Unter der Leitung des Instituts für Immunologie und der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Blut von COVID-19-Patientinnen und -Patienten untersucht. Dabei stellten sie fest, dass für den Verlauf der Erkrankung eine bestimmte Zusammensetzung der Lymphozyten eine wichtige Rolle spielt, die für die gezielte Immunabwehr zuständig sind. Als erste europäische Studie dieser Art ist die Forschungsarbeit im Lancet-Journal „EBioMedicine“ erschienen. Erstautor ist Dr. Ivan Odak.
Zahl der T-Lymphozyten sinkt bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten
„Uns war zwar bekannt, dass schwer an COVID-19 erkrankte Patienten generell weniger Lymphozyten im Blut haben“, sagt Dr. Christian Schultze-Florey, gemeinsam mit Professor Dr. Christian Könecke verantwortlicher Leiter der Studie. „Allerdings wussten wir nicht, welche speziellen Untergruppen und in welchen Ausmaß diese tatsächlich betroffen sind.“ Lymphozyten gehören zu den weißen Blutkörperchen und werden wie alle Blutzellen im Knochenmark gebildet. Danach müssen sie im Körper einen Reifungsprozess durchlaufen, bevor sie als T- oder B-Lymphozyten körperfremde Zellen wie Bakterien oder Viren erkennen und bekämpfen können. Bei schweren Verläufen von COVID-19 – etwa Patienten, die beatmet werden müssen – zeigten sich alle Lymphozyten-Unterarten vermindert im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Dies war bei milden COVID-19 Verläufen deutlich weniger ausgeprägt.
„Von wegweisender Bedeutung war zudem, dass die COVID-19-Patienten mit milder Erkrankung schon bei Aufnahme ins Krankenhaus mehr Effektor-T-Zellen aufwiesen als die Patienten mit einem schweren Verlauf“, erläutert Professor Könecke. Effektor-T-Zellen sind besonders aktivierte T-Zellen, die entweder direkt kranke Zellen zerstören oder mit Botenstoffen das Immunsystem alarmieren und so zusätzliche Immunzellen anlocken. Unterschiede konnten die Forscher auch im Verlauf der COVID-19-Erkrankung feststellen. Erholen sich die Patienten von der Infektion mit SARS-CoV-2 und verbessert sich ihr Gesundheitszustand, nimmt auch die Anzahl der Effektor-Zellen im Blut deutlich zu. Auch Gedächtniszellen, die als eine besondere Form der T-Zellen Krankheitserreger bei einer erneuten Infektion wiedererkennen und dadurch schneller bekämpfen können, lassen sich im Laufe der Genesung wieder verstärkt nachweisen. Bleibt eine Besserung der Erkrankung aus, kommt es hingegen nicht zu einem solchen Anstieg.
Gezieltere Diagnose und effektivere Behandlung möglich
„Die T-Zell-Immunantwort scheint bei COVID-19 eine entscheidende Rolle zu spielen“, sagt Professor Förster, Leiter des Instituts für Immunologie. Die generelle Abnahme der Lymphozyten-Unterarten und der Effektor-T-Zellen könnten daher als Biomarker dienen, um über die Messung des Immunstatus den Schweregrad der Erkrankung frühzeitig einzuschätzen. „Das ist wichtig, weil manche Patienten bei der Aufnahme ins Krankenhaus klinisch zunächst stabil erscheinen, jedoch schon wenig später ein schwerer COVID-19 Verlauf eintritt“, betont Studienleiter Schultze-Florey. Diese Patienten könnten durch eine gezielte Diagnose schneller und effektiver behandelt werden. Auch der Therapieverlauf ließe sich mit Hilfe der T-Zell-Marker möglicherweise vorhersagen. So könnte bereits während der Behandlung kontrolliert werden, ob die Patienten darauf ansprechen und sich ihr Gesundheitszustand voraussichtlich verbessert.
MHH
Originalpublikation:
Ivan Odak, Joana Barros-Martins, Berislav Bošnjak, Klaus Stahl, Sascha David, Olaf Wiesner, Markus Busch, Marius M. Hoeper, Isabell Pink, Tobias Welte, Markus Cornberg, Matthias Stoll, Lilia Goudeva, Rainer Blasczyk, Arnold Ganser, Immo Prinz, Reinhold Förster, Christian Koenecke, Christian R. Schultze-Florey: Reappearance of effector T cells is associated with recovery from COVID-19,
EBioMedicine, Volume 57, 2020, 102885, ISSN 2352-3964