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Corona-Infektion durch Aerosole – Aachener Forscher: Klassenräume brauchen mehr Luft

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1.000 Studierende mit Maske in einem vollbesetzten Hörsaal – nicht vorstellbar in der Corona-Pandemie. Aber das Risiko, über Aerosole mit dem Virus angesteckt zu werden, ist nach Berechnungen von RWTH-Forschenden im großen modernen Hörsaal geringer als in vielen Klassenzimmern. Daten lassen auch Rückschlüsse auf Familienfeiern zu.

Wissenschaftlerteams der RWTH Aachen bewerten das Infektionsrisiko mit dem Coronavirus durch Aerosole in Klassenräumen im Vergleich zu anderen Raumtypen kritisch, wenn weder eine maschinelle Lüftung installiert noch ein Lüftungsleitfaden etabliert ist. Gründe seien die mitunter hohen Belegungsdichten und die langen Nutzungsdauern von Klassenräumen, stellt Professor Dirk Müller vom RWTH-Lehrstuhl für Gebäude- und Klimatechnik nach Vergleichsrechnungen fest. Analysiert wurde dabei das Ansteckungs-Risiko für unterschiedliche Raumtypen. Bei der Nutzung von Klassenräumen und Sporthallen müsse man mehr aufpassen als bei großen, vollbesetzten Hörsälen mit 1.000 Studierenden, schließt Müller aus den Ergebnissen.

Bewertet wurden Klassenzimmer, Hörsaal, Großraumbüro und Sporthalle im Vergleich zu einer Referenz-Situation: Sie bestand aus Schulstunde und Pause mit 25 Personen in einem durchschnittlich großen automatisch belüfteten Klassenraum, dessen Luftvolumen 4,4 Mal in der Stunde ausgetauscht wird. Diese Referenzsituation definiert in dem Modellansatz ein relatives Risiko von eins. Gemessen daran sehen die Wissenschaftler das Infektionsrisiko in Hörsälen und Großraumbüros als relativ gering an. Nur die Situation in Sporthallen mit starker körperlicher Belastung und einem hohen Ausstoß kleinster luftgetragener Partikel bewerten sie noch etwas kritischer als die Situation im schlecht belüfteten Klassenraum.

Private Feiern sind riskant

„Die Daten haben jetzt bestätigt, dass eine größere Feier zuhause viel riskanter sein kann als Veranstaltungen im öffentlichen Rahmen. Im privaten Bereich bei einer üblichen Fensterlüftung ist der Luftwechsel oft so gering, dass die Übertragung des Virus über den Aerosolweg gut funktioniert“, sagt Müller. Dagegen wäre in vielen öffentlichen Gebäuden, die über eine raumlufttechnische Anlage verfügen, die Infektionsgefahr deutlich geringer. Auch ein gut belüfteter Raum wie ein moderner Hörsaal sei selbst bei einer hohen Belegungsdichte viel weniger problematisch.

In Klassenräumen ohne maschinelle Belüftung könne vor allem im Winter ein höheres Ansteckungsrisiko entstehen, wenn nicht ausreichend über die Fenster gelüftet werde: Oft sei es draußen zu laut, die Schülerinnen und Schüler säßen im Durchzug und würden frieren. Das könne dazu führen, dass trotz aller Vorgaben zu wenig gelüftet werde. Untersuchungen aus den letzten Jahren zeigten, dass sich bei einer Fensterlüftung in Klassenräumen oft nur ein unzureichender Luftwechsel einstellt, was sich anhand von hohen CO2-Konzentrationen nachweisen lässt, wie Müller feststellt.

Bei einer angenommenen Maximalbesetzung mit 35 Personen kann sich so im Vergleich zum Referenz-Klassenraum ein fast zwölffach so hohes Infektionsrisiko ergeben. Selbst wenn man die Belegung auf 18 Personen senken würde, müsste die Luft in dem Raum 3,3 Mal pro Stunde ausgetauscht werden. Das entspricht den Angaben nach umgerechnet einem Außenluftvolumenstrom von 660 Kubikmeter pro Stunde.

Lüftungstechnik schützt vor Ansteckung

Wie oft muss das Fenster geöffnet werden, damit der Austausch reicht? Die Aachener sind beteiligt an der Erarbeitung von Lüftungsregeln des Bundesumweltamtes, die den Schulen Orientierung geben sollen - auch wenn es um die Überprüfung des Lüftungserfolgs geht: Mit einem einfachen Messgerät lasse sich die CO2-Konzentration im Raum ermitteln, so Müller.

Grundsätzlich könne ein Mund-Nasenschutz eine Lüftung nie ersetzen, wohl aber den notwendigen Luftaustausch senken. Ein wichtiger Einflussfaktor ist die Aktivität in einem Raum - ob nur der Lehrer spricht, mehrere Personen in Gruppenarbeit sprechen oder Sport treiben. Sport solle demnach in Hallen nur mit deutlich reduzierter Personenzahl oder draußen durchgeführt werden.

In großen Hörsälen empfehlen die Forscher zwar einen Mund-Nasenschutz, aber das Infektionsrisiko sei nach ihren Berechnungen vergleichsweise gering. Obwohl die Personendichte auf der Fläche mit der in einem Klassenraum vergleichbar sei, gebe es für jeden Anwesenden eine deutlich größere senkrechte Luftsäule und eine maschinelle Belüftung. Ein für diese Gebäude typischer zwei- bis dreifacher Luftwechsel pro Stunde reiche aus, damit das relative Infektionsrisiko nicht steige. Als unproblematisch bewertet wird auch die Situation in Großraumbüros mit Lüftungstechnik. Die Raumabmessungen und Bewegungsflächen sind nach den Arbeitsschutz-Regeln so großzügig bemessen, dass selbst bei einer Vollbesetzung das Ansteckungsrisiko durch Aerosole relativ gering sei.

„Aus meiner Sicht sollten wir genauer hinschauen, bevor über Maßnahmen entschieden wird“, betont Müller auch mit Blick auf die Maskenpflicht in einigen Fußgängerzonen: „Rein lufttechnisch gesehen ist eine Virusübertragung nicht vorstellbar, wenn dort die Abstandsregeln eingehalten werden.“

RTHW Aachen