Wie lässt sich die Widerstandskraft von Korallenriffen gezielt stärken?
Einerseits schauten die Forschenden genauer auf die genetische Vielfalt von Korallen und haben festgestellt, dass zentrale Riffzonen besonders widerstandsfähig gegenüber sich verändernden Umweltbedingungen sind. Zum anderen untersuchten sie, wie das Mikrobiom der Korallen beeinflusst werden kann, um sie besser vor Umweltverschmutzung und Klimawandel zu schützen.
Genetische Vielfalt erkennen – und gezielt schützen: Veröffentlicht in der Fachzeitschrift Evolutionary Applications, widmet sich eines der Forschungsvorhaben der genetischen Struktur von Staghorn-Korallen (Acropora cf. pulchra) in Mikronesien. Ein Forschungsteam unter Beteiligung von Dr. Sarah Lemer, Molekularbiologin am LIB, David Combosch, Gast-Wissenschaftler am LIB, und Mitarbeitern der Universität Guam (UOG), hat mithilfe populationsgenomischer Methoden Korallen an fünf verschiedenen Standorten der Marianeninseln untersucht – darunter Guam und Saipan. Die zentrale Frage war, wie stark diese Populationen genetisch miteinander verbunden sind und wo sich potenzielle Schwachstellen oder besonders widerstandsfähige Gruppen befinden.
Die Ergebnisse dieser groß angelegten genetischen Analyse zeigen deutlich, dass viele Populationen eine extrem hohe Klonalität aufweisen. Das bedeutet: In vielen Fällen bestehen ganze Riffabschnitte aus genetisch nahezu identischen Korallen, die sich durch asexuelle Vermehrung – also etwa durch Abbrechen und Anwachsen von Fragmenten – ausgebreitet haben. Die genetische Vielfalt innerhalb dieser Populationen ist dadurch deutlich eingeschränkt. Zudem stellten die Forschenden ein klares Muster von „Isolation-by-Distance“ fest: Je größer die geographische Distanz zwischen zwei Populationen, desto weniger genetischer Austausch findet statt. Diese genetische Trennung kann die Fähigkeit der Korallen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, erheblich beeinträchtigen.
Dennoch bietet die Studie auch Anlass zur Hoffnung. In einigen Bereichen identifizierte das Forschungsteam sogenannte Konnektivitäts-Hubs – zentrale Riffzonen, in denen genetischer Austausch nachweislich stattfindet und sich Vielfalt sammelt. Diese Hotspots könnten künftig gezielt in Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen eingebunden werden. „Genetische Knotenpunkte wie diese sind mehr als nur biologische Eigenheiten – sie sind Ankerpunkte für restaurative Intervention“, erklärt Dr. Sarah Lemer. „Wenn wir wissen, wo genetische Vielfalt konzentriert vorkommt, können wir Restaurationsmaßnahmen genau dort ansetzen – mit deutlich größerem Effekt.“ Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine klare Handlungsempfehlung: Indem Korallen aus genetisch vielfältigen Populationen gezielt genutzt werden, um andere, genetisch verarmte Riffbereiche wieder zu besiedeln, lässt sich die Widerstandsfähigkeit des lokalen Ökosystems langfristig stärken.
Mikrobiom-Fusion: Ein zukunftsweisender Vorschlag in der Korallenforschung
„Wenn Korallen die Möglichkeit haben, mikrobielles Wissen auszutauschen, könnte daraus eine Art kollektive Widerstandskraft entstehen“, sagt Dr. Sarah Lemer. „Es ist ein Konzept, das ökologische Anpassungsfähigkeit völlig neu denkt.“ Die im Fachjournal One Earth in Zusammenarbeit mit Mikrobiologen und Experten für Korallenkrankheiten von der UOG erschienene Studie bringt dieses bislang wenig beachtetes Konzept ins Spiel: die gezielte Beeinflussung des Mikrobioms, also der mikrobiellen Lebensgemeinschaften, in oder an der jede Koralle lebt. Die Forschenden schlagen vor, diesen inneren Mikrokosmos stärker in die Restaurationsbiologie einzubeziehen – als potenziellen Schlüssel zu mehr Resilienz.
