VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Fri, 19 Dec 2025 12:00:29 +0100 Fri, 19 Dec 2025 12:00:29 +0100 TYPO3 news-35248 Fri, 19 Dec 2025 11:55:04 +0100 Wie sich das Schicksal einer T-Zelle entscheidet https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-sich-das-schicksal-einer-t-zelle-entscheidet Ein zellulärer Reinigungsprozess, die Autophagie, trägt entscheidend dazu bei, dass T-Zellen sich richtig teilen. Das berichten Forschende in einer aktuellen Studie, diese könnte helfen, die Impfstoffreaktion älterer Menschen zu verbessern.  Wenn sich die T-Zellen unseres Immunsystems teilen, geschieht das in der Regel nicht symmetrisch. Die beiden Tochterzellen erben unterschiedliche Zellkomponenten, die über ihr weiteres Schicksal entscheiden: Eine Zelle wird zu einem kurzlebigen Kämpfer, der T-Effektorzelle; die andere entwickelt sich zu einer langlebigen T-Gedächtniszelle. 

Eine Team um Professorin Mariana Borsa von der University of Oxford und Professorin Katja Simon, die Leiterin der Arbeitsgruppe „Zellbiologie der Immunität“ am Max Delbrück Center, hat jetzt gezeigt, dass die Autophagie – eine Art zellulärer Hausputz, bei dem die Zelle nicht mehr benötigte Bestandteile abbaut und recycelt – in dem Entscheidungsprozess dieser asymmetrischen Zellteilung (Asymmetric Cell Division, kurz ACD) eine entscheidende Rolle spielt.

„Unsere Studie beweist zum ersten Mal kausal, dass T-Zellen die ACD ohne Autophagie nicht normal durchlaufen“, sagt Borsa, Erstautorin der Studie und inzwischen als Professorin der Universität Basel ihre eigene Arbeitsgruppe leitet. „Wir haben herausgefunden, dass bei der Teilung einer T-Stammzelle die Tochterzellen unterschiedliche Mitochondrien erben – was ihr weiteres Schicksal beeinflusst. Wenn wir diesen Prozess verstehen, können wir darüber nachdenken, was sich tun lässt, um die Funktion der T-Gedächtniszellen im Alter zu erhalten.“

Gespaltene Persönlichkeit

Um die ACD detailliert zu untersuchen, nutzten die Forschenden ein neuartiges Mausmodell, MitoSnap genannt. In ihm lassen sich die Mitochondrien so markieren, dass man sie in Mutter- und Tochterzellen voneinander unterscheiden und getrennt verfolgen kann. T-Zellen enthalten viele dieser Zellorganellen, die vor allem für die Energieproduktion der Zellen erforderlich sind.

Das Team um Borsa und Simon untersuchte, wie alte, beschädigte Mitochondrien zwischen den Tochterzellen verteilt werden. Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass in gesunden Zellen die Autophagie benötigt wird, damit eine Tochterzelle keine alten Mitochondrien erhält. Das wiederum führt dazu, dass sich diese Zelle zu einer langlebigen Gedächtnisvorläuferzelle entwickelt – einer Immunzelle, die sich an einen Erreger erinnert und sich schnell zu teilen beginnt, wenn sie erneut auf ihn stößt. Die andere Tochterzelle, die die alten Mitochondrien übernommen hat, entwickelt sich hingegen zu einer kurzlebigen Effektorzelle. Diese Zellen teilen sich schnell und wehren unmittelbare Bedrohungen ab. Ist die akute Gefahr beseitigt, sterben sie ab.

Wird die Autophagie gestört, bricht die sorgfältige Sortierung zusammen. Beide Tochterzellen erben dann beschädigte Mitochondrien und sind folglich dazu bestimmt, kurzlebige Zellen zu werden. „Es war überraschend zu sehen, dass die Autophagie eine Rolle spielt, die über die reine Zellpflege hinausgeht“, sagt Borsa. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die asymmetrische Vererbung von Mitochondrien ein potenzielles therapeutisches Ziel für die Verjüngung von T-Gedächtniszellen darstellt.“

Die Impfreaktion verstärken

Indem man die Autophagie vor oder während der Teilung der T-Stammzellen stimuliert, könnte es möglich sein, mehr Gedächtniszellen zu erhalten und auf diese Weise den langfristigen Schutz nach Infektionen oder durch Impfstoffe zu verbessern – so die Hoffnung der Forschenden.

In einem weiteren Schritt analysierte das Team die Tochterzellen mithilfe der Einzelzell-Transkriptomik, -Proteomik und -Metabolomik. Dabei stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass Effektorzellen mit beschädigten Mitochondrien stark von einem bestimmten Stoffwechselweg, dem C1-Stoffwechsel, abhängig sind. Ihn gezielt zu manipulieren, könnte eine weitere Möglichkeit sein, das Immunsystem subtil zu beeinflussen und T-Stammzellen dazu zu bewegen, sich eher zu Gedächtnis- als zu Effektorzellen zu entwickeln, spekuliert Borsa.

„Langfristig könnte diese Forschung zu Strategien beitragen, um das alternde Immunsystem zu verjüngen, wodurch Impfstoffe wirksamer werden und der Schutz vor Infektionen gestärkt wird“, fügt Simon hinzu. Die Forschenden planen nun, ihre Ergebnisse in Experimenten mit menschlichen T-Zellen weiter zu validieren.

