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Evolution der mächtigsten Ozeanströmung der Erde

Das IODP-Bohrschiff JOIDES Resolution
Das IODP-Bohrschiff JOIDES Resolution (Foto: Bill Crawford, International Ocean Discovery Program)

Der Antarktische Zirkumpolarstrom spielt eine wichtige Rolle für die globale Umwälzzirkulation, den Wärme- und CO2-Austausch zwischen Ozean und Atmosphäre und die Stabilität der antarktischen Eismassen. Ein Forschungsteam unter Leitung des AWI hat nun an Klimaarchiven in Sedimenten aus dem Südpazifik die Fließgeschwindigkeit in den letzten 5,3 Millionen Jahren rekonstruiert. Ihre jetzt in Nature publizierten Daten zeigen: in Kaltzeiten verlor die Strömung an Schwung, in Warmzeiten wurde sie schneller. Sollte sie durch die gegenwärtige Erderwärmung also künftig an Kraft gewinnen, könnte der Südliche Ozean weniger CO2 speichern und mehr Wärme die Antarktis erreichen.

Er befördert mehr als 100-mal so viel Wasser wie alle Flüsse der Erde zusammen, ist bis zu 2000 Kilometer breit und reicht bis in die Tiefsee hinab: der Antarktische Zirkumpolarstrom (engl. Antarctic Circumpolar Current, ACC). In der Vergangenheit unterlag dieses mächtigste Strömungssystem der Erde erheblichen natürlichen Schwankungen, wie aktuelle Untersuchungen an Sedimentbohrkernen offenbaren. Kältere Phasen im Pliozän und im darauffolgenden Pleistozän, in denen der ACC langsamer wurde, korrelieren dabei mit dem Vormarsch des Westantarktischen Eisschilds. In wärmeren Phasen beschleunigte er sich, und der Rückzug der Eismassen folgte. „Erklären lässt sich der Eisrückgang durch einen erhöhten Wärmetransport nach Süden“, sagt Dr. Frank Lamy, Forscher in der Sektion Marine Geologie am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Erstautor der Nature-Studie. „Ein stärkerer ACC sorgt dafür, dass mehr warmes Tiefenwasser an die Schelfeiskante der Antarktis gelangt.“

„Der ACC hat einen großen Einfluss auf die Wärmeverteilung und die CO2-Speicherung im Ozean. Unklar war aber bislang, wie der ACC auf Klimaschwankungen reagiert und ob Veränderungen des ACC die Folgen der Erwärmung bremsen oder noch verstärken“, sagt Frank Lamy. „Für bessere Vorhersagen des zukünftigen Klimas und der Stabilität des Antarktischen Eisschilds anhand von Computermodellen benötigen wir daher Paläodaten, die uns etwas über die Stärke des ACC in früheren Warmphasen der Erdgeschichte verraten.“

Um an diese Daten zu gelangen, fuhr 2019 eine internationale Expedition geleitet von Frank Lamy und der Geochemikerin Prof. Gisela Winckler vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University (USA) mit dem Bohrschiff JOIDES Resolution in den zentralen Südpazifik. Dort, in der Subantarktis, konnte das Forschungsteam aus dem Meeresboden in 3600 Meter Wassertiefe zwei lange Bohrproben gewinnen, die jeweils aus mehreren Sedimentkernen bestehen. „Die Bohrstellen liegen in der Nähe von Point Nemo, dem am weitesten von Landmassen oder Inseln entfernten Ort der Erde, wo der ACC unbeeinflusst von kontinentalen Landmassen strömt“, sagt Prof. Helge Arz, Meeresgeologe am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde und einer der Hauptautoren der Studie. „An den Sedimentablagerungen in dieser Region lässt sich seine mittlere Fließgeschwindigkeit in der Vergangenheit rekonstruieren.“