Konkret geht es darum, Korallenstücke mit gleichem Erbgut, aber unterschiedlichen Gemeinschaften von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen (Mikrobiome) gezielt zusammenwachsen zu lassen. Dies könnte dazu führen, dass sich ihre unterschiedlichen Mikrobiome vermischen und nützliche Mikroben auf weniger widerstandsfähige Individuen übertragen werden. Zwar handelt es sich bislang um einen theoretischen Ansatz, doch er basiert auf gut dokumentierten biologischen Mechanismen wie Korallenfusion und Mikrobenmigration, die in anderen Kontexten bereits beobachtet wurden.
Noch ist dieser Vorschlag experimentell – doch er erweitert den Blick auf Korallen als lernfähige Organismen, die nicht nur genetisch, sondern auch mikrobiell auf Veränderungen reagieren können. Und er eröffnet neue Wege, wie sich Korallenriffe künftig aktiver und gezielter unterstützen lassen. Die praktische Umsetzung dieser Methodik ist auch schon geplant und soll in folgenden Studien weiter ergründet werden.
Die beiden Studien zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie unterschiedlich, aber komplementär wissenschaftliche Forschung zum Schutz der Biodiversität beitragen kann. Während genetische Analysen aufdecken, wo biologische Vielfalt besonders hoch ist oder verloren zu gehen droht, liefern experimentelle Ansätze wie die Mikrobiom-Fusion ganz konkrete Werkzeuge für die ökologische Praxis. Dr. Sarah Lemer bringt es auf den Punkt: „Naturschutz ist nicht nur ein ethisches Ziel – es ist eine strategische Aufgabe, die datenbasiertes Handeln verlangt. Unsere Forschung liefert genau das: belastbare Grundlagen, um Biodiversität nicht nur zu bewahren, sondern aktiv zu stärken.“
Der Welttag des Naturschutzes soll uns daran erinnern, dass der Schutz der Natur kein abstraktes Ideal ist, sondern eine Herausforderung, die lösbar ist – mit klarem Blick, wissenschaftlicher Genauigkeit und dem Mut, neue Wege zu gehen. Die Arbeit von Sarah Lemer und dem LIB-Team - in Zusammenarbeit mit der UOG - steht exemplarisch für eine solche Herangehensweise. Sie zeigt: Korallen sind nicht nur Opfer, sondern auch Hoffnungsträger.
Trotz aller Fortschritte bleibe die Wissenschaft nur der erste Schritt auf dem Weg zum konkreten Wandel. Forschende zeigten zunehmend, wie stark menschliche Einflüsse die Ökosysteme belasten – und liefern damit wichtige Grundlagen für den Naturschutz. Doch um wirksame Maßnahmen umzusetzen, brauche es auch politischen Willen und entschlossenes Handeln, sagt Lemer: „Wir können die Schäden sichtbar machen und Wege zur Erholung aufzeigen – doch ohne mutige politische Entscheidungen bleiben unsere Erkenntnisse Mahnungen statt Lösungen. Die Wissenschaft liefert die Fakten. Jetzt ist es an der Politik, daraus Konsequenzen zu ziehen und den Schutz unserer Ökosysteme zur echten Priorität zu machen.“
Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels
Originalpublikationen:
D. Rios, H. Torrado, S. Lemer, C. Drury, D. Burdick, L. Raymundo, D. J. Combosch: “Population Genomics for Coral Reef Restoration—A Case Study of Staghorn Corals in Micronesia”, Evolutionary Applications, Volume 18, Issue 6 June 2025: https://doi.org/10.1111/eva.70115
C. J. Anthony, S. Lemer, L. J. Raymundo, H. Rouzé: “Restoration innovation: Fusing microbial memories to engineer coral resilience”, One Earth, Volume 8, Issue March 21, 2025: https://doi.org/10.1016/j.oneear.2025.101193