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WBGU-Gutachten: Umweltschutz ist auch Gesundheitsschutz

Umweltschutz ist auch Gesundheitsschutz
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

„Gesund leben auf einer gesunden Erde“ – so der Titel und die Vision des neuen WBGU-Gutachtens, das am 14.06. 2023 an Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Judith Pirscher, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung übergeben wurde. Das neue Gutachten analysiert mit einem globalen Blick die Wechselwirkungen von Natur und Menschen.

Darin empfiehlt das neunköpfige Expert:innengremium nicht weniger als ein fundamentales Umdenken im Umgang mit Gesundheit. Nur auf diese Weise lassen sich die beachtlichen Verbesserungen der Gesundheitsversorgung der Vergangenheit auch in die Zukunft fortschreiben. Die COVID-19-Pandemie, die massive Zunahme von Zivilisationskrankheiten und die immer spürbareren Auswirkungen des Klimawandels führen die Verletzlichkeit unserer Gesellschaften vor Augen: unsere Lebensweise ist eine der Ursachen für diese Vulnerabilität. Die zivilisatorische Entwicklung hat die Artenvielfalt verringert und die Gesundheit der Ökosysteme beeinträchtigt und gefährdet nun auch die Gesundheit der Menschen. Wir sind auf dem besten Weg, die Voraussetzungen eines gesunden Lebens für Arten und Menschen weiter zu zerstören und die planetaren Leitplanken zu überschreiten. Nur Mut und Tatkraft auf allen Ebenen, von internationalen Foren bis hin zu individueller Lebensgestaltung, können jetzt noch umsteuern. „Der zunehmende Fokus der Wissenschaft auf den Zusammenhang zwischen Gesundheit und dem Zustand unserer natürlichen Umwelt zeigt, wie wichtig dieses Thema für die Zukunft der Menschheit und wie dringend politisches Handeln ist“, so Karen Pittel.

Nachhaltigkeitspolitik ist auch Gesundheitspolitik

Die Folgen des Klimawandels für die Gesundheit von Menschen weltweit sind unübersehbar. In diesem Sinne ist Nachhaltigkeitspolitik auch Gesundheitspolitik. Der WBGU empfiehlt, im Rahmen der Europäischen Gesundheitsunion bestehende Überwachungs- und Berichtspflichten für gesundheitliche Risikofaktoren und Gesundheit auch auf umweltbedingte, nicht übertragbare Krankheiten und die entsprechenden Risikofaktoren auszudehnen. Nur so können adäquate Präventionsmaßnahmen erarbeitet werden. Nicht vergessen werden darf, auch die ökologischen Auswirkungen von Gesundheitssystemen zu messen und zu bewerten. „Der Gesundheitssektor hat weltweit einen beträchtlichen Fußabdruck und die Rolle von Gesundheitssystemen für die Nachhaltigkeitspolitik verdient unbedingt mehr Aufmerksamkeit: Ärzteschaft und Pflegepersonal genießen das Vertrauen der Menschen. Sie sind Influencer im besten Sinne, um ein nachhaltiges, resilientes Gesundheitssystem zu etablieren. Zum einen, indem sie durch ihr Engagement dafür eintreten und zeigen, wie die Klimaziele im Gesundheitssektor umgesetzt werden können und zum anderen im direkten Kontakt mit Patient:innen, die sie für die neuen Gesundheitsgefährdungen sensibilisieren und zu gesundheitsförderlichem und umweltbewusstem Verhalten motivieren können“, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann. Der derzeitige gesundheitspolitische Trend, auf Krankheiten in erster Linie zu reagieren, anstatt Prävention und Widerstandsfähigkeit und Entwicklungspotenziale von Menschen zu fördern, sollte durchbrochen werden: Es bedarf einer auf die Umwelt der Menschen ausgerichteten Gesundheitsvorsorge und -prävention, die sich auch in der Finanzierung von Gesundheitssystemen widerspiegelt. 

