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Eine Achillesferse, die Tiere und Pflanzen teilen

Biomolekül Diphthamid
Das Team von Ute Krämer untersucht die Genetik und Physiologie von Pflanzen. Mitarbeiterin Rebekka Fresen arbeitet mit Modellpflanzen im Gewächshaus. © Klaus Hagemann

Das Biomolekül Diphthamid ist unerlässlich für die richtige Bildung von Proteinen in Zellen. Bei Infektionen des Menschen mit Diphtherie wird Diphthamid durch das Diphterietoxin verändert, sodass lebensbedrohliche Komplikationen entstehen können, indem die Bildung von Proteinen zum Erliegen kommt. Bislang war das Vorkommen von Diphthamid nur bei Tieren und Hefepilzen nachgewiesen. Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Ute Krämer, Inhaberin des Lehrstuhls Molekulargenetik und Physiologie der Pflanzen der Ruhr-Universität Bochum, konnte nun nachweisen, dass das Biomolekül auch in Pflanzen vorkommt.

Die Forschenden zeigten auch, dass seine Bildung von bestimmten Umweltfaktoren beeinträchtigt werden kann. Für die Arbeit kooperierten unter Federführung des Lehrstuhls von Ute Krämer die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Raffael Schaffrath an der Universität Kassel und Prof. Dr. Lorenz Adrian an der Technischen Universität Berlin sowie weitere Forschungsgruppen in Deutschland.

Pflanzen ohne Diphthamid wachsen weniger

Das Biomolekül Diphthamid ist eine natürliche Modifikation des sogenannten Elongationsfaktor-2 Proteins vieler Organismen. Dieses Protein ist Teil der Komponenten, die für den Aufbau aller Proteine in der Zelle verantwortlich sind. „Diese Modifikation ist seit langem bekannt als das Ziel des Diphtherietoxins, das bei Infektionen des Menschen mit Diphtherie für lebensbedrohliche Komplikationen sorgen kann, indem es die zelluläre Synthese von Proteinen unterbindet“, erklärt Ute Krämer. „Bakteriell verursachte Infektionen mit Diphtherie sind seit dem Altertum belegt und waren bis ins 19. Jahrhundert, bevor ein Impfstoff entwickelt wurde, sehr gefürchtet.“

Bislang war Diphthamid nur in tierischen Organismen und der Bäckerhefe – als Modellorganismus der medizinischen Forschung – bekannt und genauer untersucht. Das Team um Ute Krämer konnte nun zeigen, dass Diphthamid auch in Pflanzen gebildet wird und eine wichtige Funktion ausübt: Fehlt die Fähigkeit zur Diphthamidbildung in der Pflanze, so kommt es zu einer erhöhten Fehlerrate in der Proteinbiosynthese. Darüber hinaus verringert sich das Wachstum der Pflanze durch verringerte Zellteilung. Mehrere festgestelllte Veränderungen in zentralen zellulären Regulationsprozessen könnten ursächlich zur Wachstumseinschränkung beitragen.

Stress beeinflusst die Diphthamidbildung

Der aus Säugetieren und der Hefe bekannte wesentliche Anfangsschritt der Biosynthese von Diphthamid findet auch in Pflanzen statt und somit wahrscheinlich auch die darauf folgenden Schritte bis zu dem in Pfanzen nun nachgewiesenen Diphthamid – so die Resultate der Studie. „Ganz neu ist allerdings, dass nicht nur genetische Defekte zu einem Verlust von Diphthamid führen können“, erklärt Ute Krämer. „Auch Umweltstress, insbesondere ein Überschuss des Nährstoff-Spurenelements Kupfer oder des Umweltgiftes Cadmium, hemmen die Diphthamidbildung in Pflanzen.“ In Gegenwart erhöhter Kupferkonzentrationen wiesen auch menschliche Zellen einen Diphthamidmangel auf. Diese Erkenntnisse identifizieren einen neuen Einflussfaktor auf die Wachstumsrate von Pflanzen, und sie könnten auch einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Entstehung von Krankheiten leisten. „Es ist nun zu untersuchen, ob auch pflanzliche Pathogene Diphthamid als Achillesferse nutzen – so wie der Erreger der Diphtherie beim Menschen“, so Ute Krämer.

Ruhr-Universität Bochum


Originalpublikation:

Hongliang Zhang et al.: Translational fidelity and growth of Arabidopsis require stress-sensitive diphthamide biosynthesis, in: Nature Communications, 2022, DOI: 10.1038/s41467-022-31712-7, https://www.nature.com/articles/s41467-022-31712-7