VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Tue, 04 Nov 2025 08:32:44 +0100 Tue, 04 Nov 2025 08:32:44 +0100 TYPO3 news-33927 Tue, 04 Nov 2025 08:02:42 +0100 Wissenschaftsfreiheit bedroht – Kürzungen bei ZB MED gefährden auch Open-Access-Angebote https://www.vbio.de/aktuelles/details/wissenschaftsfreiheit-bedroht-kuerzungen-bei-zb-med-gefaehrden-auch-open-access-angebote Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zeigt sich besorgt über die geplanten Kürzungen der Finanzierung der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED). Hierdurch wird auch die Fortsetzung des Open-Access-Kooperationsprojekts German Medical Science (GMS) gefährdet. GMS ist ein nicht-kommerzielles Portal für die Publikation wissenschaftlicher medizinischer Forschungsdaten. Die AWMF fordert, dass das gemeinsame Leuchtturmprojekt GMS und damit die barrierearme Verfügbarkeit wissenschaftlicher Daten nachhaltig gesichert werden muss.  Trotz ihrer strategischen Bedeutung ist die Finanzierung der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) bisher nicht gesichert. Neben Literatur- und Genomdatenbanken stellt ZB MED der Fachwelt und der Öffentlichkeit auch Plattformen für die digitale Publikation neuer wissenschaftlicher medizinischer Forschungsdaten und Living Textbooks zur Verfügung. „Wissenschaftliche medizinische Publikationen als Open Access bieten einen offenen Zugang zu Literatur und Forschungsdaten“, erklärt Prof. Rolf-Detlef Treede, Präsident der AWMF. „Während die Leserschaft von Open Access durchgehend profitiert, machen die teilweise exorbitant hohen Publikationsgebühren der kommerziellen Anbieter die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse für Forschende zu einer zunehmend schwerer überwindbaren Hürde“, ergänzt er. 

„Das seit 2003 bestehende Open-Access-Portal German Medical Science (GMS) wird gemeinsam durch AWMF und ZB MED betrieben. Diese Kooperation stellt bis heute aufgrund ihrer nicht-kommerziellen Ausrichtung ein Leuchtturmprojekt für das Open-Access-Publizieren dar“, sagt Dennis Makoschey, Geschäftsführer der AWMF und der GMS gGmbH. „Über GMS werden neben unserem interdisziplinären Journal derzeit 16 weitere medizinische Fachzeitschriften herausgegeben. Alle Publikationen durchlaufen eine Begutachtung durch Fachleute und sind nach Bestehen sofort digital und kostenfrei zugänglich“, erklärt er. „GMS als Projekt von AWMF und ZB MED leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Wissenschaftsfreiheit. Die langfristige Sicherung des Projekts GMS bedarf einer nachhaltigen Finanzierung der ZB MED durch Bundesländer und Bund”, fordert Makoschey.

(Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.)

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Wissenschaft
news-33926 Mon, 03 Nov 2025 14:12:35 +0100 Neue Förderinitiative der DFG zum Sichern gefährdeter Datenbestände und zur Datenresilienz https://www.vbio.de/aktuelles/details/neue-foerderinitiative-der-dfg-zum-sichern-gefaehrdeter-datenbestaende-und-zur-datenresilienz Für den Zeitraum von 2025 bis voraussichtlich 2027 stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG Mittel zur Verfügung, um Anstöße zur Resilienz von Dateninfrastrukturen zu geben.Dabei sollen Datensätze und Forschungsergebnisse aus Repositorien im Ausland, die für die deutsche Forschung besonders wichtig sind und bei denen Gefahr besteht, dass sie bereits jetzt bzw. künftig nicht mehr für die Forschung zur Verfügung stehen, gesichert und für die Wissenschaft verfügbar gemacht werden. Gefördert werden Maßnahmen zur Beschaffung von Speicherkapazitäten, zur Bereitstellung personeller Ressourcen für das Erschließen, Kuratieren oder die fachliche Aggregierung von Daten, rechtliche Prüfungen sowie zur Einbindung gesicherter Datensätze in überregionale oder europäische Strukturen. Ebenso kann die Entwicklung von Rahmenbedingungen und Technologien zur Einbindung entsprechender Repositorien und Infrastrukturen in überregionale oder europäische Verbünde / Clouds gefördert werden. 

Die Förderinitiative zielt auf die Jahre 2025 bis 2027. Anträge zur Förderung von Initiativen zur Datensicherung können kontinuierlich bis zum 30. September 2027 eingereicht werden. 

Anträge auf Förderung im Jahr 2025 müssen bis spätestens 10. November 2025 eingereicht werden.

(DfG)


Weitere Informationen zum Thema Datenbanken in Gefahr
Weitere Informationen zum Förderprogramm der DFG

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Wissenschaft Bundesweit
news-33925 Mon, 03 Nov 2025 12:55:17 +0100 Erster Nachweis: Heringe kehren zum Laichen an ihren Geburtsort zurück https://www.vbio.de/aktuelles/details/erster-nachweis-heringe-kehren-zum-laichen-an-ihren-geburtsort-zurueck Eine aktuelle Studie belegt erstmals, dass auch der Atlantische Hering eine sogenannte Brutort-Treue besitzt. Deshalb kehren die meisten Heringe der westlichen Ostsee zum Laichen an den Ort ihrer Geburt zurück, etwa in den Greifswalder Bodden. Die Erkenntnis ist ein wichtiges Argument für den Schutz von Küstenlebensräumen.  Zugvögel, Meeresschildkröten und Lachse haben etwas gemeinsam: Jahr für Jahr kehren sie an die Orte ihrer Geburt zurück, um sich fortzupflanzen. Eine jetzt im Fachjournal Science Advances veröffentlichte Studie zeigt, dass auch der Atlantische Hering in der Ostsee diese Brutort-Treue besitzt. Erstmals konnte ein internationales Forschungsteam unter Federführung von Dr. Dorothee Moll vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock belegen, dass Heringe mit hoher Wahrscheinlichkeit genau in jenen Buchten, Lagunen und Flussmündungen laichen, in denen sie selbst geschlüpft sind (natal homing).

