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Erkundung neuer Gebiete und geringere Sesshaftigkeit treiben schnelle Expansion voran

Verhaltensflexibilität fördert die Bereitschaft zur Erkundung – so können Vögel am Rande ihrer Ausbreitung tiefer in neue Gebiete vordringen

  Picante, eine männliche Großschwanzgrackel, im Vorbeiflug an einem unberingten Weibchen auf dem Campus der Arizona State University.

Picante, eine männliche Großschwanzgrackel, im Vorbeiflug an einem unberingten Weibchen auf dem Campus der Arizona State University. © Melissa Folsom

Verhaltensflexibilität, also die Fähigkeit, das eigene Verhalten anhand früherer Erfahrungen an veränderte Umstände anzupassen, spielt vermutlich eine wichtige Rolle dabei, wie erfolgreich sich eine Art an neue Lebensräume anpassen und ihr Verbreitungsgebiet erweitern kann. Zwei neue Studien von Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der University of California Santa Barbara und der Auburn University liefern neue Erkenntnisse darüber, wie Individuen durch Verhaltensflexibilität auf neue Umstände reagieren. Dadurch lässt sich besser vorhersagen, welche Merkmale es einer Tierart erleichtern, ihr Verhalten an neue Lebensräume anzupassen – eine entscheidende Fähigkeit in der heutigen, sich wandelnden Welt.

Das Forschungsteam untersuchte Großschwanzgrackeln, da diese Vogelart in städtischen Gebieten beheimatet ist und ihr Verbreitungsgebiet in Nordamerika innerhalb der letzten 140 Jahre rasch erweitert hat. Grackeln, die zu mehr Flexibilität trainiert wurden, waren nach dem Training erkundungsfreudiger als untrainierte Grackeln.

„Flexibilität und Erkundung hängen miteinander zusammen: Je gründlicher man ein neues Objekt untersucht, desto mehr kann man darüber lernen und sein Verhalten entsprechend anpassen“, sagt Corina Logan, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Gates Cambridge Scholar. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Flexibilität und Erkundung wichtige Eigenschaften sind, die zur schnellen Ausbreitung dieser Vogelart in neuen Umgebungen beitragen.

Nur weil es messbar ist, ist es noch lange nicht verlässlich

Da frühere Forschung häufig auf nicht validierte Verhaltensweisen oder Proxies zurückgriff, um Rückschlüsse auf die Zusammenhänge zwischen Verhaltensweisen und ihrer Umwelt zu ziehen, bestehen große Wissenslücken. Um dieses Problem anzugehen, untersuchten die Forschenden in der aktuellen Studie vier Verhaltensweisen: Erkundung neuer Umgebungen und Objekte, Unerschrockenheit gegenüber bekannten und neuen Bedrohungen, Beharrlichkeit und motorkognitive Diversität. Allerdings waren nur zwei dieser Verhaltensweisen – die Erkundung neuer Umgebungen und die Beharrlichkeit – bei allen Individuen konsistent. Dies zeigt, dass es sich dabei um eine stabile Eigenschaft handelt, die mit anderen stabilen Eigenschaften verglichen werden kann.

„Tiere können uns leider nicht sagen, was sie denken. Daher ist es entscheidend, dass unsere Methoden zur Quantifizierung von Verhalten und Kognition die erforderlichen Informationen liefern können“, sagt Erstautorin Kelsey McCune von der University of California Santa Barbara (jetzt an der Auburn University). Es ist also äußerst wichtig, mehrere Verhaltensweisen zu messen und deren Stimmigkeit zu überprüfen, bevor sie in Analysen einfließen.

Grackeln in Randgebieten sind weniger verwandt, ziehen daher weiter umher

In einer Folgestudie fanden die Forschenden heraus, dass die Verhaltensflexibilität nicht nur mit der Erkundung neuer Umgebungen im kleinen Maßstab (z. B. eines kleinen Zelts), sondern auch mit neuen Räumen im viel größeren Maßstab zusammenhängt. Sie stellten fest, dass Grackeln, die näher an der Ausbreitungsfront in Kalifornien leben, eine geringere Sesshaftigkeit zeigen. Dabei entfernten sich Tiere beider Geschlechter weiter von ihren Eltern und Geschwistern. In einer Population im mittleren Teil der nördlichen Ausbreitungsfront in Arizona hingegen blieben insbesondere die Weibchen nahe ihrem Schlüpfplatz.

„Damit sich eine Population in einem neuen Gebiet etablieren kann, müssen viele Tiere beider Geschlechter dorthin ziehen“, sagt Erstautor Dieter Lukas vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Großschwanzgrackeln scheinen die nötige Flexibilität zu besitzen, um zu bleiben, wenn sie können, aber auch weiterzuziehen, wenn es nötig ist.“ Diese Ergebnisse zeigen, dass die schnelle Erschließung neuer Lebensräume auf das unterschiedliche Ausbreitungsverhalten einzelner Grackeln zurückzuführen ist.

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie


Originalpublikationen:

Kelsey McCune, Dieter Lukas, Maggie MacPherson, Corina J. Logan: Behavioral flexibility is related to exploration, but not boldness, persistence or motor diversity, Peer Community Journal, 18 August 2025, DOI: 10.24072/pcjournal.593

Dieter Lukas, Aaron D. Blackwell, Maryam Edrisi, Kristin Hardy, Christa LeGrande, Zara Marfori, Kelsey McCune, August Sevchik, Caroline Smith, Corina J. Logan: Reduced levels of relatedness indicate that great-tailed grackles disperse further at the edge of their range, Peer Community Journal, 18 August 2025, DOI: 10.24072/pcjournal.591

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