Für ihre Studie nutzten die Pathologen und Virologen Hamster, die sich als Modellsystem für viele Facetten des Verlaufs von Covid-19 bewährt haben. „Als in Südafrika gerade die Omikron-Variante aufkam, bot sich uns die Gelegenheit, Tiere zu untersuchen, die bereits im Rahmen einer anderen Studie mit der Omikron-, Gamma-, Delta- oder einer ursprünglichen Corona-Variante infiziert worden waren“, sagt Dr. Georg Beythien, einer der Autoren der Studie. „An ihnen konnten wir detailliert analysieren, wie sich Infektionen mit verschiedenen Varianten auf die oberen Atemwege und die Lunge auswirken.“
Das Team untersuchte Gewebeschädigungen in der Nase, Luftröhre, den Bronchien und der Lunge in Kombination mit der Viruslast und der Reaktion des Immunsystems auf die Infektion. Das Ergebnis fasst Dr. Federico Armando zusammen: „Die Schäden waren bei allen mit der Omikron-Variante infizierten Tieren geringer als bei solchen, die mit früheren Varianten des Virus infiziert worden waren.“ Auch die Viruslast in den untersuchten Geweben war bei Omikron-infizierten Tieren geringer als bei den anderen Gruppen. „Das Virus scheint sich weiter an den Menschen als neuen Wirt angepasst zu haben“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Baumgärtner, Direktor des Instituts für Pathologie der TiHo und Leiter der Studie. „Es fügt ihm weniger Schaden zu, um sich effizienter zu verbreiten.“
Um die Schwere von Krankheitsverläufen quantitativ zu beschreiben, bewerten Labors verschiedene Merkmale einer Erkrankung systematisch nach bestimmten Schemata. Für die Bewertung der Gewebeschädigungen durch SARS-CoV-2 entwickelten die Autorinnen und Autoren ein sehr umfassendes, detailliertes Schema. „Es umfasst eine große Bandbreite von histologischen Veränderungen, die durch die SARS-CoV-2-Infektion ausgelöst werden und die zusammengenommen in die Bewertung der Pathogenität einfließen“, erläutert Pathologin Dr. Malgorzata Ciurkiewicz, die die Studie gemeinsam mit Baumgärtner angeleitet hat. „Und: Wir haben alle Abschnitte der oberen und unteren Atemwege untersucht – von der Nase bis zur Lunge.“ Viele bisherige Studien konzentrieren sich auf die Lunge, um zu verstehen, wie die schweren bis tödlichen Verläufe von Covid-19 zustande kommen. „Wir sehen aber auch deutliche Unterschiede zwischen den Varianten in den Nasenschleimhäuten. Die erklären möglicherweise das seltenere Auftreten des Geruchsverlustes nach einer Omikron-Infektion “, sagt Ciurkiewicz. „Es ist also wichtig, auch in der Nase zu schauen!“
Auffällig wenig betroffen von der Omikron-Infektion waren bei Hamstern die Lungenbläschen, was sich gut mit der geringeren Zahl schwerer Verläufe mit Lungenentzündung bei Omikron-infizierten Menschen deckt. Ciurkiewicz vermutet, dass der Grund dafür in der Art liegt, wie das Virus in die Zellen eindringt. „Wir beobachten, dass die Omikron-Variante bevorzugt einen anderen Mechanismus verwendet als frühere Varianten. Der ist wahrscheinlich für die Zellen der Lungenbläschen nicht so effizient.“
Diese Art zugrunde liegender molekularen Mechanismen lassen sich übrigens mit tierfreien Versuchsmethoden sehr gut charakterisieren. „Experimentelle Systeme wie Lungendünnschnitte, Air-Liquid-Grenzschicht-Zellkulturen oder in der Petrischale kultivierte Nasenschleimhautzellen sind bestens geeignet, um bestimmte biologische Eigenschaften eines Virus detailliert zu analysieren und zu verstehen“, sagt Wolfgang Baumgärtner. „Der Hamster ermöglicht uns allerdings darüber hinaus, das Zusammenspiel aller Einzelschritte und Ebenen der Infektion und der Reaktionen des Körpers sowie die pathologischen Veränderungen im Gesamtorganismus zu untersuchen“, erklärt er den Nutzen des Tiermodells. „Die Eignung des Modells müssen wir natürlich ständig kritisch überprüfen“, ergänzt Georg Beythien. „Wenn Varianten auftreten, die beispielsweise Hamsterzellen nicht oder weniger effizient infizieren, verliert das Modell an Aussagekraft.“