Für die Studie haben die Forschenden eine Art chemischen Fingerabdruck aus den Gehörsteinen (Otolithen) der Fische erstellt sowie genetische Analysen durchgeführt, um Herkunft und Fortpflanzungswanderungen der Tiere bestimmen zu können. Die Ergebnisse zeigen: 56 bis 73 Prozent der Heringe kehren zur Fortpflanzung in ihr Geburtsgebiet zurück – unabhängig von der Größe des jeweiligen Laichgebiets.
„Das ist der erste Nachweis für eine ausgeprägte Brutort-Treue beim Hering“, sagt Dorothee Moll, Erstautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Rostocker Institut. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass jüngere und unerfahrene Heringe sich einfach den Schwärmen älterer Fische anschließen, wenn es Zeit für die Fortpflanzung ist und so die Wanderrouten zu etablierten Laichgebieten erlernen. „Unsere Ergebnisse zeigen dagegen, dass die verschiedenen Laichgebiete entlang der Küste nicht beliebig austauschbar oder ersetzbar sind“, erklärt die Wissenschaftlerin. Das unterstreiche erneut, wie wichtig ein gezieltes Küstenzonenmanagement sei, um die Produktivität und Widerstandsfähigkeit mariner Ökosysteme langfristig zu sichern.

Das Thünen-Institut für Ostseefischerei erforscht die Populationsdynamik des Herings schon seit vielen Jahren. Die aktuelle Forschungsarbeit knüpft an eine bereits 1997 veröffentlichte Studie dazu an. Die ältere Theorie postulierte, dass Heringsschwärme auf den langen Wanderungen zwischen ihren Fraßgründen und Laichgebieten sogenannte Streuner aufnehmen, die den genetischen Austausch zwischen Teilpopulationen fördern und eine übergreifende Metapopulation bilden. Dorothee Moll und ihr Team konnten diese Hypothese nun testen und den Anteil an Rückkehrern und Streunern bestimmen. 
Angesichts zunehmender menschlicher Eingriffe in Küstenökosysteme sind diese Erkenntnisse von großer Bedeutung: Sie zeigen, wie eng die Produktivität von Fischpopulationen mit dem Erhalt lokaler Laichgebiete verknüpft ist – und wie wichtig es ist, diese Lebensräume gezielt zu schützen.

Johann Heinrich von Thünen-Institut


Originalpublikation:

Dorothee Moll, Patrick Polte, Klaus Peter Jochum, Tomas Gröhsler, Dorte Bekkevold, Ian McQuinn, Christian Möllmann, Christopher Zimmermann, Paul Kotterba (2025): First direct evidence of natal homing in an Atlantic herring metapopulation. Science Advanced Vol. 11, Issue 44, DOI 10.1126/sciadv.adz6746
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adz6746

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Wissenschaft Niedersachsen
news-33924 Mon, 03 Nov 2025 12:08:28 +0100 Bakterien nutzen Viren, um ihre eigenen Abwehrmechanismen zu verbreiten https://www.vbio.de/aktuelles/details/bakterien-nutzen-viren-um-ihre-eigenen-abwehrmechanismen-zu-verbreiten Aufnahme mobiler genetischer Elemente aus der Umwelt – Pseudomonas fluorescens, das sterilem Kompostfiltrat ausgesetzt war, nahm mehrere mobile genetische Elemente auf, die Anti-Phagen-Abwehrgene trugen. Ein Team des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie hat eine neue Klasse mobiler genetischer Elemente von Bakterien entdeckt, die sich mithilfe von Riesenviren – sogenannten Jumbo-Phagen – zwischen Zellen bewegen. Die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichte Arbeit deckt eine unerwartete Wendung im langjährigen Wettrüsten zwischen Bakterien und ihren Viren auf.
In der Studie wurde ein gewöhnliches Bakterium sterilem Filtrat aus Gartenkompost ausgesetzt. Das Bakterium nahm mehrere bisher unbekannte DNA-Elemente auf, die jeweils Gene zur Abwehr von Phageninfektionen trugen. Bemerkenswerterweise wurde festgestellt, dass eines dieser Elemente, genannt I55, auf einem Jumbo-Phagen mitreiste, was es zu einem der ersten Beispiele für einen Phagen-Satelliten macht, der ein so großes Virus ausnutzt.
Das Element verbreitet sich nicht nur über den Phagen, sondern schützt auch seinen bakteriellen Wirt durch ein Restriktions-Modifikations-System – wodurch das Bakterium effektiv die virale Maschinerie zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann.
„Als eine Jumbo-Phagensequenz auf der Bildfläche erschien, fügte sich alles zusammen“, sagt Yansong Zhao. „Das erklärte, wie sich ein so großes Element zwischen Zellen bewegen konnte.“

„Die Entdeckung zeigt, wie viel in der Natur noch verborgen ist“, fügt Paul Rainey hinzu. „Selbst in einer Handvoll Gartenkompost gibt es Wechselwirkungen, die wir gerade erst zu entdecken beginnen.“
Die Studie hebt die verborgene Vielfalt mobiler DNA in der Umwelt hervor und könnte letztendlich zu neuen biotechnologischen Werkzeugen für den Transfer großer genetischer Regionen zwischen Bakterien führen.

Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie


Originalpublikation:

Y. Zhao, Y. Ma, C. Vasileiou, A.D. Farr, D.W. Rogers, & P.B. Rainey, Jumbo phage–mediated transduction of genomic islands, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (44) e2512465122, https://doi.org/10.1073/pnas.2512465122 (2025)

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Wissenschaft Schleswig-Holstein
news-33923 Mon, 03 Nov 2025 12:00:37 +0100 Die Baumsterblichkeit durch Insekten nimmt in ganz Europa zu https://www.vbio.de/aktuelles/details/die-baumsterblichkeit-durch-insekten-nimmt-in-ganz-europa-zu Die durch Insekten verursachte Baumsterblichkeit steigt in ganz Europa, wie eine internationale Studie ergab. Nadelbäume sind stärker betroffen, während die Schäden an Laubbäumen zurückgehen. Am stärksten betroffen sind warme, trockene Regionen – dies hat Auswirkungen auf die Artenauswahl und die Anpassung an den Klimawandel. Insektenpopulationen, die sich dieselben Wirte oder Ernährungsstrategien teilen, neigen dazu, gemeinsam zu wachsen und zu schrumpfen, was die Wahrscheinlichkeit von Baumsterben auf kontinentaler Skala erhöht. Bäume befallende Insekten beeinträchtigen die Wälder Europas zunehmend, jedoch auf uneinheitliche Weise, wie eine in Global Change Biology veröffentlichte internationale Studie zeigt. Das internationale Team aus 17 europäischen Ländern, darunter die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL für die Schweiz, berichtet, dass holzbohrende Insekten zunehmend Schäden an mehreren Nadelbaumarten verursachen. Hingegen ist die Entlaubung durch Raupen verschiedener Mottenarten in den letzten Jahren zurückgegangen. In den gemäßigten und borealen Regionen Europas sind die Schäden durch Insekten in wärmeren und trockeneren Gebieten durchweg höher. Das erhöht das Risiko für große, plötzlich auftretende Schädlingsbefälle, wenn sich die Klimaextreme verstärken.

«Unsere Ergebnisse zeigen ein klares Signal: Von Nadelbäumen dominierte Wälder sind zunehmend anfällig für Holz- und Rindenbohrkäfer, insbesondere den Buchdrucker, während Laubbaumarten weniger Schäden durch eine vielfältigere Gruppe von Insekten erleiden», sagte Tomáš Hlásny, Erstautor der Studie von der Tschechischen Agraruniversität Prag. «Diese Erkenntnisse sind wichtig, da sie Orientierungshilfen für die Waldbewirtschaftung, die Auswahl von Baumarten, die Anpassung an den Klimawandel und die Planung künftiger Holzmärkte liefern.»

Warum das wichtig ist

Die Ergebnisse sprechen für Maßnahmen, die die Waldbewirtschaftung auf klimaresistentere Baumarten mit einem hohen Anteil an Laubbäumen ausrichten, sowie für eine strengere, interoperable Überwachung von Waldstörungen und den länderübergreifenden Datenaustausch. «Wir brauchen Anpassungsstrategien, die die unterschiedlichen Störungstrends und ungleichmäßigen Gefährdungsgrade in den Wäldern Europas widerspiegeln», sagte Hlásny. «Dies erfordert Anstrengungen im Bereich der koordinierten Überwachung von Waldrisiken, einer harmonisierten Datenerfassung und -weitergabe sowie Leitlinien, die von den Verantwortlichen umgesetzt werden können und den Märkten als Informationsgrundlage dienen.»

Blick nach oben auf Baumkronen mit grünen Blättern und kahlen Ästen vor blauem Himmel.
Starker Blattfraß durch Raupen kann das Wachstum und die Vitalität beeinträchtigen und gelegentlich zum Absterben von Bäumen führen; insgesamt hat diese Art von Schäden in den letzten 23 Jahren jedoch abgenommen. (Foto 2, Abb. 2) (Foto: Valentin Queloz)
Liniendiagramm zeigt Schwankungen der Entlauberfläche auf Laubbäumen in Millionen Hektar von 2000 bis 2021, mit einem Foto eines fliegenden Insekts mit grünen Vorderflügeln und durchsichtigen Hinterflügeln.

Wie die Studie durchgeführt wurde

Die Forschenden stellten jährliche Störungsdaten aus 15 europäischen Ländern für einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten (2000–2022) zusammen, darunter Daten von Waldschutz Schweiz und des Schweizerischen Landesforstinventars, die von der WSL geleitet werden. Der Datensatz umfasst 1’361 Zeitreihen für 50 Insektenarten. Das Team analysierte Trends nach Ernährungsgilden (Bohrkäfer vs. Blattfresser), Wirtsbaumarten (Nadelbäume vs. Laubbäume) und geografischen/klimatischen Gradienten. Im Rahmen der Arbeit wurde auch ein neuartiger harmonisierter Datensatz zu Störungen eingeführt, der bestehende Überwachungsmaßnahmen ergänzen und zukünftige Forschungsarbeiten unterstützen soll.

Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL


Originalpublikation:

Hlásny T., Modlinger R., Gohli J., Seidl R., Krokene P., Bernardinelli I., … Liebhold A.M. (2025) Divergent trends in insect disturbance across Europe's temperate and boreal Forests. Glob. Chang. Biol. 31(11), e70580 (19 pp.). https://doi.org/10.1111/gcb.70580

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Nachhaltigkeit/Klima International
news-33922 Mon, 03 Nov 2025 11:55:59 +0100 Verschollenes Turkestan-Langohr wiederentdeckt https://www.vbio.de/aktuelles/details/verschollenes-turkestan-langohr-wiederentdeckt Einem internationalen Forscherteam aus Deutschland, Usbekistan und Turkmenistan unter Federführung des Museums für Naturkunde Berlin gelang der Wiederfund einer seit 55 Jahren verschollenen Fledermausart, von der erstmals Foto- und Videoaufnahmen gemacht werden konnten. Ziel ist nun die umfassende Erforschung der evolutionären Entwicklung der zentralasiatischen Fledermausfauna. Den Wiederfund des Turkestan-Langohrs nimmt die turkmenische Regierung zum Anlass, ein großes Schutzgebiet zu planen, von dem viele weitere Tier- und Pflanzenarten profitieren.  Das nur aus wenigen Sammlungsbelegen in russischen Museen bekannte Turkestan-Langohr (Plecotus turkmenicus) wurde zuletzt 1970 beobachtet. Fotos oder eine verlässliche Beschreibung lebender Tiere gab es bisher nicht. Im Zuge der systematischen Überprüfung der turkmenischen Fledermausfauna zur Aktualisierung der Roten Liste erhielt die Art aufgrund des geringen Kenntnisstandes höchste Priorität. Als endemische Art der Karakum-Wüste in den Grenzregionen von Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan bestand die Sorge, dass sie sehr selten oder gar ausgestorben ist.

Im Oktober dieses Jahres wurde die Fledermaus daher zum Ziel einer internationalen Forschungsexpedition. Dabei wurden die historischen Fundpunkte und andere geeignete Stellen in der Karakum-Wüste aufgesucht. Zunächst wurde ein junges Weibchen des Turkestan-Langohrs in einer Abrisskluft gefunden. An einer 87 Kilometer entfernten Lößhöhle im Grenzgebiet zu Usbekistan wurde noch ein erwachsenes Männchen gesichtet. Nach Jahrzehnten wurde so die Existenz der Art bestätigt. Erstmals konnten Ton-, Bild- und Videomaterial dieser Wüstenfledermaus erstellt und Proben für genetische Untersuchungen gesammelt werden. Ziel ist die umfassende Erforschung der evolutionären Entwicklung der zentralasiatischen Fledermausfauna. 

Das Turkestan-Langohr dürfte insbesondere durch den Klimawandel gefährdet sein. Durch die vor allem temperaturbedingt fortschreitende Austrocknung der Wüsten Zentralasiens geht die natürliche Vegetationsbedeckung immer weiter zurück und der ohnehin schon begrenzte Lebensraum der Art verringert sich weiter. Den Wiederfund des Turkestan-Langohrs nimmt die turkmenische Regierung nun in ihre Planung für die Ausweisung eines über 50.000 Hektar großen Schutzgebietes auf. Hiervon würde neben der endemischen Fledermausart auch die gesamte Artenvielfalt der winterkalten Wüsten bis hin zu großen Säugetieren wie Wildesel und Kropfgazelle profitieren. 

Der grenznahe Nachweis könnte außerdem ein Hinweis auf ein bisher unentdecktes Vorkommen des Turkestan-Langohrs in Usbekistan sein. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Museum für Naturkunde Berlin, dem turkmenischen Umweltministerium, der turkmenischen Schutzgebietsverwaltung und der usbekischen Akademie der Wissenschaften zur Erforschung der zentralasiatischen Fledermausfauna soll fortgesetzt werden.

Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung

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Wissenschaft Berlin
news-33921 Mon, 03 Nov 2025 11:21:43 +0100 COP30 muss Signal gegen Trump und für Klimaschutz setzen https://www.vbio.de/aktuelles/details/cop30-muss-signal-gegen-trump-und-fuer-klimaschutz-setzen Vom 10. bis 21. November 2025 findet die 30. Konferenz der Vertragsparteien des UN-Rahmenübereinkommens über Klimaveränderungen (Conference of the Parties, COP30) im brasilianischen Belém statt. Angesichts geopolitischer Spannungen und wachsender internationaler Verwerfungen – darunter die erneut ablehnende Haltung der US-Regierung gegenüber internationalen Klimaabkommen – steht die COP30 unter besonderem Druck. Die Konferenz muss beweisen, dass ambitionierter Klimaschutz auch ohne die USA möglich bleibt. Das Wuppertal Institut formuliert deshalb Erwartungen an diesjährige UN-Klimakonferenz in Bélem. Die diesjährige Weltklimakonferenz findet vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Spannungen statt. Die Trump-Administration versucht mit allen Mitteln, die Energiewende nicht nur national, sondern auch international auszubremsen – und fährt auch in der Handelspolitik einen ausgesprochen konfrontativen Kurs. Auch seitens der Europäischen Union und China kommt es zunehmend zu Ein- und Beschränkungen des internationalen Handels. Daneben haben die geopolitischen Spannungen aufgrund der Kriege in der Ukraine und in Gaza weiter zugenommen. Hinzu kommen in vielen Ländern weltweit gesellschaftliche Polarisierungstendenzen und die gezielte Verbreitung von Fehlinformationen, die eine ambitionierte Klimapolitik heute deutlich schwerer umsetzbar machen. 

