VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Tue, 25 Nov 2025 11:15:46 +0100 Tue, 25 Nov 2025 11:15:46 +0100 TYPO3 news-34204 Tue, 25 Nov 2025 11:11:38 +0100 Gezielte Vererbung des Geschlechts verbessert die Tierzucht https://www.vbio.de/aktuelles/details/gezielte-vererbung-des-geschlechts-verbessert-die-tierzucht Eine neue Studie aus dem Labor von Bernhard Herrmann am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik zeigt, wie gezielte, nicht-mendelsche Vererbung Probleme der Nutztierzucht lösen könnte.  Eine der fundamentalen Vererbungsregeln besagt, dass unterschiedliche Allele (Genkopien) eines Merkmals, wie z.B. dem Geschlecht, mit gleicher Häufigkeit vererbt werden. „Wir wissen jedoch schon lange, dass es Gene gibt, die ihre Vererbungsrate erhöhen können“, erklärt Bernhard Herrmann. Sein Labor am MPIMG widmet sich bereits seit Längerem einem dieser Elemente, einem Abschnitt auf Chromosom 17 der Maus, namens t-Haplotyp. In früheren Arbeiten konnten die Forschenden diesen Faktor bereits genetisch und molekular aufklären. In ihrer aktuellen Studie im Fachmagazin „Genetics“ zeigen sie nun, wie sich der t-Haplotyp nutzen lässt, um die Vererbung der Geschlechtschromosomen bei Mäusen zu beeinflussen. Dieser Ansatz, erwünschte genetische Eigenschaften bevorzugt zu vererben, könnte u.a. dabei helfen, die Nutztierzucht effizienter und tierfreundlicher zu gestalten.

Unfairer Wettbewerbsvorteil

Die Auswirkungen des t-Haplotyps zeigen sich erst während der Befruchtung von Eizellen. Dazu werden die Spermien davor aber in der Spermienentwicklung besonders vorbereitet. In der ersten Phase der Entwicklung produziert der t-Haplotyp mehrere genetische „Störfaktoren“, die sich auf alle Zellen verteilen und Spermien später daran hindern, sich effizient vorwärts zu bewegen. In der zweiten Phase werden die Chromosomensätze getrennt. Dadurch bekommt eine Hälfte der Spermien den t-Haplotyp, die andere Hälfte nicht. „Der t-Haplotyp hat nun einen Trick auf Lager, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Er produziert eine Art Gegengift namens Smok-Tcr, das die Effekte der Störfaktoren aufhebt – allerdings nur in Zellen, die den t-Haplotyp beinhalten“, erklärt Bernhard Herrmann. Die dadurch entstandenen t-Spermien sind beweglicher und können so leichter Eizellen befruchten.

Nutzung um das Geschlecht von Nachkommen zu beeinflussen

Die Aktivität von Smok-Tcr allein, ohne Störfaktor, beeinträchtigt aber ebenfalls die Beweglichkeit der Spermien, die das Gen beinhalten. Dieses Phänomen machten sich die Wissenschaftler*innen zunutze. Sie setzten gezielt Smok-Tcr-Elemente auf X- oder Y-Chromosomen ein. „Wir haben den Ansatz hier sozusagen umgedreht und nutzen Smok-Tcr, um die Vererbung des ungewünschten Geschlechtschromosoms zu hemmen, und gleichzeitig die Vererbung des gewünschten zu fördern. Liegt das Element auf einem Y-Chromosom, haben Spermien, die weibliche Nachkommen erzeugen, einen deutlichen Vorteil, und umgekehrt“, sagt Hermann Bauer, der Erstautor der Studie. „Durch gezielte Sequenzverbesserungen konnten wir den Effekt noch steigern. Befindet sich dieses optimierte Smok-Tcr beispielsweise auf dem Y-Chromosom erhalten wir fast 90% Weibchen“. Diese Methode ist vorteilhafter als bisherige Versuche, die Vererbung des Geschlechts zu beeinflussen.

Einsatz in der Tierzucht

Die angewandte Methode könnte neben Mäusen auch bei anderen Säugetieren in der Nutztierzucht, wie z.B. Rindern eingesetzt werden. Dort wird oft ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt, je nachdem, ob die Milch- oder Fleischproduktion im Vordergrund steht. Oft werden Jungtiere, die nicht benötigt werden, einfach getötet. „Die Keulung von Tieren mit dem unerwünschten Geschlecht ist wirtschaftlich und tierethisch ein Problem. Unsere Methode bietet dafür einen Lösungsansatz“, sagt Bernhard Herrmann. Andere experimentelle Methoden das Geschlecht zu beeinflussen beeinträchtigen oft die Gesundheit und Fruchtbarkeit der Tiere und deren Nachkommen. Der Ansatz der Forschenden hat im Gegensatz dazu keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Tiere. Die Methode hat auch noch einen weiteren wichtigen Vorteil: “Die erwünschten Nachkommen für die Fleisch- oder Milchproduktion wären genetisch nicht verändert”, so Hermann Bauer.

Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik


Originalpublikation:

Hermann Bauer, Frederic Koch, Bettina Lipkowitz, Jürgen Willert, Gaby Bläß, Manuela Scholze-Wittler, Sandra Währisch, Lars Wittler, Bernhard G Herrmann: Female- or Male-biased Offspring Generated by Targeted Distortion of Sex Chromosome Transmission in the Mouse. Genetics 2025, https://doi.org/10.1093/genetics/iyaf246

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Wissenschaft Berlin
news-34203 Tue, 25 Nov 2025 11:05:41 +0100 Die kleinsten Wächter des Nils: Zooplankton reagiert sensibel auf Wasserkraftwerk https://www.vbio.de/aktuelles/details/die-kleinsten-waechter-des-nils-zooplankton-reagiert-sensibel-auf-wasserkraftwerk Winzige im Wasser lebende Organismen – das Zooplankton – spielen eine zentrale Rolle in aquatischen Nahrungsnetzen. Das Zooplankton gilt zudem als wichtiger Indikator für die Gesundheit eines Flusssystems: Je größer die Vielfalt dieser Kleinstlebewesen, desto widerstandsfähiger reagiert ein Fluss auf Umweltveränderungen. Doch menschliche Eingriffe wie der Bau von Staudämmen hinterlassen selbst in diesen (mikroskopisch) kleinen Gemeinschaften deutliche Spuren. Das zeigt eine neue Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) am Beispiel des Nils.  Das IGB-Forschungsteam Samah Makawi und Prof. Michael Monaghan untersuchte das Zooplankton im Blauen und im Weißen Nil in der Nähe der sudanesischen Stadt Khartum, und zwar von Dezember 2017 bis April 2018 sowie von Oktober 2019 bis März 2020. Beide Zeiträume lagen in der Bauzeit des Grand Ethiopian Renaissance Dams (GERD). Das größte Wasserkraftwerk Afrikas liegt im Blauen Nil und wurde kürzlich im September 2025 eingeweiht. 

