VBIO

UN-Plastikabkommen: Was wurde mit den Verhandlungen in Genf erreicht?

Vom 5. bis 15. August haben in Genf Delegierte aus 183 Ländern sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft verhandelt, um ein Abkommen gegen die globale Plastikverschmutzung zu beschließen. Denn diese schadet der Umwelt, der Gesundheit des Menschen und dem Klima.

Plastikmüll auf der Straße

Öffentliche Aktionen wie diese machen in Genf auf die Verhandlungen aufmerksam. Copyright: Annika Jahnke / UFZ

Weltweit werden jedes Jahr über 460 Millionen Tonnen Plastik produziert. Allein bei der Produktion entstehen mehr Treibhausgase als im gesamten Flugsektor. Viele Produkte sind dabei so gestaltet, dass sie schwer oder gar nicht recycelbar oder wiederverwendbar sind. Bis 2060 soll sich daher die Menge des Plastikmülls verdreifachen, wenn weiterhin so viele Kunststoffe hergestellt werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass es viel mehr Plastikpartikel im Meer gibt als bisher angenommen. Demnach befinden sich allein in der oberen Wasserschicht des Nordatlantiks 27 Millionen Tonnen kleinster Plastikpartikel. Kunststoffe tauchen mittlerweile selbst in den entlegensten Teilen unseres Planeten auf und auch in unseren Körpern finden Forschende überall Plastik. Studien zeigen, dass wir die planetaren Belastungsgrenzen für neue Stoffe bereits überschritten haben. Als Teil der dreifachen planetaren Krise tragen Kunststoffe demzufolge zur Erderhitzung und Biodiversitätskrise bei.

Seit 2022 verhandeln Delegierte der UN-Mitgliedstaaten sowie Vertreter:innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft über ein Abkommen, das die Plastikverschmutzung eindämmen soll. Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), begleitet die Verhandlungen von Anfang an als Teil der deutschen Delegation und der „Scientists‘ Coalition for an Effective Plastics Treaty”: „Wissenschaftliche Berechnungen zeigen, dass wirksame Maßnahmen schon bei der Produktion ansetzen müssen. Wir sollten die Produktion auf unumgängliche Einsatzbereiche beschränken, schon beim Design die chemische Vielfalt reduzieren und bedenkliche Inhaltsstoffe ausschleichen.“ 

Zwar konnte in der letzten Verhandlungsrunde in Südkorea keine finale Einigung erzielt werden, allerdings traten mehr als 100 Staaten in Bezug auf rote Linien deutlich geschlossener und klarer auf als zuvor, beispielsweise in Bezug auf Produktionsgrenzen und die Regulierung von Chemikalien. Dies könnte einen Wendepunkt bedeuten. In Genf soll es nun zu einer Einigung auf einen endgültigen Text mit Maßnahmen für das Abkommen kommen. Für die AWI-Meeresbiologin bedeutet das: „Die Delegationen müssen mit Diplomatie darauf hinwirken, dass sich die Positionen trotz geopolitischer Spannungen und unterschiedlicher Interessenlagen annähern, um eine Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu schaffen.“ Ein wichtiger Knackpunkt wird auch weiterhin sein, ob Entscheidungen mehrheitlich oder einstimmig getroffen werden und wie sich Interessenskonflikte vermeiden lassen. „Im besten Fall erreichen wir in Genf, dass sich die Weltgemeinschaft, oder zumindest weite Teile davon, zu einem starken Abkommen bekennt, das sich an wissenschaftlichen Fakten orientiert und anerkennt, wie schädlich Plastik für den Menschen und die Natur ist.“ Ein Abkommen mit globalen Regelungen würde die Produktion von Plastik in einer globalisierten Wirtschaft vereinfachen und einheitliche Wettbewerbsbedingungen für alle Länder schaffen. Fest steht: Die Produktion von Plastik müsste ab 2024 um mindestens 12 bis 17 Prozent pro Jahr reduziert werden, um die Treibhausgasemissionen, die bei der Herstellung von Kunststoffen entstehen, so zu senken, dass sie im Einklang mit der im Pariser Abkommen festgelegten 1,5 bis 2 Grad-Grenze sind.

Was in Genf erreicht wurde und wie es weitergeht, schätzen die Meeresbiologin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und die Umweltchemikerin Prof. Annika Jahnke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ein. Sie haben vor Ort die „Scientists' Coalition for an Effective Plastics Treaty“ und die deutsche Delegation unterstützt. 

Was sind die wesentlichen Ergebnisse der Konferenz?

Melanie Bergmann: 
Das wesentliche Ergebnis ist, dass es leider wieder zu keiner Einigung gekommen ist. Auch der zweite Textentwurf des Vorsitzenden fand keinen Konsens. Aus wissenschaftlicher Sicht war dieser zu schwach, um das Plastikproblem – die Verschmutzung, die Klimafolgen und die Auswirkungen auf die Gesundheit – wirksam zu bekämpfen. Zudem blieb der Text deutlich hinter dem ursprünglichen Mandat der UN-Umweltversammlung zurück. Gescheitert sind die Verhandlungen deshalb jedoch nicht. Es ist besser, weiter zu verhandeln, um ein starkes Abkommen zu erreichen, das dem Problem gerecht wird. 

Was wurde erreicht, und was wurde nicht erreicht?

