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Die Besiedlung mit Mikroben hängt vom Wirt ab

Süßwasserpolyp Hydra
Am Beispiel des Süßwasserpolypen Hydra hat das Kieler Forschungsteam ein vereinfachtes Modell der Interaktionen der dominanten Bakterienarten innerhalb des Mikrobioms nachgestellt. © Dr. Alexander Klimovich

Forschungsteam untersucht am Beispiel des Süßwasserpolypen Hydra die grundlegenden Prinzipien beim Zustandekommen des Mikrobioms

Jedes vielzellige Lebewesen auf der Welt ist von einer unvorstellbar großen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt und hat sich in der Entstehungsgeschichte des Lebens gemeinsam mit ihnen entwickelt. Das natürliche Mikrobiom, also die Gesamtheit dieser Bakterien, Viren und Pilze, die in und auf einem Körper leben, ist von fundamentaler Bedeutung für den Gesamtorganismus: Einerseits übernimmt es zum Beispiel von der Unterstützung der Nahrungsaufnahme bis hin zum Schutz vor Krankheitserregern lebenswichtige Aufgaben für das Wirtslebewesen. Andererseits können Störungen des Mikrobioms verschiedene schwerwiegende Krankheiten verursachen, beim Menschen zum Beispiel Diabetes, Morbus Crohn oder andere chronische Entzündungskrankheiten. Forschende weltweit untersuchen daher seit einigen Jahren intensiv die hochkomplexen Interaktionen von Wirtslebewesen und Mikroorganismen und ihre Beteiligung an zentralen Lebensprozessen. Eine besondere Herausforderung dabei ist es, zunächst eine Normalzusammensetzung des gesunden Mikrobioms zu definieren.


Einem Forschungsteam aus der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) gelang nun ein wichtiger Schritt auf diesem Weg: Am Beispiel des Süßwasserpolypen Hydra untersuchten die Forschenden um Professor Thomas Bosch, welche grundlegenden Prinzipien bei der Ansiedlung des Mikrobioms in einem Organismus wirken. Dazu unternahmen sie Zeitserienexperimente mit den beiden häufigsten Bakterienarten (Curvibacter und Duganella) des Hydra-Mikrobioms und beobachteten, wie sie bei ihrem Wachstum in einer künstlichen Umgebung miteinander und mit ihrer Umwelt interagieren. Anschließend verglichen sie die gemeinsame Ansiedlung der beiden Bakterien auf dem Wirtslebewesen. Das Forschungsteam konnte zeigen, dass eine natürliche Mikrobiom-Zusammensetzung nur unter den spezifischen Lebensbedingungen des Wirtes zustande kommen kann – also die Umwelt einen entscheidenden Einfluss auf das Mikrobiom ausübt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des CAU-Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ heute in der Fachzeitschrift mBio.

Ein neuer Untersuchungsansatz
Das Mikrobiom eines Lebewesens bildet ein eigenständiges und unter normalen Umständen stabiles Ökosystem. Die spezifische Zusammensetzung und Häufigkeit der darin vorkommenden verschiedenen Mikrobenarten beeinflusst die Lebensfunktionen und die Gesundheit des Wirtsorganismus. Wie diese charakteristischen Muster der Mikrobiom-Zusammensetzung zustande kommen, wird gegenwärtig intensiv erforscht. Das Kieler Forschungsteam bediente sich eines neuen Ansatzes, der auf einer Zeitserienbeobachtung eines neu entstehenden künstlichen Mikrobioms beruht: „Wir haben das einfache Mikrobiom der Hydra gewissermaßen in seine Bestandteile zerlegt und im Reagenzglas ein vereinfachtes Modell der Interaktionen der dominanten Bakterienarten nachgestellt: Duganella und Curvibacter konnten unter diesen Bedingungen nicht koexistieren, Curvibacter starb immer aus“, betont Erstautor Dr. Peter Deines, ehemaliger Wissenschaftler in der CAU-Zell- und Entwicklungsbiologie und SFB 1182-Mitglied. „In der künstlichen Umgebung setzt sich Duganella immer gegen Curvibacter durch und verdrängt es dank seiner besseren Konkurrenzfähigkeit im Laufe der Zeit“, so Deines weiter. Auf diesem Weg konnten die Forschenden die grundsätzliche Populationsdynamik dieser beiden Bakterien im direkten Kontakt miteinander bestimmen und auf dieser Grundlage anschließend den Einfluss der Wirtsumgebung auf die Bakterienzusammensetzung ableiten.

