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Nervenkrankheit ALS: Mehr als nur ein Motor-Problem im Gehirn?

Neurologen und Neurowissenschaftlern vom Leibniz-Institut für Neurobiologie gelang

gemeinsam mit Kollegen der Universitätsklinik für Neurologie Magdeburg, des DZNE

Magdeburg sowie der Medizinischen Hochschule Hannover ein wichtiger Schritt in der

Erforschung von ALS. Mit einem neuen Analyseverfahren konnten sie zeigen, dass ALS

und frontotemporale Demenz eng verwandte Krankheitsbilder sind, auch wenn ALSPatienten nicht dement sind. Über ihre Untersuchungen berichten die

Neurowissenschaftler nun in der Fachzeitschrift "Scientific Reports".

 

Stephen Hawking ist vielleicht ihr berühmtester Patient, doch insgesamt leiden weltweit ca.

150.000 Menschen an der ALS-Krankheit. Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine

seltene degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Dabei werden die

Nervenzellen, die für die Bewegungen von Muskeln im gesamten Körper verantwortlich sind,

immer weiter abgebaut. Als Folge werden die Muskeln immer schwächer und die Patienten

verlieren ihre Beweglichkeit, was bisher kaum durch eine Therapie behandelt werden kann.

Die durch die Erkrankung bedingte Muskelschwäche führt typischerweise innerhalb weniger

Jahre nach ihrem Ausbruch zum Tod durch Atemversagen. Die mittlere Überlebensdauer

nach Diagnosestellung beträgt nur etwa drei Jahre. Allerdings sind auch Fälle mit einer

Überlebensdauer von bis zu 15 Jahren oder mehr beschrieben. Stephen Hawking feierte

gerade seinen 75. Geburtstag, obwohl er bereits mit 21 Jahren an ALS erkrankte. Die

Ursachen der Erkrankung sind bislang weitestgehend unbekannt. Derzeit wird in der

klinischen Forschung die Vermutung verfolgt, dass eine Verwandtschaft zwischen ALS und

frontotemporaler Demenz, einer seltenen Form der Demenz, bestehen könnte.

 

Unter der Leitung von Prof. Dr. Mircea Ariel Schoenfeld untersuchte das interdisziplinäre

Team mittels funktioneller Kernspintomographie eine Gruppe von 64 ALS-Patienten ohne

Gedächtnisstörungen und 38 gesunde Probanden. Es ging vor allem um die Frage, ob die

funktionelle Verknüpfung einzelner Hirnbereiche bei den Patienten verändert ist. Mit Hilfeeiner neuen selbstentwickelten Analysemethode fand das Team zunächst erwartungsgemäß,

dass bei ALS-Patienten tatsächlich vor allem jene Hirnregionen schlechter funktionell

miteinander verknüpft sind, die für Bewegungen verantwortlich sind. Interessanterweise

zeigte die Analyse solche gestörten funktionellen Verbindungen aber auch in ganz anderen

Hirnregionen, nämlich im Hinterhaupt- und Scheitellappen, in denen bei der

frontotemporalen Demenz typischerweise neurodegenerative Veränderungen auftreten.

Diese Befunde belegen, dass frontotemporale Veränderungen ein Kernbestandteil der ALS-Erkrankung

sind, obwohl die untersuchten Patienten nur schwache oder gar keine

kognitiven Einbußen hatten. Das Besondere an der Studie ist also, dass hier zum ersten Mal

krankheitsspezifische Hirnfunktionsveränderungen nachgewiesen werden konnten, bevor

die entsprechenden Demenz-Symptome wie z.B. Vergesslichkeit auftreten. Die Ergebnisse

zeigen die enge Verwandtschaft zwischen ALS und frontotemporaler Demenz und werden

zur Entwicklung von Biomarkern für diese und andere neurodegenerative Erkrankungen

beitragen, für deren Analyse das neue Verfahren künftig auch eingesetzt werden kann.

 

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Loewe, K. et al.: Widespread temporo-occipital lobe dysfunction in amyotrophic

lateral sclerosis. Sci. Rep. 7, 40252 (2017); doi: 10.1038/srep40252 Leibniz-Institut für Neurobiologie www.nature.com/articles/srep40252