VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Wed, 17 Dec 2025 13:03:03 +0100 Wed, 17 Dec 2025 13:03:03 +0100 TYPO3 news-35212 Wed, 17 Dec 2025 12:52:14 +0100 Synapsen bei der Arbeit zusehen https://www.vbio.de/aktuelles/details/synapsen-bei-der-arbeit-zusehen Der Moment, in dem eine Nervenzelle ihre Neurotransmitter in den synaptischen Spalt ausschüttet, ist extrem kurz. Forschenden der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center ist es gelungen, ihn mikroskopisch einzufangen. Die Aufnahmen der fusionierenden Vesikel zeigen sie jetzt im Fachblatt Nature Communications.  Der Vorgang dauert nur wenige Millisekunden: Ein Vesikel, gefüllt mit Neurotransmittern und nur ein paar Nanometer groß, nähert sich der Zellmembran, verschmilzt mit ihr und gibt seine Botenstoffe an den synaptischen Spalt ab – sodass sie sich dort an die nächste Nervenzelle heften können. Ein Team um Prof. Christian Rosenmund, Letztautor der Publikation und stellvertretender Direktor des Instituts für Neurophysiologie an der Charité, hat diesen für die Arbeit des Gehirns entscheidenden Moment in mikroskopischen Bildern festgehalten. 

Punktförmige Verbindungen

„Niemand wusste bisher, wie die Fusion der synaptischen Vesikel mit der Zellmembran im Detail abläuft“, sagt die Erstautorin der Studie, Dr. Jana Kroll, die mittlerweile in der Arbeitsgruppe „Strukturbiologie Membran-assoziierter Prozesse“ von Prof. Oliver Daumke am Max Delbrück Center forscht. „In unseren Experimenten mit Mäuse-Neuronen konnten wir zeigen, dass sich zunächst eine punktförmige Verbindung bildet. Dieser winzige Stiel erweitert sich dann zu einer Pore, durch die die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt gelangen“, erläutert Jana Kroll.

„Mithilfe der über fünf Jahre hinweg entwickelten Technologie ist es zum ersten Mal gelungen, Synapsen bei der Arbeit zuzusehen, ohne sie dabei zu stören“, ergänzt Christian Rosenmund. „Jana Kroll hat hier echte Pionierarbeit geleistet“, sagt der Wissenschaftler, der auch zum Vorstand des Excellenzclusters NeuroCure gehört.

Schockgefroren in Ethan

Um die Synapsen in Echtzeit zu beobachten, haben die Forschenden Nervenzellen von Mäusen genutzt, die sie zuvor mithilfe der Optogenetik so verändert hatten, dass die Zellen durch ein Lichtsignal aktiviert werden – und daraufhin sofort beginnen, Neurotransmitter auszuschütten. Innerhalb von ein bis zwei Millisekunden hat das Team die Neuronen dann in minus 180 Grad Celsius kaltem Ethan schockgefroren. „Alle zellulären Vorgänge stehen bei diesem Verfahren, dem Plunge Freezing, sofort still und können elektronenmikroskopisch sichtbar gemacht werden“, erläutert Jana Kroll.

Dabei stießen die Wissenschaftler:innen auf ein weiteres interessantes Detail: „Wir konnten erkennen, dass die meisten der fusionierenden Vesikel über kleine Filamente mit mindestens einem weiteren Vesikel verbunden sind – sobald ein Vesikel mit der Zellmembran verschmilzt, steht schon das nächste bereit“, berichtet Jana Kroll. „Wir gehen davon aus, dass diese direkte Form der Vesikel-Rekrutierung es ermöglicht, dass Neurone auch über einen längeren Zeitraum hinweg Signale senden und so ihre Kommunikation aufrechterhalten können.“

Epilepsien besser behandeln

Die Fusion der Vesikel, die das Team visualisiert hat, findet in unseren Gehirnen jede Minute millionenfach statt. Den Prozess im Detail zu verstehen, ist auch für medizinische Zwecke wichtig: „Bei vielen Menschen mit Epilepsie oder anderen Erkrankungen der Synapsen sind Mutationen in Proteinen bekannt, die an der Vesikelfusion beteiligt sind“, erklärt Christian Rosenmund. „Wenn wir die genaue Rolle dieser Proteine aufdecken, können wir leichter zielgerichtete Therapien für solche Synaptopathien entwickeln.“

„Der vor uns vorgestellte Ansatz für eine zeitaufgelöste Kryo-Elektronenmikroskopie mittels Licht ist zudem nicht auf Neurone beschränkt, sondern lässt sich in vielen Bereichen der Struktur- und Zellbiologie anwenden“ ergänzt Jana Kroll. Sie selbst möchte ihre Experimente jetzt am Max Delbrück Center zunächst mit menschlichen Neuronen wiederholen, die sie aus Stammzellen gewinnt. Eine leichte Aufgabe werde das allerdings nicht, kündigt die Forscherin an: „Die Zellen benötigen im Labor rund fünf Wochen, bis sie erste Synapsen entwickeln, und sind dabei extrem empfindlich.“

Charité – Universitätsmedizin Berlin


Originalpublikation:
Kroll, J., Kravčenko, U., Sadeghi, M. et al. Dynamic nanoscale architecture of synaptic vesicle fusion in mouse hippocampal neurons. Nat Commun 16, 11131 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-67291-6

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Wissenschaft Berlin
news-35211 Wed, 17 Dec 2025 12:01:55 +0100 Vorhersage von Antibiotikaresistenz: Datenverzerrung verringert Zuverlässigkeit von KI-Modellen https://www.vbio.de/aktuelles/details/vorhersage-von-antibiotikaresistenz-datenverzerrung-verringert-zuverlaessigkeit-von-ki-modellen Um Antibiotikaresistenzen bei Krankheitserregern vorherzusagen, greifen Fachleute zunehmend auf maschinelles Lernen zurück. Mit dessen Hilfe lassen sich anhand der Genetik eines Erregers Resistenzmechanismen erkennen. Die Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten: Forschende des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) konnten nachweisen, dass die Modelle häufig weniger zuverlässig sind als angenommen. Ihre Erkenntnisse wurden im Fachmagazin PLOS Biology veröffentlicht. Sie tragen dazu bei, verlässlichere Werkzeuge zur Vorhersage und Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen zu entwickeln. Antibiotikaresistente Infektionen stellen eine immer größer werdende Bedrohung dar. Anstatt Bakterien klassisch zu kultivieren und ihre Reaktion auf Antibiotika zu testen, analysieren Labore zunehmend das bakterielle Erbgut, um frühzeitig Resistenzen zu identifizieren. Aus den DNA-Sequenzen des Erregers können Forschende ableiten, über welche Resistenzmechanismen er verfügen könnte und anschließend wirksame Behandlungsmöglichkeiten vorschlagen. Computerprogramme, die aus vorhandenen Sequenzierungsdaten „lernen”, sind dabei ein vielversprechender Weg, um vorherzusagen, welche Antibiotika wirken und welche nicht. Diese Technologien haben jedoch auch Defizite: Eine oft unterschätzte Herausforderung sind dabei die Annahmen, die die computergestützten Methoden selbst treffen.

Forschende vom Würzburger Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU), konnten gemeinsam mit der University of Birmingham in Großbritannien nachweisen, dass genau diese Annahmen zu übermäßig optimistischen Ergebnissen hinsichtlich der Vorhersagekraft führen und so deren Aussagewert verzerren können.