Max Delbrück Center


Originalpublikation:

Borsa, M., Lechuga-Vieco, A.V., Kayvanjoo, A.H. et al. Autophagy-regulated mitochondrial inheritance controls early CD8+ T cell fate commitment. Nat Cell Biol (2025). doi.org/10.1038/s41556-025-01835-2

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Wissenschaft Berlin
news-35247 Fri, 19 Dec 2025 11:38:52 +0100 3D-Bilder aus dem Körper schärfer gemacht https://www.vbio.de/aktuelles/details/3d-bilder-aus-dem-koerper-schaerfer-gemacht Lichtblattmikroskope machen Gewebe und ganze Organe in eindrucksvollen 3D-Bildern sichtbar, etwa die filigrane Hörschnecke im Innenohr oder das komplexe Gehirn einer Maus. Eine dünne Schicht aus Licht, das Lichtblatt, bewegt sich dabei durch die Probe und erzeugt Ebene für Ebene ein dreidimensionales Abbild. Bei größeren Proben stoßen herkömmliche Geräte jedoch an Grenzen: Sie sind langsam und liefern unscharfe Bilder. Eine technologisch neuartige Plattform für Lichtblatt-Fluoreszenzmikroskope verbessert die Bildgebung und eröffnet damit neue Perspektiven für Forschung und Medizin.  Anhand detaillierter Scans lassen sich zum Beispiel feine Netzwerke aus Nervenbahnen oder Blutgefäßen genauer untersuchen. Ein Team der Universität und Universitätsmedizin Göttingen (UMG) hat die Plattform zusammen mit Forschenden der Universität Lübeck und im Rahmen des Göttinger Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) entwickelt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology veröffentlicht.

Das System erfasst Details bis auf 850 Nanometer klar. Das entspricht etwa einem Hundertstel der Breite eines menschlichen Haars. Es schafft zudem 100 Bilder pro Sekunde von Proben mit einem Volumen von einem Kubikzentimeter – so groß wie ein Stück Würfelzucker. Dabei erscheint das 3D-Objekt nicht in Teilen verschwommen, sondern mit gleichmäßig hoher Auflösung. Erreicht wird das durch handelsübliche Bauteile vereint mit neuen Merkmalen: Während das Lichtblatt die Probe beleuchtet, wird es ständig nachjustiert. Zusätzlich verringern gezielte Korrekturen optische Fehler. „Dank dieser Innovation können wir große, geklärte Gewebeproben so schnell und detailgenau wie nie zuvor dreidimensional erfassen“, sagt Prof. Dr. Jan Huisken von der Universität Göttingen. Solche Proben wurden durch chemische Verfahren durchsichtig gemacht, damit das Licht in die Tiefe vordringt. „Jede Methode des Clearings verändert das Gewebe optisch ein wenig anders. Das beeinflusst, wie stark das Gewebe das Licht ablenkt. Viele Mikroskope haben damit Probleme. Doch unser System liefert bei wechselnden Brechungsindizes scharfe 3D-Bilder“, so Huisken. 

Zur Anwendung kommt das System zum Beispiel, um die Verbindungen von Nervenzellen in der Hörschnecke (Cochlea) der Maus genau zu kartieren. „Diese 3D-Darstellung ermöglichte es uns, die Detailstruktur der Cochlea auf Einzelzellniveau bei Gesundheit und Krankheit zu untersuchen und so neue Erkenntnisse über ihre Funktion zu gewinnen“, erklärt MBExC-Sprecher Prof. Dr. Tobias Moser, Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften an der UMG.

„Unsere Plattform ist kompakt, robust und leicht reproduzierbar, da sie auf zugänglichen Komponenten basiert“, so Erstautor Dr. Mostafa Aakhte von der Universität Göttingen, der entscheidend zu Entwicklung und Bau des Mikroskops sowie zu den Messungen beigetragen hat. „Sie ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant. Auch in der medizinischen Praxis kann sie zur Anwendung kommen, zum Beispiel in der Diagnostik und in der Planung komplizierter Operationen.“

Universität Göttingen


Originalpublikation:

Aakhte, M. et al. Isotropic, aberration-corrected light sheet microscopy for rapid high-resolution imaging of cleared tissue. Nature Biotechnology (2025). https://doi.org/10.1038/s41587-025-02882-8

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Wissenschaft Niedersachsen
news-35246 Fri, 19 Dec 2025 11:34:58 +0100 Das Erbe des bleihaltigen Benzins: Wie Bleiemissionen den Arktischen Ozean belasten https://www.vbio.de/aktuelles/details/das-erbe-des-bleihaltigen-benzins-wie-bleiemissionen-den-arktischen-ozean-belasten Der Arktische Ozean galt lange Zeit als nahezu unberührter Raum. Doch Messungen zeigen: Das Nordpolarmeer nimmt einen großen Teil des vom Menschen in Umlauf gebrachten Bleis aus dem Nordatlantik auf. An einigen Stellen ist die Konzentration des giftigen Schwermetalls im Meeresboden so hoch, dass Organismen geschädigt werden könnten. Der Klimawandel und der damit einhergehende Verlust des Meereises bergen zudem die Gefahr, dass bleihaltige Sedimente zu einer Quelle von hochgiftigem, gelöstem Blei werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der TU Braunschweig, des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und weiterer Partner, die in „Nature Communications“ veröffentlicht wurde.  Blei ist ein giftiges Schwermetall, das sich im menschlichen Körper anreichert, das Nervensystem schädigt und Krebserkrankungen verursachen kann. Seit Beginn der Industrialisierung gelangen tausende Tonnen von Blei in die Atmosphäre, und das jährlich. Vor allem durch verbleites Benzin kam es im 20. Jahrhundert zu einem dramatischen Anstieg der Emissionen, sodass jährlich hunderttausende Tonnen des Schwermetalls in die Atmosphäre gelangten. Der Nordatlantik ist stark von den Bleiemissionen der Vergangenheit betroffen. Dies liegt an seiner Nähe zu den großen Emissionshotspots in Nordamerika und Europa. Der Wind transportierte die Bleibelastung von den Kontinenten über das offene Meer. Ein großer Teil dieses atmosphärischen Bleis lagerte sich schließlich im Ozean und seinen Sedimenten ab. Die Rolle der Meeresströmungen beim Transport des Bleis aus dem Atlantik in benachbarte Ozeanbecken wie den „unberührten” Arktischen Ozean blieb jedoch aufgrund fehlender Bleimessungen in arktischen Gewässern bislang unklar.

