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Der Mix macht’s: Die komplexe Biologie des Spinnengifts

Spinnen wie dieser Ammen-Dornfinger (Cheiracanthium punctorium), produzieren komplexe Gifte. Bild: Wolfgang Dibiasi

Tausende Komponenten steigern die Wirksamkeit – Forscher aus Gießen und Australien veröffentlichen Überblicksarbeit

Spinnen produzieren Gifte, um ihre Beute zu erlegen und um sich zu verteidigen. Das Gift einer einzigen Spinne kann Tausende Komponenten enthalten, was sie zu den chemisch komplexesten Giften des Tierreichs und somit zu bedeutsamen Quellen neuer Naturstoffe macht. Man schätzt, dass aus den etwa 50.000 bekannten Spinnenarten über 10 Millionen neue Naturstoffe isoliert werden können. Da bislang nur ein Bruchteil davon entdeckt wurde, besteht weltweit großes Interesse an der Erforschung von Spinnengift, um daraus neue Medikamente und andere Anwendungen ableiten zu können. Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME hat sich in einem Überblicksartikel jetzt intensiv mit der Biologie von Spinnengiften beschäftigt.


Ein Forscherteam der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Gießen hat gemeinsam mit Kollegen aus Australien erstmalig die gewonnenen Einsichten zur Biologie und Evolution von Spinnengiften in einem Übersichtsartikel zusammengefasst und interpretiert. Der Artikel erschien im renommierten Fachmagazin »Biological Reviews«.

Die Forscher kommen in dem Artikel zu neuen Perspektiven auf die komplexe Natur des Spinnengifts. „In der Vergangenheit betrachtete man Giftgemische oftmals als ein klar definiertes System, in dem bestimmte Einzelkomponenten für die Wirkung verantwortlich sind. Mit unserer Arbeit können wir aber zeigen, dass Spinnengifte sehr dynamisch sind und dass ihre Zusammensetzung und Funktionsweise von vielen Einflüssen abhängt,“ sagt Dr. Tim Lüddecke, Gruppenleiter der Arbeitsgruppe Tiergifte am Fraunhofer IME und Erstautor der Arbeit. „Spinnengift wird entscheidend vom Lebensabschnitt, Lebensraum und vor allem vom Geschlecht beeinflusst. Es ist außerdem eher das Zusammenwirken der vielen Bestandteile als die Wirkung eines einzelnen Toxins, das Spinnengift so wirksam macht. Durch ihre Wechselwirkungen steigern die Komponenten ihre Wirksamkeit und ergänzen sich so sprichwörtlich zu mehr als die Summe ihrer Teile“, führt Lüddecke weiter aus.

Der Artikel diskutiert weiterhin die möglichen Prozesse zur Evolution von Spinnengift und zeigt wichtige Zukunftsperspektiven in der Spinnengift-Forschung auf. Insbesondere das Sequenzieren und Analysieren von Genomen verschiedener Spinnen wird wichtig sein, um in Zukunft verstehen zu können, woher die Toxine und auch der Giftapparat der Spinnen stammen. „Die Genomforschung ist eine Zukunftstechnologie und wird auch in der Erforschung von Tiergiften eine Schlüsselrolle spielen. Insbesondere für Spinnen fehlt es zurzeit aber noch an brauchbaren Genomen, und das bestehende Repertoire muss hier dringend ergänzt werden. Dies wird uns helfen, die Evolution von Gift-Genen in Spinnen zu beleuchten“, berichtet der JLU-Insektenbiotechnologe Prof. Dr. Andreas Vilcinskas. „Die Evolution ist ein hervorragender Lehrmeister und das Verständnis darüber, wie Spinnengifte ihre erstaunliche Wirksamkeit erlangen konnten, wird uns helfen, auch die Suche nach neuen Wirkstoffen zu optimieren. Hier können Angewandte und Grundlagenforschung miteinander Hand in Hand gehen“, ergänzt Lüddecke.

Gefördert wurde die Arbeit durch das LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) in Frankfurt am Main und einen Future Fellowship des Australian Research Council.

(Justus-Liebig-Universität Gießen)


Originalpublikation:
Lüddecke T, Herzig V, von Reumont BM, Vilcinskas A (2021): The biology and evolution of spider venoms. Biol Rev Camb Philos Soc. doi: 10.1111/brv.12793

https://doi.org/10.1111/brv.12793