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Alles außer Abholzung: Unterschätzte Gefahren für den Regenwald

Die Analyse vorhandener Daten über das Ausmaß von Feuer, sogenannten Randeffekten von z.B. landwirtschaftlicher Nutzung und Holzentnahme zwischen 2001 und 2018 zeigt, dass 5,5 % des Amazonaswaldes in einem degradierten Zustand sind, was 112 % der gesamten abgeholzten Fläche in diesem Zeitraum entspricht. Bild: Ben Sutherland

Bisher war in wissenschaftlichen Untersuchungen zur Zerstörung der Regenwälder vor allem deren Rodung Forschungsgegenstand. Nun hat ein interdisziplinäres Forscherteam mit Kasseler Beteiligung erstmals Ursachen und Effekte weiterer menschengemachter Schäden am Beispiel des Amazonasregenwaldes untersucht.

Regenwälder sind von enormer Bedeutung für das Klima, die biologische Vielfalt und das Wohlergehen der Menschheit. Ihre Zerstörung verursacht einen großen Teil der weltweiten CO2-Emissionen. Eine größere Rolle als bisher angenommen spielt dabei die Degradation von Waldökosystemen, also menschengemachte Schäden, die nicht durch die direkte Abholzung der Wälder zustande kommen. Das geht aus Ergebnissen hervor, die von einem Forscherteam mit Kasseler Beteiligung in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurden.

Degradation kommt zum Beispiel durch Dürren, Waldbrände, Holzentnahme oder infolge landwirtschaftlicher Nutzung angrenzender Flächen zustande. Zusammengenommen führen sie nach Einschätzung der Forschenden zu einem vergleichbaren Verlust an Biodiversität und mindestens ebenso hohen CO2-Emissionen wie die Abholzung der Tropenwälder. Diese negativen Folgen zeigen sich allerdings oft schleichend. Bei einer anhaltenden Baumsterblichkeit infolge eines Waldbrandes beispielsweise stoßen betroffene Wälder in einigen Fällen über einen langen Zeitraum mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre aus, als sie absorbieren, ohne dass dieser Effekt sofort absehbar ist.
„Wir haben es darüber hinaus mit vielschichtigen Rückkopplungseffekten zu tun“, so Prof. Dr. Rüdiger Schaldach, einer der beteiligten Forschenden und Leiter der Forschungsgruppe Globale und Regionale Dynamiken an der Universität Kassel. „Es kommt aufgrund des Klimawandels mittlerweile häufiger zu Dürren im Amazonasgebiet. Diese begünstigen Brände, welche einen vermehrten Ausstoß von CO2-Emissionen zur Folge haben und damit letztlich wiederum zum Klimawandel beitragen."

Aber nicht nur die Folgen, auch die Ursachen der Degradation haben die Forscherinnen und Forscher untersucht. Auch sie sind multidimensional und beeinflussen sich gegenseitig. So sind Waldbrände in vielen Fällen auf bestimmte Landwirtschaftspraktiken zurückzuführen, die ihrerseits durch lokale gesellschaftliche Faktoren, den Klimawandel und wirtschaftliche Zusammenhänge beeinflusst werden. Die Ergebnisse können, so hoffen die Forschenden, dabei helfen, eine solide Grundlage für Strategien und Programme zur Bekämpfung der Zerstörung der Regenwälder zu entwickeln.

Universität Kassel


Originalpublikation:

David M. Lapola et al.: The drivers and impacts of Amazon forest degradation,Science,27 Jan 2023, https://www.science.org/doi/10.1126/science.abp8622