Expeditionen durch die arktisch-atlantischen Meerengen

Im Rahmen einer internationalen Initiative führten 2015 und 2016 drei Expeditionen mit dem deutschen Forschungseisbrecher „Polarstern“ und dem kanadischen Küstenwachschiff „Amundsen“ durch die arktisch-atlantischen Meerengen. Dank dieser Expeditionen konnten Wissenschaftler*innen nun erstmals eine quantitative Schätzung des Bleieintrags aus dem Atlantik in die Arktis vorlegen. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass sich im Arktischen Ozean verstärkt vom Menschen verursachte Blei-Emissionen sammeln. 

Dr. Stephan Krisch vom Institut für Geoökologie der TU Braunschweig ermittelte auf der Grundlage der Ergebnisse eines internationalen Wissenschaftlerteams, das im Rahmen des GEOTRACES-Konsortiums arbeitet, nun den Bleifluss in den Arktischen Ozean. „Wir waren überrascht von der Menge an Blei, die aus dem Atlantik in den Arktischen Ozean gelangt“, sagt Dr. Stephan Krisch, Erstautor der kürzlich in „Nature Communications“ veröffentlichten Studie. „Erstaunlich war für uns, dass dieser Bleieintrag noch Jahrzehnte nach dem Ende der Verwendung von verbleitem Benzin in Europa und Nordamerika mit dem größtenteils natürlichen Eintrag von Blei durch Flüsse mithalten kann. Dieser natürliche Eintrag erfolgt beispielsweise durch die Verwitterung von Gesteinen oder durch Mineralien.“ 

Die Autor*innen schätzen, dass der Arktische Ozean zwischen 1970 und 2015 einen Nettozufluss von 75.000 Tonnen Blei, das von Menschen in Umlauf gebracht wurde, aus dem Nordatlantik erhalten haben könnte. „Dieser Bleieintrag macht den Arktischen Ozean zwar nur zu einer kleineren Senke im Vergleich zu den Hunderttausenden Tonnen Blei, die sich im Nordatlantik abgelagert haben. Jedoch erklärt er die großflächige Kontamination der arktischen Tiefseesedimente mit Blei, die an einigen Stellen Werte erreicht, die für bodenlebende Organismen schädlich sein können.“

„Fingerabdruckmethode“ mit hochpräzisen Messungen

Dass diese Bleibelastung tatsächlich auf durch Menschen verursachte Emissionen in Nordamerika zurückzuführen ist, konnte am Imperial College London durch die sogenannte „Fingerabdruckmethode“ anhand von Blei-Isotopen sowie durch Blei-Isotopenmessungen im Meerwasser nachgewiesen werden. Dr. Arianna Olivelli, Mitautorin der Studie: „Hochpräzise Messungen der Blei-Isotopenzusammensetzung sind zwar mühsam, ermöglichen es uns aber, nicht nur zwischen natürlichen und anthropogenen Quellen zu unterscheiden, sondern auch den relativen Beitrag anthropogener Bleiemissionen aus verschiedenen Ländern zu ermitteln. Dies ist möglich, da die weltweite Produktion von Tetraethylblei, das in verbleitem Benzin verwendet wurde, nur auf wenigen Bleierzen mit einzigartigen geologischen Merkmalen beruhte.“

Die Messung von Blei und Blei-Isotopen in Meerwasser ist äußerst anspruchsvoll, da die Bleikonzentrationen in der Regel im Nanogramm-pro-Liter-Bereich liegen. Dies erfordert spezielle Probenahmegeräte und Analysetechniken, um eine Kontamination und Fehlinterpretation der Ergebnisse durch das allgegenwärtige Vorkommen von Blei in der Umwelt zu verhindern. Die Technologie zur präzisen Messung der Bleikonzentrationen im Ozean ohne Kreuzkontamination durch Geräte wurde erst in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt – dank der Fortschritte in der analytischen Chemie und global einheitlicher Standards, wie sie beispielsweise von GEOTRACES festgelegt wurden. 

Auswirkungen des Klimawandels

„Ohne starke Partner wie das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, das NIOZ Royal Netherlands Institute for Sea Research und das Imperial College London sowie deren Fachwissen, Schiffszeit und Laborkapazitäten wäre diese Forschung nicht möglich gewesen“, fasst Professor Harald Biester, Leiter der Abteilung für Umweltgeochemie an der TU Braunschweig, zusammen. „Solche Kooperationen sind auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil, da unser Institut die Meeresforschung vorantreibt, um die menschlichen Emissionen und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit der Ozeane besser zu verstehen.“ 

„Wir hoffen, dass sich zukünftige Expeditionen mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Bleikreislauf in der Arktis befassen werden“, fügt Dr. Stephan Krisch hinzu. „Der rasante Verlust von Meereis und die Zunahme von Sedimenterosion auf dem Schelf können die erneute Freisetzung von Blei aus arktischen Sedimenten begünstigen – mit noch unbekannten Folgen für den Bleigehalt im Meerwasser und in der marinen Biodiversität der Arktis.“

Technische Universität Braunschweig


Originalpublikation:

