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Älteste lebende Landpflanze: Angepasst an Extreme und vom Klimawandel bedroht

Wildwachsende Takakia-Population im Hochland von Tibet. Foto: Xuedong Li / Capital Normal University Peking

Das Laubmoos Takakia ist im Himalaya extremen Bedingungen wie Frost und hoher UV-Strahlung ausgesetzt. Die aktuelle Studie identifiziert die Anpassungen, die es vor diesen extremen Umwelteinflüssen schützt, und rekonstruiert deren Evolution.
Takakia ist die älteste noch lebende Gattung der Landpflanzen. Ein Vergleich mit Fossilien zeigt, dass ihr Aussehen seit mindestens 165 Millionen Jahren unverändert ist. Im Rahmen der Studie wurde das Genom von Takakia lepidozioides zum ersten Mal vollständig sequenziert.

Im Hochland von Tibet ist Takakia acht Monate im Jahr unter einer Schneedecke begraben und ansonsten hoher UV-Strahlung ausgesetzt. Um dort zu überleben, brauchen Lebewesen besondere Anpassungen. Bei Takakia sind diese in den letzten 65 Millionen Jahren entstanden: Erst seitdem hat sich diese Erdregion durch Kontinentalverschiebungen gehoben und den Lebensraum des Mooses immer extremer werden lassen. „Diese geologischen Zeitdaten helfen uns, die schrittweise Anpassung an ein Leben im Hochgebirge im Genom von Takakia nachzuvollziehen“, erklärt Reski, der an der Universität Freiburg und dem dortigen Exzellenzcluster CIBSS forscht. Sein Team hat im Rahmen der aktuellen Studie untersucht, welche biologischen Signalwege die Zellen des Mooses unter anderem vor Kälte und erbgutschädigender UV-Strahlung schützen.


Takakia ist die älteste noch lebende Landpflanze
Das nur wenige Millimeter große Moos ist für die Forschung vor allem deshalb so interessant, weil seine systematische Einordnung lange unklar war, da es Merkmale von Grünalgen, Lebermoosen und Laubmoosen kombiniert. „Wir konnten nun belegen, dass Takakia ein Laubmoos ist, das sich vor 390 Millionen Jahren, kurz nach der Entstehung der ersten Landpflanzen, von den anderen Laubmoosen getrennt hat. Wir waren überrascht, dass Takakia die höchste bekannte Zahl von schnell evolvierenden Genen unter positiver Selektion besitzt“, sagt He.

Das lebende Fossil
Eine weitere Überraschung war, dass sich die besondere Gestalt von Takakia schon in 165 Millionen Jahre alten Fossilien aus der Inneren Mongolei finden ließ. Damit liefern die Fossilien den Biologen eine weitere wertvolle Zeitangabe, denn sie zeigen, dass genetische Veränderungen mit Auswirkungen auf das Aussehen vor mehr als 165 Millionen Jahren stattgefunden haben – unter noch ganz anderen Umweltbedingungen. Zu diesen Besonderheiten gehört eine für Pflanzen untypische Funktionsweise des Signalmoleküls Auxin, das in Pflanzen Wachstum und Entwicklung steuert. „Obwohl das Takakia-Genom so schnell evolviert, hat sich die äußere Gestalt seit über 165 Millionen Jahren nicht erkennbar verändert. Damit ist Takakia ein wahres lebendes Fossil. Dieser scheinbare Gegensatz zwischen unveränderter Form und sich rasant veränderndem Genom ist eine wissenschaftliche Herausforderung für Evolutionsbiolog*innen“, beschreibt Reski.