Offen bleibt die Frage danach, warum sich die Omikron-Variante des Coronavirus trotz ihrer geringeren Pathogenität und offenbar geringerer Viruslasten in den Atemwegen unter Menschen deutlich schneller verbreitet hat als vorherige Varianten. Die Autorinnen und Autoren der Studie diskutieren verschiedene Erklärungsansätze: Die Omikron-Variante könnte auf Oberflächen stabiler sein als andere Varianten; oder durch den selteneren Geruchsverlust bei Menschen könnte es eine größere Zahl unentdeckter Fälle gegeben haben, die zur Verbreitung beigetragen haben. „Die stärkere Ausbreitung von Omikron wurde vermutlich auch dadurch begünstigt, dass die Variante sich strukturell verändert hat und damit besser dem Immunsystem entkommt“, ergänzt Malgorzata Ciurkiewicz. Dadurch schützt uns eine Impfung oder eine vorangegangene Infektion nicht so gut gegen Omikron, wie gegen frühere Varianten.“ Zudem sind weitere biologische und gesellschaftliche Aspekte zu bedenken, um die Verbreitung zu verstehen. Um die Zusammenhänge zwischen Pathogenität und Übertragbarkeit auf biologischer Ebene zu klären, bräuchte es weitere Studien, wie zum Beispiel Übertragungsstudien in Hamstern.
Warum ihre Daten erst im Juni, Monate nach dem Peak der Omikron-Welle veröffentlicht werden, erklärt Federico Armando: „Die Etablierung eines neuen Schemas, anschließende Prozessierung und Analyse der vielen verschiedenen Proben und die Validierung der Ergebnisse nimmt Zeit in Anspruch. Zudem wird eine Arbeit vor ihrer Veröffentlichung gründlich von Fachleuten begutachtet und muss gegebenenfalls ergänzt werden.“ Die Dauer der Arbeiten stellte sich in diesem Fall geradezu als Vorteil für die TiHo-Forschenden heraus: Die zwischenzeitlich erhobenen epidemiologischen Beobachtungen der Krankheitsverläufe bei Menschen bestätigten die Befunde im Hamster und unterstreichen die Aussagekraft der Ergebnisse aus diesem experimentellen System. „Systematisch und routiniert durchgeführt kann das von uns etablierte Scoring-System innerhalb weniger Wochen Ergebnisse liefern“, sagen sie. Zudem arbeiten sie daran, ihr Verfahren weiter zu automatisieren, so dass es noch präziser und weniger zeitaufwendig wird. „Die histologischen Präparate lassen sich zum Beispiel prinzipiell mithilfe von KI-Algorithmen auswerten“, sagt Georg Beythien.
Wenn künftig Varianten des Coronavirus auftreten, kann die gründliche pathologische Untersuchung im Hamstermodell aussagekräftige Hinweise zur Schwere der Krankheitsverläufe geben. „In Kombination mit geeigneten Studien zur Verbreitung der jeweiligen Variante könnte es sogar eine Art Kompass dafür bieten, welche gesellschaftlich relevanten Auswirkungen neue Coronavirus-Varianten mit sich bringen werden“, meinen die Forschenden.
Tierärztliche Hochschule Hannover
Originalpublikation:
Federico Armando, Georg Beythien, Franziska K. Kaiser, Lisa Allnoch, Laura Heydemann, Malgorzata Rosiak, Svenja Becker, Mariana Gonzalez-Hernandez, Mart M. Lamers, Bart L. Haagmans, Kate Guilfoyle, Geert van Amerongen, Malgorzata Ciurkiewicz, Albert D.M.E. Osterhaus und Wolfgang Baumgärtner: SARS-CoV-2 Omicron variant causes mild pathology in the upper and lower respiratory tract of hamsters, Nature Communications, doi: https://doi.org/10.1038/s41467-022-31200-y