„Dieser Damm ist ein großer Fortschritt für die Energieerzeugung in der Region. Allerdings wird er voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystem des Flusses haben", erklärt Samah Makawi. Die gebürtige Sudanesin lehrt an der Universität von Khartum.

Natürliche Schwankungen des Wasserstands und des Nährstoffangebots schaffen Artenvielfalt:

Der Weiße und der Blaue Nil vereinigen sich nahe Khartum zum Hauptstrom. Wie die Studie zeigt, weist der Blaue Nil eine deutlich höhere Diversität und zeitliche Variabilität der Zooplankton-Gemeinschaften auf als der Weiße Nil. Letzterer beherbergt nur etwa die Hälfte der Arten, die im Blauen Nil vorkommen.

Das Forschungsteam führt dies auf die stärkeren natürlichen Schwankungen im Wasserfluss und im Nährstoffangebot des Blauen Nils zurück. Die Wasser- und Nährstoffflüsse im Weißen Nil haben sich dagegen bereits seit mehreren Jahrzehnten durch Staudämme erheblich verändert.

Staudämme beeinträchtigen nicht nur große Fische und Säugetiere sondern auch ganz kleine Lebewesen:

„Der Wasserstand des Nils schwankt naturgemäß stark. Die Lebensgemeinschaften haben sich an die Schwankungen des Wasserflusses, der Sedimentfracht und der Nährstoffe angepasst. Während Wanderfische oft im Mittelpunkt der Auswirkungen von Staudämmen stehen, betrifft der Bau eines Staudamms sogar die kleinsten Organismen, die eine wichtige Rolle für die Wasserqualität und das Nahrungsnetz spielen. Dies konnten wir in unserer Studie für den Weißen Nil nachweisen. Ähnliche Effekte erwarten wir durch den Bau des GERD nun auch im Blauen Nil“, betont Samah Makawi.

Ein Monitoring des Blauen Nils nach dem Bau des Staudamms ist daher wichtig:

Weil viele Zooplankton-Arten extrem klein sind und sich im Wasser nur schwer erfassen lassen, stoßen herkömmliche Methoden zur Biodiversitätsüberwachung schnell an ihre Grenzen. Die Studie verdeutlicht daher auch, wie wertvoll moderne eDNA-Methoden sind: Durch den Nachweis von Erbgutspuren im Wasser können Forschende die Artenvielfalt viel umfassender und schneller bestimmen – und so Veränderungen in einem Flusssystem frühzeitig erkennen.

„Angesichts der anhaltenden Veränderungen des Ökosystems besteht ein Bedarf an einer besseren Überwachung der Biodiversität im Nil-Ökosystem“, sagt Prof. Michael Monaghan, der die Studie leitete und am IGB forscht. „Wir haben festgestellt, dass eDNA-basierte Methoden wichtige Informationen liefern, obwohl tropische Zooplanktonarten in DNA-Datenbanken bisher nur unzureichend vertreten sind. Aufgrund der hohen Sensitivität, Kosteneffizienz und Zeitersparnis kann das eDNA-Metabarcoding ein vielversprechender Ansatz sein, um ein Programm zur Überwachung der Biodiversität zu implementieren, das im Nil im Sudan bisher fehlt.“

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei


Originalpublikation:

Makawi, S. E. M., and M. T. Monaghan. 2025. “ Zooplankton Community Composition in the White and Blue Niles Near Khartoum: Combining Molecular and Morphological Approaches.” Environmental DNA 7, no. 6: e70218. https://doi.org/10.1002/edn3.70218

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Wissenschaft Berlin
news-34202 Tue, 25 Nov 2025 10:57:36 +0100 Malaria-Parasiten bewegen sich auf rechtshändigen Spiralen https://www.vbio.de/aktuelles/details/malaria-parasiten-bewegen-sich-auf-rechtshaendigen-spiralen Die millionenfach verbreitete Infektionskrankheit Malaria wird durch den Stich einer Mücke übertragen, die den Malaria-Parasiten in sich trägt. Nach dem Eindringen in die Haut bewegt sich der Erreger auf spiralförmigen Bahnen. Er dreht sich dabei fast immer nach rechts, wie ein Team von Physikern und Malaria-Forschern der Universität Heidelberg herausgefunden hat. Die Wissenschaftler konnten mit hochauflösenden bildgebenden Verfahren in Verbindung mit Computersimulationen zeigen, dass der Erreger diese rechtshändigen Spiralen nutzt, um seine Fortbewegung beim Übergang von einem Gewebekompartiment zum nächsten zu kontrollieren.  Der Malaria-Erreger Plasmodium wird von der Speicheldrüse der Mücke in die Haut des Wirts übertragen. In diesem frühen Stadium weist der einzellige Parasit einen mondsichelförmigen Körperbau auf. Diese ungewöhnliche Zellform ist für die charakteristischen spiralförmigen Bewegungen der sogenannten Sporozoiten verantwortlich. Sie erleichtern es dem Erreger, sich zum Beispiel um Blutgefäße zu winden oder Halt in umliegendem Gewebe zu finden, wie der Physiker Prof. Dr. Ulrich Schwarz und der Malaria-Forscher Prof. Dr. Friedrich Frischknecht in gemeinsamen Vorgängerstudien nachweisen konnten. „Unsere neuen Untersuchungen zeigen, dass sich Malaria-Parasiten in dreidimensionalen Umgebungen fast ausschließlich auf rechtshändigen Spiralen bewegen“, erläutert Prof. Schwarz, der die Forschungsgruppe „Physik komplexer Biosysteme“ am Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg leitet.