Veränderte Stoffwechselprozesse schützen vor UV-Strahlung
Genetische Merkmale, die die Verarbeitung von Stresssignalen und die Regulation bestimmter Stoffwechselprozesse beeinflussen, sind laut der aktuellen Studie dagegen jünger und entstanden erst nach der Hebung des Hochlands von Tibet. Die Forschenden konnten deren schrittweise Entstehung innerhalb der letzten 50 Millionen Jahre rekonstruieren und zeigen, wie sie die Zellen des Mooses vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen. „Takakia reguliert zum Beispiel seinen Stoffwechsel so, dass sich Moleküle wie Flavonoide und ungesättigte Fettsäuren anreichern, die vor schädlicher UV-Strahlung und freien Radikalen schützen“, erklärt He. „Wir sehen im Genom, dass Signalmoleküle, die DNA-Reparatur, Photosynthese und Mechanismen gegen oxidativen Stress regulieren, unter besonders starker positiver Selektion stehen und sich in den letzten paar Millionen Jahren stark verändert haben.“

Klimawandel kann der Evolution von Takakia nach 390 Millionen Jahren ein Ende setzen
Während Takakia viele Millionen Jahre Zeit hatte, sich an sinkende Temperaturen und steigende Strahlungsintensitäten anzupassen, ändert sich sein Lebensraum nun innerhalb von Jahrzehnten: Seit Beginn der Messungen im Jahr 2010 stellten die Forschenden dort einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von fast einem halben Grad Celsius pro Jahr fest. Der nahe der Probestandorte gelegene Gletscher wich gleichzeitig fast 50 Meter pro Jahr zurück. Das hoch spezialisierte Moos kommt mit diesem Temperaturanstieg weniger gut zurecht als andere Arten: Die Takakia-Populationen wurden im Studienzeitraum deutlich kleiner, während andere Pflanzenarten von der Erwärmung profitierten. Dieser Trend wird wahrscheinlich weitergehen, fürchten die Forschenden: „Unsere Studie zeigt, wie wertvoll Takakia ist, um die Evolution von Landpflanzen nachzuvollziehen. Der von uns festgestellte Populationsrückgang ist erschreckend“, sagt He. „Zu wissen, dass die Pflanze vom Aussterben bedroht ist, gibt uns zum Glück aber auch die Chance, sie zu schützen, etwa durch eine Vermehrung im Labor“, betont Hu. „Takakia hat die Dinosaurier kommen und gehen sehen. Es hat uns Menschen kommen sehen. Nun können wir von diesem winzigen Moos etwas über Resilienz und Aussterben lernen“, fasst Reski zusammen.

Über den Exzellenzcluster CIBSS
Der Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies – hat das Ziel, ein umfassendes Verständnis von biologischen Signalvorgängen über Skalen hinweg zu gewinnen – von den Wechselwirkungen einzelner Moleküle und Zellen bis hin zu den Prozessen in Organen und ganzen Organismen. Mit dem gewonnenen Wissen lassen sich Signale gezielt kontrollieren und dies wiederum ermöglicht den Forschenden nicht nur Erkenntnisse in der Forschung, sondern auch Innovationen in der Medizin und den Pflanzenwissenschaften. https://www.cibss.uni-freiburg.de

(Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau)


Originalpublikation:
Ruoyang Hu, Xuedong Li, Yong Hu, Runjie Zhang, Qiang Lv, Min Zhang, Xianyong Sheng, Feng Zhao, Zhijia Chen, Yuhan Ding, Huan Yuan, Xiaofeng Wu, Shuang Xing, Xiaoyu Yan, Fang Bao, Ping Wan, Lihong Xiao, Xiaoqin Wang, Wei Xiao, Eva L. Decker, Nico van Gessel, Hugues Renault, Gertrud Wiedemann, Nelly A. Horst, Fabian B. Haas, Per K.I. Wilhelmsson, Kristian K. Ullrich, Eva Neumann, Bin Lv, Chengzhi Liang, Huilong Du, Hongwei Lu, Qiang Gao, Zhukuan Cheng, Hanli You, Peiyong Xin, Jinfang Chu, Chien-Hsun Huang, Yang Liu, Shanshan Dong, Liangsheng Zhang, Fei Chen, Lei Deng, Fuzhou Duan, Wenji Zhao, Kai Li, Zhongfeng Li, Xingru Li, Hengjian Cui, Yong E. Zhang, Chuan Ma, Ruiliang Zhu, Yu Jia, Meizhi Wang, Mitsuyasu Hasebe, Jinzhong Fu, Bernard Goffinet, Hong Ma, Stefan A. Rensing, Ralf Reski, Yikun He.
Adaptive evolution of the enigmatic Takakia now facing climate change in Tibet.
In: Cell 186 (2023). DOI: 10.1016/j.cell.2023.07.003.