen sind meist nachtaktiv, wenn es um kritische Verhaltensweisen wie die Jagd geht“, erklärt Höner. Selbst wenn andere kritische Verhaltensweisen der Hyänen, wie das Säugen von Jungtieren, aufgrund der Weideaktivitäten nachts stattfinden mussten, war dies für die Tiere möglicherweise keine allzu große Umstellung. „Tüpfelhyänen sind in ihrem Verhalten sehr flexibel. In anderen Regionen wurde beobachtet, dass Muttertiere ihre Jungen in Höhlen verlegten, die weiter von den Wegen entfernt waren, die die Hirten benutzten, oder dass sie häufiger nachts säugten“, sagt Höner.

Die Autor:innen warnen davor, die Ergebnisse dieser Untersuchung zu verallgemeinern. „In Regionen, in denen die Weidewirtschaft intensiver ist und die Umweltbedingungen, wie beispielsweise die Dichte an wildlebenden Beutetieren, ungünstiger sind als im Ngorongoro-Krater, können die Aktivitäten der Weidewirtschaft einen erheblichen Einfluss sogar auf eine sehr flexible Art wie die Tüpfelhyäne haben“, erklärt Höner. „Unsere Untersuchung unterstreicht die Notwendigkeit, evidenzbasierte Koexistenz-Strategien in einem lokalen Kontext zu entwickeln, die sowohl den Interessengruppen als auch den Wildtieren zugutekommen“, schließt Victoria Shayo, Leiterin der Abteilung Wildlife and Rangeland Management, der Ngorongoro Conservation Area Authority und Mitautorin der Arbeit. „Sie unterstreicht auch, wie wichtig es ist, die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten vor dem Hintergrund der sozio-ökologischen Gegebenheiten der zu schützenden Arten auszuwerten.“ Zusätzliche wissenschaftliche Untersuchungen, die eine Vielzahl menschlicher Aktivitäten und Arten umfassen und die Auswirkungen auf Belastungen und Fortpflanzungserfolg messen, werden dazu beitragen, die Koexistenz von Menschen und Wildtieren zu fördern.

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung


Originalpublikation:

Dheer, A., Davidian, E., Courtiol, A., Bailey, L.D., Wauters, J., Naman, P., Shayo, V., and Höner, O.P. (2022). Diurnal pastoralism does not reduce juvenile recruitment nor elevate allostatic load in spotted hyenas. Journal of Animal Ecology. DOI: 10.1111/1365-2656.13812, https://doi.org/10.1111/1365-2656.13812