In Experimenten am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg haben die Wissenschaftler deshalb untersucht, welche biologische Funktion die rechtsdrehende Art der Fortbewegung haben könnte. Als Gewebeersatz nutzten sie synthetische Hydrogele, die den Einsatz hochauflösender bildgebender Verfahren und einen quantitativen Vergleich mit Computersimulationen der Zellbewegung ermöglichen. Dabei entdeckten die Forscher, dass sich die Parasiten am Boden des Hydrogels auf dem Glassubstrat anders verhalten als wenn sie direkt aus einer flüssigen Lösung auf ein Glasplättchen aufgebracht werden. In dem einen Fall drehen sie sich auf dem Glas im Uhrzeigersinn, in dem anderen gegen den Uhrzeigersinn. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass die rechtsdrehende Bewegung bestimmt, wie der Parasit von einem Kompartiment in ein anderes eindringt.

„Wir vermuten, dass sich diese Chiralität im Laufe der Evolution ausgebildet hat, damit der Erreger schnell und immer in der gleichen Art und Weise zwischen den verschiedenen Gewebekompartimenten im Wirtskörper wechseln kann“, so Friedrich Frischknecht, der eine Professur für Integrative Parasitologie an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg innehat und am Center for Integrative Infectious Diseases Research des Universitätsklinikums Heidelberg forscht. Die unterschiedlichen Bewegungsmuster auf herkömmlichen Substraten in Lösung und aus einem dreidimensionalen Hydrogel kommend könnten zudem erklären, warum die Sporozoiten in bisherigen Laborversuchen kaum erfolgreich darin waren, in Leberzellen einzudringen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob die Erreger direkt auf Glas aufgetragen werden oder sich erst durch ein Gewebe bewegen“, erläutert Dr. Mirko Singer, Postdoktorand in der Gruppe von Prof. Frischknecht. Die aktuellen Erkenntnisse zur Fortbewegung der Parasiten könnten daher dazu beitragen, experimentelle Assays zu verbessern und neue Ansätze der Infektionsprävention zu entwickeln.

Durch die Kombination von hochauflösender Bildgebung und mathematischen Modellen gelang es den Forschern auch, den zugrunde liegenden molekularen Mechanismus aufzudecken. Aus theoretischen Arbeiten war bekannt, wie die besondere Form des Parasiten – der mondsichelförmige Körperbau – seine Fortbewegung beeinflusst. „Unsere Computersimulationen haben bestätigt, dass nur eine Asymmetrie am vorderen Ende der Parasiten für die im Experiment beobachteten Bewegungsmuster verantwortlich sein kann“, so Leon Lettermann, Doktorand in der Gruppe von Prof. Schwarz. Unter einem superauflösenden Mikroskop konnten die Wissenschaftler eine Besonderheit im Körperbau der Parasiten identifizieren, die zu einer ungleichen Kraftverteilung entlang des Körpers führt.
 

Universität Heidelberg


Originalpublikation:

L. Lettermann, M. Singer, S. Steinbrück, F. Ziebert, S. Kanatani, P. Sinnis, F. Frischknecht, U. S. Schwarz: Chirality of malaria parasites determines their motion patterns. Nature Physics (24 November 2025), https://doi.org/10.1038/s41567-025-03096-0

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Wissenschaft Baden-Württemberg
news-34201 Mon, 24 Nov 2025 12:29:23 +0100 VBIO – BioWissKomm – Online-Stammtisch https://www.vbio.de/aktuelles/details/vbio-biowisskomm-online-stammtisch Der BioWissKomm-VBIO Stammtisch ist ein informelles monatliches Zoom-Meeting für alle Biologie-Interessierten. Der nächste Stammtisch findet am 9.12.2025 um 18:30 Uhr online statt. Was bieten wir an? News, Termine und Bio-Highlights aus dem VBIO und von BioWissKomm. Wir besprechen Themen aus verschiedenen Gebieten der Biowissenschaften und diskutieren in informeller Runde. Die Teilnehmer können auch eigene Beiträge leisten, Fragen stellen und Themen für zukünftige Stammtische vorschlagen.

Im Anschluss an den Stammtisch erhalten unsere Newsletter-Abonnenten eine Zusammenfassung mit Links zu den Veranstaltungen und Literaturangaben zu den Bio-Highlights.

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Wir freuen uns auf Sie!

BioWissKomm/VBIO

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VBIO Bundesweit
news-34200 Mon, 24 Nov 2025 12:22:45 +0100 Verborgener Schatz der Tiefsee: Neue Korallenart auf Manganknollen entdeckt https://www.vbio.de/aktuelles/details/verborgener-schatz-der-tiefsee-neue-korallenart-auf-manganknollen-entdeckt Ein internationales Forschungsteam hat eine neue Art von Tiefseekoralle entdeckt, die auf Manganknollen lebt – denselben mineralreichen Gesteinsbrocken, die weltweit zunehmend das Interesse an Tiefseebergbau wecken. Deltocyathus zoemetallicus –&nbsp;jetzt erstmals in einer Studie im Fachjournal „Zoological Journal of the Linnean Society“ beschrieben – wurde in mehr als 4.000 Metern Tiefe in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) des Pazifischen Ozeans gefunden,&nbsp;als erste bekannte Steinkorallenart, die direkt auf diesen Knollen lebt.&nbsp; Der Boden der Tiefsee galt früher als flach, schlammig und weitgehend unbelebt. Heute wissen wir jedoch, dass er eine Vielzahl von Lebensräumen und eine reiche Artenvielfalt beherbergt. Doch die Tiefsee ist zunehmend bedroht – durch Herausforderungen wie den Klimawandel, Verschmutzung und Tiefseebergbau. Damit wächst auch die Bedeutung der Tiefseeforschung, um diese wertvollen Ökosysteme besser zu verstehen.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Guadalupe Bribiesca-Contreras (National Oceanography Centre in Southhampton) und Dr. Nadia Santodomingo vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, hat nun eine neue Steinkorallenart im östlichen Pazifik beschrieben. Ihr Name, Deltocyathus zoemetallicus, spiegelt den einzigartigen Lebensraum dieses Tieres wider – es lebt auf Polymetallknollen (zoemetallicus: zoe = Leben, metallicus = Metall). Die neue Art wurde in Tiefen zwischen 4.150 und 4.250 Metern in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) entdeckt, einem riesigen Meeresgebiet zwischen Hawaii und Mexiko. Die CCZ beherbergt die weltweit größten bekannten Vorkommen von Manganknollen – kartoffelgroße Mineralaggregate, die reich an Mangan, Nickel, Kobalt und anderen Metallen sind, die beispielsweise für Batterien von Elektrofahrzeugen und Technologien für erneuerbare Energien benötigt werden.