Die meisten klassischen Methoden des maschinellen Lernens – Technologien, die aus Daten lernen und ohne explizite Programmierung selbstständig Muster erkennen – erfordern, dass die Trainingsdaten unabhängig und identisch verteilt sind. Das ist bei Bakterienproben allerdings nicht der Fall: Eng verwandte Bakterien weisen viele gemeinsame Merkmale auf. Während einer Epidemie setzen sich „erfolgreiche” Erregervarianten schnell durch. Wenn sie sich unter anderem aufgrund ihrer Abwehrmechanismen gegen Antibiotika so rasch vermehren, verbreiten sich automatisch auch andere Merkmale – selbst, wenn diese nichts mit Resistenz zu tun haben.

Dies kann den Anschein erwecken, dass bestimmte genetische Merkmale direkt mit einer Resistenz zusammenhängen, obwohl sie in Wirklichkeit nur aufgrund der Verwandtschaft der Erreger gemeinsam auftreten. Die Algorithmen lernen folglich, verwandte Stämme vorherzusagen, anstatt die Resistenz selbst. 

24.000 Genome von fünf Bakterienarten

„In diesem Projekt haben wir mehr als 24.000 Genome, also die Gesamtheit aller Erbinformationen, von fünf bedeutenden krankheitsverursachenden Bakterienarten analysiert“, sagt Lars Barquist. Er ist ein mit dem HIRI assoziierter Wissenschaftler und Professor an der University of Toronto in Kanada. Barquist hat die Studie, die in PLOS Biology veröffentlicht wurde, als korrespondierender Autor initiiert. Bei den untersuchten Bakterienarten handelt es sich um den Magen-Darm- und Harnwegserreger Escherichia coli, den opportunistischen Erreger Klebsiella pneumoniae, den Magen-Darm-Keim Salmonella enterica, den Hautkommensalen und opportunistischen Erreger Staphylococcus aureus sowie den Hauptverursacher der außerhalb des Krankenhauses erworbenen Lungenentzündung, Streptococcus pneumoniae. Für diese Keime liefern gängige maschinelle Lernverfahren ein übermäßig positives Bild davon, wie gut die Resistenzvorhersage funktioniert.

„Wir wollten untersuchen, wie sich die verzerrte Stichprobenauswahl auf die Leistungsfähigkeit von Machine-Learning-Tools zur Vorhersage von Resistenzen auswirkt“, so Barquist. Die Forschenden konstruierten Szenarien, in denen Resistenzen mit bakteriellen Stammbäumen verknüpft sind. Sie konnten zeigen, dass herkömmliche Ansätze zu überoptimistischen Ergebnissen führen können, die nicht verallgemeinerbar sind. „Wenn die Modelle realistischer bewertet werden, indem sichergestellt wird, dass die Trainings- und Testbakterien nicht aus derselben genetischen Familie stammen, sinkt die Genauigkeit – manchmal sogar drastisch“, bemerkt Erstautorin Yanying Yu, die im Labor von Lars Barquist promoviert hat. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Modelle, welche die evolutionären Beziehungen zwischen Bakterien außer Acht lassen, möglicherweise nicht in der Lage sind, echte Resistenzsignale zu erfassen. Dadurch wird ihre Fähigkeit eingeschränkt, genaue Vorhersagen für bisher unbekannte Abstammungslinien zu treffen. Infolgedessen ist es unwahrscheinlich, dass solche Methoden zuverlässige Anhaltspunkte für eine präzise Behandlung liefern, wenn neue pathogene Stämme auftreten.

Die Studie vermittelt einen umfassenden Eindruck vom Ausmaß dieses Problems: „Viele der bisherigen Methoden-Bewertungen waren wahrscheinlich zu optimistisch“, schlussfolgert Barquist. „Um zuverlässige Instrumente zur Vorhersage von Antibiotikaresistenzen zu entwickeln, ist es unerlässlich, die evolutionären Beziehungen der Bakterien zu berücksichtigen“, bemerkt Yu.

Die Forschungsergebnisse bieten wertvolle Ansatzpunkte für die Entwicklung verbesserter Testverfahren und Datensätze und können als Orientierung für zukünftige Modelle und Überwachungssysteme dienen. Damit ermöglichen sie neue methodische Ansätze, die die Struktur von Bakterienpopulationen berücksichtigen und somit präzisere Vorhersagen erlauben.
 

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung


Originalpublikation:

Yu Y, Wheeler NE, Barquist L: Biased sampling driven by bacterial population structure confounds machine learning prediction of antimicrobial resistance, PLOS Biology (2025), DOI: 10.1371/journal.pbio.3003539, https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3003539

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Künstliche Intelligenz Wissenschaft Bayern Niedersachsen
news-35210 Wed, 17 Dec 2025 11:29:51 +0100 Ein Enzym neutralisiert Krankheitserreger durch Toxinspaltung https://www.vbio.de/aktuelles/details/ein-enzym-neutralisiert-krankheitserreger-durch-toxinspaltung Ein Forschungsteam beschreibtin einer aktuellen Studie ein neues Enzym, das das hochgiftige Molekül Malleicyprol unschädlich macht. Malleicyprol gilt als ein wichtiger Virulenzfaktor von Burkholderia-Bakterien, die unter anderem die gefährliche Tropenkrankheit Melioidose auslösen. Die Entdeckung eröffnet neue Wege für Strategien gegen antibiotikaresistente Erreger.  Burkholderia pseudomallei gilt als einer der gefährlichsten bakteriellen Krankheitserreger der Tropen. Die von diesen Bakterien verursachte Erkrankung Melioidose verläuft häufig schwer und ist selbst bei Behandlung mitunter tödlich. „Pro Jahr werden weltweit fast 170.000 neue Infektionen gemeldet, etwa die Hälfte der Betroffenen verstirbt daran“, berichtet Jonas Fiedler. Der Doktorand ist Erstautor der Publikation und arbeitet im Team von Christian Hertweck, Professor für Naturstoffchemie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Leiter der Studie am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI).

Gefährlich wird der Erreger durch das Toxin Malleicyprol, es greift die Zellen an und verursacht so die Krankheit. „Verantwortlich dafür ist eine kleine, hochreaktive chemische Struktur im Molekül, der sogenannte Cyclopropanol-Ring“, erklärt Fiedler.

Ein bisher übersehenes Gen kodiert für ein Enzym, das den reaktiven Molekülteil zerstört

Obwohl Malleicyprol ein wichtiger Faktor für die Virulenz von Burkholderia-Spezies ist und dessen Biosynthese weitgehend verstanden war, blieb die Funktion eines Enzyms unklar: „Uns fiel ein kleines Gen auf, das ein unbekanntes Protein kodiert. Wir konnten diesem Genprodukt aber keine Funktion in der Toxinbildung zuordnen. Diese Lücke wollten wir schließen und schalteten das Gen gezielt aus, um dessen Rolle zu verstehen“, erinnert sich Fiedler.

Die Bakterien produzierten zwar weiterhin das giftige Malleicyprol, eine inaktive Variante des Moleküls fehlte jedoch plötzlich. „Das Gen muss also ein Enzym kodieren, das das Toxin in diese ungefährliche Form umwandelt“, so Fiedler.