Dazu haben die Kieler Forschenden sterile, also von Mikroorganismen befreite, Hydren mit den beiden Bakterien besiedelt. „Hier zeigte sich ein ganz anderes Bild, denn unter den Lebensbedingungen des Wirtstieres konnte Curvibacter existieren, jedoch noch immer nicht in den Verhältnissen die man in der Natur findet. Das deutet darauf hin, dass den selteneren Bakterien des Mikrobioms hier eine wesentliche Rolle zukommt“, betont Deines, dessen Arbeit durch einen Marie Curie-Grant der Europäischen Union gefördert wurde. Dieser deutliche Effekt lässt den Schluss zu, dass beide Bakterienarten nur im Ökosystem des Wirtsorganismus und als Teil der gesamten bakteriellen Lebensgemeinschaft stabil nebeneinander existieren können. Dieser Wirtseffekt kommt möglicherweise unter anderem durch die räumliche Verteilung der verschiedenen Bakterien innerhalb des Körpers zustande.

Systembiologie der Wirts-Mikroben-Beziehungen
Die nun vorlegte Arbeit ist auch in methodischer Hinsicht bedeutend. Die häufig zur Bestimmung der Mikrobiom-Zusammensetzung genutzte DNA-Sequenzierung der vorhandenen Mikroorganismen ist prinzipiell nur eine Momentaufnahme, bei der die zeitliche Entwicklung der Populationsdynamik weitgehend verloren geht. Wichtig für das Verständnis der Mikrobiom-Zusammensetzung ist es aber, wie in den Experimenten der Kieler Forschenden auch den zeitlichen Ablauf zu betrachten. Ihre Arbeit beruht also einerseits auf der Beobachtung der mikrobiellen Populationsentwicklung über die Zeit, andererseits auf einer Simplifizierung der Interaktionen innerhalb des Mikrobioms im Sinne eines systembiologischen Ansatzes. Damit lassen sich vor allem bei einfachen Modellorganismen einzelne Bestandteile aus dem Gesamtsystem der Mikrobengemeinschaft herauslösen und nach dem Baukasten-Prinzip kombinieren, um mittels dieser Vereinfachung die Prinzipien ihres Zusammenspiels nachvollziehen zu können.

Auf diese Weise gelang es dem Kieler Forschungsteam zudem, die maximale Tragfähigkeit des Ökosystems innerhalb des Wirtsorganismus zu bestimmen. Damit ist die maximale Beladungsfähigkeit eines Gewebes oder einer Zelle mit einer bestimmten Anzahl von Mikroben gemeint. So konnten sie einen wichtigen Bestandteil zur Beschreibung eines Normalzustandes des Mikrobioms zu identifizieren. „Die mikrobielle Tragfähigkeit eines Wirtes ist eine wichtige Variable seines Gesundheitszustandes, die in der bisherigen Forschung nur wenig beachtet wurde“, betont SFB 1182-Sprecher Bosch. „Viele Erkrankungen, auch des Menschen, entstehen, wenn diese Tragfähigkeit über- oder unterschritten wird - etwa bei Darmerkrankungen, die durch ein schädliches, weil zu starkes und überproportionales Wachstum bestimmter Bakterienarten im Verdauungstrakt geprägt sind“, so Bosch weiter. Erste Indizien weisen im Hydra-Modellsystem zudem darauf hin, dass sich bestimmte Krankheitserscheinungen durch eine geänderte Ernährung und deren Auswirkung auf die Zusammensetzung des Mikrobioms positiv beeinflussen lassen. In weiteren Forschungsarbeiten wollen die Mitglieder des Kieler SFB 1182 diese Zusammenhänge von mikrobieller Tragfähigkeit und Gesundheitszustand bei verschiedenen Lebewesen genauer untersuchen, um daraus in Zukunft mögliche therapeutische Eingriffe in das Mikrobiom ableiten zu können.

(Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)


Deines P, Hammerschmidt K, Bosch TCG (2020):
Microbial species coexistence depends on the host environment. mBio First published 21 July 2020
https://doi.org/10.1128/mBio.00807-20