Stephan Krisch, Arianna Olivelli, Loes J.A. Gerringa, Rob Middag, Birgit Rogalla, Eric P. Achterberg: The Arctic Ocean is a net sink for anthropogenic lead deposited into the Atlantic Ocean. Nature Communications 16, 11238 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-67620-9

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Wissenschaft Niedersachsen
news-35245 Fri, 19 Dec 2025 11:31:34 +0100 Verständigung auf Eckpunkte stärkt die Forschungssicherheit in Deutschland https://www.vbio.de/aktuelles/details/verstaendigung-auf-eckpunkte-staerkt-die-forschungssicherheit-in-deutschland Das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), Wissenschaftsministerien der Länder und Allianzorganisationen haben sich auf Eckpunkte zur Stärkung der Forschungssicherheit und zum Aufbau einer Nationalen Plattform für Forschungssicherheit verständigt. Dazu erklärt die Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt Dorothee Bär: „Die Welt ist massiv im Umbruch. Für Wohlstand und Souveränität in Deutschland und Europa müssen wir unsere Forschung sichern und gleichzeitig die Wissenschaftsfreiheit schützen.
Mit der Verständigung auf die Eckpunkte haben wir einen wichtigen Meilenstein zur Stärkung der Forschungssicherheit in Deutschland erreicht. Bund, Länder und die Allianz übernehmen damit gemeinsam Verantwortung für ein offenes, integres und sicheres Wissenschaftssystem. Zentral ist dabei die Einrichtung einer Nationalen Plattform für Forschungssicherheit. Sie soll eine koordinierende und integrierende Funktion übernehmen und die Wissenschaft dabei unterstützen, Chancen und Risiken angemessen bewerten und abwägen sowie Risiken reduzieren zu können. Der mit der Verständigung erreichte Konsens ist auch ein starkes Signal an unsere europäischen und internationalen Partner: Deutschland geht Forschungssicherheit ganzheitlich, gesamtstaatlich und in enger Partnerschaft mit der Wissenschaft an.“

Dazu erklärt die Präsidentin der Wissenschaftsministerkonferenz und Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern Bettina Martin: „Mit den Eckpunkten kommen Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen ins Handeln. Die Wissenschaftsministerkonferenz hat im Sommer eine Lösung bis spätestens Ende des Jahres gefordert. Mit der heutigen Einigung haben wir dieses Ziel erreicht. Es ist ein wichtiger Schritt, denn Forschungssicherheit ist kein Selbstzweck, sondern eine zentrale Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unseres Wissenschafts- und auch Wirtschaftsstandorts. In einer Welt wachsender geopolitischer Spannungen braucht es klare politische Leitplanken, die unsere Interessen und unser Wissenschaftssystem schützen, ohne Abschottung zu betreiben. Wir übernehmen Verantwortung für ein offenes, freies und zugleich resilientes Wissenschaftssystem. Die Nationale Plattform für Forschungssicherheit schafft Transparenz, Orientierung und gemeinsame Standards – und stärkt damit die Handlungsfähigkeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen im internationalen Wettbewerb und bei Forschungskooperationen.“

Dazu erklärt der Sprecher der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka: „Die Einrichtung einer nationalen Plattform für Forschungssicherheit ist ein starkes Signal für die Wissenschaftsfreiheit in unserem Land. Im Schulterschluss zwischen Politik und Wissenschaft wird die Plattform den Allianz-Einrichtungen und der gesamten Forschung und Lehre in Deutschland helfen, zielgerichtete Maßnahmen zum Schutz von Forschenden sowie von wichtigem und kritischem Knowhow zu entwickeln. Der Technologietransfer ist bedeutsamer Faktor zur Stärkung der Innovationskraft unseres Landes und gerade hier wird es entscheidend sein, dass wir Wissen und Knowhow wirksam schützen. Daher ist das Eckpunktepapier zur Forschungssicherheit ein gutes Fundament, das Mut macht: damit wir nicht nur nationale Kooperationen mit der Industrie sichern, sondern auch die internationale Zusammenarbeit auf eine solide Basis stellen.“

Dazu erklärt der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Prof. Dr. Wolfgang Wick: „Mit der Plattform wird eine Empfehlung des Wissenschaftsrats von Mai dieses Jahres schnell umgesetzt. Politik und Wissenschaft füllen damit eine Leerstelle: Das Feld sicherheitsrelevanter Gebiete ist gewachsen, Beeinflussungen von außen und Abhängigkeiten werden immer deutlicher. Das führt zu schwierigen Abwägungen, die einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Einrichtungen oft überfordern. Die Plattform wird wissenschaftliche Akteure schnell und unbürokratisch bei der Einschätzung von Risiken unterstützen und Orientierung schaffen für den Umgang mit kritischen Partnern in internationalen Kooperationen. Wir brauchen den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik, um Risiken einzuschätzen und um unseren Wissenschaftsstandort zu schützen.“

Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt


Weitere Informationen:

Eckpunkte zur Stärkung der Forschungssicherheit und zum Aufbau einer Nationalen Plattform für Forschungssicherheit