Die Forschenden interessierte nun, wie genau das Enzym – es trägt den Namen BurK – die Molekülstruktur verändert. Dabei entdeckten sie einen bemerkenswerten Mechanismus: BurK benutzt eisenhaltige Verbindungen, um sehr reaktive Teilchen (Radikale) zu erzeugen. Diese spalten den für die Toxizität entscheidenden Cyclopropanol-Ring und machen Malleicyprol damit unschädlich. „Das war eine echte Überraschung“, so Fiedler. „Es war vorher kein Enzym in der Natur bekannt, das einen Cyclopropanol-Ring gezielt spaltet.“ Er erklärt weiter: „Natürlich entschärft das Bakterium das Toxin nicht, um Menschen zu schützen. Vielmehr reguliert es die Menge des Toxins mithilfe des Enzyms BurK.“

Schutz im Modellorganismus

Um zu prüfen, ob BurK auch in einem lebenden System wirkt, setzte das Forschungsteam das verantwortliche Gen in E. coli-Bakterien ein und brachte diese anschließend mit Nematoden – winzigen Fadenwürmern – zusammen, die zusätzlich das giftige Malleicyprol verabreicht bekamen. „Die Würmer, die das Toxin zusammen mit Bakterien mit BurK aufnahmen, konnten besser überleben“, berichtet Fiedler. Kontrollwürmer, die das Toxin und Bakterien ohne das Enzym erhielten, starben, weil das Toxin wirksam blieb. Damit zeigte sich, dass BurK Malleicyprol auch im lebenden Organismus neutralisieren kann.

Die Forschenden entdeckten sehr ähnliche Gene auch in anderen Bakterienarten, was darauf hindeutet, dass die gebildeten Enzyme eine wichtige Rolle im Zusammenspiel mit anderen Organismen spielen könnten. Einige Mikroorganismen könnten sich so möglicherweise gegen Toxine anderer Bakterien schützen oder sogar symbiotische Partner – wie Nematoden – vor dem schädlichen Malleicyprol bewahren.

Genmodifizierte Bakterien gegen Krankheitserreger?

Auch wenn die genaue Funktion dieser Enzyme in der Natur noch unklar ist, sind für den Menschen praktische Anwendungen denkbar: „Das Bakterium, das wir generiert haben, könnte man therapeutisch nutzen, um Malleicyprol zu neutralisieren. Die Übertragbarkeit auf menschliche Infektionen muss aber noch gründlich untersucht werden“, sagt Fiedler. Realistischer sei zunächst ein Einsatz in der Umwelt, etwa in Regionen, in denen Burkholderia-Bakterien natürlicherweise im Boden vorkommen: „Man könnte betroffene Böden dekontaminieren, um toxische Effekte zu reduzieren“, so Fiedler. „Auch das müsste man zunächst gründlich testen.“

In jedem Fall zeigt das Forschungsteam, dass die Natur ein erstaunliches Repertoire an Werkzeugen besitzt, wovon viele dem Menschen noch verborgen sind. Das Enzym BurK ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür. Studienleiter Christian Hertweck resümiert: „Unsere Arbeit zeigt, dass man die Gefährlichkeit eines Krankheitserregers gezielt neutralisieren kann, ohne ihn direkt abtöten zu müssen. Das eröffnet uns neue Perspektiven für den zukünftigen Umgang mit antibiotikaresistenten Bakterien und könnte langfristig Teil neuartiger Therapien werden.“

Leibniz-HKI


Originalpublikation: 

Fiedler J, Richter I, Dornblut K, Scharf A, Hertweck C (2025) Inactivation of the Burkholderia Toxin Malleicyprol by Enzymatic Cyclopropanol Ring Opening. Angew Chem Int Ed, https://doi.org/10.1002/anie.202521105

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Wissenschaft Thüringen
news-35209 Wed, 17 Dec 2025 10:41:40 +0100 Wider den Funktionsverlust von kleinen Hirngefäßen https://www.vbio.de/aktuelles/details/wider-den-funktionsverlust-von-kleinen-hirngefaessen Eine neue Studie zeigt, wie Erkrankungen kleiner Blutgefäße im Gehirn entstehen. Die sogenannte zerebrale Kleingefäßerkrankung kann zu weit verbreiteten Folgen führen wie Durchblutungsstörungen, Blutungen und oft schweren Schlaganfällen; und sie gilt als eine der Hauptursachen für eine Demenz.  Angesichts der Häufigkeit dieses ernsten und lebensgefährlichen Leidens – Schlaganfälle zum Beispiel sind die häufigste Ursache für langfristige Behinderungen und die zweithäufigste Todesursache – ist es erstaunlich, „dass die Medizin bisher vergleichsweise wenig über die zellulären und molekularen Mechanismen bei der Entstehung der zerebralen Kleingefäßerkrankung wusste“, sagt Prof. Dr. Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU Klinikums München. Denn es ist einerseits kaum möglich, die winzigen Adern im menschlichen Gehirn direkt zu untersuchen. Andererseits „standen bisher kaum geeignete experimentelle Modelle zur Verfügung, mit denen sich im Reagenzglas oder auch im Organismus untersuchen lässt, was genau auf zellulärer oder molekularer Ebene bei Kleingefäßerkrankungen passiert“, sagt Prof. Dr. Dominik Paquet, Professor für Neurobiologie am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD).

Doch in den vergangenen Jahren haben die Münchner Wissenschaftler Endothelzellen sowohl in Mäusen als auch in einem aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) entwickelten menschlichen Modell genetisch so verändert, dass sie bestimmte Proteine nicht mehr produzieren können. Endothelzellen bilden die innerste Schicht der Gefäßwände, an denen das Blut entlangfließt: und sie sind der Schauplatz, an dem die Erkrankung häufig beginnt. Durch die gezielte Ausschaltung des Foxf2-Gens - eines von den Forschern zuvor identifizierten Risikogens für Schlaganfall - fehlt den Zellen das entsprechende Protein, was zu einer Verschlechterung der Funktion von kleinen Hirngefäßen führt, vor allem zu einer Störung der Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor schädlichen Einflüssen schützt. „Damit“, erklärt Martin Dichgans, „ist das Fehlen von Foxf2 ohne Zweifel eine der grundlegenden Ursachen der zerebralen Kleingefäßerkrankung.“

Nun ist Foxf2 ein Transkriptionsfaktor, der viele weitere Gene aktiviert - unter anderem, wie die Münchner Forschenden herausfanden, das Gen Tie2 und dessen nachgeschaltete Gene im sogenannten Tie-Signalweg. Ein in Endothelzellen normal aktiviertes Tie2-Gen beziehungsweise ein normal arbeitender Tie2-Signalweg sind entscheidend daran beteiligt, die Gefäße gesund zu halten. Ohne Tie2 steigt zum Beispiel das Risiko für Entzündungsreaktionen in den Endothelzellen größerer Gefäße, das wiederum fördert Arteriosklerose („Arterienverkalkung“) und das Schlaganfall- und Demenz-Risiko. „Wir haben unsere Ergebnisse auf verschiedenen molekularen Ebenen abgesichert“, sagt Prof. Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD). „Und wir konnten ihre Relevanz für den Menschen auch in Experimenten mit unserem neuentwickelten menschlichen Blutgefäßmodell bestätigen“, sagt Paquet.

Last not least haben die Forschenden auch eine Therapie gegen die gestörte Funktion der kleinen Hirngefäße getestet, die auf ihren neuen Erkenntnissen beruht. Der Medikamenten-Wirkstoff AKB-9778 aktiviert spezifisch Tie2. „Durch die Behandlung konnten wir nicht nur den Tie2-Signalweg normalisieren, sondern auch die gestörte Gefäßfunktion wiederherstellen“, sagt Neurologe Dichgans. Mit dieser Therapie könnte eventuell auch das Risiko für Schlaganfall und Demenz gesenkt werden.