„Angesichts der globalen Krisen muss von der COP30 die klare Botschaft ausgehen, dass eine erfolgreiche Klimapolitik nicht nur ein optionales Extra ist, sondern ganz konkret vor einer Zuspitzung weiterer Konflikte schützt. Mit Blick auf die Blockadehaltung der Trump-Administration ist es umso wichtiger, dass die Weltgemeinschaft auch ohne die USA weiter am Pariser Klimaabkommen und seinen Zielen festhält sowie entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung konsequent weiter verfolgt und beschleunigt umsetzt", betont Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts. Dieses Bekenntnis muss insbesondere auch die Ergebnisse der ersten globalen Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) einschließen, die 2023 in Dubai abgeschlossen wurde. Die Dubai-Konferenz hatte erstmals vereinbart, dass eine weltweite Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe nötig ist; zudem hatte die Konferenz Ziele für die Verbesserung der Energieeffizienz, den Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Beendigung von Entwaldung und Walddegradation vereinbart. 

National festgelegte Beiträge bleiben bisher hinter Pariser Zielen zurück

Der zentrale Mechanismus für die Erreichung der Klimaschutzziele sind die national festgelegten Beiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) der Vertragsparteien. Zur COP müssen alle Staaten neue NDCs für den Zeitraum bis 2035 vorlegen – bisher haben dies jedoch weniger als die Hälfte der Vertragsparteien getan. Zudem reicht das Ambitionsniveau der eingereichten NDCs nicht aus, um einen adäquaten Beitrag dafür zu leisten, die Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius, idealerweise 1,5 Grad Celsius, zu begrenzen. „Die Konferenz in Bélem sollte daher alle Staaten auffordern, ihre NDCs weiter im Sinne des Pariser Abkommens und der Ergebnisse des Global Stocktake zu verbessern”, sagt Wolfgang Obergassel, Co-Leiter des Forschungsbereichs internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut, und ergänzt: „Zudem ist es extrem wichtig, dass die Länder in ihren NDCs spezifizieren, wie sie konkret zu den in Dubai vereinbarten globalen Zielen beitragen werden. Daneben ist ein Monitoring-Mechanismus sinnvoll zu implementieren, um die tatsächliche Erreichung dieser Ziele zu überwachen und bei Bedarf nachsteuern zu können.”

Integrierte Lösungen für Klima und Biodiversität notwendig

„Da die Konferenz am Rande des brasilianischen Regenwaldes stattfindet, wäre es ein starkes Signal, wenn die brasilianische COP-Präsidentschaft dies nutzen würde, um auf die Verzahnung der Klima- und Biodiversitätskrise hinzuweisen und um für eine stärkere Kooperation und Integration mit der Biodiversitätskonvention zu werben”, stellt Dr. Chris Höhne, Senior Researcher im Forschungsbereich internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut, heraus. „Die Klima- und Biodiversitätskrise lässt sich nur integriert lösen, aber bisher fehlt ein gemeinsames Forum, um solche Lösungen zu verhandeln.” 

Zudem könnte das Thema gerechter Strukturwandel (Just Transition) stärker in den Fokus rücken. Nach Fortschritten bei den Zwischenverhandlungen in Bonn wächst die Hoffnung auf die Entwicklung eines holistischen Mechanismus, der Gerechtigkeitsaspekte als Grundlage ambitionierten Klimaschutzes verankert. Höhne ergänzt, dass es für ambitionierten Klimaschutz vonnöten ist, internationale sowie inländische Gerechtigkeitsaspekte zu berücksichtigen, um Klimaschutz auf breiter Legitimationsbasis voranzutreiben. Nur so lässt sich die notwendige Akzeptanz und Teilhabe für die erforderlichen Veränderungsprozesse erreichen.

Wuppertal Institut gibt bei Sideevents Impulse für die Zukunft

Das Wuppertal Institut organisiert im Rahmen der COP30 eine Reihe von Sideevents, um seine Forschungsprojekte und -ergebnisse vorzustellen und den Austausch mit Delegiert*innen und Praxispartner*innen zu fördern. Der thematische Schwerpunkt liegt dabei auf den internationalen Kohlenstoffmärkten – also in denen CO₂-Emissionen einen Preis bekommen und Kohlenstoffzertifikate gehandelt werden – sowie auf transformativen Klimapartnerschaften zwischen dem Globalen Norden und Globalen Süden.
 

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH


https://wupperinst.org/a/wi/a/s/ad/9110/ Wuppertal Institut auf der COP30

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Nachhaltigkeit/Klima Nordrhein-Westfalen
news-33920 Mon, 03 Nov 2025 09:49:41 +0100 Pflanzen im Stresstest: Wie der Roggen seine Gene neu sortiert https://www.vbio.de/aktuelles/details/pflanzen-im-stresstest-wie-der-roggen-seine-gene-neu-sortiert  Forschende haben neue Einblicke in die genetischen Grundlagen der Fortpflanzung von Roggen gewonnen. Sie konnten zeigen, wie Pflanzen ihre Gene neu kombinieren - und wie stark dieser Prozess auch von Umweltbedingungen wie Nährstoffmangel beeinflusst wird.  Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg untersuchten die genetischen Grundlagen und die Umweltplastizität der meiotischen Rekombination in einer großen Roggenpopulation. Sie nutzten mehr als 500 Roggenpflanzen - einige wuchsen unter normalen Bedingungen, andere unter Nährstoffmangel. Sie bezogen dafür Material aus der Genbank des IPK, aber auch kommerziell verfügbare Populationssorten ein und bauten alles auf dem Areal des Versuchs „Ewiger Roggenanbau“ der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an. 

