Am 18. Mai 2020 hatte Brasilien 241.080 bestätigte Fälle von Covid-19 und insgesamt 16.118 Todesfälle – unklar ist die mögliche Dunkelziffer. Die Zahl der Tests pro eine Million Einwohner belief sich am selben Tag auf 3.462, verglichen mit Ländern wie den Vereinigten Staaten (35.903, insgesamt 11,8 Millionen), Deutschland (37.584, insgesamt 3,1 Millionen) und Spanien (64.977, insgesamt 3 Millionen) eine kleine Zahl. Damit liegt die Rate der Tests in Brasilien auf dem Niveau von Ländern wie Pakistan, Indien oder Mexiko.
Fehlende Testergebnisse führen jedoch zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Auswirkungen von Covid-19 auf Brasilien und erschweren es, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus zu ergreifen, schreiben die Autoren Artur Sgambatti Monteiro und Lucas Lima dos Santos in ihrem nun veröffentlichten Diskussionspapier.
Tiefer ins Land geschaut zeigten die Zahlen für die 20 brasilianischen Städte mit der höchsten Covid-19-Mortalitätsrate (pro 100.000 Einwohner), dass drei Viertel davon im brasilianischen Amazonasgebiet liegen. „Die Zahlen machen uns deutlich, dass die Situation im Amazonasgebiet Anlass zu großer Sorge ist“, sagt Artur Sgambatti Monteiro, Fellow am IASS und zuvor an der brasilianischen Fundação Vitória Amazônica in Manaus tätig.
Zurückzuführen sei dieser Zustand auf die schlechten Bedingungen in Siedlungen im Amazonasgebiet, die meist nur per Boot erreichbar sind. Ebenso auf das schlechte Gesundheitssystem.
Der Bundesstaat Amazonas habe zwar eine ähnliche Bevölkerungszahl wie der wohlhabendere, südöstliche Bundesstaat Espírito Santo (rund 4 Millionen Einwohner), verfüge aber über weniger als die Hälfte der Intensivbetten pro 100.000 Einwohner (1,24 gegenüber 2,72). „Dies ist ein Indikator für eine enorme soziale Kluft innerhalb der brasilianischen Gesellschaft und die mangelnde Bereitschaft und Koordination zur Bewältigung der Pandemie“, sagt Monteiro. „Tatsächlich wird die Situation weitaus schlimmer sein als die offiziellen Todes- und Infektionsraten vermuten lassen.“
Zügellose Entwaldung ohne Strafverfolgung
Die mit dem Covid-19-Ausbruch verbundenen Isolationsmaßnahmen behinderten außerdem die Kontrolle der Abholzung und den Schutz von Naturschutzgebieten durch öffentliche Umweltbehörden einerseits. Andererseits wissen organisierte Gruppen, dass sie straffrei Waldgebiete illegal roden können, was die Angaben des Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (Nationales Institut für Amazonasforschung, Inpe) bestätigen. Das Forschungsinstitut ist für die Messung der monatlichen Entwaldungsrate in Brasilien zuständig und die Entwaldungsrate in den ersten Monaten 2020 war weitaus höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. „Das ist sehr besorgniserregend, wenn wir bedenken, dass 2019 das schlimmste Jahr des letzten Jahrzehnts war“, sagt IASS-Fellow Monteiro. „Die Entwaldung umfasst inzwischen schon mehr als 10.000 Quadratkilometer im südlichen und östlichen Amazonasgebiet von Brasilien.“
Zoonoseausbruch aus dem Amazonasgebiet?
Die beiden Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass neue Epidemien durch die verstärkte Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und das Vordringen in bislang unberührtere Gebiete ausbrechen könnten: So weise auch Professor Philip Fearnside von INPA darauf hin, dass Krankheitserreger wie etwa HIV und Covid-19 von Wildtieren auf den Menschen übertragen wurden. Auch der Amazonas Regenwald mit seiner enormen Artenvielfalt könne folglich zu einer Quelle für neue Pandemien werden. Denn die nun zu beobachtende stark voranschreitende Entwaldung bringt die Menschen näher an Wildtiere heran und wird zwangsläufig den Verzehr von gejagten Tieren steigern. Dieses Szenario mache den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes umso dringlicher.
Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung e.V. (IASS)
Originalpublikation:
Artur Sgambatti Monteiro und Lucas Lima dos Santos: COVID-19 and the increasing Fragility of the Brazlian Amazon, 05/2020. DOI: 10.2312/iass.2020.020
www.iass-potsdam.de/sites/default/files/2020-05/Discussion%20Paper%20Covid%2019%20Artur_0.pdf