„Ich würde jetzt gerne verkünden, dass wir schon eine Studie mit Patienten vorbereiten, in denen dieser Wirkstoff geprüft wird“, sagt Dichgans, „aber es ist augenblicklich nicht ganz einfach an die Substanz heranzukommen, weil sie gerade in klinischen Studien für den Einsatz bei Augenerkrankungen geprüft wird.“ Die Forschenden suchen nun nach verwandten Wirkstoffen, die sich für die klinische Erprobung bei Kleingefäßerkrankungen eignen könnten.

LMU Klinikum München


Originalpublikation:

Todorov-Völgyi, K., González-Gallego, J., Müller, S.A. et al. The stroke risk gene Foxf2 maintains brain endothelial cell function via Tie2 signaling. Nature Neuroscience (2025). 
DOI: https://doi.org/10.1038/s41593-025-02136-5

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Wissenschaft Bayern
news-35208 Wed, 17 Dec 2025 10:24:22 +0100 Lila bis weiß, glatt bis stachelig: Genetische Vielfalt der Aubergine erstmals erfasst https://www.vbio.de/aktuelles/details/lila-bis-weiss-glatt-bis-stachelig-genetische-vielfalt-der-aubergine-erstmals-erfasst Sie ist lila, manchmal weiß, manchmal stachelig und erscheint in diversen Formen – die Aubergine. Forscher:innen haben erstmals einen vollständigen Katalog aller Gene und Eigenschaften der Aubergine erstellt. Diese neue Datengrundlage ebnet den Weg für robustere, klimaangepasste und qualitativ hochwertige Sorten, die langfristig Ernteerträge sichern und die Vielfalt in der Landwirtschaft erhalten. An der Studie waren neben Jülicher Forschenden Teams aus sechs weiteren Ländern beteiligt. Mit der Entschlüsselung des so genannten Pan-Genoms – also der gesamten genetischen Vielfalt einer Art – sowie des Pan-Phänotyps, der die gesamte Bandbreite äußerer und innerer Merkmale innerhalb einer Art umfasst, schafft das Konsortium erstmals eine Datengrundlage. Sie zeigt präzise, welche Eigenschaften stabil vererbt werden und welche stark vom Umfeld abhängen. Damit wird die Züchtung neuer Sorten – etwa mit höherer Widerstandsfähigkeit oder verbessertem Inhaltsstoffprofil – deutlich gezielter und schneller möglich. Die zugrunde liegenden Genomdaten und viele der untersuchten Sorten werden der Forschungsgemeinschaft weltweit offen zugänglich gemacht.

Jülicher Expertise im internationalen Verbund

Das Projekt wurde gemeinsam von Prof. Dr. Björn Usadel vom Institut für Bio- und Geowissenschaften – Bioinformatik (IBG-4) am Forschungszentrum Jülich, Prof. Dr. Lorenzo Barchi von der Universität Turin und Dr. Giovanni Giuliano von der Italienischen Nationalagentur für neue Technologien geleitet. Das Jülicher Team verantwortete die Sequenzierung und zentrale bioinformatische Analysen.

Ausgangspunkt war die Sammlung von 3.400 Auberginensorten, anhand derer die Forschenden die Domestizierung der Pflanze von Indien und Südostasien über arabische und chinesische Handelswege bis nach Europa und Ostasien rekonstruieren konnten. Dabei zeigte sich auch, wie stark sich Merkmale im Laufe der Domestizierung verändert haben: Sorten aus Indien und Südostasien tragen häufig noch die helleren Farbvarianten und die stacheligen Blätter ihrer wilden Vorfahren, während diese Eigenschaften in anderen Regionen nach und nach verloren gingen.

Projektaufbau: Von globaler Vielfalt zu genetischer Präzision

Für eine detaillierte Gen- und Merkmalsanalyse konzentrierte sich das Team anschließend auf 368 repräsentative Sorten, einschließlich ihrer wilden Vorfahren. Ihre Genome wurden vollständig sequenziert, und 218 Merkmale erfasst – darunter Eigenschaften, die für den Anbau wichtig sind, etwa wie gut die Pflanze Krankheiten, Schädlinge oder Trockenheit übersteht oder welche Inhaltsstoffe sich in den Früchten bilden. Die Untersuchungen fanden an drei verschiedenen Standorten in Spanien, Italien und der Türkei statt.

Dabei zeigte sich, dass manche Merkmale an allen Standorten ähnlich ausgeprägt waren. Dazu zählen zum Beispiel die typische Form der Früchte oder die Anzahl der Samen – Eigenschaften, die vor allem genetisch bestimmt sind. Andere Merkmale hingegen veränderten sich deutlich je nach Umgebung, etwa die Größe der Früchte oder die Intensität bestimmter Farb- oder Aromastoffe. Solche Merkmale werden stark vom Klima und den lokalen Bedingungen beeinflusst und sind besonders wichtig für die Züchtung standortangepasster Sorten.

Zum Einsatz kam unter anderem modernste Nanoporen-Sequenzierung, eine Technologie, die besonders lange DNA-Abschnitte auslesen kann und so einen sehr präzisen Blick auf das Erbgut ermöglicht. Zusammen mit ausgefeilter Bioinformatik zeigte sich ein Kerngenom aus rund 16.300 Genfamilien sowie rund 4.000 variable Genfamilien, die für regionale Besonderheiten sorgen.

„Das Pangenom, das wir mithilfe der Nanoporentechnologie zusammenstellen konnten, ist wirklich beeindruckend“, sagt Björn Usadel. „Dank cleverer Bioinformatik lassen sich heute selbst komplexe Merkmale bis auf einzelne DNA-Mutationen zurückverfolgen. Dieses Verständnis hilft uns, gezielt Eigenschaften zu identifizieren, die Pflanzen widerstandsfähiger machen – ein entscheidender Schritt für die Züchtung unter sich wandelnden Umweltbedingungen.“

Schlüsselbefunde: Von Stacheln bis Fruchtqualität

Insgesamt identifizierte das Team über 3.000 Verknüpfungen zwischen Genen und beobachtbaren Eigenschaften. Besonders deutlich zeigen sich diese Zusammenhänge bei der Stachelbildung, welche die Ernte erschwert, bei der Resistenz gegen den Pilz Fusarium, der Erträge stark beeinträchtigen kann, sowie beim Gehalt an Isochlorogensäuren, antioxidativen Inhaltsstoffen, die auch die Bräunung des Fruchtfleisches beeinflussen. Analysen zu weiteren 215 Merkmalen werden in einem Folgebericht veröffentlicht.

Forschungszentrum Jülich


Originalpublikation:

Gaccione, L., Toppino, L., Bolger, M. et al. Graph-based pangenomes and pan-phenome provide a cornerstone for eggplant biology and breeding. Nat Commun 16, 9919 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-64866-1

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Wissenschaft Nordrhein-Westfalen
news-35203 Tue, 16 Dec 2025 12:42:45 +0100 Ein menschliches Modell der Blut-Hirn-Schranke https://www.vbio.de/aktuelles/details/ein-menschliches-modell-der-blut-hirn-schranke Das Gehirn ist ein besonderes Organ für unseren Körper und deshalb auch besonders schützenswert. In diesem Sinne verhindert die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, dass potenziell schädliche Substanzen aus dem Blut ins Gehirn eindringen können. Störungen des Schutzwalls sind an der Entstehung wichtiger Hirnerkrankungen – wie Schlaganfall und Alzheimer – beteiligt. Nun ist es Wissenschaftlern des LMU Klinikums München um Prof. Dr. Dominik Paquet und Prof. Dr. Martin Dichgans vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) gelungen, im Labor aus menschlichen Stammzellen eine funktionierende menschliche Blut-Hirn-Schranke zu konstruieren – und damit Krankheitsprozesse zu untersuchen.  In den vergangenen Jahrzehnten erschienen Hunderte von Medikamenten-Wirkstoffen in Tierversuchen so vielversprechend, dass sie auch am Menschen in aufwändigen Studien, beispielsweise gegen die Alzheimer-Demenz, erprobt wurden. Aber: Nur einer kam durch und wurde letztlich zur Behandlung der Patienten zugelassen. Allein diese bescheidene Quote belegt, wie dringend die Medikamenten-Entwicklung experimentelle Modelle braucht, die auf menschlichen Zellen beruhen und Effekte und Risiken möglicher neuer Wirkstoffe besser abbildet. Zusätzlich sind auch Grundlagen-Wissenschaftler an Forschungseinrichtungen auf realistische Modelle angewiesen, um die genetischen und molekularen Grundlagen von Hirnerkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder Schlaganfall zu entschlüsseln.

