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Neue Einblicke in die Welt des gelatinösen Planktons

Diese Qualle aus der Gattung Halitrephes könnte von sich ausdehnenden Sauerstoffminimumzonen profitieren
Diese Qualle aus der Gattung Halitrephes könnte von sich ausdehnenden Sauerstoffminimumzonen profitieren. Foto: Henk-Jan Hoving, GEOMAR

Über das Leben von Quallen und anderen Vertretern des gelatinösen Planktons im offenen Ozean ist wenig bekannt. Eine Studie bei der Videobeobachtungen in der Wassersäule mit einem Tiefsee-Kamerasystem und Umweltdaten kombiniert wurde, liefert erstmals Unterwasser-Bilddaten zur Verteilung und Vielfalt der gelatinösen Planktonarten im Verhältnis zu ihrer Umwelt im tropischen Nordostatlantik, einer der produktivsten Ozeanregionen der Welt.

Rippenquallen, Staatsquallen, Feuerwalzen – gelatinöses Plankton ist nicht nur sehr vielfältig, es spielt auch eine wichtige Rolle im Nahrungsnetz und beim Kohlenstofftransport im Ozean. Dennoch ist wenig über die Verteilung, die Häufigkeit, die Vielfalt und das Verhalten der verschiedenen Arten bekannt, vor allem abseits der Küsten im sogenannten Tiefsee-Pelagial. „Das meiste Wissen über das Plankton im offenen Ozean wurde mit Hilfe von Netzfängen gewonnen. Gelatinöses Plankton ist jedoch so empfindlich, dass es auf diese Weise nicht richtig erfasst werden kann. Daher ist gerade über das gelatinöse Tiefseeplankton besonders wenig bekannt“, erklärt der Meeresbiologe Dr. Henk-Jan Hoving vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

In der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports stellen Dr. Hoving und mehrere Kolleg*innen vom GEOMAR nun neue Erkenntnisse über die Verteilung und Zusammensetzung des gelatinösen Planktons rund um die Kapverdischen Inseln im tropischen Nordost-Atlantik vor. Diese neuen Erkenntnisse wurden mit Hilfe eines speziell entwickelten, geschleppten Tiefseekamerasystems gewonnen. „Damit haben wir einen viel detaillierteren Einblick in die Ökologie größerer Organismen um eine ozeanische Sauerstoffminimumzone erhalten. Jetzt können wir zum ersten Mal diskutieren, inwieweit die beobachtete Ausdehnung der sauerstoffarmen Zone zu Verschiebungen in der Verbreitung von gelatinösem Tiefsee-Plankton im Ostatlantik führen kann“, sagt Dr. Hoving.

Während der Expedition MSM49 des deutschen Forschungsschiffs MARIA S. MERIAN im Jahr 2015 rund um die Kapverdischen Inseln wurde das Kamerasystem PELAGIOS (Pelagic in Situ Observation System) wiederholt bei Tag und Nacht eingesetzt und nahm dabei rund 40 Stunden Unterwasser-Videomaterial auf. Das mit einer Kamera, Lichtquellen zur Ausleuchtung der Wassersäule und Sensoren zur Messung von Umweltdaten ausgestattete Gerät wurde von der MERIAN in Wassertiefen bis zu 1000 Metern geschleppt.

Die Kamera zeichnete eine Vielzahl empfindlicher Organismen in ihrem natürlichen Lebensraum auf, die mit klassischen Netzfängen niemals intakt hätten eingefangen werden können. Die dokumentierten Organismen konnten mit den von den Sensoren ermittelten physikalischen Eigenschaften des Wassers sowie dem Vorkommen von Ruderfußkrebsen und der Verteilung von Partikeln in Beziehung gesetzt werden. Dr. Helena Hauss, Mitautorin der Studie, erklärt dazu: „Abgesehen davon, dass die optische Beobachtung zerstörungsfrei ist, hat sie den Vorteil, dass sie nicht wie Netze ein großes Wasservolumen vermengt und daher enge Beziehungen zwischen bestimmten Organismen und Umweltfaktoren aufzeigen kann. Das lässt uns die Struktur des Ökosystems in verschiedenen Teilen der Wassersäule sehr deutlich nachvollziehen“.

„Wir haben die vertikale Tag- und Nachtverteilung von 46 verschiedenen Arten einschließlich denen des gelatinösen Planktons in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen und der in der Region vorhandenen Sauerstoffminimumzone dokumentiert“, berichtet Dr. Hoving. Während einige Arten wie die Rippenqualle Beroe die sauerstoffarmen Wasserschichten zu meiden scheinen, konnte das Team anderes gelatinöses Plankton (z.B. die Staatsqualle Lilyopsis oder die Quallen Halitrephes, und Solmissus) innerhalb dieser Schicht nachweisen. Die Verteilung der Arten kann von mehreren Faktoren wie Temperatur, Nahrung, Licht und Sauerstoff oder einer Kombination davon bestimmt werden. Weitere Physiologische Experimente sind notwendig, um die Toleranz der beobachteten Arten gegenüber niedrigem Sauerstoff zu untersuchen.

„Messungen des GEOMAR aus vergangenen Jahren zeigen, dass sich die Sauerstoffminimumzone ausweitet“, sagt Dr. Hoving, „das bedeutet, dass für einige Arten der Lebensraum kleiner wird, für andere dagegen größer. Bei weiteren Veränderungen ist also eine Verschiebung der Arten zu erwarten“. Die aktuelle Studie sei schon deshalb wichtig, weil sie als Grundlage dienen kann, um zukünftige Veränderungen des Ökosystems verfolgen zu können, so der Biologe weiter.

Natürlich lässt sie auch Fragen offen. Viele der beobachteten Organismen konnten nicht bis auf die Art genau identifiziert werden. Bei einigen könnte es sich sogar um neue Arten handeln. In den vergangenen Jahren haben Dr. Hoving und seine Kolleg*innen immer wieder Expeditionen rund um die Kapverden durchgeführt, um weitere Daten zu sammeln. Die Auswertungen dieser Expeditionen sind noch nicht abgeschlossen, ermöglichten aber die Nahbeobachtung und Erfassung einiger der Organismen, die zuvor während MSM49 dokumentiert wurden. „Wir verfolgen einen interdisziplinären Ansatz, der Biodiversitätsforschung, Physiologie und biologische, physikalische und chemische Ozeanographie miteinander verbindet, um die Vielzahl von Faktoren zu entschlüsseln, die die Verteilung der Tiere in einem sich schnell verändernden Ozean beeinflussen“, sagt Dr. Hoving zusammenfassend.

GEOMAR


Originalpublikation:

Hoving, H. J. T., P. Neitzel, H. Hauss, S. Christiansen, R. Kiko, B. H. Robison, P. Silva und A. Körtzinger (2020): In situ observations show vertical community structure of pelagic fauna in the eastern tropical North Atlantic off Cape Verde. Scientific Reports

https://doi.org/10.1038/s41598-020-78255-9