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Politik & Gesellschaft Berlin
news-35244 Fri, 19 Dec 2025 09:53:11 +0100 Krankheitserreger kapert Programm zur Fruchtreife bei Zitrusgewächsen https://www.vbio.de/aktuelles/details/krankheitserreger-kapert-programm-zur-fruchtreife-bei-zitrusgewaechsen Der Krankheitserreger des Zitruskrebses aktiviert in den infizierten Blättern seiner Wirtspflanze gezielt Teile des Reifeprogramms, das normalerweise die Früchte weich und süß werden lässt, um den freiwerdenden Zucker als Nahrung zu nutzen. So kann der Krankheitserreger, das Bakterium Xanthomonas citri, bis zu hundertmal schneller wachsen. Die raffinierte Strategie der Xanthomonas-Bakterien bei der Infektion von Zitruspflanzen hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professor Thomas Lahaye vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen entdeckt. Seine Studie liefert neue Einblicke, wie mikrobielle Krankheitserreger Entwicklungsprogramme der Wirtspflanze kapern, um sonst schwer zugängliche Nährstoffe verfügbar zu machen. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Ansatzpunkte zur Bekämpfung des Zitruskrebses und wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Im Anbau von Zitrusfrüchten wie Zitronen, Orangen oder Mandarinen ist der Zitruskrebs weltweit eine der wirtschaftlich bedeutendsten Pflanzenkrankheiten. Durch eine Infektion mit Xanthomonas citri entstehen an den befallenen Blättern und Früchten der Zitruspflanzen braune Flecken und flüssigkeitsgefüllte Pusteln, die an kleine Krebsgeschwüre erinnern – daher stammt der Name Zitruskrebs. Die Pflanzen verlieren infizierte Blätter und Früchte vorzeitig, was zu erheblichen Ertragseinbußen führt. „Es war bereits bekannt, dass viele Krankheitserreger – darunter auch die Xanthomonas-Bakterien – es auf die in der Pflanzenzellwand gebundenen Zucker abgesehen haben“, erklärt Dr. Trang Phan vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen, die Erstautorin der Studie. „Uns interessierte, welche Tricks die winzigen Bakterien anwenden, um Nährstoffe aus den Zellwänden der Pflanze zu lösen, denn diese stellen für viele Schaderreger einen nahezu unüberwindbaren Schutzwall dar.“

Kleiner Einsatz mit großem Effekt

„Das Bakterium Xanthomonas citri injiziert mithilfe eines spritzenartigen Proteinkomplexes verschiedene Effektorproteine in Pflanzenzellen. Diese bakteriellen Proteine manipulieren gezielt zelluläre Prozesse in den Wirtszellen, um die Infektion zu begünstigen“, sagt Thomas Lahaye. „Wir haben ein besonders wichtiges Effektorprotein untersucht, das in den Zellkern – die Steuerzentrale der Wirtszelle – eindringt, um zu verstehen, wie es dort die Infektion fördert.“ Im Zellkern aktiviert das bakterielle Effektorprotein die Bildung eines pflanzlichen Regulators. Dieser schaltet ein Reifeprogramm an, das normalerweise nur in Früchten abläuft. „Weil das Bakterium dieses Reifeprogramm auch in Blättern anschaltet, werden dort zellwandgebundene Zucker freigesetzt – ein klarer Nahrungsvorteil, der das Wachstum der Erreger beschleunigt“, fasst Lahaye die Abläufe zusammen.

Die umfangreichen Daten des Projektes – insbesondere die Sequenzierungsdaten – werteten Trang Phan und Co-Autor Dr. Jan Grau vom Institut für Informatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gemeinsam bioinformatisch aus. Der Vergleich der aktivierten Gene in infizierten Blättern der Zitruspflanze und in reifenden Früchten zeigte erstaunliche Ähnlichkeiten. Das Forschungsteam konnte außerdem nachweisen, dass das identifizierte Steuerprotein in Zitruspflanzen und sein entsprechendes Gegenstück in Tomaten vergleichbare Reifeprogramme in den Früchten aktivieren. „Mit der Herstellung von Effektorproteinen, die Entwicklungsprozesse des Wirts zu ihren Gunsten umprogrammieren, gelingt es den Bakterien, mit geringem Aufwand große Mengen zellwandgebundener Zucker für sich nutzbar zu machen“, erklärt Trang Phan.

Praktische Hinweise für den Pflanzenbau

Durch die detaillierten Einblicke sowohl in den Ablauf einer Infektion von Zitruspflanzen mit Xanthomonas citri als auch in die Regulation des Fruchtreifeprozesses gewinnt das Forschungsteam neue Ansatzpunkte zur Entwicklung schädlingsresistenter Pflanzen. „Die Befunde ermöglichen gentechnische Anpassungen mit gängigen Methoden, die heute zum Standard zählen, um den Reifeprozess zu beeinflussen. So könnten vermutlich sowohl die Festigkeit als auch die Süße von Tomaten und Zitrusfrüchten gezielt verändert werden“, erklärt Lahaye die neuen Studienergebnisse.

„Die Grundlagenforschung liefert immer wieder konkrete Hinweise für die Anwendung, um globale Herausforderungen zu lösen. Dazu leisten unsere Forscherinnen und Forscher wichtige Beiträge“, sagte Professorin Dr. Dr. h.c. (Dōshisha) Karla Pollmann, Rektorin der Universität Tübingen.

Universität Tübingen


Originalpublikation:

Trang Thi-Thu Phan, Rodrigo Silva Araujo Streit, Gerald V. Minsavage, Joachim Kilian, Paloma de los Angeles Aguilera, Nan Wang, Nicolas Brich, Robert Morbitzer, Edda von Roepenack-Lahaye, Brice Charleux, Boris Szurek, Priscila Oliveira de Giuseppe, Concetta Licciardello, Jeffrey B. Jones, Paulo J. P. L. Teixeira, Gabriela Felix Persinoti, Mario Tyago Murakami, Chang Liu, Jan Grau, Thomas Lahaye: Xanthomonas coordinates type III–type II effector synergy by activating fruit ripening pathway. Science, https://doi.org/10.1126/science.adz9239 