Eine der offenen Fragen ist zum Beispiel, welche Rolle Störungen der Blut-Hirn-Schranke bei neurologischen Erkrankungen spielen? Diese ist ein komplexes System mehrerer Zelltypen, vor allem Endothelzellen der innersten Schicht der Blutgefäßwände, aber auch glatten Muskel- und Gliazellen. Sie formen einerseits eine nahezu undurchdringbare passive Barriere und sorgen andererseits auch aktiv dafür, dass für das Gehirn wichtige Stoffe durchgelassen und potenziell gefährliche Stoffe aus dem Blut ausgeschlossen werden. „So schafft diese Schranke im Gehirn eine ganz bestimmte Umgebung, ohne die die Nervenzellen nicht reibungslos arbeiten könnten“, erklärt Prof. Dr. Dominik Paquet, Professor für Neurobiologie am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) des LMU Klinikums München.

2018 begann sein Team, ein Modell der Blut-Hirn-Schranke im Labor nachzubauen. Grundlage dafür bilden sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) des Menschen. Aus ihnen haben die Experten des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) alle nötigen Zelltypen für eine Blut-Hirn-Schranke hergestellt. Mit einigen Tricks der Molekular- und Zellbiologie haben es die Forschenden dann geschafft, dass sich diese Zellen in einer gelartigen Matrix auch zu einem funktionierenden dreidimensionalen Gewebe formen, das auf den mikroskopischen Bildern den Blutgefäßen im Gehirn sehr ähnlich ist. „In enger Zusammenarbeit mit dem Labor von Martin Dichgans konnten wir auch zeigen, dass sich in diesem Modell Krankheitsprozesse erforschen lassen“, so Paquet weiter. „Beispielsweise haben wir herausgefunden, dass die Blut-Hirn-Schranke nicht mehr richtig funktioniert, wenn in den Endothelzellen ein sogenanntes Risiko-Gen verändert ist, welches häufig bei Patienten mit Schlaganfällen auftritt,“ sagt Prof. Dr. Martin Dichgans, Direktor des Instituts für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD).

Das experimentelle System steht jetzt den Wissenschaftlern weltweit zur Verfügung, wenn sie Forschungsfragen rund um die Blut-Hirn-Schranke beleuchten wollen. „Das System lässt sich in jedem Labor schnell innerhalb einiger Wochen etablieren“, sagt Paquet. Er hofft darauf, dass sich die Entwicklung neuer Therapien für neurologische Erkrankungen mit dem Modell aus München beschleunigen wird.

LMU Klinikum München


Originalpublikation:

González-Gallego, J., Todorov-Völgyi, K., Müller, S.A. et al. A fully iPS-cell-derived 3D model of the human blood–brain barrier for exploring neurovascular disease mechanisms and therapeutic interventions. Nat Neurosci (2025). doi.org/10.1038/s41593-025-02123-w

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Wissenschaft Bayern
news-35202 Tue, 16 Dec 2025 10:59:28 +0100 Mikrobe des Jahres 2026: Penicillium – Pinselschimmel rettet Leben https://www.vbio.de/aktuelles/details/mikrobe-des-jahres-2026-penicillium-pinselschimmel-rettet-leben Penicillium, ein Pinselschimmel, ist die Mikrobe des Jahres 2026. Dieser Pilz rettete in den letzten 80 Jahren Millionen Menschen das Leben - und tut es noch täglich. Zufälle ebneten diesen Weg: eine Verunreinigung im Labor, eine verschimmelte Melone sowie Forschende, die diese Beobachtungen hinterfragten. Dank vieler Optimierungen sind Penicillin und seine Verwandten noch heute die häufigsten Antibiotika. Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) ernennt mit Penicillium eine Mikrobe des Jahres, die außer in der Medizin auch für Käsegeschmack und andere Anwendungen von Bedeutung ist.  Der schottische Mediziner Alexander Fleming beobachtete 1928, dass auf einer Agarplatte weniger Bakterien wuchsen: Dort hatte sich als Verunreinigung ein Schimmelpilz ausgebreitet. Er schloss daraus, dass dieser Pilz eine Substanz in den Agar ausscheidet, die das Bakterienwachstum hemmt. Ähnliche Beobachtungen hatten auch andere Wissenschaftler beschrieben. Später wurde der Pilz als Penicillium notatum identifiziert und die ausgeschiedene Substanz Penicillin genannt. Fleming vermutete, dass Penicillin die Bakterien zerstören würde - heute wissen wir, dass dieses Antibiotikum die Zellwandsynthese der Bakterien stört - sie können nicht mehr wachsen und sich vermehren.

1941 isolierten und reinigten der Pathologe Howard Florey und der Chemiker Ernst Chain Penicillin als Substanz aus Penicillium notatum. Ärzte im Krankenhaus Oxford behandelten im selben Jahr erstmals einen Patienten: Ein Kratzer im Gesicht des Polizisten Albert Alexander hatte sich infiziert. Das neuartige Penicillin senkte umgehend das hohe Fieber, der Appetit kam wieder, die Wunden begannen zu heilen. Dennoch starb der Patient wenige Tage später – der Penicillin-Vorrat war zu schnell aufgebraucht.
Im selben Jahr isolierten Mitarbeitende der Northern Regional Research Laboratories in Illinois (USA) einen neuen Penicillium-Stamm aus einer angeschimmelten Cantaloupe-Melone. Er lieferte ausreichende Penicillin-Mengen, um infizierte Soldaten und Zivilisten zu behandeln. Noch heute stammen alle weltweit industriell genutzten Penicillin-Produzenten vom Cantaloupe-Stamm ab und liefern bei Anzucht in Fermentern hunderttausendfach mehr Penicillin als der Ausgangsstamm. Immer noch sind Penicillin und seine synthetischen Derivate die am häufigsten eingesetzten Antibiotika gegen bakterielle Infektionen. Die jährliche Weltproduktion liegt bei etwa 50.000 Tonnen. Für die Entdeckung des Penicillins und seine heilende Wirkung bei Infektionskrankheiten erhielten Fleming, Florey und Chain 1945 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

Penicillium bildet fädige Strukturen mit charakteristischen Sporen. Damit sehen sie aus wie kleine Pinsel (lateinisch penicillus). Penicillium-Arten werden daher auch als Pinselschimmel bezeichnet. Über die - oft farbigen - Sporen pflanzt sich Penicillium asexuell fort. Allerdings identifizierten Forschende 2008 überraschend zwei Geschlechter (Kreuzungstypen). Sexuelle Kreuzung erlaubt nun, Produktionsstämme mit neuen Eigenschaften zu züchten.
Käsehersteller wollen so beispielsweise degenerierten Pilzstämmen neue Kraft einflößen. Denn Pinselschimmel produzieren den Geschmack und Geruch von Käsearten wie Camembert, Brie und Blauschimmelkäse. Deren weiße, halbfeste "Rinde" besteht überwiegend aus Penicillium camemberti, der auch für die weiche, buttrige Konsistenz von Brie und Camembert verantwortlich ist. Penicillium roqueforti wird für die Produktion der gleichnamigen Käsesorten eingesetzt; er produziert Enzyme wie Proteasen und Lipasen, die Milchkasein spalten und flüchtige Verbindungen bildet, die dem Käse Geschmack, Aroma und Textur verleihen und vor unerwünschten Kontaminationen schützen. Die Sporen dieser Pilze werden im industriellen Maßstab hergestellt und dem Käse während der Reifung zugesetzt, wo sie auskeimen und wachsen. Französische Forschende berichten, dass die seit langem verwendeten Stämme an Vitalität verlieren. Eine Kreuzung mit „frischen“ Wildtyp-Stämmen könnte die Käse-Produzenten verjüngen und somit ein wichtiges Kulturgut erhalten.

