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Kiefervielfalt war Schlüssel zur Eroberung des Landes

Die frühen Amnioten – die Vorfahren aller heutigen Reptilien, Vögel und Säugetiere – entwickelten deutlich vielfältigere Kieferformen als Amphibien. Diese anatomische Vielfalt ermöglichte ihnen, neue Nahrungsquellen zu erschließen und sich erfolgreich an das Leben an Land anzupassen. Dies zeigt eine Studie eines internationalen Forschungsteams unter Leitung des Museums für Naturkunde Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin.

Rekonstruktion eines Unterkiefers des fleischfressenden Amnioten Diadectes absitus aus dem Permzeitalter, basierend auf CT-data.

Rekonstruktion eines Unterkiefers des fleischfressenden Amnioten Diadectes absitus aus dem Permzeitalter, basierend auf CT-data. (c) Jasper Ponstein

Der Übergang von wasserlebenden Fischen zu landlebenden Wirbeltieren zählt zu den bedeutendsten Veränderungen in der Geschichte des Lebens. Im Devon vor rund 370 Millionen Jahren wagten die ersten Tetrapoden – vierfüßige Wirbeltiere – den Schritt an Land. Damit waren sie neuen Anforderungen ausgesetzt: Ihre Körper mussten stabil genug sein, um ohne Auftrieb stehen und gehen zu können. Gleichzeitig veränderte sich die Art und Weise, wie sie Nahrung aufnehmen konnten.

„Viele Fische saugen ihre Beute ein, indem sie ihren Kiefer blitzschnell öffnen. An Land funktioniert diese Methode nicht mehr“, erklärt Dr. Jasper Ponstein, Erstautor der Studie und ehemaliger Doktorand am Berliner Naturkundemuseum. „Dort müssen Tiere aktiv zupacken. Das machte Veränderungen am Kiefer besonders wichtig.“

Ein Blick in die Erdgeschichte

In den nachfolgenden Perioden des Karbons und Perm vor 360–250 Millionen Jahren, breiteten sich die frühen Landwirbeltiere in den neuen Lebensräumen aus. Sie passten sich an verschiedene Ernährungsweisen an: Manche jagten die zahlreichen Insekten, andere begannen, Pflanzen zu fressen – eine Ernährungsweise, die zusätzliche Anpassungen an den Kiefer und die Kaumuskulatur erforderte. „Diese Zeit ist besonders spannend, weil sich Wirbeltiere erstmals in großem Maßstab an das Leben außerhalb des Wassers anpassten“, so Ponstein.

Um herauszufinden, wie die frühen Tetrapoden gefressen haben könnten, konzentrierte sich das Team auf den Unterkiefer – ein Element aus mehreren Knochen, dessen Form viel über die Ernährungsweise eines Tieres verrät. Die Forschenden stellten dazu den bisher größten Datensatz fossiler Tetrapodenkiefer aus dem Karbon und Perm zusammen, der mehr als 200 Arten umfasst. Dabei wurde auch Material aus der Sammlung des Berliner Naturkundemuseums mit einbezogen, inklusive im 3D-Visualisierungslabor generierte CT-Daten. Beteiligt waren neben dem Team des Berliner Forschungsmuseums auch Wissenschaftler:innen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und des Naturwissenschaftlichen Museums in Raleigh, North Carolina (USA).

Zwei zentrale Erkenntnisse

Die Analyse führte zu zwei wichtigen Ergebnissen:

Direkt nach dem Übergang an Land blieb die Kieferform erstaunlich konstant.
Viele frühe Tetrapoden besaßen weiterhin lange, schlanke Kiefer – vermutlich ideal, um Beutetiere wie Fische oder Insekten zu packen. Trotz der neuen Lebensumgebung änderte sich die Grundform des Kiefers zunächst kaum.

Mit dem Auftreten der Amnioten setzte eine deutliche Veränderung ein.
Ab dem frühen Perm vor etwa 300 Millionen Jahren entwickelten die Amnioten eine viel größere Bandbreite an Kieferformen als die Amphibien. Ihre Kiefer wurden robuster, und die Muskelansatzstellen vielfältiger. Dadurch konnten sie härtere und abwechslungsreichere Nahrung wie Pflanzenmaterial oder größere Beutetiere verarbeiten. Amphibien hingegen blieben bis heute weitgehend auf einfache Kieferformen und eine eher einseitige Ernährung – meist Insekten – beschränkt.

„Die frühe Vielfalt der Kieferformen hat den Amnioten wahrscheinlich ermöglicht, ökologische Nischen zu nutzen, die Amphibien verschlossen blieben“, sagt Ponstein. „Damit legten sie den Grundstein für die beeindruckende Vielfalt der Reptilien, Vögeln und Säugetieren, die wir heute auf der ganzen Welt sehen.“

Grundlage für moderne Vielfalt

Heute umfasst die Gruppe der Amnioten alles von Schildkröten über Vögel bis zu Raubkatzen – eine enorme Bandbreite an Lebensweisen. Die Studie zeigt, dass dieser Erfolg tief in der Erdgeschichte verwurzelt ist: in der Fähigkeit, sich früh und flexibel an neue Ernährungsweisen anzupassen.

Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung


Originalpublikation:

Ponstein J, MacDougall MJ, Schaeffer J, Kammerer CF, Fröbisch J. 2025. Mandibulare Form und Funktion sind bei Amniioten unterschiedlicher als bei nicht-amniotischen Tetrapoden aus dem späten Paläozoikum. PeerJ 13:e20243, DOI 10.7717/peerJ.20243, peerj.com/articles/20243/

Buchcover der Studie

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