Meist ist eine Corona-Infektion bei Patient*innen, die nicht im Spital behandelt werden mussten, nach etwa zwei Wochen vorbei. Bei hospitalisierten Patient*innen dauert die akute Krankheitsphase oft deutlich länger. Einige Menschen sind nach einer überstandenen Infektion aber weder geheilt noch belastbar, sie klagen auch nach Monaten über Symptome wie Erschöpfung, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Geruchs- und Geschmacksstörungen oder Atemwegsprobleme, auch Long-Covid genannt.
Um zu klären, wie hoch die Prävalenz von Long-Covid nach einer bestätigten oder vermuteten SARS-CoV-2-Infektion ist, welche Symptome wie häufig auftreten und einen Überblick über mögliche Risikofaktoren zu geben, hat das Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) in Zusammenarbeit mit dem Belgian Health Care Knowledge Center (KCE) die aktuelle Datenlage zu Long-Covid analysiert. Mit Stand Mai 2021 konnten insgesamt 28 geeignete Studien identifiziert werden, um die vorhandene Evidenz des Krankheitsbildes zusammenzufassen.
„Schwere Covid-19-Verläufe gehen den Studien zufolge häufiger mit Long-Covid einher“, sagt Studienleiterin Sarah Wolf vom AIHTA, „der Blick auf mehrere Studien zeigte aber auch, dass der Range der einzelnen Symptome sehr groß ist.“ Demnach traten bei 39 bis 72 Prozent der stationär aufgenommen Covid-19-Patient*innen innerhalb von ein bis drei Monaten nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion Long-Covid-Symptome auf; in der Gruppe der ambulant behandelten Patient*innen waren es 5 bis 36 Prozent. Selbst nach über sechs Monaten berichteten noch bis zu 60 Prozent der ehemals hospitalisierten Patient*innen über Müdigkeit, Erschöpfung, kognitive Beeinträchtigungen und/oder Atemwegsprobleme; in der Kohorte der ambulant behandelten SARS-CoV-2-Fälle traf diese Symptomatik auf 13 bis 25 Prozent zu.
Vielfältige Symptomatik
Zu den häufigsten Symptomen unter Long-Covid-Patient*innen zählten bis zu drei Monate nach dem Beginn der akuten SARS-CoV-2-Infektion „Müdigkeit/Erschöpfung“ mit 16 bis 98 Prozent, gefolgt von „Kurzatmigkeit (10 bis 93 Prozent) und Kopfschmerzen mit 9 bis 91 Prozent. Über „Husten“ klagten innerhalb der ersten drei Monate nach dem akuten Infekt 11 bis 34 Prozent der Long-Covid-Patient*innen, von „Brustschmerzen“ waren zwischen 10 und 86 Prozent betroffen, „kognitive Schwierigkeiten“ hatten je nach Studie zwischen 4 und 89 Prozent der Proband*innen.
Nach drei bis sechs Monaten zählten „Müdigkeit/Erschöpfung“ (16 bis 78 Prozent) und „kognitive Beeinträchtigungen“ (13 bis 55 Prozent) zu den häufigsten Long-Covid-Symptomen. Darüber hinaus hatten 16 bis 21 Prozent mit „Atemwegsproblemen“ zu kämpfen.
Potenzielle, aber nicht bestätigte Risikofaktoren
Zwölf der insgesamt 28 Studien untersuchten auch mögliche Risikofaktoren. Die Ergebnisse von sechs Studien deuten darauf hin, dass das „weibliche Geschlecht“ die Entstehung von Long-Covid möglicherweise begünstigt. „Der Unterschied der Erkrankungshäufigkeit zwischen Männern und Frauen könnte aber auch andere Gründe als das biologische Geschlecht und die damit im Zusammenhang stehende Immunantwort haben. So ist etwa bekannt, dass es geschlechterspezifische Unterschiede im Gesundheitsverhalten gibt, wonach Frauen in Umfragen beispielsweise häufiger einen schlechteren Gesundheitszustand angeben als Männer“, betont Studienleiterin Sarah Wolf.
Ein weiterer potenzieller Risikofaktor für Long-Covid, der ebenfalls noch nicht bestätigt werden konnte, ist die hohe Anzahl an Symptomen während der akuten Infektionsphase. Auch ein höheres Alter der Patient*innen erhöht nicht per se die Wahrscheinlichkeit an Long-Covid zu erkranken.
„Die genauen Ursachen und Risikofaktoren, welche zur Entwicklung von Long-Covid-Symptomen führen, sind derzeit nicht bekannt. Aufgrund der großen Vielfalt unterschiedlichster Symptome, ist anzunehmen, dass mehrere Ursachen miteinander verwoben sind“, heißt es im KCE- und AIHTA-Bericht. So haben etwa Patient*innen mit schweren Covid-19-Verläufen, die künstlich beatmet werden mussten, ein erhöhtes Risiko Long-Covid-Symptome zu entwickeln. Bei diesen Patient*innen könnten mögliche Organschäden, die beispielsweise durch die intensivmedizinische Behandlung hervorgerufen wurden, die Ursache von Long-Covid sein. Davon abzugrenzen sind Long-Covid Symptome, die nicht auf eine Organschädigung zurückzuführen sind. „In den Studien wird jedoch nicht zwischen Long-Covid-Symptomen aufgrund von Organschäden und anderen Ursachen unterschieden“, erklärt Sarah Wolf. Die Studienautor*innen betonen deshalb, „dass es für zukünftige Studien eine genauere Charakterisierung und Klassifizierung von Long-Covid Symptomen und deren Ursachen benötigt, um Behandlungsstrategien für unterschiedliche Long-Covid-Patient*innengruppen effizient zu gestalten.“
Darüber hinaus wird eine einheitliche Definition von Long-Covid benötigt, um die Symptomatik von anderen Erkrankungen (z.B. das „Post-Intensive-Care-Syndrom) oder Ursachen (z.B. psychische Probleme aufgrund der langen Lockdowns/psychische Probleme als Folgewirkung der Maßnahmen zur Pandemiebekämfpung) abzugrenzen.
(Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH)
Originalpublikation:
Wolf, S. und Erdös, J. for the Belgian Health Care Knowledge Center (KCE). Epidemiology of long COVID: a premilinary report. Deutsche Kurzfassung zum gleichnamigen KCE-Bericht. AIHTA Projektbericht Nr. 135a; 2021. Wien: Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH.
Link zur Studie: https://eprints.aihta.at/1321/1/HTA-Projektbericht_Nr.135a.pdf