Penicillium ist aber auch ein großer Akteur in der Biotechnologie: So produzieren Penicillium-Arten Enzyme, die praktischerweise während der Fermentation direkt in das Kulturmedium gelangen. Penicillium citrinum stellt beispielsweise Pektinasen und Cellulasen her, die in der Lebensmittelindustrie zur Klärung von Fruchtsäften und in der Textilindustrie zur Vorbehandlung von Geweben verwendet werden. Und auch andere antibiotisch wirksame Produkte werden heutzutage mit Penicillium produziert. Penicillium coprobium produziert das Meroterpenoid Pyripyropen A. Ein daraus entwickeltes Insektizid wirkt spezifisch gegen Schadinsekten wie Blattläusen und Weiße Fliegen. Schon 1893 beschrieb der Italiener Bartolomeo Gosio die Mycophenolsäure aus Penicillium brevicompactum. Er isolierte sie als erstes antibiotisch wirksames Produkt der Menschheitsgeschichte. Heute wird Mycophenolsäure als Immunsuppressivum bei Transplantationen und Autoimmunerkrankungen eingesetzt, da sie gezielt die Vermehrung von Lymphozyten hemmt. 

Penicillium, die Mikrobe des Jahres 2026, ist ein wahres Multitalent in Medizin, Lebensmittelproduktion und Biotechnologie.

Anja Störiko (VAAM)

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Fachgesellschaften Bundesweit
news-35201 Tue, 16 Dec 2025 10:53:55 +0100 Tropenkrankheit Oroya-Fieber: Aufklärung des Krankheitsmechanismus eröffnet Möglichkeit neuartiger Therapie https://www.vbio.de/aktuelles/details/tropenkrankheit-oroya-fieber-aufklaerung-des-krankheitsmechanismus-eroeffnet-moeglichkeit-neuartiger-therapie Der in Südamerika heimische Infektionserreger Bartonella bacilliformis verursacht eine der gefährlichsten Infektionserkrankungen überhaupt: das sogenannte „Oroya-Fieber“. Ohne antibiotische Behandlung führt es in mehr als 90 Prozent der Fälle zum Tod, denn der Erreger zerstört die roten Blutkörperchen. Forschende der Universitätsmedizin Frankfurt haben aufgeklärt, wie der Erreger die Krankheit auslöst. In Laborexperimenten gelang es ihnen zudem, die Zerstörung der roten Blutkörperchen zu hemmen. Die Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, eine neuartige Therapie gegen diese oft tödliche Infektionskrankheit zu entwickeln.  Das Oroya-Fieber ist zwar eine äußerst schwere Infektionskrankheit, gehört aber zu den so genannten vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases). Denn die Infektion tritt – bisher – ausschließlich in hochgelegenen Tälern der südamerikanischen Anden auf, vor allem in Peru, aber auch in Ecuador und Kolumbien. Von der Forschung und der Arzneimittelentwicklung wurde die Krankheit daher bislang kaum beachtet. Ausgelöst wird das Oroya-Fieber durch das Bakterium Bartonella bacilliformis, das durch den Stich infizierter Sandmücken der Gattung Lutzomyia übertragen wird. Die Erkrankung beginnt meist mit hohem Fieber und einer massiven Zerstörung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) und resultiert in einer sogenannten hämolytischen Anämie. Ohne antibiotische Behandlung endet das Oroya-Fieber in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich. Bereits 26 Prozent der Erreger sind resistent gegen das Standardantibiotikum Ciprofloxacin, was eine antibiotische Behandlung deutlich erschwert.

Lutzomyia-Sandmücken kommen bisher nur in Südamerika vor. Als Folge der Klimaerwärmung sowie der zunehmenden Reisefrequenz erwarten Experten jedoch, dass sich das Verbreitungsgebiet dieser Sandfliegen künftig auch auf andere Kontinente und bis nach Europa ausdehnen könnte. 

Ein internationales Forschungsteam um Prof. Volkhard Kempf von der Universitätsmedizin Frankfurt und der Goethe-Universität hat jetzt mehr als 1.700 genetische Varianten des Erregers hergestellt und analysiert und so zwei Proteine identifiziert, die Bartonella für die Zerstörung der roten Blutkörperchen benötigt: Ein sogenanntes Porin, das den Austausch zum Beispiel von Ionen mit der Umgebung ermöglicht, sowie ein Enzym namens α/β-Hydrolase, die beide zusammen für die Hämolyse verantwortlich sind. Strukturanalysen und gezielte Punktmutationen zeigten, dass die hämolytische Aktivität von Bartonella bacilliformis strikt von der enzymatischen Intaktheit der α/β-Hydrolase abhängt. „Beide Proteine sind im Zusammenspiel für die Zerstörung humaner Erythrozyten entscheidend und liefern damit eine Erklärung für das charakteristische Krankheitsbild des Oroya-Fiebers“, erklärt Dr. Alexander Dichter, Erstautor der Studie. „Das macht die α/β-Hydrolase zu einem geeigneten Zielprotein für medikamentöse Wirkstoffe.“

In Laborexperimenten konnten die Forschenden denn auch einen Hemmstoff identifizieren, einen Phospholipase-Inhibitor, der die Aktivität der α/β-Hydrolase blockiert und auch die Hämolyse von Erythrozyten verhindern kann. „Wenn es gelänge, auf eine solche Weise auch im menschlichen Körper gezielt die krankmachende Wirkung des Bakteriums auszuschalten, hätte man womöglich eine Therapie, gegen die sich kaum Resistenzen bilden können“, ist Dichter überzeugt.