„Diese winzige Koralle ist ein verborgener Schatz der Tiefsee“, betont Santodomingo. „Sie lebt direkt auf den Knollen, die für die Industrie abgebaut werden sollen. Wenn diese Knollen entfernt werden, riskieren wir die Auslöschung einer ganzen Art, die wir gerade erst entdeckt haben.“

Im Gegensatz zu Flachwasserkorallen, die häufig symbiotische Algen beherbergen, die ihnen mithilfe sonnenabhängiger Photosynthese Nährstoffe liefern, überlebt Deltocyathus zoemetallicus in völliger Dunkelheit. Die  azooxanthellate Steinkoralle hat keine Algenpartner, sondern ernährt sich von Partikeln, die im Wasser treiben. Während mehrerer Expeditionen an Bord der OSV Maersk Launcher und der RRS James Cook sammelten die Forschenden mithilfe von Boxcorern – Sammelwerkzeuge für weiche Meeressedimente – Exemplare der neuen Korallenart sowie Manganknollen, auf denen sie wachsen. Anschließend analysierte das Team die Tiere mit hochauflösenden Bildgebungsverfahren und 3D-Mikro-CT-Scans, um zu bestätigen, dass es sich um eine zuvor noch nicht wissenschaftlich beschriebene Art handelt.
Steinkorallen (Scleractinia) bilden harte Skelette aus Kalziumkarbonat. Während die meisten Menschen sie mit flachen tropischen Riffen verbinden, leben viele Arten – wie Deltocyathus zoemetallicus – in der Tiefsee, ohne jegliches Sonnenlicht. Einige Exemplare der neuen Art wurden in einer Tiefe gesammelt, in der sich Kalziumkarbonat bereits aufzulösen beginnt, der sogenannten Carbonat-Kompensationstiefe. Die Tiere besitzen offenbar besondere Anpassungen, um ihre harten Skelette unter solchen extremen Bedingungen bewahren zu können.

Korallen der Gattung Deltocyathus sind in allen Ozeanbecken zu finden, mit Ausnahme der Arktis und der Gewässer um die Antarktis. Sie besiedeln normalerweise Tiefen zwischen 200 und 1.000 Metern, wobei die tiefste bekannte Art in 5.080 Meter gefunden wurde. Die meisten Deltocyathus-Arten leben frei auf dem Meeresboden und liegen locker auf dem Sediment. Eine Ausnahme bilden die atlantische Art Deltocyathus halianthus sowie nun Deltocyathus zoemetallicus, die sich an harte Substrate anheften.
Ihr Siedeln auf Polymetallknollen markiert eine einzigartige ökologische Beziehung, die zum ersten Mal in dieser Art für eine Tiefsee-Steinkoralle dokumentiert wurde. Da die Knollen nur wenige Millimeter pro Million Jahre wachsen, würde ihre Entfernung durch den Tiefseebergbau nicht nur den Lebensraum der Koralle zerstören, sondern auch jede Möglichkeit zur Wiederbesiedlung verhindern.

„Diese Entdeckung zeigt, wie wenig wir über das Leben in der Tiefsee wissen“, erklärt Bribiesca-Contreras. „Jede neue Art, die wir finden, erinnert uns daran, dass der Meeresboden ein lebendiges Ökosystem ist – und dass noch viel Forschungsarbeit vor uns liegt, um ihn vollständig zu erkunden und zu verstehen.“

Während Regierungen und Unternehmen der Genehmigung des kommerziellen Bergbaus in der CCZ näher kommen, gehört die Entdeckung von D. zoemetallicus zur ständig zunehmenden Zahl von Hinweisen darauf, dass diese abyssalen Ökosysteme einzigartige, verletzliche und größtenteils unentdeckte Biodiversität beherbergen.

„Der Schutz dieser Lebensräume bedeutet nicht nur, eine Koralle zu bewahren“, ergänzt Santodomingo. „Es geht darum, eine ganze Welt von Tiefseeleben zu erhalten, die verschwinden könnte, bevor wir überhaupt wissen, dass sie existiert.“

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt


Originalpubliaktion:

Guadalupe Bribiesca-Contreras, Nadia Santodomingo et al., Hidden gems of the abyss: first species of azooxanthellate scleractinian coral (Scleractinia: Deltocyathidae) attached to polymetallic nodules in the eastern Pacific Ocean, Zoological Journal of the Linnean Society, Volume 205, Issue 3, November 2025, https://doi.org/10.1093/zoolinnean/zlaf146

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Wissenschaft Hessen
news-34199 Mon, 24 Nov 2025 11:50:24 +0100 Fledermäuse vertilgen Schadinsekten über Agrarflächen – wenn ausreichend naturnahe Lebensräume in der Nähe sind https://www.vbio.de/aktuelles/details/fledermaeuse-vertilgen-schadinsekten-ueber-agrarflaechen-wenn-ausreichend-naturnahe-lebensraeume-in-der-naehe-sind Fledermäuse wie der Große Abendsegler verzehren Schadinsekten über intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen und unterstützen dadurch eine nachhaltige Landwirtschaft. Eine neue Studie zeigt, dass im Nordosten Deutschlands 23 Prozent der von Großen Abendseglern vertilgten Insektenarten Schädlinge sind. Die Landwirtschaft kann von diesem kostenlosen Service der Fledermäuse nur dann profitieren, wenn ausreichend naturnahe Lebensräume in der Nähe der Agrarflächen vorhanden sind. Dort jagen Abendsegler überproportional häufig.&nbsp; Nur in Kombination mit naturnahen Lebensräumen finden die Fledermäuse in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft ausreichend Beute, schreiben Forschende des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und der Universität Potsdam in der Fachzeitschrift „Agriculture, Ecosystems and Environment“. Das Team stattete innerhalb von drei Jahren insgesamt 128 Große Abendsegler (Nyctalus noctula) in der Uckermark mit miniaturisierten Sendern aus und nutzten ein automatisiertes Funkpeilsystem, um die Bewegung der Fledermäuse während ihrer Jagdflüge zu verfolgen. Die intensiv genutzte Agrarlandschaft im Nordosten Deutschlands ist mit kleinen naturbelassenen Lebensräumen wie Grasland, Waldstücken, Gewässern und Feuchtgebieten unterschiedlicher Größe durchsetzt. Diese machen zwar weniger als 5 Prozent der Gesamtfläche aus, die Forschenden nahmen jedoch an, dass diese von großer Bedeutung für die Fledermäuse als Jagdlebensraum sind. Um das Beutespektrum der Fledermäuse zu ermitteln, nutzte das Team die Methode des Metabarcoding, mit dessen Hilfe sich über Reste der Insekten-DNA im Fledermauskot die erbeuteten Insekten identifizieren lassen.