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Wissenschaft Baden-Württemberg
news-35243 Fri, 19 Dec 2025 09:45:47 +0100 Blasen verstärken die CO2-Aufnahme des Ozeans stärker als bislang angenommen https://www.vbio.de/aktuelles/details/blasen-verstaerken-die-co2-aufnahme-des-ozeans-staerker-als-bislang-angenommen Der Ozean könnte deutlich mehr Kohlendioxid (CO2) aufgenommen haben als bisher berechnet. Eine neue Studie beweist, dass der Gasaustausch zwischen Luft und Meer nicht symmetrisch verläuft, sondern der globale Ozean rund 15 Prozent mehr CO2 bindet, als gängige Berechnungen nahelegen. Besonders in windreichen Regionen verstärken Luftblasen in brechenden Wellen die Aufnahme von CO2. Die Ergebnisse basieren auf umfangreichen direkten Messungen aus dem Ozean. Der Austausch von Kohlendioxid zwischen Ozean und Atmosphäre ist ein zentraler Bestandteil des globalen Kohlenstoffkreislaufs. Der Ozean wirkt dabei wie ein riesiger Puffer: Er nimmt einen erheblichen Teil der vom Menschen freigesetzten Emissionen auf und verlangsamt so den Klimawandel.

Wie groß dieser Effekt genau ist, hängt davon ab, wie effizient CO2 zwischen Luft und Wasser ausgetauscht wird. Bisher gingen viele Berechnungen davon aus, dass dieser Austausch symmetrisch verläuft – also gleich schnell, unabhängig davon, ob der Ozean CO2 aufnimmt oder abgibt. „Diese Annahme, die so genannte symmetrische Flussformel, stellen wir mit unserer Studie nun grundlegend infrage“, sagt Erstautor Dr. Yuanxu Dong, Humboldt-Stipendiat am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sowie an der Universität Heidelberg. Da die Annahme in vielen Kohlenstoffkreislauf- und Klimamodellen verwendet wird, könnten viele frühere Abschätzungen systematisch verzerrt sein. 

Wenn Wellen Luft verschlucken

In Regionen mit starkem Wind und hohem Wellengang werden Luftblasen von brechenden Wellen in das Wasser eingetragen. Diese Blasen wirken wie winzige Transportkapseln: Unter dem erhöhten Druck im Wasser lösen sie CO2 besonders effizient im Ozean. Bildlich gesprochen wird das Gas nicht einfach ausgetauscht, sondern regelrecht „hineingedrückt“.
Dieser blasenvermittelte Gasaustausch begünstigt die Aufnahme von CO2 deutlich stärker als dessen Abgabe – ein asymmetrischer Effekt, der bislang zwar theoretisch vermutet, aber nie direkt belegt worden war.

Erstmals direkte Belege aus Messdaten

Für die Studie analysierte ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Plymouth Marine Laboratory und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel in Zusammenarbeit mit der Heriot-Watt University (Edinburgh) insgesamt 4.082 des Luft-Meer-CO2-Flusses. Die Daten stammen aus 17 Forschungsfahrten in unterschiedliche Ozeanregionen.

Mithilfe einer neu entwickelten zweidimensionalen Analysemethode konnten die Forschenden erstmals direkt aus Beobachtungsdaten zeigen, dass der Gasaustausch tatsächlich asymmetrisch verläuft. Auf dieser Grundlage berechnete das Team die globalen Luft-Meer-CO2-Flüsse für den Zeitraum 1991 bis 2020 neu. Das Ergebnis: Der globale Ozean nahm im Mittel jährlich etwa 0,3 bis 0,4 Petagramm Kohlenstoff mehr auf – rund 15 Prozent mehr als bisherige Schätzungen.

Besonders stark im Südlichen Ozean

Der Effekt ist regional unterschiedlich ausgeprägt. Besonders stark zeigt sich die zusätzliche CO2-Aufnahme in Gebieten mit häufig starkem Wind und brechenden Wellen, etwa im Südlichen Ozean. Dort sind zugleich einige der deutlichsten Folgen des Klimawandels zu beobachten.

Auch saisonal gibt es Unterschiede: Im Winter, wenn Stürme häufiger auftreten, verstärkt sich der asymmetrische Effekt zusätzlich. Insgesamt vergrößert sich durch die neue Berechnung der Anteil der Ozeanfläche, der netto CO2 aufnimmt, erheblich.
Konsequenzen für Klimamodelle und das globale Kohlenstoffbudget
Die Ergebnisse legen nahe, dass der Ozean bislang als noch wirksamere CO2-Senke unterschätzt wurde. Gleichzeitig vergrößert sich die Diskrepanz zwischen beobachtungsbasierten Abschätzungen und den Ergebnissen vieler globaler Klimamodelle.

„Wir plädieren daher dringend dafür, bei künftigen CO2-Flussabschätzungen die asymmetrische Formel anzuwenden,“ sagt Yuanxu Dong. Und Ko-Autor Dr. Ming-Xi Yang, Chemischer Ozeanograf am Plymouth Marine Laboratory, ergänzt: „Wenn man die Asymmetrie berücksichtigt, weichen die aus Beobachtungen berechneten CO2-Flüsse des Ozeans noch stärker von den Schätzungen globaler Modelle ab. Das deutet auf Schwächen in diesen Modellen hin – und genau diese Modelle müssen so realistisch wie möglich sein, um verlässliche zukünftige CO2- und Klimaprojektionen zu erstellen.“

Offene Fragen und weiterer Forschungsbedarf

Trotz der robusten Ergebnisse verweisen die Forschenden auch auf bestehende Unsicherheiten. Besonders Messungen der CO2-Ausgasung unter extremen Wind- und Wellenbedingungen sind bislang rar, da sie technisch schwer zu erfassen sind. Weitere Daten sind nötig, um den asymmetrischen Effekt noch präziser zu quantifizieren und besser in globale Modelle zu integrieren.

