Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland verfolgt Genese, Umsetzung und Weiterentwicklung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) von Beginn an. Bereits 2014 hat er sich für eine unbürokratische Handhabung des WissZeitVG und dessen Novellierung ausgesprochen. Der im Frühjahr 2023 vorgelegte und wenig später wieder zurückgezogene Vorschlag aus dem Bundesforschungsministerium sowie die dadurch ausgelöste lebhafte Debatte sind Anlass für den VBIO, wesentliche Diskussionspunkte zu hinterfragen bzw. zu kommentieren.
Zentrales Anliegen des Biologenverbandes ist die zukunftsfähige Gestaltung des Wissenschaftssystems insgesamt. “Wir dürfen bei der Novelle des WissZeitVG das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren“, mahnt Prof. Dr. Karl-Josef Dietz, Präsident des VBIO. „Akademische Karrierewege müssen im Gesamtkontext diskutiert und weiterentwickelt werden. Die Bedürfnisse aller Betroffenen im Wissenschaftssystem müssen dabei mit den Erwartungen von Bundes- und Landespolitik und Gesellschaft abgeglichen werden. Nur dann kann das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zielgenau reformiert werden.“ Der VBIO erwartet eine integrative Diskussion zur Verbesserung des Wissenschaftssystems (siehe auch https://t1p.de/VBIO_Grunlagenforschung). „Wir als VBIO tragen dazu gerne selbst bei“, ergänzt Karl-Josef Dietz.
Die Überlegungen des VBIO im Einzelnen:
Offen mit Zielkonflikten umgehen
Universitäten und Forschungseinrichtungen müssen Orte innovativer Wissenschaft und konkurrenzkräftiger Exzellenz sein. Sie werden zunehmend nach Leistung ausgestattet, wobei hinsichtlich zukünftig geltender Verfahren und Kriterien noch erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Neben exzellenter Forschung ist gleichermaßen hochwertige Lehre nötig, um dem rasant steigenden Wissenszuwachs in einem sich kontinuierlich weiter entwickelnden System qualifizierender akademischer Bildung gerecht zu werden.
Aus Sicht des VBIO offenbart die Novelle des WissZeitVG das Dilemma zwischen den unterschiedlichen Erwartungen und den zunehmend unrealistischen finanziellen, personellen und nicht zuletzt auch bürokratischen Rahmenbedingungen. Die daraus resultierenden Zielkonflikte müssen offen und realistisch adressiert werden. Die derzeit kursierenden Reformvorschläge mit drastisch verkürzten Befristungen jenseits der Promotion versprechen nichts Gutes für die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems. Hier sind andere Staaten schon heute wesentlich attraktiver.
Die Qualifizierungsphase nach der Doktorarbeit erhalten
Die angedachte Begrenzung von befristeten Stellen auf drei Jahre nach der Promotion wird den betroffenen Postdocs und den bereits heute überregulierten Hochschulen weiter schaden. Postdocs müssen sich mit eigenen wissenschaftlichen Arbeiten profilieren können. Das ist gerade in experimentellen Disziplinen wie den Biowissenschaften in drei Jahren nicht möglich. Wer zukünftig unmittelbar nach der Promotion keine Stelle mit Tenure Track erwirbt, wird sich daher zeitnah nach einem Job außerhalb der Academia umsehen.
Der VBIO rät daher dringend, die derzeit sechsjährige Qualifizierungsphase für Postdoktorand/-innen nicht zu kürzen, sondern je nach Disziplin sogar weiter zu öffnen. Die Bewerbung auf eine auf 6 Jahren ausgelegte Juniorprofessur muss auch für „Spätberufene“ möglich sein. Der Forschungsstandort Deutschland muss international attraktiv bleiben.
Anschlussverträge rechtzeitig abschließen
Unstrittig ist, dass Verträge lange Laufzeiten haben sollen, die sich an Projektdauern oder Qualifikationszielen orientieren. Anschlussverträge können nach Maßgabe der verfügbaren Personalmittel in bestimmten Situationen wie etwa gegen Ende der Laufzeit dazu beitragen, prekäre Situationen zu vermeiden.
Dauerstellen für Daueraufgaben - diese Forderung ist sinnvoll. Aber statt befristete Anschlussverträge grundsätzlich abzulehnen, sollte aus Sicht des VBIO sichergestellt sein, dass Anschlussverträge langfristig verhandelt (z.B. zwölf Monate vor Vertragsende) und abgeschlossen werden. Selbstverständlich sollten sich auch diese Anschlussverträge an Mindestlaufzeiten orientieren. Das würde den Beschäftigten eine gewisse Planbarkeit geben, die momentan zu oft fehlt.
Flexibilität ermöglichen
Besonders in der Biologie ist der Erfolg von Experimenten nicht sicher planbar. In gleicher Weise schwierig und zeitlich kaum abschätzbar ist die nachgelagerte Publikation der Ergebnisse.
Der VBIO empfiehlt daher nachdrücklich belastbare Regelungen im Hochschulrecht, die eine Umsteuerung von Finanzmitteln und Stellen und damit eine Neuausrichtungen von Forschungsprojekten ermöglichen. Diese Flexibilität ist unabdingbar für Innovation und Konkurrenzfähigkeit von Forschenden, Hochschulen und Forschungseinrichtungen des Wissenschaftsstandortes Deutschland. Die Flexibilisierung erfordert auf Seiten der Hochschulen bzw. Forschungseinheiten ein entsprechendes Personalkonzept mit systematischer Bedarfsanalyse und kompetitiver Besetzung der Stellen.Diese Flexibilität muss dabei auch den Beschäftigten zu Gute kommen, die ihre Karriere dann nach fachlich-inhaltlichen Kriterien und nicht nach bürokratischen Leitlinien ausrichten können.
Grundfinanzierung verbessern
Die Politik und die Hochschulverwaltungen verlangen in regelmäßigen Abständen fachliche Schwerpunktbildung entsprechend den jeweils aktuellen Exzellenzinitiativen oder Ausschreibungen. Die Überreste früherer Initiativen bestehen allerdings häufig weiter. Diese engen neue Projekte und Programme zunehmend ein, da sie wegen Verstetigungsverpflichtungen Haushaltsmittel binden.
Der VBIO empfiehlt daher, dass strukturell langfristige Kosten auch über die Projektlaufzeit hinaus durch die Förderinstitutionen ausfinanziert werden. Um mittelfristig neuartige Beschäftigungskonzepte verfolgen zu können, muss die Grundfinanzierung der Hochschulen deutlich verbessert werden.
Faire und angemessene Verträge für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte sicher stellen
Die Studierenden sind das schwächste Glied der akademischen Wertschöpfungskette, müssen aber besonders gefördert werden.
Der VBIO mahnt daher rechtssichere Verträge für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte an, deren Laufzeiten sich an den Bedürfnissen der Beteiligten orientieren. Hier müssen individuelle Regelungen berücksichtigt werden - etwa auf der Ebene von Teilzeit und im Takt von Modulen oder Projektarbeiten. Die hier geleisteten Zeiten dürfen weder auf Vertragslaufzeiten von Promotionen noch auf spätere Phasen angerechnet werden.
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