Globale Dringlichkeitsgovernance für Umwelt- und Gesundheitsschutz etablieren

„Es ist dringend, eine langfristige, über das Jahr 2030 hinausreichende gemeinsame Governance für Umwelt- und Gesundheitsschutz abzustimmen. Der aktuell innerhalb der WHO verhandelte Pandemievertrag eröffnet ein Möglichkeitsfenster für stärkere inhaltliche und institutionelle Verzahnungen mit UNEP, FAO und WOAH, der Weltorganisation für Tiergesundheit“, sagt Sabine Schlacke. Der WBGU formuliert in seinem Gutachten klare Ansatzpunkte, um diese Dringlichkeitsgovernance zu etablieren. Die Agenda 2030 sollte sowohl national als auch international als Handlungsauftrag für die Verwirklichung der Vision „Gesund leben auf einer gesunden Erde“ verankert werden. Die Bedrohungslage wird als so dringlich eingeschätzt, dass das Gremium die Umsetzung des Health-in-all-Policies-Ansatzes und dessen beständige Evaluierung empfiehlt. Dieser sieht vor, gesundheitliche Belange in allen Ressorts und auf allen politischen Ebenen zu verankern und so den kooperativen Erhalt der Lebensgrundlagen zu gewährleisten. Das Recht auf gesunde Umwelt sollte als Menschenrecht in nationale Verfassungen und Menschenrechtskataloge, insbesondere in das Grundgesetz und die EU-Grundrechtecharta aufgenommen werden. Diese Elemente einer Dringlichkeitsgovernance sollten für die Bundesregierung handlungsleitend sein, um sich im Sinne von Leadership für eine verknüpfte und umsetzungsorientierte Gesundheits- und Umweltpolitik in Foren der UN, der EU, in der G7, G20 sowie gegenüber Unternehmen und Zivilgesellschaft einzusetzen.

Weltweit Rahmen für gesunde Ernährung, Bewegung und gesundes Wohnen verbessern

Gesundheit erfordert zielgerichtete Ernährungs-, Verkehrs- und Stadtplanungspolitik. Der WBGU zeigt an drei konkreten Beispielen – Ernährung, Bewegung und Wohnen – auf, welche Rahmenbedingungen gesetzt werden sollte, um das Ziel “Gesund leben auf einer gesunden Erde“ auch in den Lebenswelten aller Menschen zu verankern. Die elementaren Bereiche des menschlichen Lebens sollten so gestaltet werden, dass der Trend zunehmender Zivilisationskrankheiten durchbrochen wird und gleichzeitig klima- und umweltverträgliche Lebensstile attraktiv werden.

Ernährung: Eine stärker pflanzenbasierte Ernährung für alle könnte weltweit jährlich 11 Mio. vorzeitige Todesfälle verhindern und die Klimawirkung des Ernährungssystems stark reduzieren. Kennzeichnungspflichten für gesundheitsschädliche und nicht nachhaltige Lebensmittel bzw. ihre Besteuerung sind dafür essenziell.

Bewegung: Aktive Mobilität ermöglicht mehr Bewegung im Alltag und reduziert Autoverkehr – und damit Energie-, Ressourcen- und Platzverbrauch, Luftverschmutzung, Klimaschäden und Lärm. Dazu braucht es mehr Angebote für Bewegungsförderung und eine echte Mobilitätswende.

Wohnen: Noch immer leben rund 1 Mrd. Menschen in Slums mit meist gesundheitsgefährdenden Lebensbedingungen, und bis Mitte des Jahrhunderts müssen für rund 2,5 Mrd. Menschen neue Siedlungsräume gebaut werden. Eine gesundheits- und umweltgerechte Stadtplanung setzt auch voraus, dass ein relevanter Anteil des Stadtraums einer gemeinwohlorientierten Nutzung vorbehalten bleibt.

Nachhaltigkeitspolitik ist auch Wissenschaftspolitik

Die Möglichkeiten der Weltgesellschaft, die globalen Herausforderungen gemeinsam anzugehen, hängen direkt von den Wissenschafts-, Innovations- und Bildungskapazitäten der Länder selbst und ihrer Verständigungsprozesse untereinander ab. Doch weiterhin unterscheiden sich Finanzausstattung, Wissensproduktion und Bildungsstände massiv zwischen Hoch-, Mittel- und Niedrigeinkommensländern. Die gemeinsame Sprech- und Handlungsfähigkeit auf multilateraler Ebene bedarf dringend einer Nachbesserung.

Summit of the Future und Klimakonferenz als Foren nutzen

Die Bundesregierung sollte sich für die Umsetzung der genannten Punkte auch innerhalb der internationalen Debatte stark machen: „Das Thema ‚Gesund leben auf einer gesunden Erde‘ sollte beim `Summit of the Future´ der Vereinten Nationen im September 2024 für die Stärkung gesellschaftlicher Resilienz im Umgang mit Umweltveränderungen eine zentrale Rolle spielen“, sagt Anna-Katharina Hornidge. Gleiches gilt für die COP28 der Klimarahmenkonvention im November 2023, bei der erstmals Gesundheitsfragen als ein Schwerpunkt auf der Tagesordnung stehen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen


WBGU-Gutachten "Gesund leben auf einer gesunden Erde"