Fledermäuse bevorzugen naturbelassene Lebensräume bei der Jagd – und vertilgen häufig für die Landwirtschaft schädliche Insekten

Die Analyse der Bewegungen der Fledermäuse zeigt, dass Große Abendsegler die Lebensräume in der Landschaft nicht proportional zur Häufigkeit dieser Lebensräume nutzen: 55 Prozent der Orte, an denen sich Fledermäuse während der Jagd aufhielten, wurden über Feldern aufgezeichnet. Alle anderen Lebensräume wie zum Beispiel Gewässer (14 Prozent), Siedlungen (14 Prozent), Grasland (10 Prozent) sowie Wald (9 Prozent) wurden sehr viel seltener bei der Nahrungssuche aufgesucht. „Setzen wir allerdings die anteilige Raumnutzung bei der Jagd ins Verhältnis dazu, wie häufig dieser Lebensraumtyp in der Landschaft vorkommt, so zeigt sich, dass Fledermäuse die anderen Landschaftstypen klar bevorzugen, obwohl sie am häufigsten über Feldern anzutreffen sind“, erklärt Marit Kelling, Erstautorin des Aufsatzes und Doktorandin am Leibniz-IZW und der Universität Potsdam. Die landwirtschaftlichen Flächen machen knapp 95 Prozent der Fläche um die Tagesquartiere aus, während beispielsweise Waldstücke und Gewässer jeweils nur knapp 0,5% der Fläche bedecken. Die Großen Abendsegler nutzen die kleinen Reste naturnaher Landschaft also deutlich überproportional; vermutlich, weil sie dort zuverlässiger Nahrung finden.

Da intensiv bewirtschaftete Agrarflächen sind der dominante Lebensraumtyp in der Uckermark sind, jagen die Abendsegler trotzdem am häufigsten über diesen Flächen. „Wir teilten die Flüge anhand ihrer Charakteristik in Transferflüge und Jagdflüge ein und konnten so sehen, dass 55 Prozent der Jagdflüge dennoch über Ackerland stattfinden – was bedeutet, dass ein erheblicher Teil der Nahrung dort aufgenommen wird“, so Kelling. 
Das Team identifizierte 295 unterschiedliche Insektenarten im Kot der Fledermäuse, durchschnittlich 11 unterschiedliche Arten pro Probe. 23 Prozent der identifizierten Insektenarten – 67 Arten – sind als Schadinsekten bekannt: 28 als Agrarschädlinge, 20 als Fortschädlinge und 19 als Insektenarten, die Krankheiten übertragen können. Agrarschädlinge wie der Feldmaikäfer (Melolontha melolontha), die Wiesenschnake (Tipula paludosa) oder der Gerippte Brachkäfer (Amphimallon solstitiale) wurden am häufigsten in den Proben angefunden, im Schnitt fast eineinhalbmal pro Probe.

Kleine naturnahe Habitate – große Wirkung für Tierwelt und Landwirtschaft

„Das Verhalten der Abendsegler bei der Nahrungssuche, das wir in unserer Studie identifizieren konnten, zeigt, wie wertvoll der Erhalt auch kleiner naturnaher Lebensräume innerhalb intensiv genutzter Agrarlandschaften ist“, sagt Prof. Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, Professor für Evolutionäre Ökologie am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam und Seniorautor des Aufsatzes. „Die Fledermäuse vermeiden Agrarland, fressen dort aber aufgrund der Landschaftsstruktur am häufigsten. Die starke Bevorzugung der kleinen Reste naturnaher Grasländer oder Gewässer bei der Nahrungssuche deutet darauf hin, dass sie dort zuverlässiger Nahrung finden. Nur in Kombination mit diesen naturnahen Lebensräumen können die Fledermäuse ausreichend Beuteinsekten finden, da die Insektenbiomasse über den Agrarflächen aufgrund des Pestizideinsatzes in der Regel niedriger ist.“ Der Erhalt dieser naturnahen Lebensräume, etwa auf Toteislöchern (Söllen) in der Uckermark, tragen daher nicht nur zum Erhalt der Fledermäuse bei, sie sind auch für den Erhalt der Service-Leistungen der Fledermäuse beim Verzehr von Schadinsekten von großer Bedeutung. Naturnahe Lebensräume in einer Agrarlandschaft fördern somit eine nachhaltige Landwirtschaft.

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)


Originalpublikation:

Kelling M, Scholz C, Roeleke M, Blohm T, Pufelski J, Nathan R, Toledo S, Jeltsch F, Voigt CC (2025): Pest suppression services of insectivorous bats in intensively managed arable land benefit from adjacent near-natural. Agriculture, Ecosystems and Environment 97,2026,110101. DOI: 10.1016/j.agee.2025.110101, https://doi.org/10.1016/j.agee.2025.110101

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Wissenschaft Berlin
news-34198 Mon, 24 Nov 2025 11:42:41 +0100 Mit der molekularen Schere die pflanzliche Chromosomenzahl verändern https://www.vbio.de/aktuelles/details/mit-der-molekularen-schere-die-pflanzliche-chromosomenzahl-veraendern Ob höhere Erträge, eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Klimaveränderungen oder Krankheiten – die Anforderungen an Nutzpflanzen steigen stetig. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickeln Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) neue gentechnische Verfahren. Mithilfe der molekularen Schere CRISPR/Cas ist es ihnen nun in Zusammenarbeit mit anderen deutschen und tschechischen Forschenden erstmals gelungen, die Chromosomenzahl der Modellpflanze Arabidopsis thaliana gezielt zu verändern – ohne dass sich das nachteilig auf das Pflanzenwachstum auswirkt.&nbsp; Mit der molekularen Schere CRISPR/Cas (CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist es den Forschenden des KIT in den letzten Jahren gelungen, nicht nur Gene, sondern auch Chromosomen zu verändern. So lassen sich in Kulturpflanzen gewünschte Eigenschaften gezielt kombinieren oder unerwünschte eliminieren. „Jetzt haben wir einen neuen Durchbruch geschafft: Wir konnten bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, auch Ackerschmalwand genannt, mithilfe der Genschere erstmals bei Pflanzen die Chromosomenzahl verändern“, sagt Professor Holger Puchta vom Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) des KIT und Pionier auf diesem Gebiet. „Chromosomen sind deshalb so wichtig und interessant, weil wir hier Einheiten haben, auf denen verschiedene Gene angeordnet sind, die gemeinsam vererbt werden.“ 