Dieser Versuch wurde 1878 von Julius Kühn angelegt und wird bis heute fortgeführt. In langen Versuchsreihen werden dort verschiedene Systeme des Nährstoff- und Humusersatzes verglichen, vom Stallmist über mineralische Volldüngung bis hin zu Bereichen ohne Düngung. „Das Areal war für die Untersuchung besonders gut geeignet, weil sich der Nährstoffmangel dort über sehr lange Zeit aufgebaut hat und daher sehr stabil war“, erläuterte Dr. Steven Dreissig, Leiter der unabhängigen Arbeitsgruppe „Pflanzliche Reproduktionsgenetik“.

Anschließend sammelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Pollen und sequenzierten die Zellkerne von mehr als 3.000 einzelnen Spermien, die von 584 Individuen stammten. Ziel war es, die Anzahl der Austauschereignisse, sogenannte Crossover, zwischen den elterlichen Chromosomen zu ermitteln und ihre Position auf dem Chromosom zu ermitteln. Erstmals konnte dieser Prozess in so großer Zahl direkt in den Pollen untersucht werden, also an dem Ort, an dem er tatsächlich stattfindet.

„Wir konnten zeigen, dass sich die Gene der Pflanzen bei Nährstoffmangel deutlich weniger neu mischen als bei ausreichender Nährstoffversorgung“, sagt Christina Wäsch, die Erstautorin der Studie. „Das kann man sich so vorstellen wie beim Kartenspielen: Wenn die Karten nur halbherzig gemischt werden, entstehen weniger neue Kombinationen.“ Doch nicht nur das: Das Forschungsteam entdeckte auch Unterschiede zwischen den Pflanzentypen. Während die moderne Zuchtsorte in der Untersuchung relativ stabil blieb, reagierten alte Sorten und Wildformen sehr empfindlich auf den Stress“, erklärt Christina Wäsch. „Das zeigt, dass die genetische Vielfalt eine große Rolle dabei spielt, wie Pflanzen mit Umweltveränderungen umgehen.“

Das Forschungsteam untersuchte auch die genetischen Grundlagen der Rekombination. „Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass die Rekombinationsrate nicht von einem Hauptschalter gesteuert wird, sondern von zahlreichen kleinen genetischen Regionen gleichzeitig“, erklärt Dr. Steven Dreissig vom IPK. Inzwischen sind mehr als 40 Allele und zwei Kandidatengene bekannt. „Grundsätzlich kennen wir jetzt die Bereiche auf dem Chromosom, in denen diese zahlreichen genetischen Schalter liegen, aber wir kennen oft noch nicht alle entscheidenden Gene.“ 

„Dennoch leistet unsere jetzige Studie einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der genetischen Architektur und Umweltplastizität der meiotischen Rekombination“, so der IPK-Forscher. „Anders als bei früheren Arbeiten, in denen nur einzelne oder wenige Genotypen betrachtetet wurden, konnten wir die genetischen Effekte in einer großen und genetisch vielfältigen Population analysieren.“ Die Identifikation der Gene, die die Rekombination unter Stress steuern, könnte noch zu einem wichtigen Werkzeug in der Züchtung werden, glaubt Steven Dreissig. „Die gezielte Steuerung der Rekombination unter Stress hilft sicher bei der schnelleren Entwicklung neuer, verbesserter Nutzpflanzen, die widerstandsfähiger gegen widrige Umweltbedingungen sind.“

Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung


Originalpublikation:

Waesch, C., Gaede, N., Gao, Y., Ehle, M., Himmelbach, A., Fuchs, J., Johnston, S.E. and Dreissig, S. (2025), Population-wide single-pollen nuclei genotyping in rye sheds light on the genetic basis and environmental plasticity of meiotic recombination. New Phytol. https://doi.org/10.1111/nph.70656

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Wissenschaft Sachsen-Anhalt
news-33919 Mon, 03 Nov 2025 09:19:37 +0100 Ein evolutionärer Vergleich der Pankreas-Entwicklung: Meilenstein für translationale Forschung und Diabetes-Therapien https://www.vbio.de/aktuelles/details/ein-evolutionaerer-vergleich-der-pankreas-entwicklung-meilenstein-fuer-translationale-forschung-und-diabetes-therapien Die menschliche Bauchspeicheldrüse ähnelt in ihrer Entwicklung deutlich stärker der von Schweinen als der von Mäusen. Das ist besonders relevant, weil Mäuse als etabliertes Tiermodell zur Erforschung von Diabetes dienen. Ein internationales Team unter der Leitung von Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) hat nun einen umfassenden evolutionären Vergleich von Einzelzell-Atlanten der Pankreasentwicklung erstellt. Die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für regenerative Therapien.  Das Pankreas und seine Entwicklung stehen seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Diabetes- und Krebsforschung. Bislang stützte sich die Wissenschaft fast ausschließlich auf Mausmodelle. Doch Mäuse unterscheiden sich in vielen Aspekten vom Menschen – von der Entwicklungsdauer über den Stoffwechsel bis hin zur Genregulation. „Gerade bei komplexen Erkrankungen wie Diabetes mellitus brauchen wir Modelle, die dem Menschen wirklich nahekommen“, betont daher Prof. Heiko Lickert. Der DZD-Forscher ist Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung bei Helmholtz Munich und Inhaber des Lehrstuhls für Beta-Zell-Biologie an der Technischen Universität München (TUM). 
In der jetzt veröffentlichten Studie legte das Forschungsteam die erste umfassende Einzelzellanalyse der Pankreas-Entwicklung in Maus, Mensch und Schwein vor. „Wir konnten zeigen, dass Schweine in ihrem Entwicklungstempo, in molekularen Steuerungsmechanismen und in der Genregulation dem Menschen deutlich ähnlicher sind als die Maus“, erklärt Lickert. 

