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Das Genom verrät‘s: Flechten können in unterschiedlichen Klimazonen verschiedene Naturstoffe produzieren

Unterschiedliche Naturstoffe, die Flechten – im Bild die Flechtenart Umbilicaria pustulata – selber produzieren, ermöglichen ihnen eine Anpassung an mitunter harsche Klimabedingungen. Darunter sind beispielsweise Stoffe, die als Frostschutzmittel dienen. Foto: Imke Schmitt

Von Organismen gebildete Naturstoffe sind vor allem als Mittel gegen Krebs und andere Krankheiten bekannt. Doch sie können noch mehr, wie Forscher/ -innen des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik im Fachmagazin „Environmental Microbiology“ zeigen. Das Team konnte erstmals belegen, dass es bei flechtenbildenden Pilzen einen klima-spezifischen Unterschied in Gengruppen gibt, die für die Produktion von Naturstoffen verantwortlich sind. Die Naturstoffe tragen vermutlich dazu bei, dass sich Flechten an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen können.

Naturstoffe sind biologisch aktive Substanzen, die von Organismen eigenständig hergestellt werden. Interessant sind sie für die Forschung bisher vor allem als Grundlage von Medikamenten, denn einige Naturstoffe hemmen nachweislich das Tumorwachstum, wirken antiviral oder antibakteriell. Naturstoffe werden auch von Organismen gebildet, um besser mit ihrer Umwelt zurechtzukommen. Einige Flechtenarten produzieren beispielsweise das orangefarbene Pigment Parietin, um sich damit vor UV-Strahlung zu schützen. Die meisten Funktionen der bisher entdeckten Naturstoffe sind aber noch völlig unbekannt.

Das Erbgut von Pilzen, die Bestandteil von Flechten sind, lässt indes vermuten, dass es noch eine Vielzahl unentdeckter Naturstoffe gibt. „Wir kennen bei Pilzen pro Art bis zu 80 Gruppen von Genen, sogenannte Gencluster, die für die Naturstoffproduktion verantwortlich sind. Das sind viel mehr als wir bisher tatsächlich Naturstoffe nachweisen können“, sagt Prof. Imke Schmitt, die am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBiK-F) und am LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) forscht und an der Goethe-Universität Frankfurt lehrt.

Um herauszufinden, wozu Naturstoffe dienen könnten, deren Produktion auf diese Cluster zurückgeht, haben Schmitt und ihr Team die Pustelnabelflechte Umbilicaria pustulata am Fuß und auf dem Gipfel von Bergen in Italien und Spanien gesammelt, sequenziert und die Naturstoff-assoziierten Gencluster in deren Erbgut verglichen.

„Wir haben bei Umbilicaria pustulata drei Gencluster-Varianten gefunden, die entweder nur im mediterranen Klima am Fuß der Berge oder nur im gemäßigten Klima in den höheren Lagen vorkommen. Damit ist es wahrscheinlich, dass diese Gene mit Naturstoffen assoziiert sind, die bei der Klimaanpassung eine Rolle spielen“, erklärt die Erstautorin der Studie, Dr. Garima Singh, Wissenschaftlerin am SBiK-F und am LOEWE-TBG. „Besonders spannend ist es jetzt für uns, herauszufinden, welche Naturstoffe zu diesen klimatisch differenzierten Genclustern gehören“.

Während das Genom Aufschluss darüber geben kann, wie viele und wie diverse Naturstoffe ein Organismus produzieren kann, lässt sich aus der Verteilung der Gene in natürlichen Populationen schließen, in welcher Klimazone welche Gencluster-Varianten gebraucht werden. Gencluster-Varianten, die nur am kühlen Berggipfel vorkommen, könnten der Flechte helfen, Stoffe zu erzeugen, die als Frostschutzmittel dienen. Gencluster-Varianten, die nur am Fuß der Berge im Mittelmeerklima mit langen, heißen und trockenen Sommern funktionsfähig sind, könnten mit Naturstoffen assoziiert sein, die der Flechte helfen, Trockenheit zu überstehen.

„Die Fähigkeit von Flechten, Naturstoffe zu produzieren, die ihnen das Überleben in einer bestimmten klimatischen Nische erleichtern oder erst ermöglichen, zeigt uns, dass wir das wahre Potenzial von Flechten überhaupt noch nicht kennen. Vielleicht können wir klima-spezifische Naturstoffe ähnlich wie bei Medikamenten eines Tages auch wirtschaftlich nutzbar machen“, kommentiert Schmitt. Singh ergänzt: „Die Genome von Flechten zu erforschen, kann uns dabei helfen, neue Naturstoffe mit nützlichen Eigenschaften zu finden. Wenn durch den Klimawandel oder menschliche Eingriffe einzelne Flechten-Populationen aussterben, verschwinden jedoch möglicherweise auch die genetischen Grundlagen für die Produktion noch unentdeckter Naturstoffe.“

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen)


Originalpublikation:
Singh, G., Calchera, A., Schulz, M., Drechsler, M., Bode, H.B., Schmitt, I. and Dal Grande, F. (2021): Climate-specific biosynthetic gene clusters in populations of a lichen-forming fungus. Environmental Microbiology, doi: 10.1111/1462-2920.15605