Chromosomen sind winzige, fadenförmige Strukturen im Zellkern von Lebewesen. Sie enthalten Gene mit Erbinformationen etwa zum Aussehen, zur Entwicklung oder zur Abwehr von Krankheiten. Jedes Lebewesen besitzt eine bestimmte Anzahl von Chromosomenpaaren, die jeweils von beiden Eltern stammen. Beim Menschen beispielsweise sind es 23 Paare, also insgesamt 46 Chromosomen, bei einer Tomate 12 Paare, somit 24 Chromosomen. Die Ackerschmalwand hingegen besitzt nur fünf Chromosomenpaare, also zehn einzelne Chromosomen. Weicht diese Anzahl von der Norm ab, entstehen oft Beeinträchtigungen. „Bisher war unklar, wie eine Veränderung der Chromosomenzahl Pflanzen beeinflusst“, so Puchta. „Unsere Experimente haben überraschenderweise gezeigt, dass sich das nicht nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkt.“


Neue Möglichkeiten der Genkombination

Um die Chromosomenzahl zu verringern, haben die Forschenden gezielt die beiden Arme eines Chromosoms auf die eines anderen übertragen. So konnten sie zwei Chromosomen zu einem verschmelzen. Da die Zellen von Pflanzen immer ein Paar von identischen Chromosomen enthalten, entstanden so Pflanzen mit nur noch acht statt zehn Chromosomen – also vier statt fünf Paare. „In der Evolution kam es bei der Bildung neuer Pflanzenarten öfter zu Veränderungen der Chromosomenzahl“, erklärt Dr. Michelle Rönspies vom JKIP und Erstautorin des Papers. „Wir konnten nun erstmals einen solchen Vorgang im Labor nachbilden. Das ist für uns ein großer Schritt, um besser zu verstehen, wie sich genetisches Material verändern kann.“ Die strukturellen Veränderungen wurden anschließend von einem Team um Professor Andreas Houben vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben mittels Mikroskopie bestätigt.

Die Studie zeigt, dass sich durch gezielte Veränderungen der Chromosomenstruktur auch die Art und Weise beeinflussen lässt, wie Gene bei der Fortpflanzung neu kombiniert werden. „Das ist besonders für die Pflanzenzüchtung interessant, weil man damit bestimmte Eigenschaften gezielter vererben kann“, sagt Rönspies.

Veränderte Chromosomenzahl beeinflusst Kreuzbarkeit

Die Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum hat eine Forschungsgruppe um Professor Jiří Fajkus vom Central European Institute of Technology in Brünn in Tschechien untersucht. Sie konnte zeigen, dass sich Pflanzen mit acht Chromosomen im Wachstum genauso verhalten wie solche mit zehn.

Zwar wiesen die Pflanzen keine sichtbaren Unterschiede auf, allerdings hatten die Nachkommen, die aus Kreuzungen mit normalen Pflanzen entstanden, deutlich weniger Samen. „Das liegt daran, dass sich die veränderten Chromosomen bei der Fortpflanzung nicht mehr richtig mit den unveränderten paaren können. Dadurch entstehen fehlerhafte Keimzellen, was die Fruchtbarkeit senkt“, so Puchta. „Untereinander sind die Pflanzen aber so fruchtbar wie vorher.“

Solche Veränderungen könnten langfristig gezielt dafür genutzt werden, um Pflanzen genetisch von ihren wilden Verwandten zu isolieren und so ungewollte Auskreuzungen zu verhindern. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, wie flexibel Pflanzengenome gegenüber massiven Umstrukturierungen sind“, so Puchta. „Unser Ansatz bietet uns eine einzigartige Gelegenheit, weitere Einblicke in die Genomentwicklung und potenzielle biotechnologische Anwendungen zu gewinnen.“ (swi)

Karlsruher Institut für Technologie


Originalpublikation:
Michelle Rönspies, Solmaz Khosravi, Ondřej Helia, Alessandro Valisi, Jiří Fajkus, Miloslava Fojtová, Andreas Houben, Holger Puchta: CRISPR/Cas-mediated heritable chromosome fusions in Arabidopsis. Science, 2025. DOI: 10.1126/science.adz8505. https://www.science.org/doi/10.1126/science.adz8505

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Wissenschaft Baden-Württemberg
news-34196 Mon, 24 Nov 2025 11:32:15 +0100 Meeresspiegelanstieg bedroht Nordseeküste stärker als erwartet https://www.vbio.de/aktuelles/details/meeresspiegelanstieg-bedroht-nordseekueste-staerker-als-erwartet Das Wattenmeer der Nordsee besteht aus flachen Küstenbuchten, sogenannten Tidebecken. Diese Becken haben eine wichtige Funktion: Sie schützen die Küsten vor Überschwemmungen, zum Beispiel durch Sturmfluten und den steigenden Meeresspiegel. Eine neue Studie des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigt, dass die meisten Tidebecken in der Deutschen Bucht nicht mehr über ausreichend Sedimente verfügen, um den Anstieg des Meeresspiegels auszugleichen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Communications Earth &amp; Environment veröffentlicht. Sie basieren auf einer Analyse von Daten aus 25 Jahren.&nbsp; Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht als Folge des Klimawandels weltweit besonders niedrig gelegene Küstengebiete wie das Wattenmeer in der Nordsee. Tidebecken bilden dort eine natürliche Schutzbarriere. Sie verbinden das Festland mit den vorgelagerten Inseln. Durch Flut und Ebbe werden sie mit Meerwasser gefüllt und leeren sich wieder. Dabei lagern sich Sedimente ab, weshalb der Meeresboden stetig in die Höhe wächst. So federn die Becken den Anstieg des Meeresspiegels ab. Allerdings hat diese Fähigkeit zur Höhenanpassung zuletzt deutlich abgenommen. Der Meeresspiegel steigt schneller an als der Boden der Tidebecken. Das haben Forschende vom Hereon-Institut für Küstensysteme - Analyse und Modellierung in ihrer neuesten Studie herausgefunden.

