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Neue antibiotische Wirkstoffe aus Flechten gewinnen

Flechte
Bild von Emmi Nummela auf Pixabay

Forschenden ist es gelungen, Flechten im Labor zu kultivieren. Ziel ist es, die Flechten mit bioverfahrenstechnischen Methoden für die Gewinnung neuer antibiotischer Wirkstoffe zu nutzen

    Der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) hatte wenig übrig für Flechten. „Armseliges Pöbelvolk der Vegetation“ nannte er sie geringschätzig, weil sie unter den unwirtlichsten Umweltbedingungen leben können. Dr. Zakieh Zakeri muss über diese Fehleinschätzung lächeln. Weiß sie doch, dass Flechten äußerst sensibel auf Luftverschmutzungen reagieren und ein großes Reservoir darstellen für die Gewinnung neuer antibiotischer Wirkstoffe. Dieses Potenzial ist jedoch kaum genutzt, weil es extrem schwierig ist, sie im Labor zu kultivieren. Ihr aber ist dies jetzt am Fachgebiet Bioverfahrenstechnik unter Leitung von Prof. Dr. Peter Neubauer an der TU Berlin gelungen.

    Symbiose zwischen Pilzen und Algen
    „Eine Flechte ist eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen Pilzen und Algen. Wenn sich Pilzpartner in Flechten sexuell fortpflanzen, dann schießen die Sporen von ihren Fruchtkörpern wie Geschosse weg. Dies habe ich mir zu Nutze gemacht. Eine Petrischale besteht aus Boden und Deckel. Den Boden habe ich mit dem Nährmedium Agar versehen. In den Deckel habe ich die Fruchtkörper der Flechten gesetzt, die Petrischale kopfüber gestellt und darauf gewartet, dass sie ihre Sporen herausschleudern, die dann an der Decke, ursprünglich dem Boden der Petrischale, im Agar haften bleiben“, erzählt Zakieh Zakeri. Mit den auf diese Weise „eingefangenen“ Sporen hat sie weitergearbeitet und Pilzkulturen erzeugt. Des Weiteren isolierte und kultivierte sie die passende Alge von jeder Flechte, um im nächsten Schritt die isolierten Flechtenpartner dann wieder zusammen zu kultivieren. Für diese Methode kann sie allerdings nur jene Flechten verwenden, die in ihren Thallus (Pflanzenkörpern) Fruchtkörper haben und die Sporen zur Fortpflanzung herausschleudern.

    Gegen Reizhusten, Fußgeruch und zur Bindung flüchtiger Parfümöle

    Die in den Flechten enthaltenen Stoffe spielen seit alters her in vielerlei Hinsicht eine Rolle – in der Medizin zum Beispiel als Heilmittel. In den Alpen etwa wird der sogenannte Altmännerbart gegen Husten und Fieber verabreicht, Isländisch Moos ebenfalls gegen Reizhusten, Bronchitis sowie Magen-Darm-Beschwerden oder zur Unterbindung von Fußgeruch. In der Parfümherstellung dient ein Flechtenextrakt dazu, flüchtige Parfümöle zu binden. Andere Flechtenstoffe können im Pflanzenschutz eingesetzt werden. „Trotz dieser Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten, vor allem als Grundlage für die Entwicklung neuer Antibiotika, und angesichts dessen, dass 700 Flechtenstoffe in ihrer chemischen Struktur aufgeklärt sind, gibt es bisher keine systematischen bioverfahrenstechnischen Ansätze, Flechten kontrolliert zu kultivieren und ihr Wachstum sowie ihre Produktion zu optimieren. Dabei liegt die Betonung auf bioverfahrenstechnischen Ansätzen. Diese Organismengruppe ist bislang weitgehend ungenutzt“, sagt Dr.-Ing. Stefan Junne, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet.

    Neuartige flechtenähnliche Gemeinschaften im Labor designen
    Eine Ausschreibung des Bundesforschungsministeriums, in der explizit stand, dass Organismengruppen in den Fokus zu nehmen sind, die bisher nicht biotechnologisch genutzt werden, war schließlich das Initial für Peter Neubauer und sein Team, die Forschungsidee zu Flechten zu formulieren. Die Kultivierung von Flechten ist Teil des von der TU Berlin finanzierten Citizen-Science-Projektes „Mind the Fungi“, in dem Pilze und ihre Interaktion mit anderen Mikroben, in dem Fall Algen, erforscht werden.

    Für ihr Ziel, eine methodische Basis zu entwickeln, die es ermöglicht, Flechten für die biotechnologische Produktion zu nutzen, müssen die Wissenschaftler*innen unter anderem Flechtengruppen finden, die sich für eine Kultivierung eignen und einen biotechnologischen Prozess entwerfen, mit dem die begehrten Inhaltsstoffe extrahiert und synthetisiert werden können. Zakieh Zakeri hat inzwischen von den sieben verschiedenen Flechten, mit denen sie experimentierte, vier, darunter auch die in Berlin weit verbreitete Gelbflechte (Xanthoria parietina) und Mauerflechte (Lecanora muralis), kultiviert. „Das ist eine sehr gute Rate“, so Junne.

    Die symbiotische Struktur der Flechten brachte die Wissenschaftler*innen aber noch auf eine andere Idee und zwar, neuartige flechtenähnliche Gemeinschaften im Labor zu designen. Dafür kultiviert Stefan Junne derzeit phototrophe Algen und Pilze gemeinsam, die in der Natur bislang noch keine Symbiose eingegangen sind. Er spricht von Co-Kultivierung und erschafft so künstliche Symbiosen. Auf diesem Wege will Junne, so seine Vision, neue Synthesen bisher unbekannter Wirkstoffe wie Antibiotika anregen.

    (Technische Universität Berlin)