Klar ist jedoch: Der Ozean spielt eine wichtige Rolle im Klimasystem, und selbst scheinbar kleine Prozesse wie Luftblasen in Wellen können große Auswirkungen haben.

GEOMAR


Originalpublikation:

Dong, Y., Yang, M., Bell, T.G. et al., Woolf, D.K., Marandino C.A. Asymmetric bubble-mediated gas transfer enhances global ocean CO2 uptake. Nat Commun 16, 10595 (2025) 
https://doi.org/10.1038/s41467-025-66652-5

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Nachhaltigkeit/Klima Bremen
news-35241 Thu, 18 Dec 2025 12:27:30 +0100 Winzige Archive: Stoffwechsel-Moleküle speichern Urzeitwelt https://www.vbio.de/aktuelles/details/winzige-archive-stoffwechsel-molekuele-speichern-urzeitwelt Ein internationales Team mit Senckenberg-Forschern hat eine neue Methode entwickelt, um zu untersuchen, wie der Lebensraum urzeitlicher Tiere und Menschen aussah. Ihre jetzt veröffentlichte Studie zeigt, dass fossile Tierknochen und -zähne weit mehr Informationen bewahren als bislang angenommen. In den Hartgeweben bleiben kleinste Spuren von Stoffwechselprodukten über Jahrmillionen erhalten. Die Analyse dieser Moleküle – sogenannte Metaboliten – ermöglicht Rückschlüsse auf Ernährung, Klima und Landschaften an bedeutenden Fundstellen der frühen Menschheitsgeschichte in Afrika.  Wie sah die Umwelt früher Menschen vor rund drei bis einer Million Jahren aus – und wie lebten damalige Tiere? Dieser Frage ist ein internationales Forschungsteam, darunter Prof. Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, jetzt mit der innovativen neuen Methode des „Metabolomic Profiling“ auf den Grund gegangen. Das Team untersuchte Fossilien von Tieren aus verschiedenen Fundorten und Regionen Afrikas, die für die Erforschung der Menschheitsgeschichte von großer Bedeutung sind – darunter Proben aus der Olduvai-Schlucht in Tansania, aus den Chiwondo Beds in Malawi und aus dem Höhlenfundort Makapansgat in Südafrika. Im Fokus stand die Frage, ob in den Zähnen und Knochen von Nagetieren, Schweinen, Elefanten und Antilopen auch nach Millionen von Jahren noch molekulare Stoffwechselprodukte nachweisbar sind. Das sind kleine chemische Verbindungen, die im Körper entstehen oder über Nahrung und Umwelt aufgenommen werden. Aus solchen Metaboliten lässt sich herauslesen, wie ein Lebewesen mit seiner Umgebung interagiert hat.

„Wir konnten zeigen, dass bestimmte Moleküle während der Bildung von Knochen und Zähnen eingeschlossen werden und dort wie in einem winzigen Archiv konserviert sind“, berichtet Prof. Timothy Bromage, Hauptautor der Studie. „Diese Spuren von Stoffwechselprodukten stammen sowohl aus den Körpern der Tiere selbst als auch aus ihrer Umwelt und liefern damit wichtige Hinweise auf biologische Funktionen und Lebensräume.“

Die Analyse der Moleküle öffnet ein Fenster in die Vergangenheit und erlaubt es, frühere Umweltbedingungen genauer einzugrenzen. Die Daten aus der Olduvai-Schlucht deuten auf ein wärmeres Klima als heute und feuchte Landschaften mit Wäldern, Grasflächen und Süßwasser hin – sowohl für die älteren Schichten als auch für jüngere Abschnitte der Fundstelle. Auch die Standorte in Malawi und Südafrika lassen auf feuchtere und teilweise wärmere Bedingungen im Vergleich zu heute schließen. Diese Ergebnisse stützen frühere Umweltrekonstruktionen und liefern zusätzliche Details, etwa zu Bodenbeschaffenheit, Pflanzenarten und Niederschlagsmengen.

Neben Umweltinformationen fanden die Forschenden auch Hinweise auf den Gesundheitszustand einzelner Tiere. Bestimmte Moleküle lassen sich mit Entzündungen oder Infektionen in Verbindung bringen. In einigen Fossilien fanden sich zudem Spuren eines Erregers, der heute die afrikanische Schlafkrankheit verursacht und von der Tsetsefliege übertragen wird. „Solche Funde zeigen, dass wir mit dieser Methode nicht nur Landschaften, sondern auch Krankheitsrisiken vergangener Ökosysteme erfassen können“, erklärt Prof. Dr. Ottmar Kullmer, Ko-Autor der Studie. „Das erweitert unser Bild von den Lebensbedingungen früher Tiere und indirekt auch früher Menschen.“

Besonders sorgfältig prüfte das Team, ob die gefundenen Moleküle tatsächlich aus dem Inneren der Fossilien stammen oder später aus dem umgebenden Boden eingedrungen sein könnten. Dazu wurden umliegende Böden sowie heutige Vergleichsproben analysiert. Auch der Einfluss von Verdauungsprozessen – etwa bei Knochen aus Eulengewöllen – wurde überprüft. Die Ergebnisse zeigen, dass die entscheidenden Moleküle überwiegend aus dem ursprünglichen Gewebe der Tiere stammen.