„Das Oroya-Fieber ist ein ernstes Gesundheitsproblem in Peru und Südamerika, an dem jedes Jahr hunderte Menschen sterben, ohne dass dieses von der restlichen Welt zur Kenntnis genommen wird. Die Krankheit ist armutsbedingt und zählt zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten, die viel zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit erhalten“, erklärt Prof. Volkhard Kempf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Universitätsmedizin Frankfurt, an dem auch das vom Robert Koch-Institut benannte Konsiliarlabor für Bartonella-Infektionen angesiedelt ist. „Umso mehr freuen wir uns, dass wir das Fundament für die Entwicklung neuartiger Therapiemöglichkeiten gegen das Oroya-Fieber gelegt und damit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen diese vernachlässigte Tropenerkrankung geleistet haben.“

Nach dem Auslaufen der Förderung für das Projekt bemühe man sich jetzt um Finanzierungsmöglichkeiten, um die Forschung fortzusetzen, so Kempf. „Nachdem wir die Hämolyse aufgeklärt haben, wollen wir als nächstes wissen, wie der Erreger an die Erythrozyten bindet, da ja die Adhärenz von Erregern an Wirtszellen immer den ersten Schritt einer Infektion darstellt. Die Adhärenzmechanismen eines verwandten Erregers, des Bakteriums Bartonella henselae, konnten wir vor einigen Jahren bereits aufklären.“

Goethe-Universität Frankfurt


Originalpublikation:

Alexander A. Dichter, Florian Winklmeier, Diana Munteh, Wibke Ballhorn, Sabrina A. Becker, Beate Averhoff, Halvard Bonig, Adrian Goldman, Meritxell García-Quintanilla, Luis Solis Cayo, Pablo Tsukayama, Volkhard A. J. Kempf: Porin A and α/β-hydrolase are necessary and sufficient for hemolysis induced by Bartonella bacilliformis. Nature Communications (2025). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-66781-x

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Wissenschaft Hessen
news-35200 Tue, 16 Dec 2025 10:45:15 +0100 Wie ernähren sich Korallen? https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-ernaehren-sich-korallen Korallen beziehen Energie auf zwei Wegen: Zum einen durch Photosynthese ihrer symbiotischen Algen, zum anderen, indem sie kleine Nahrungspartikel wie Plankton direkt aus dem Wasser aufnehmen. Diese Form der Ernährung wird in der Fachsprache „Heterotrophie“ genannt. In einer Studie im Fachjournal Communications Biology zeigt ein internationales Forschungsteam, dass der Beitrag der heterotrophen Nahrungsaufnahme zur Energiegewinnung bei Korallen bisher oft deutlich unterschätzt wurde. Der Grund dafür liegt in den gängigen Messmethoden.  Korallenriffe dienen Millionen Menschen als Lebensgrundlage – sei es durch Fischerei, Küstenschutz oder Tourismus. Doch die Klimakrise macht Korallenriffen weltweit zu schaffen. Kürzlich legten wissenschaftliche Berichte wie der Global Tipping Points Report nahe, dass diese wichtigen Ökosysteme bald einen Kipppunkt erreicht haben. 

Wie Korallen sich resilienter gegen steigende Temperaturen und Versauerung in den Ozeanen entwickeln können, ist ein Thema der aktuellen Forschung. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie Korallen sich ernähren, welche Rolle die direkte Aufnahme von organischer Nahrung aus der Meeresumwelt (Heterotrophie) spielt und was die Algensymbionten der Koralle leisten.

Bislang wurde der heterotrophe Anteil an der Ernährung von Korallen vor allem über Kohlenstoffisotope im Gewebe der Korallen gemessen. Doch Forschende der University of Rhode Island und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen konnten jetzt nachweisen, dass diese Methode allein kein vollständiges Bild der Nahrungsaufnahme liefert. 

Denn der aufgenommene Kohlenstoff aus der heterotrophen Nahrung wird von der Koralle häufig nicht im Gewebe gespeichert, sondern wieder ausgeschieden oder schnell veratmet. Viel besser lassen sich hingegen Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäuren als Marker nutzen. Diese Stoffe gelangen direkt in das Gewebe der Koralle und bleiben dort auch länger nachweisbar.

In ihren Experimenten, die Ende 2019 am Interuniversity Institute for Marine Sciences (IUI) in Eilat, Israel, durchgeführt wurden, arbeitete das Team mit der riffbildenden Steinkoralle Stylophora pistillata, einer häufig untersuchten Art, die in tropischen Riffen weit verbreitet ist.

Im Rahmen einer 22-tägigen Versuchsreihe wurde die Ernährungsweise dieser Art systematisch untersucht. Die Korallen wurden dabei unterschiedlichen Fütterungsszenarien ausgesetzt: Einige Kolonien wurden nicht gefüttert, andere zweimal pro Woche, andere sechsmal pro Woche und eine weitere Gruppe wurde zuvor gebleicht und anschließend intensiv gefüttert. Als Nahrung dienten frisch gezüchtete Larven von Salinenkrebsen (Zooplankton).

„Parallel dazu haben wir physiologische Parameter wie Photosyntheseleistung, Dichte der Algensymbionten, Chlorophyllgehalt, Wachstum und Proteinreserven gemessen, um die Auswirkungen der Fütterung sichtbar zu machen“, erklärt Marleen Stuhr vom ZMT. 

Marker decken Nährstoffpfade auf

Methodisch wandten die Forschenden drei Messansätze an: Sie untersuchten die stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff, führten eine Analyse von Fettsäureprofilen durch, und maßen unmittelbar, wie viel Futter die Korallen gefressen hatten. 
„Durch diese Kombination konnten wir testen, welche Marker sich am besten eignen, um den Beitrag der heterotrophen Ernährung zu erfassen“, berichtet Erstautor Connor Love von der Universität Rhode Island in den USA.

Die Versuche ergaben, dass die Steinkoralle Stylophora pistillata ihre Nährstoffe aus dem Futter nicht gleichmäßig aufnimmt, sondern sehr selektiv. Stickstoff wird in wesentlich größerem Maße in das Gewebe eingebaut als Kohlenstoff. Kohlenstoff hingegen wird von der Koralle oft veratmet oder als Mukus wieder abgegeben.

„Somit unterschätzen viele herkömmliche Methoden, die sich auf die Analyse von Kohlenstoffisotope stützen, den tatsächlichen Anteil heterotropher Ernährung erheblich“, sagt Marleen Stuhr. „Gleichzeitig konnten wir verdeutlichen, dass Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäure-Biomarker sehr verlässliche Indikatoren für Nahrungsaufnahme sind – und zwar sowohl in der Koralle als auch in den Symbionten.“ 

Damit werde klar, dass bisherige Standardmethoden nicht immer aussagekräftig seien und eine Kombination mehrerer Marker ein realistischeres Bild der Nahrungsaufnahme liefere.
„Wenn nur ein Teil der aufgenommenen Nährstoffe im Gewebe messbar ist, fällt ein wesentlicher Beitrag der Ernährung unter den Tisch“, erklärt Connor Love. „Indem wir robustere Marker wie Stickstoffisotope und Fettsäureprofile einsetzen, können wir künftig wesentlich genauer nachvollziehen, wie Korallen ihr Energiemanagement zwischen autotropher Photosynthese und heterotropher Nahrungsaufnahme ausbalancieren.“

Mit den getesteten Biomarkern lässt sich in experimentellen Studien, beim Monitoring oder der Riffrestauration besser beurteilen, ob und wie viele Nährstoffe die Korallen zusätzlich zur Photosynthese aufnehmen, um beispielsweise Stress zu kompensieren, so das Forschungsteam. Zudem ergaben die Versuche, dass das Füttern der Korallen für die direkte Nahrungsaufnahme zwar einige Parameter verbessern, die Folgen der Korallenbleiche aber nicht vollständig kompensieren konnte.

Was die Ergebnisse für den Schutz von Korallenriffen bedeuten

Die Studie zeigt, dass die bisher üblichen Methoden den Beitrag der heterotrophen Ernährung von Korallen deutlich unterschätzen. Damit besteht die Gefahr, dass die Widerstandsfähigkeit von Riffen in Ökosystemmodellen oder bei Restaurationsprojekten falsch eingeschätzt wird.

Die neuen Erkenntnisse sind wichtig, um zu verstehen, wie Korallen auf Umweltstress reagieren und in nährstoffarmen Meeresregionen überleben können. Bei steigenden Meerestemperaturen oder nach Korallenbleichen kann die Fähigkeit zur zusätzlichen Nahrungsaufnahme entscheidend sein. Durch ein besseres Verständnis ihrer Ernährungsstrategien lassen sich Vorhersagen über das Überleben von Korallen in der Klimakrise verbessern.