Einzigartige Datenbasis 
Ein Blick auf die Details: Forscherinnen und Forscher haben über 120.000 Zellen aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen untersucht. Die Zellen stammen aus allen drei Abschnitten der Tragezeit, die bei Schweinen 114 Tage dauert. Mit hochauflösenden Single-Cell-RNA-Sequenzierungen und Multi-Omics-Ansätzen konnten sie Entwicklungsstadien und Zelltypen präzise bestimmen. Vergleiche der frühen Entwicklungsstadien des Pankreas bei Schwein und Mensch zeigen eine hohe Übereinstimmung: Schweine ähneln dem Menschen stark hinsichtlich der Entwicklungsgeschwindigkeit, der epigenetischen und genetischen Steuerungsmechanismen sowie der Genregulationsnetzwerke. Das gilt auch für die Entwicklung von Vorläuferzellen und die Entstehung hormonproduzierender Zellen.
Besonders bemerkenswert: Über die Hälfte der Transkriptionsfaktoren, die durch das Gen NEUROGENIN 3 gesteuert werden – einem zentralen Regulator für die Bildung hormonproduzierender Zellen – sind beim Schwein und beim Menschen identisch. Viele dieser Faktoren wurden bereits erfolgreich in menschlichen Stammzellmodellen bestätigt. Dazu gehören zentrale Transkriptionsfaktoren wie PDX1, NKX6-1 oder PAX6, welche für die Genregulation und Ausbildung von Betazellen entscheidend sind. 
NEUROGENIN3 spielt eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Bauchspeicheldrüse. Es wirkt wie ein „Hauptschalter“: Das Gen kodiert für einen Transkriptionsfaktor – ein Protein, das andere Gene gezielt aktivieren kann und damit die Zellentwicklung maßgeblich beeinflusst.

Neue Zellpopulation entdeckt
Ein weiterer wichtiger Fund: Während der Embryonalentwicklung tritt eine spezielle Zellgruppe auf – die sogenannte „primed endocrine cell“ (PEC) –, die sowohl beim Schwein als auch beim Menschen vorkommt. PECs können sich in hormonproduzierende Inselzellen differenzieren. „Diese PECs könnten eine alternative Quelle für die Regeneration von Insulin-produzierenden Betazellen darstellen, die auch ohne den Masterfaktor NEUROGENIN3 entstehen können“, so Lickert. „Das könnte erklären, warum Patienten mit seltenen NEUROG3-Mutationen trotzdem funktionsfähige Betazellen entwickeln. Dieses Wissen ist essenziell, um in der Zukunft Betazellen in Menschen, die unter Diabetes leiden, zu regenerieren.“

Evolutionär konservierte Mechanismen 
Die Forschenden haben Unterschiede zu Mausmodellen aufgedeckt: So exprimieren die Beta-Zellen im Schwein schon in der Embryonalentwicklung den Transkriptionsfaktor MAFA, der die Reifung von Betazellen steuert, der bei der Maus fehlt. MAFA ist entscheidend für die funktionelle Insulinproduktion beim Menschen. In menschlichen Beta-Zellen steuert dieser Faktor die finale Reifung hin zu einem Phänotyp, der empfindlich auf Glukose reagiert – eine zentrale Voraussetzung für die Blutzuckerregulation. 
„Unsere Ergebnisse zeigen, welche Genregulationsnetzwerke evolutionär stabil sind und welche artspezifisch“, kommentiert Lickert. „Nur wenn wir diese Unterschiede kennen, gelingt es, Tiermodelle für Diabetes so zu verbessern, dass sie Menschen wirklich entsprechen.“ 

Neben den PECs fanden Wissenschaftler auch zwei Subtypen von Betazellen im Schwein, die unterschiedliche Genprogramme aufweisen. „Unsere Entdeckung einer frühen Betazell-Heterogenität ist besonders relevant: Sie könnte uns helfen, zu verstehen, warum manche Betazellen bei Erkrankungen überleben und andere nicht“, ist Lickert überzeugt. 

Relevanz für die regenerative Medizin 
Doch die Bedeutung dieser Ergebnisse reicht weit über die reine Grundlagenforschung hinaus. Sie eröffnen auch Perspektiven für zukünftige Therapien. 
Bislang gilt es als zentrales Hindernis der regenerativen Medizin, aus Stammzellen im Labor stabile und funktionell reife Betazellen zu gewinnen. Die nun gewonnenen Erkenntnisse aus dem evolutionären Vergleich der Pankreasorganogenese könnten dazu beitragen, Entwicklungsprogramme besser zu verstehen – und gezielt so zu steuern, dass funktionierende Insulin-produzierende Zellen aus Vorläufer- und Stammzellen für zukünftige regenerative Therapien entstehen.

Langjährige Kooperationen – ein Schlüssel zum Erfolg
Zum Erfolg der Studie haben auch langjährige Forschungskooperationen maßgeblich beigetragen. So gelang es dem Team um Prof. Fabian Theis – wie Prof. Lickert Lehrstuhlinhaber an der TUM und Institutsdirektor bei Helmholtz Munich –, die komplexen Big-Data-Datensätze aus der biomedizinischen Forschung mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz effizient zu analysieren und nutzbar zu machen.

Ebenso entscheidend war die enge Zusammenarbeit mit Prof. Eckhard Wolf und Dr. Elisabeth Kemter von der Ludwig-Maximilians-Universität München – einem assoziierten Partner DZD. Die LMU-Forschenden sind auf die Entwicklung von Diabetes-Modellen im Schwein spezialisiert und lieferten zentrale Beiträge zur experimentellen Umsetzung der Studie.