Annika Jahnke: 
Positiv ist, dass wir in Genf relativ konstruktive inhaltliche Verhandlungen gesehen haben. Zudem hat man kein starres, schwaches Abkommen geschlossen, das die Umwelt und die menschliche Gesundheit nicht umfassend schützen kann. Die Verschmutzung mit Plastik und den darin enthaltenen Chemikalien ist ein globales Problem, das nicht an Ländergrenzen Halt macht. Stattdessen werden Plastikgegenstände sowie das durch Verwitterung entstehende Mikro- und noch kleinere Nanoplastik über Flüsse, Meeresströmungen und die Luft weiträumig verteilt und somit weltweit gefunden. Daher ist ein globales Abkommen unerlässlich. Die Vertagung des Abschlusses der Verhandlungen bietet nun die Möglichkeit, in der Zwischenzeit die konstruktiven Gespräche fortzuführen, starke Allianzen zu schmieden und sich hoffentlich in den wiederaufgenommenen Verhandlungen auf ein ambitioniertes und wirksames Plastikabkommen zu verständigen. Das sollte dann über die Zeit dem Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden.

Warum waren die Verhandlungen so schwierig?

Bergmann: 
Letztlich lagen die Positionen immer noch zu weit auseinander. Besondere Knackpunkte waren die Begrenzung der Plastikproduktion und die Regelungen zu den Inhaltsstoffen von Kunststoffen. Es scheint auch, als hätte man erst in den letzten Stunden in Genf angefangen, wirklich inhaltlich zu verhandeln, statt nur rote Linien aufzuzeigen. Die Mitgliedsstaaten sollten jetzt am Ball und auch zwischen den Verhandlungsrunden im Gespräch bleiben. Wir brauchen dringend neue Gesprächsformate, um in den Verhandlungsrunden voranzukommen, da das bisherige Vorgehen nicht den gewünschten Erfolg bringt. Dabei würde ein starkes globales Abkommen ein einheitliches Regelwerk für alle schaffen. Das würde Vieles vereinfachen, einen fairen Wettbewerb sicherstellen und Raum für Innovationen und neue Technologien öffnen. 

Jahnke: 
Neben diesen Punkten ging es auch um Regelungen zu problematischen Plastikprodukten wie Einwegverpackungen, die weltweit fast die Hälfte des Plastikmülls ausmachen. Außerdem ist die Finanzierung der globalen Maßnahmen ein wichtiges Thema. Das bisherige Verfahren, in Untergruppen einzelne Artikel zu diskutieren, wurde erst kurz vor Abschluss der Konferenz geändert, so dass die Verhandler:innen aller Mitgliedsstaaten im kleinen Kreis am letzten Tag zu wenig Zeit hatten, das “Gesamtpaket” umfassend zu diskutieren und Konsens zu den wichtigsten Punkten zu finden. In diesem Gesprächsformat könnte jedoch eine Lösung für die Fortsetzung der Verhandlungen an einer noch festzulegenden INC5.3 liegen, da jede Seite von ihren Idealen abrücken und Zugeständnisse machen muss, was sicher leichter fällt, wenn andere Aspekte gleichzeitig eingeräumt werden.

Bergmann: 
Die geopolitische Lage erschwert zunehmend internationale Einigungen. Hinzu kommt der steigende Druck auf die öl- und gasproduzierenden Länder: Da künftig weniger fossile Brennstoffe verbrannt werden dürfen, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, sollen diese vermehrt als Rohstoff für Kunststoffe eingesetzt werden. Diesen Plan B werden diese Länder – verständlicherweise – nicht ohne Weiteres aufgeben, auch wenn dies die Klimakrise weiter befeuern und zu Lasten der Umwelt und unserer Gesundheit gehen wird. Das erschwert den Verhandlungsprozess sehr.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Jahnke: 
Aufgrund der globalen Verschmutzung durch Plastik und die zugehörigen Chemikalien ist ein globales Abkommen unerlässlich. Nationale oder regionale Maßnahmen wären nicht weitreichend genug. Vorstellbar wäre, dass man einen weltweit gültigen Sockel an Maßnahmen für alle Mitgliedsstaaten festlegt und diesen durch optionale zusätzliche Maßnahmen ergänzt, die den weitreichenden Ansprüchen der ambitionierteren Staaten entspricht. Dies sind immerhin deutlich mehr als 100 in der 'Koalition der Willigen' mit ihren Unterstützern. Dieses zweistufige System würde auch einen Flickenteppich verhindern, der aus nationalen und regionalen Maßnahmen entstehen würde und Innovation und Planungssicherheit für die Industrie behindert.

Wie geht es nun weiter?

Bergmann: 
Es soll eine weitere Verhandlungsrunde geben. Grundlage ist allerdings der Text aus der vorherigen Verhandlungsrunde in Busan, da einige Staaten die zwei neuen Entwürfe aus den letzten Tagen nicht anerkannt haben. Somit sind wir inhaltlich leider nicht viel weitergekommen, aber die Textbestandteile aus den in Genf verhandelten Artikeln sollen zumindest einbezogen werden. Der genaue Prozess ist bislang jedoch noch unklar und muss in den nächsten Wochen konkretisiert werden. Momentan zeichnet sich noch kein Vorstoß für eine 'Koalition der Willigen' ab, die außerhalb des UN-Prozesses ein eigenes ambitioniertes Abkommen auf den Weg bringen möchte. Wir werden sehen, ob sich das in Zukunft ändert.

Alfred-Wegener-Institut und Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung 

Landschaft mit Landwirtschaft

Menschliche Aktivitäten, wie die Abholzung von Wäldern und die Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen, haben einen massiven Einfluss auf den…

Weiterlesen
Wurzelstruktur einer drei Wochen alten, im Boden gewachsenen Maispflanze

Pflanzen nutzen Sonnenlicht, um aus Wasser und Kohlendixoid energiereiche Kohlenstoffverbindungen wie Glukose herzustellen. Von dem über die…

Weiterlesen
Die Influencer-Gans führt eine Gruppe von Followern an.

Mutige Gänse werden oft zu "Influencern", erkundungsfreudige zu "Followern" 

Weiterlesen