„Riffe sind hochkomplexe und produktive Ökosysteme, deren Stabilität maßgeblich von der Ernährung der einzelnen Korallen abhängt. Wenn Korallen in der Lage sind, durch verstärkte Heterotrophie Energie- und Nährstoffverluste zu kompensieren, können sie Stresssituationen, wie den Verlust ihrer Symbionten (Korallenbleiche) durch Hitzewellen, unter Umständen besser überstehen“, erläutert Marleen Stuhr. „Genauere Bewertungen der Riff-Resilienz stützen Entscheidungen in Küstenschutz, Fischerei und Tourismus.“

Connor Love ergänzt: „Für den Schutz der Riffe bedeutet unsere Studie zweierlei: Erstens sind Korallen wahrscheinlich stärker auf heterotrophe Ernährung angewiesen als bisher angenommen, was das Überleben der Riffe mit der Dynamik des Planktons im Ozean in Verbindung bringt. Zweitens haben wir eine zuverlässige Reihe von Biomarkern gefunden, die als wertvolles Instrument zur Bewertung des Ernährungszustands, der Widerstandsfähigkeit von Korallen und beim Monitoring von Riffen dienen können.“

Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung


Originalpublikation:

Love, C.R., Stuhr, M., Fox, M.D. et al. Selective nutrient incorporation may underestimate heterotrophy of a mixotrophic reef-building coral. Communications Biology 8, 1285 (2025). DOI: 10.1038/s42003-025-08621-8, https://doi.org/10.1038/s42003-025-08621-8

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Wissenschaft Bremen
news-35199 Tue, 16 Dec 2025 10:38:56 +0100 Verborgene Partner: Symbiotische Bakterien klären Abwasser – doch nicht ganz ohne Tücken https://www.vbio.de/aktuelles/details/verborgene-partner-symbiotische-bakterien-klaeren-abwasser-doch-nicht-ganz-ohne-tuecken In Kläranlagen auf der ganzen Welt gedeihen verborgene, mikroskopisch kleine Partnerschaften. Die winzigen Verbündeten – spezialisierte Bakterien, die in einzelligen Wirtstieren leben – spielen eine überraschende Rolle sowohl bei der Reinigung des Abwassers als auch bei der potenziellen Entstehung von Treibhausgasen.  Eine vielfältige Gemeinschaft von Mikroorganismen entfernt in Kläranlagen Schadstoffe aus landwirtschaftlichen, industriellen und häuslichen Abwässern und ist damit unerlässlich zum Schutz unserer Gesundheit und der Umwelt. Bislang konzentrierte sich die Forschung vor allem auf freilebende Bakterien innerhalb dieser Gemeinschaft. Eine neue Studie zeigt nun, dass auch mikrobielle Symbiosen – Bakterien, die in anderen Mikroorganismen leben – dort weit verbreitet und aktiv sind.

Mikroorganismen im Team

Vor einigen Jahren entdeckte ein Forschungsteam um Jana Milucka vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie seltsame winzige Partnerschaften: Bakterien, die symbiontisch zusammenleben mit Ciliaten – das sind einzellige Lebewesen, die überall dort vorkommen, wo es Wasser gibt. Die Symbionten versorgen ihre Wirte, die Ciliaten, mit Energie, ähnlich wie Mitochondrien unsere eigenen Zellen mit Energie versorgen – eine bis dahin beispiellose Verbindung. Die Daten der Forschenden deuteten darauf hin, dass diese Organismen besonders häufig in Abwässern vorkommen könnten. So beschlossen Milucka und ihr Team, dort weiter zu suchen.

Weit verbreitet im Abwasser-Mikrobiom

Durch die Analyse von Daten aus Kläranlagen auf der ganzen Welt identifizierten die Forschenden 14 neue Arten dieser endosymbiotischen Bakterien. „Durch die sogenannte Denitrifikation helfen die Bakterien, Nitrat aus dem Abwasser zu entfernen. Gleichzeitig unterstützen sie ihre Wirte bei der Energiegewinnung, indem sie schädliche Nitrate in Stickstoffgas umwandeln“, erklärt Erstautorin Louison Nicolas-Asselineau. Die Forschenden fanden solche Symbiosen in bis zur Hälfte aller untersuchten Kläranlagen. Sie sind also vermutlich ein wichtiger, aber bislang übersehener Teil des Ökosystems. Und möglicherweise gibt es noch mehr davon: „Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Symbionten in den einzelnen Kläranlagen zeitlich stark schwankt. Es ist also gut möglich, dass wir einige übersehen haben.“

Bedenklich für das Klima

Denitrifizierende Endosymbionten, darunter auch die neu identifizierten Arten aus Kläranlagen, verfügen typischerweise über einen vollständigen Denitrifikationsweg. Sie können also Nitrat vollständig zu Distickstoffgas (N2) veratmen. Darüber hinaus besitzen die meisten dieser Endosymbionten auch ein Enzym namens Cytochrom-cbb3-Oxidase, das es ihnen ermöglicht, neben Nitrat auch Sauerstoff zu veratmen. 

Eine Art sticht jedoch hervor: Candidatus Azoamicus parvus kann nicht nur keinen Sauerstoff veratmen, sondern ist auch nicht in der Lage, Lachgas (N₂O), ein Zwischenprodukt im Denitrifikationsprozess, weiter abzubauen. Anstatt N2O in harmloses N2 umzuwandeln, setzt sie dieses starke Treibhausgas also in das umgebende Wasser frei. Lachgas ist 300 Mal stärker als CO₂, und die Abwasserbehandlung trägt bekanntermaßen zu den vom Menschen verursachten N2O-Emissionen in die Atmosphäre bei.

Es ist besorgniserregend, dass gerade diese Art weltweit in Kläranlagen häufig zu finden ist. „Dies ist das erste Mal, dass wir einen denitrifizierenden Endosymbionten gefunden haben, der Lachgas produziert, und zufällig ist es ausgerechnet derjenige, der in Kläranlagen am weitesten verbreitet ist“, sagt Jana Milucka, die leitende Autorin der Studie.

Warum das wichtig ist

Abwasserbehandlung ist einer der größten Anwendungsbereiche der Mikrobiologie und entscheidend, um Umwelt und Gesundheit zu schützen. Die mikrobiellen Partnerschaften, die nun in der Fachzeitschrift ISME Communications beschrieben werden, wurden bislang weitgehend übersehen. „Wir waren sehr überrascht, dass denitrifizierende Endosymbiosen in Abwässern so häufig vorkommen und weit verbreitet sind, da in diesen Systemen sehr veränderliche Bedingungen und starker ökologischer Druck herrschen“, sagt Nicolas-Asselineau. „Unsere Studie unterstreicht, wie wichtig es ist, die an den Klärprozessen beteiligten Mikroorganismen besser zu verstehen. Sie könnten der Schlüssel zur Verbesserung der Abwasserbehandlung und zur Verringerung ihrer Umweltauswirkungen sein.“

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie


Originalpublikation:

Louison Nicolas-Asselineau, Daan R Speth, Linus M Zeller, Ben J Woodcroft, Caitlin M Singleton, Lei Liu, Morten K D Dueholm, Jana Milucka (2025): Occurrence and temporal dynamics of denitrifying protist endosymbionts in the wastewater microbiome, ISME Communications, Volume 5, Issue 1, DOI: https://doi.org/10.1093/ismeco/ycaf209

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Wissenschaft Bremen