Folgen für den Küstenschutz

„Die Sedimentation in den deutschen Tidebecken ist nicht mehr ausreichend, um den steigenden Wasserständen entgegenzuwirken”, sagt der Geophysiker und Co-Autor Dr. Wenyan Zhang. Nur 9 der 24 vorhandenen Becken in der Deutschen Bucht zeigten über den Untersuchungszeitraum von 1998 bis 2022 eine Höhenzunahme, die den relativen Meeresspiegelanstieg übertraf. Betrachtet man das vergangene Jahrzehnt, sind es sogar nur 4 Becken.

Verborgene Fehler in langfristigen Daten

Die Forschenden stellten außerdem fest, dass das Höhenwachstum der Tidebecken bislang falsch eingeschätzt wurde. Sie werteten Datensätze über die Wassertiefe und Landschaft des Meeresbodens aus, die in all den Jahren mit unterschiedlichsten Methoden und Geräten gemessen wurden. Das Ergebnis: kleinräumige Strukturen wie Priele oder Rinnen wurden teilweise unzureichend erfasst. „Das führte in früheren Untersuchungen immer wieder zu Verzerrungen“, sagt Zhang. Die Sedimentzunahme in der Gezeitenzone sei häufig überschätzt, die Erosion in den tieferen Bereichen unterschätzt worden. Die Hereon-Forschenden bereinigten die Datensätze und korrigierten die bisherigen Einschätzungen. „Unsere Studie ergibt ein deutlich klareres und besorgniserregenderes Bild als bisher in der Wissenschaft angenommen. Daraus folgt, dass heutige und zukünftige Maßnahmen im Küstenschutz und in der Klimaanpassung deutlich umfassender und ambitionierter ausfallen müssen.“

Die am Hereon entwickelten Analyseverfahren sind entscheidend für die Abschätzung von Klimafolgen und das Küstenzonenmanagement. Sie bieten neue Möglichkeiten für die Auswertung geowissenschaftlicher Zeitreihen und die Sicherstellung der Stimmigkeit von Daten. Auf Grundlage ihrer Erkenntnisse wollen die Forschenden jetzt untersuchen, warum die Sedimentation im Wattenmeer zurückgegangen ist. Laut Zhang könnten verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, wie etwa der beschleunigte Anstieg des Meeresspiegels, Störungen der Ökosysteme, verringerte Sedimentzufuhr aus den Flüssen oder menschliche Einflüsse wie der Hafenbau.

Helmholtz-Zentrum Hereon


Originalpublikation:

Miao, B., Arlinghaus, P., Hagemann, H., Schrum, C., & Zhang, W (2025): Misconception of coastal morphological resilience caused by inconsistent resolution in bathymetry mapping. Communications Earth & Environment. https://doi.org/10.1038/s43247-025-02974-y

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Nachhaltigkeit/Klima Wissenschaft Schleswig-Holstein
news-34195 Mon, 24 Nov 2025 09:50:04 +0100 Magnetsinn: Tauben nehmen Magnetfelder über ihr Innenohr wahr https://www.vbio.de/aktuelles/details/magnetsinn-tauben-nehmen-magnetfelder-ueber-ihr-innenohr-wahr Forschende haben einen neuronalen Signalweg identifiziert, der für die Verarbeitung magnetischer Informationen aus dem Innenohr zuständig ist.&nbsp; Im Jahr 1882 gehörte der französische Naturforscher Camille Viguier zu den Ersten, die die Existenz eines magnetischen Sinnes vermuteten. Seine Vermutung erwies sich als richtig: Viele Tiere – von Fledermäusen über Zugvögel bis hin zu Meeresschildkröten – nutzen das Magnetfeld der Erde zur Orientierung. Doch trotz jahrzehntelanger Forschung wissen Wissenschaftler noch immer erstaunlich wenig über den Magnetsinn. Wie nehmen Tiere Magnetfelder wahr? Welche Schaltkreise im Gehirn verarbeiten diese Informationen? Und wo im Körper befindet sich dieses sensorische System?

Viguier stellte die gewagte These auf, dass die magnetische Wahrnehmung im Innenohr auf der Erzeugung kleiner elektrischer Ströme beruhen könnte. Die Idee wurde ignoriert und geriet in Vergessenheit – eine historische Überlegung, die im Laufe der Zeit verloren ging. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, wurde sie von Neurowissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) in einem im Fachmagazin Science veröffentlichten Artikel wieder aufgegriffen. Ein Team unter der Leitung von Professor David Keays untersuchte die Gehirne von Tauben, die Magnetfeldern ausgesetzt waren, mit einem unvoreingenommenen Ansatz. 

„Dank modernster Mikroskopie konnten wir spezielle Schaltkreise identifizieren, die magnetische Informationen verarbeiten. Darüber hinaus lieferte sie einen entscheidenden Hinweis auf die Lage der primären Magnetsensoren.“ Die Doktoranden Grégory Nordmann und Spencer Balay beobachteten eine starke Aktivierung in einer Hirnregion namens Vestibularkern, die mit dem Innenohr verbunden ist. Die genetische Analyse des Innenohrgewebes ergab Zellen mit hochempfindlichen elektrischen Sensoren, wie sie auch Haie zur Ortung ihrer Beute verwenden.

„Die von uns beschriebenen Zellen sind ideal dafür geeignet, Magnetfelder mithilfe elektromagnetischer Induktion zu erkennen – so finden Tauben ihren Weg nach Hause nach dem gleichen physikalischen Prinzip, das auch das kabellose Laden von Mobiltelefonen ermöglicht.“ In beiden Fällen wird ein Magnetimpuls in ein elektrisches Signal umgewandelt. Bei Tauben ermöglicht dies die Nutzung ihres natürlichen GPS.

