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Im Zeitalter der Saurier wurden langhalsige Meeresreptilien von ihren Fressfeinden enthauptet

fossile Belege für tödliche Raubtierangriffe auf die langen Hälse von Giraffenhalssauriern
Reconstruction and illustration of Tanystropheus being attacked by one of the suspected predators, Nothosaurus giganteus, in the prehistoric sea. Roc Olivé (Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont)

Viele verschiedene Linien urzeitlicher Meeresreptilien, die vor und während des Zeitalters der Dinosaurier lebten, besaßen extrem lange Hälse, die oft mehr als doppelt so lang wie ihr Körper waren. Dieser berühmte Körpertyp inspirierte sogar die Legende von „Nessie“, dem Ungeheuer von Loch Ness. Seit mehr als 200 Jahren spekulieren Paläontolog*innen, dass diese langen Hälse der Meeresreptilien anfällig für Angriffe durch große Raubtiere waren, konnten aber keine fossilen Beweise dafür finden. Nun ist es einem Team des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart gelungen, diese Vermutung zu bestätigen.

Dr. Eudald Mujal Grané und Dr. Stephan Spiekman, Paläontologen am Naturkundemuseum Stuttgart, untersuchten zwei Fossilien des 242 Millionen Jahre alten, triassischen Meeresreptils Tanystropheus. Die Hälse dieser zwei sogenannten Giraffenhalssaurier sind vollständig vom Körper abgetrennt und weisen Biss-Spuren von Raubtieren auf. Dies ist der erste eindeutige Beweis dafür, dass die verlängerten Hälse trotz ihres evolutionären Erfolgs bei Meeresreptilien verwundbar waren.

Ein wichtiges Puzzleteil bei der Rekonstruktion vergangener Ökosysteme
Bis zu ihrem Aussterben durchschwammen langhalsige Meeresreptilien über 175 Millionen Jahre lang die Ozeane. Das ist mehr als doppelt so lang wie die Zeitspanne, die zwischen dem Menschen und Tyrannosaurus rex liegt. Ein extrem langer Hals war daher bei marinen Sauriern lange Zeit eine äußerst erfolgreiche evolutionäre Anpassung. Trotzdem vermuteten Paläontologen seit der Zeit von Charles Darwin, dass ein so langer Hals auch eine Schwäche gegenüber potenziellen Raubtieren darstellt. Da aber fossile Belege für Räuber-Beute-Interaktionen bei Meeresreptilien nur sehr selten erhalten sind, gab es bisher keine eindeutigen Belege für diese Interpretation. Die Forschungsergebnisse der Stuttgarter Paläontologen sind daher für die Wissenschaftler ein wichtiges Puzzlestück im Hinblick auf die Evolution und Interaktion von Meeressauriern in ihren Ökosystemen.

Tanystropheus, ein sehr bizarres Reptil
„Von den verschiedenen Formen der Meeresreptilien war der Giraffenhalssaurier Tanystropheus vielleicht eines der bizarrsten Beispiele: Er hatte einen Hals, der dreimal so lang war wie sein Rumpf, aber nur 13 extrem verlängerte Wirbel. Das machte seinen Hals besonders lang, schlank und steif. Er diente wahrscheinlich dazu, Beute aus dem Hinterhalt zu fangen", sagt Dr. Stephan Spiekman, ein Experte für triassische Reptilien, der Tanystropheus im Rahmen seiner Doktorarbeit eingehend untersucht hat. Vor 242 Millionen Jahren lebten zwei Tanystropheus-Arten gemeinsam in einem flachen Meer an der Grenze zwischen der heutigen Schweiz und Italien. Die eine Art war nur bis zu 1,5 Meter lang und ernährte sich wahrscheinlich von Garnelen und anderen Wirbellosen. Die andere Art konnte bis zu 6 Meter lang werden und fraß sowohl Fische als auch Tintenfische. „Unser wichtigstes Forschungsergebnis ist der direkte Nachweis der Enthauptung von ausgestorbenen langhalsigen Meeresreptilien durch Raubtiere. Bei den beiden untersuchten Exemplaren von Tanystropheus, die beide Arten repräsentieren, war der Hals vollständig abgetrennt. Auch das Vorhandensein von Bissspuren ist wirklich bemerkenswert. Darüber hinaus zeigt uns das wiederholte Auftreten von abgetrennten Hälsen, dass der verlängerte Hals tatsächlich eine funktionelle Schwachstelle der Tiere war", so Dr. Stephan Spiekman.

Bissspuren, Tathergang, Hauptverdächtige
Bei der detaillierten Untersuchung der Fossilien fanden die Paläontologen Hinweise darauf, dass beide Exemplare von Tanystropheus gezielt gejagt wurden. Die Art des Knochenbruchs sowie der Charakter der deutlichen Bissspuren legen nahe, dass die Hälse mit einem einzigen Biss durchtrennt wurden. Die Forscher vermuten, dass der tödliche Angriff etwa zu dem Zeitpunkt stattfand, als das betreffende Tier starb, denn die Knochenbrüche ähneln denen, die man bei frischen Kadavern rezenter Tiere sieht. Da bei beiden fossilen Exemplaren Kopf und Hals nahezu perfekt erhalten sind, vom Körper aber keine Spur zu finden ist, hat sich das Raubtier wahrscheinlich vom Körper seines Opfers ernährt. Den mageren Kopf und Hals hat es zurückgelassen. Der ausgezeichnete Erhaltungszustand des Halses und das Fehlen von Bissspuren machen Aasfresserei unwahrscheinlich. „Aufgrund ihrer geringen Größe könnten viele verschiedene Raubtiere die kleine Tanystropheus-Art geköpft haben. Von einem großen Raubfisch bis hin zu einem anderen Meeresreptil. Im Falle der großen Art ist die Liste der Verdächtigen kleiner. Nur ein sehr großes Meeresreptil war in der Lage, einem 4 Meter langen Tanystropheus den Hals abzubeißen. Ein Vorfahre der Plesiosaurier, Nothosaurus giganteus, ist hier einer der Hauptverdächtigen", sagt Dr. Eudald Mujal. Der Paläontologe am Stuttgarter Naturkundemuseum, der auch wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont in Spanien ist, ist Spezialist für Bissspuren, Zerfallsprozesse und Ernährungsbeziehungen, die sich aus Fossilien ableiten lassen.


Rückschlüsse auf die Evolution der urzeitlichen Meeresfauna
Tanystropheus war evolutionär recht erfolgreich, lebte mindestens 10 Millionen Jahre lang und kam in Europa, dem Nahen Osten, China, Nordamerika und möglicherweise auch in Südamerika vor. „Unsere Forschung zeigt, dass die Evolution im weitesten Sinne ein Spiel mit Kompromissen ist. Der Vorteil eines langen Halses scheint jedoch das Risiko, von einem Raubtier angegriffen zu werden, aufgewogen zu haben", sagt Dr. Stephan Spiekman. Die untersuchten Tanystropheus-Fossilien stammen von der Fundstelle Monte San Giorgio und befinden sich in der Sammlung der Universität Zürich. Der Monte San Giorgio ist eine der wichtigsten Fundstellen für Meeresfossilien aus der mittleren Trias und wurde deshalb von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.

Naturkundemuseum Stuttgart


Originalpublikation:

Spiekman, S.N.F., Mujal, E. 2023. Decapitation in the long-necked Triassic marine reptile Tanystropheus. Current Biology, 33. DOI: 10.1016/j.cub.2023.04.027