Die 145 und 213 Meter tiefen Bohrungen im Südpazifik waren Teil des International Ocean Discovery Program (IODP), das die Erdgeschichte anhand von geochemischen Spuren in marinen Sedimenten und Gesteinen unter dem Meeresboden entschlüsselt. Ihnen waren umfangreiche Erkundungsarbeiten auf mehreren Expeditionen mit dem Forschungsschiff Polarstern vorausgegangen. Die Sedimente der Bohrkerne reichen 5,3 Millionen Jahre zurück und umfassen drei vollständige Epochen:
• das Pliozän, in dem es bis zu drei Grad wärmer war als heute und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre mit über 400 ppm ähnlich hohe Werte erreichte wie aktuell;
• das Pleistozän, das vor 2,6 Millionen Jahren begann und von wechselnden Eiszeiten (Glaziale) und Warmzeiten (Interglaziale) geprägt war
• und das Holozän, eine Warmzeit, die mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren einsetzte und bis heute andauert.

Entlang der verschiedenen Zeitaltern zugeordneten Schichten in den Bohrkernen analysierten die Forschenden die Größenverteilung von Sedimentpartikeln, die sich in Abhängigkeit von der Strömungsgeschwindigkeit am Meeresboden absetzen. Auf diese Weise konnten sie die Evolution des ACC seit dem frühen Pliozän bestimmen, als eine langfristige Abkühlung des Klimas einsetzte. Zusätzliche Hinweise zur Dynamik des ACC in der jüngeren Erdgeschichte lieferten Sedimentkerne von früheren Reisen mit der Polarstern im Südpazifik.

Ihre Ergebnisse zeigen, dass der ACC im Pliozän bis vor drei Millionen Jahren zunächst schneller wurde, während die Erde langsam abkühlte. Ursache dafür war ein wachsendes Temperaturgefälle vom Äquator zur Antarktis, das für stärkere Westwinde sorgte - den Hauptantreiber des ACC. Trotz anhaltender Abkühlung verlor er danach an Kraft. „Die Trendumkehr fällt mit einer Zeit zusammen, in der sich das Klima und die Zirkulation in der Atmosphäre und im Ozean stark veränderten“, sagt Frank Lamy. „Vor 2,7 Millionen Jahren, am Ende des Pliozäns, vereiste die Nordhalbkugel großflächig und die Eisschilde der Antarktis dehnten sich aus. Grund waren durch tektonische Prozesse ausgelöste Veränderungen in den Meeresströmungen im Zusammenspiel mit langfristiger Meeresabkühlung und sinkenden atmosphärischen CO2 Gehalten.“

Für die vergangenen knapp 800.000 Jahre, in denen der CO2-Gehalt in der Atmosphäre zwischen 170 und 300 ppm schwankte, konnten die Forschenden an den Sedimentbohrkernen einen engen Zusammenhang zwischen der Stärke des ACC und den glazialen Zyklen nachweisen: In Warmzeiten, in denen der CO2-Gehalt der Atmosphäre anstieg, nahm die Fließgeschwindigkeit um bis zu 80 Prozent gegenüber heute zu, in Eiszeiten um bis zu 50 Prozent ab. Gleichzeitig verlagerte sich der ACC und somit der Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser im Südlichen Ozean im Wechsel von Warm- und Eiszeiten, wie geochemische Sedimentanalysen ergaben. Sie zeigen, dass sich die Silikatschalen von Kieselalgen - dem wichtigsten Phytoplankton im Südozean -, in Eiszeiten weiter nördlich am Meeresgrund ablagerten als in Warmzeiten.

„Ein schwächelnder ACC und ein geringer CO2-Gehalt der Atmosphäre während der Eiszeiten des Pleistozäns deutet auf einen schwächeren Auftrieb und eine stärkere Schichtung des Südlichen Ozeans, sprich, eine größere CO2-Speicherung hin“, sagt Gisela Winckler. Durch den menschengemachten Klimawandel, so das Fazit der Studie, könnte der ACC zukünftig an Kraft gewinnen. Folglich könnte sich die CO2-Bilanz des Südlichen Ozeans verschlechtern und das Eis der Antarktis schneller schmelzen.

Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung


Originalpublikation:

Lamy, F., Winckler, G., Arz, H.W. et al. Five million years of Antarctic Circumpolar Current strength variability. Nature627, 789–796 (2024). doi.org/10.1038/s41586-024-07143-3