Die Forscher betonen, dass dies wahrscheinlich nicht die einzige Strategie zur Magnetfeldwahrnehmung in der Natur ist. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass es im Innenohr einen sogenannten ‚dunklen Kompass‘ gibt, während andere Studien auf einen lichtabhängigen Kompass im visuellen System hinweisen“, erklärt Keays. „Aller Wahrscheinlichkeit nach hat sich die Wahrnehmung von Magnetfeldern in verschiedenen Organismen konvergent entwickelt. Es gibt also noch viel zu entdecken!“

LMU


Originalpublikation:

Gregory C. Nordmann, Spencer D. Balay et al.: A global screen for magnetically induced neuronal activity in the pigeon brain. Science 2025, https://www.science.org/doi/10.1126/science.aea6425

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Wissenschaft Bayern
news-34197 Mon, 24 Nov 2025 09:38:00 +0100 Neuer Super-Schädling vereint breites Mikrobenspektrum https://www.vbio.de/aktuelles/details/neuer-super-schaedling-vereint-breites-mikrobenspektrum Die Schilf-Glasflügelzikade hat sich innerhalb kurzer Zeit von einem Schilfgras-Spezialisten zu einem gefährlichen Schädling entwickelt, der neben Schilf auch wichtige Kulturpflanzen wie Zuckerrüben, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln befällt. Dabei lebt sie in enger Symbiose mit sieben verschiedenen Bakterien, von denen zwei Krankheiten übertragen können, die zu erheblichen Ernteausfällen führen. Vermutlich spielen die symbiotischen Bakterien eine entscheidende Rolle bei der Erweiterung des Wirtsspektrums der Zikade. Diese Erkenntnisse könnten künftig dabei helfen, gezielte Bekämpfungsstrategien zu entwickeln, die auf der Beeinflussung der schädlichen bzw. nützlichen Bakterien basieren.&nbsp; Die Schilf-Glasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) war ursprünglich ein Spezialist, der ausschließlich auf Schilfgras als Nahrungsquelle beschränkt war. Innerhalb weniger Jahre hat sie sich jedoch zu einem gefährlichen Superschädling entwickelt, der nun auch Zuckerrüben, Kartoffeln, Karotten und Zwiebeln befällt. Obwohl sie selbst nur geringe Pflanzenschäden verursacht, überträgt sie schädliche Bakterien, die Pflanzenkrankheiten auslösen und zu massiven Ernteausfällen führen – insbesondere in der Zuckerrübenproduktion und im Kartoffelanbau. Verantwortlich dafür sind zwei bakterielle Krankheitserreger, die die Krankheiten SBR (Syndrome Basses Richesses, Syndrom des niedrigen Zuckergehalts) und Stolbur verursachen.

Forschende des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Gießen sind nun der Frage nachgegangen, warum sich dieses Insekt so stark ausbreiten konnte und welche Rolle seine Mikrobenflora dabei spielen könnte. Um die Mikrobengemeinschaft zu identifizieren und zu zeigen, wo sie sich im Insektenkörper ansiedeln, nutzten die Forschenden modernste Sequenzierungsmethoden sowie Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung. 

„Wir konnten zeigen, dass die Schilf-Glasflügelzikade mindestens sieben verschiedene Bakterienarten beherbergt. Auf drei davon scheint sie absolut angewiesen zu sein. Diese Symbionten leben in spezifischen Organen und werden von Generation zu Generation über die Eier weitergegeben. Sie tragen zur Ernährung der Zikade bei, indem sie essentielle Aminosäuren und Vitamine produzieren. Zwei weitere Bakterien sind die Erreger der Pflanzenkrankheiten SBR und Stolbur. Sie können von der Zikade auf die Wirtspflanzen übertragen werden. Diese Bakterien tragen maßgeblich zur Schadwirkung der Zikade bei. Die Bedeutung der beiden übrigen Bakterien bleibt noch unklar,“ fasst Erstautor Heiko Vogel die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Er leitet in der Abteilung Insektensymbiosen die Projektgruppe Wirtspflanzenanpassung und Immunität.

Bei den beiden pflanzenpathogenen Bakterien handelt es sich um Candidatus Arsenophonus phytopathogenicus, den Verursacher von SBR, und Candidatus Phytoplasma solani, den Stolbur-Erreger. Das Forschungsteam fand fünf weitere Bakterienarten in verschiedenen Organen der Schilf-Glasflügelzikade. Die Gattungen Purcelliella, Karelsulcia und Vidania ermöglichen als Symbionten die Ernährung mit Pflanzensäften. Sie gleichen Ernährungsdefizite aus, indem sie essentielle Aminosäuren und B-Vitamine bereitstellen oder zur Biosynthese dieser Stoffe beitragen. Über die Bedeutung der Gattungen Rickettsia und Wolbachia für den Insekten-Wirt wird noch spekuliert. „Vor allem die Komplexität der unterschiedlichen Mikroben hat uns erstaunt – ebenso wie die Tatsache, dass Rickettsia-Bakterien sogar im Zellkern vieler Gewebe der Zikade zu finden sind,“ sagt Martin Kaltenpoth, Leiter der Abteilung Insektensymbiosen am Max-Planck-Institut. 

Wie sich die Schilf-Glasflügelzikade an die vielfältigen Abwehrmechanismen ihrer Wirtspflanzen anpassen kann, ist noch unbekannt. Allerdings könnten sowohl die Bakterien, die Pflanzenkrankheiten verursachen, als auch die Symbionten dabei eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse der Studie bilden die Grundlage für die Entwicklung gezielter Strategien zur Manipulation der bakteriellen Symbionten der Schilf-Glasflügelzikade. Ein Ansatz ist, gezielt die Produktion von bestimmten Speichelproteinen der Zikaden mithilfe der RNA-Interferenz zu hemmen. Hierzu werden doppelsträngige RNA (dsRNA) gegen das Zielgen injiziert. „Gegenwärtig entwickeln wir in Gießen dsRNA-basierte Sprays für die gezielte und umweltfreundliche Bekämpfung von Schilf-Glasflügelzikaden und anderen Schädlingen,“ sagt Andreas Vilcinskas vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie. 

Um die Rolle und Wechselwirkungen der mikrobiellen Partner der Schilf-Glasflügelzikade besser zu verstehen, sind weitere Studien geplant. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen neue Ansätze zur Bekämpfung dieses verheerenden Landwirtschaftsschädlings aufzeigen.

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


Originalpublikation:

Vogel, H., Weiss, B., Rama, F., Rinklef, A., Engl, T., Kaltenpoth, M., Vilcinskas, A. (2025). A multi-partner symbiotic community inhabits the emerging insect pest Pentastiridius leporinus. mBio 0:e03103-25. https://doi.org/10.1128/mbio.03103-25

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Wissenschaft Thüringen