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Unerwünschte Duplikationen, ungenaue Tests: Studie nährt Zweifel an der „Genschere“ CRISPR/Cas9

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Vor acht Jahren veränderte eine Entdeckung die Gentechnik von Grund auf: CRISPR/Cas9, bekannter als „Genschere“. Eine Forschergruppe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) hat nun eine Studie veröffentlicht, die Zweifel an der Genschere nährt: Das Team fand heraus, dass sich mit CRISPR/Cas9 erzeugte Gensequenzen von selbst duplizieren und dies mit Standard-Testverfahren nicht zu entdecken ist. Die größte Gefahr liegt laut der Arbeitsgruppe vor allem in etwaigen Mutationen durch das CRISPR-System. Sie könnten zu schwerwiegenden Fehlern bei der menschlichen Gentherapie führen – gerade den Anwendungen, wegen denen CRISPR zum Hoffnungsträger der molekularen Forschung aufstieg.

Schnipp, schnapp – alles schien so einfach. Vor acht Jahren veränderte eine Entdeckung die Gentechnik von Grund auf: Forscher fanden eine Methode, in die genetische Codierung von Organismen einzugreifen. Gemeint ist CRISPR/Cas9, bekannter als „Genschere“. Die Verheißungen der neuen Methode waren vielfältig, sie reichten bis zu einer Lösung für Krebs oder Erbkrankheiten. Jedoch gab und gibt es auch Bedenken gegenüber der gentechnischen Neuerung, teils ethischer, teils fachlicher Natur. Eine Forschergruppe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) um Dr. Dr. Boris Skryabin und Dr. Timofey Rozhdestvensky hat nun im Fachmagazin „Science Advances“ eine Studie veröffentlicht, die Zweifel an der „Genschere“ nährt: Das Team fand heraus, dass sich mit CRISPR/Cas9 erzeugte Gensequenzen von selbst duplizieren und dass dies mit Standard-Testverfahren nicht zu entdecken ist.

Das CRISPR/Cas9-System ist eine noch relativ neue Methode aus der Molekularbiologie, um die DNA eines Organismus gezielt zu verändern. Ihre Entwicklung basierte auf der Beobachtung, wie sich Bakterien vor schädlichen Viren schützen. Sogenannte Cas-Proteine spalten die DNA der eingedrungenen Viren auf; die Fragmente werden in Abschnitte im Bakterien-Erbgut eingefügt, die aus sich wiederholenden DNA-Sequenzen bestehen – dem CRISPR-Abschnitt. Wird das Bakterium erneut von einem Virus befallen, erfolgt ein Umbau der CRISPR-Abschnitte in RNA (Ribonukleinsäure), welche die DNA der eindringenden Viren überprüft und bei Wiedererkennung durch Cas-Proteine zerschneidet. In der Gentechnik funktioniert dieses System nicht nur in Bakterien, sondern in jedem Organismus. DNA-Stränge werden an bestimmten Stellen gezielt „aufgetrennt“ und einzelne Sequenzen können ausgeschnitten, ausgetauscht oder auch neu eingefügt werden. Im Grunde handelt es sich um eine gezielt initiierte Mutation.

Die münsterschen Forscher um Dr. Dr. Boris Skryabin, Leiter der Einrichtung für transgene Tier- und Gentechnikmodelle (TRAM) an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster, identifizierten jetzt eine Schwachstelle des CRISPR/Cas9-Systems. In Kooperation mit dem Institut für Immunologie, welches Funktionen des S100A8-Gens in Immunzellen erforscht, wollte die TRAM ein entsprechendes Mausmodell generieren. Hierfür wollten die Forscher in Mäusen das ursprüngliche Gen mit einem Konstrukt ersetzen, in dem das S100A8-Gen von spezifischen Gensequenzen umgeben ist. Letztere verleiten Enzyme dazu, das Gen aus der DNA zu entfernen. Ursprünglich sollte der Versuch zu einem sogenannten conditional gene knockout bei den Mäusen führen, also zu einer gezielten Ausschaltung von Genen in zu untersuchenden Geweben. Die Forscher injizierten das Gen-Konstrukt in befruchtete Mäuse-Eizellen, zusammen mit dem DNA-schneidenden Cas9-Enzym und seiner codierenden RNA. Als Kontrolle führten sie bei den geborenen Mäusewelpen verschiedene PCR-Untersuchungen durch. Diese Tests – PCR steht für Polymerase-Ketten-Reaktion – sind eine ultraempfindliche Form der DNA-Analyse.

Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher nur in zwei von 34 Welpen den „richtigen“ Geneinschluss. Um einen Zufall auszuschließen, führten die Forscher weitere Kreuzungen mit genunveränderten Mäusen durch und unterzogen die daraus entstandenen Welpen spezifischeren Gentests. Resultat war eine noch überraschendere Entdeckung, nämlich, dass ein beträchtlicher Teil der Mäuse bis zu drei Duplikationen der eingefügten Gensequenz in sich trug. Die Forscher vermuteten, dass dies ein häufiges Problem darstellen könnte, das von einer Standard-PCR nicht erkannt würde. Sie wiederholten daher das Experiment mit dem IL4-Gen und stellten fest, dass 30 von 50 Tieren mehrfache Kopien anstatt einer einzelnen geplanten aufwiesen. Auch in weiteren Mauslinien, welche die TRAM für parallel laufende Projekte herstellte, zeigten sich die gleichen Ergebnisse. Die Hypothese der nicht ausreichenden Standard-PCR-Analyse war damit bestätigt.

Laut der Arbeitsgruppe liegt die größte Gefahr der unerkannten Duplikationen durch das CRISPR-System vor allem in etwaigen Mutationen. „Diese könnten zum Beispiel zu schwerwiegenden Fehlern bei der menschlichen Gentherapie führen – also gerade bei den Anwendungen, wegen denen CRISPR zum großen Hoffnungsträger der molekularen Forschung aufgestiegen ist“, warnt Dr. Dr. Skryabin. Ihren Kollegen in der Forschung empfehlen die Studienautoren, gerade bei genetischen Einschlüssen (Insertionen) spezialisierte PCR-Analysen und weitere Methoden zur Genanalyse durchzuführen, um so repetitive Sequenzen ausfindig zu machen.

Medizinischen Fakultät der Universität Münster


Originalpublikation:

B. V. Skryabin et al. (2020): Pervasive head-to-tail insertions of DNA templates mask desired CRISPR-Cas9-mediated genome editing events. Science advances; DOI: 10.1126/sciadv.aax2941

https://doi.org/10.1126/sciadv.aax2941