Deutsches Zentrum für Diabetesforschung


Originalpublikation:

Yang K, et al: A multimodal cross-species comparison of pancreas development. Nature communications, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-64774-4

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Wissenschaft Bayern
news-33918 Mon, 03 Nov 2025 09:11:45 +0100 Kuckuck: Mütterliche Gene sorgen für verschiedenfarbige Eier https://www.vbio.de/aktuelles/details/kuckuck-muetterliche-gene-sorgen-fuer-verschiedenfarbige-eier Je nach Wirtsvogel legen Europäische Kuckucke ganz unterschiedliche Eier. Genetische Analysen zeigen, wie diese Anpassung vererbt wird, ohne dass es zur Aufspaltung der Art kommt.  Leuchtend blau, weiß, grünlich, gesprenkelt oder gestreift – Kuckuckseier zeigen eine erstaunliche Vielfalt. Diese Farbpalette ist das Ergebnis eines evolutionären Wettlaufs mit über 100 Wirtsvogelarten: Denn der Kuckuck brütet seine Eier nicht selbst aus, sondern legt sie heimlich in die Nester fremder Vogelarten. Damit ein Wirt das Kuckucksei nicht erkennt und aus dem Nest wirft, muss es dessen eigenen Eiern möglichst ähnlich sehen. Jedes Kuckucksweibchen ist jedoch auf eine bestimmte Färbung festgelegt. Es gibt daher Hinweise, dass beim Europäischen Kuckuck (Cuculus canorus) verschiedene Evolutionslinien existieren, die jeweils an bestimmte Wirtsvogelarten angepasst sind.

Ein internationales Team um die LMU-Evolutionsbiologen Justin Merondun und Jochen Wolf hat nun die genetischen Grundlagen dieser Anpassungen entschlüsselt und untersucht, wie der Kuckuck trotzdem eine einzige Art bleibt. Denn eine Spezialisierung auf unterschiedliche Wirte kann dazu führen, dass Populationen sich genetisch auseinanderentwickeln und verschiedene Arten entstehen. Für ihre Studie analysierten die Forschenden rund300 Genome des Europäischen und 50 des Orientalischen Kuckucks (Cuculus optatus), der östlichen Schwesternart. Anschließend prüften sie, welche Genvarianten mit der Eierfärbung zusammenhängen.

Vererbung über die W-Chromosom

„Die Frage war: Wie kann ein Kuckuck die passende Eierfarbe zuverlässig weitergeben?“, sagt Wolf. „Schließlich weiß ein Weibchen nicht, wie ihr eigenes Ei aussieht.“ Vermutlich kehren Kuckucksweibchen in ein Nest der Art zurück, von der sie selbst aufgezogen wurde. Damit die Eierfarbe wirklich passt, sollte sie aber genetisch abgesichert sein. Schon in den 1930er-Jahren wurde die Hypothese formuliert, dass dies über die mütterliche Linie erfolgt. 

Die aktuellen Analysen bestätigen nun, dass die Grundfarbe der Eier beim Europäischen Kuckuck fast ausschließlich über das weibliche Geschlechtschromosom – das W-Chromosom – und die Mitochondrien vererbt wird. Die Musterung hingegen hängt stärker von autosomalen Genen ab, die von beiden Eltern stammen. Bei den untersuchten Orientalischen Kuckucken, deren Eier alle weißlich-grün waren und sich nur in der Musterung unterschieden, fanden die Forschenden keine Vererbung über die mütterliche Linie. 

Die Vererbung über das W-Chromosom stellt sicher, dass Töchter immer Eier mit derselben Grundfarbe wie ihre Mütter legen. Für neue Anpassungen ist diese Art der Vererbung allerdings nicht optimal, denn die genetischen Variationsmöglichkeiten sind begrenzt und hängen stärker von zufälligen Mutationen ab als bei Autosomen. „Deshalb war es für uns eine spannende Beobachtung, dass offenbar ein Gen, das möglicherweise an der Eifärbung beteiligt ist, im Lauf der Evolution von den Autosomen auf das W-Chromosom „umgezogen“ ist“, so Wolf.

Genfluss bleibt erhalten

Die matrilineale Vererbung wirkt sich auf die Verteilung der gesamten genetischen Varitation in einer Art aus. Wenn Merkmalsvariationen beide Geschlechter betreffen, können Anpassungen an unterschiedliche Wirtsarten schnell zur Aufspaltung von Populationen – und damit zur Bildung neuer Arten – führen. Beim Kuckuck dagegen können sich die Weibchen frei mit beliebigen Männchen verpaaren, ohne die Anpassung an ihren Wirt zu verlieren. Der Genfluss über das restliche Genom bleibt erhalten. „Und das ist genau das, was wir beobachten: Die riesige Kuckuckspopulation über ganz Eurasien ist genetisch fast identisch“, betont Wolf.

Doch dieser evolutionäre Vorteil schützt den Kuckuck nicht vor den Gefahren der Gegenwart. In vielen Regionen Europas nehmen die Bestände deutlich ab, da sein Lebensraum schwindet. „Ohne intakte Lebensräume droht dieses faszinierende System vor unserer Haustür zu verschwinden“, warnt Wolf.

Ludwig-Maximilians-Universität München


Originalpublikation:

J. Merondun et al.: Genomic architecture of egg mimicry and its consequences for speciation in parasitic cuckoos. Science 2025, https://doi.org/10.1126/science.adt9355

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Wissenschaft Bayern