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Die Ausbreitung eines "sozialen Supergens" bei Feuerameisen

Solenopsis invicta Feuerameisenkönigin
Solenopsis invicta Feuerameisenkönigin (groß), drei Arbeiterinnen (kleiner), eine Puppe (weißlich) auf einem DNA-Sequenzabschnitt ihres Sozialchromosoms. Romain Libbrecht & Yannick Wurm

Eine neue Form der Ameisengesellschaft breitet sich mit Hilfe eines Supergens artübergreifend aus. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Queen Mary University of London und Dr. Eckart Stolle vom LIB hat entdeckt, dass sich eine neue soziale Organisation in einer Feuerameisenart mit einem „soziale Supergen“ entwickelt hatte. Dieses Supergen enthält die Erbinformation für die neue Gesellschaftsform und breitete sich auf andere Arten durch Hybridisierung, das heißt durch Kreuzung zwischen Ameisen verschiedener Arten, aus. Die alternative Lebensform bietet den Ameisen einen evolutiven Vorteil und macht sie erfolgreicher, als nur mit der ursprünglichen Gesellschaftsform.

Rote Feuerameisen bildeten ursprünglich nur Kolonien mit einer Königin. Vor etwa einer Million Jahren entwickelten sie eine neue Sozialform, bei der Kolonien mit Dutzenden Königinnen vorkommen. Eine bestimmte Version eines großen Chromosomenabschnitts, das so genannte "soziale Supergen", enthält die genetische Information, die notwendig ist, damit die Arbeiterinnen mehr als eine Königin akzeptieren. Im Rahmen der aktuellen Forschungsarbeit, die heute in Nature Communications veröffentlicht wurde, wurden die gesamten Genome von 365 männlichen Feuerameisen analysiert, um die Entwicklung des sozialen Supergens zu untersuchen.

Die Übertragung großer Mengen genetischer Informationen zwischen verschiedenen Arten ist aufgrund genetischer Inkompatibilitäten selten. In diesem Fall jedoch überwogen die evolutiven Vorteile in einem Sozialstaat mit mehreren Königinnen, sodass sich das genetische Material wiederholt von der einen Ausgangsart, in der sich diese neue Sozialform entwickelt hatte, auf andere Arten verbreitete. „Die soziale Organisation mit mehreren Königinnen bietet Vorteile in verschiedenen Situationen. So verfügt eine Kolonie mit mehreren Königinnen über mehr Arbeiterinnen und kann daher eine Kolonie mit nur einer Königin überflügeln. Außerdem ist es bei einer Überschwemmung weniger wahrscheinlich, dass eine Kolonie mit mehreren Königinnen ohne Königin da steht“, erklärt Dr. Eckart Stolle, Sektionsleiter Vergleichende Genomik (Insekten) am LIB, Museum Koenig Bonn.

Dr. Yannick Wurm, Dozent für Evolutionäre Genomik und Bioinformatik an der Queen Mary University of London und Fellow des Alan Turing Institute, führt aus: "Die Forschungsergebnisse zeigen, wie sich evolutionäre Innovationen über Arten hinweg verbreiten können, und wie Evolution auf der Ebene der DNA und der Chromosomen funktioniert. Es war erstaunlich zu entdecken, dass andere Arten durch Hybridisierung eine neue Form der sozialen Organisation erwerben konnten. Die Supergen-Region, die Multi-Königinnen-Kolonien hervorbringt, ist ein größerer Chromosomenabschnitt, der Hunderte von Genen enthält. Die vielen Teile eines Genoms entwickeln sich so, dass sie in fein abgestimmter Weise zusammenarbeiten. Solche komplizierten Prozesse, bei denen plötzlich eine Mischung aus verschiedenen Versionen mehrerer Gene einer anderen Art auftritt, sind selten.“

Rodrigo Pracana, zusammen mit Eckart Stolle Erstautor der Studie, ebenfalls von der Queen Mary University of London, ergänzt: "Unsere Studie zeigt, wie die detaillierte Analyse einer großen Anzahl von Wildtieren überraschende neue Erkenntnisse darüber liefern kann, wie die Evolution funktioniert.“

Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels


Originalpublikation:

Stolle, E., Pracana, R., López-Osorio, F. et al. Recurring adaptive introgression of a supergene variant that determines social organization. Nat Commun 13, 1180 (2022). DOI:10.1038/s41467-022-28806-7
https://www.nature.com/articles/s41467-022-28806-7