„Unsere Studie zeigt, dass ‚Metabolomic Profiling‘ erfolgreich und systematisch bei sehr alten Fossilien angewendet werden kann. Damit eröffnet sich ein ganz neuer Zugang zur Rekonstruktion früher Lebensräume, der bisherige Methoden wie Isotopenanalysen oder Untersuchungen von Tiergemeinschaften entscheidend ergänzt“, so Kullmer und weiter: „Die Methode erlaubt uns, die Beziehungen zwischen Tieren und ihrer Umwelt im Laufe der Evolutionsgeschichte immer besser zu verstehen und unser Bild von den ökologischen Bedingungen der Vergangenheit weiter zu vervollständigen.“

„Zukünftige Forschung sollte auch die metabolischen Profile heutiger Pflanzen, Böden und Mikroorganismen weiter ausbauen,“ ergänzt Bromage und schließt: „Je besser wir heutige Ökosysteme auf molekularer Ebene kennen, desto präziser lassen sich vergangene Welten rekonstruieren.“

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung


Originalpublikation:

Bromage, T.G., Denys, C., De Jesus, C.L. et al. Palaeometabolomes yield biological and ecological profiles at early human sites. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09843-w

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Wissenschaft Hessen
news-35240 Thu, 18 Dec 2025 11:10:24 +0100 Jaguar-Genetik: Drei Gruppen mit reduzierter Vielfalt identifiziert https://www.vbio.de/aktuelles/details/jaguar-genetik-drei-gruppen-mit-reduzierter-vielfalt-identifiziert Mithilfe moderner und historischer Genomdaten konnte erstmals klar gezeigt werden, dass Jaguare in drei geografisch und genetisch unterscheidbaren Populationen vorkommen: Zentralamerika sowie südamerikanische Tief- und Hochländer. Die Analyse einer internationalen Forschungsgruppe umfasst 25 Individuen und kombiniert das gesamte Genom mit wichtigen Immungenen, um die Anpassungsfähigkeit und Gesundheit der Populationen besser zu verstehen.  Die Studie belegt eine klare Trennung der Jaguar-Populationen in Zentralamerika sowie in südamerikanische Tiefland- und Hochlandgebiete. Diese Struktur zeigt sich sowohl im gesamten Genom als auch im Immungenom: In separaten Analysen der angeborenen und adaptiven Immungen-Regionen bleiben die drei Gruppen erkennbar, wobei die innerhalb der Hochland-Population beobachtete Immungenom-Variabilität besonders niedrig ist. „Die genetische Trennung ist kein Selbstzweck. Sie zeigt, dass wir den Artenschutz regional zuschneiden müssen – mindestens eine ESU‑Trennung (Evolutionarily Significant Unit*) zwischen Zentral- und Südamerika, um einzigartige Vielfalt zu sichern,“ sagt Studien-Erstautor René Meißner vom FIWI der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Zugleich weisen moderne Jaguare insgesamt geringere genetische Vielfalt und erhöhte Inzuchtwerte auf als historische Tiere. Besonders niedrige Inzucht findet sich im südamerikanischen Tiefland, während die Hochland-Population die geringste Immungenom-Vielfalt zeigt. Laut den Forscher:innen sind die geringere genetische Vielfalt und die höheren Inzuchtwerte bei modernen Jaguaren im Vergleich zu historischen Tieren besorgniserregend. „Besonders im Hochland ist die Vielfalt in Immungenen reduziert, während das Tiefland die niedrigste Inzucht zeigt – ein Muster, das wir mit fragmentierten Lebensräumen und eingeschränktem Austausch in Verbindung bringen,“ so Meißner weiter.

Artenschutz gezielt ausrichten

Die genetische Differenzierung zwischen Zentral- und Südamerika erreicht Werte, die bei anderen Großkatzen als Grundlage für die Einteilung in unterschiedliche Schutz- oder Untereinheiten dienen, und untermauert den Vorschlag, evolutionär bedeutsame Einheiten (ESUs) neu festzulegen. „Damit wir die Anpassungsfähigkeit und aktuelle genetische Situation noch präziser beurteilen können, brauchen wir zusätzliche moderne Proben – vor allem aus Zentralamerika und dem südamerikanischen Tiefland. Das ist entscheidend, um wirksame, regionsspezifische Schutzpläne zu entwickeln,“ betont Studien-Letztautorin Pamela Burger.

Ohne die Anerkennung klarer genetischer Einheiten wirkt die Art nach außen hin einheitlich. Dadurch können regionale Rückgänge und der Verlust einzigartiger genetischer Vielfalt übersehen werden – mit Folgen für die langfristige Anpassungsfähigkeit und das Überleben der Art. Entwaldung, Wilderei und die Zerschneidung von Lebensräumen setzen den Großkatzen massiv zu und verringern den Austausch zwischen Populationen, besonders in Zentralamerika und Teilen Brasiliens.

Veterinärmedizinische Universität Wien


Originalpublikation:

René Meißner, Sven Winter, Jean Pierre Elbers, Martin Plášil, Ján Futas, Elmira Mohandesan, Muhammad Bilal Sharif, Petr Horin, Stefan Prost und Pamela Burger: Unraveling genome- and immunome-wide genetic diversity in modern and historical Jaguars, Genome Biology 2025, https://link.springer.com/article/10.1186/s13059-025-03868-0

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Wissenschaft International
news-35239 Thu, 18 Dec 2025 11:01:32 +0100 Multizelluäres 3D-Modell der menschlichen Leber https://www.vbio.de/aktuelles/details/multizelluaeres-3d-modell-der-menschlichen-leber Erstmals haben Forschende ein dreidimensionales Organoidmodell aus Lebergewebe von Patientinnen und Patienten entwickelt. Das Modell besteht aus drei Leberzelltypen, die aus adulten Hepatozyten, Cholangiozyten und mesenchymalen Leberzellen gewonnen wurden. Die neuen komplexen Organoid-Modelle, oder „Assembloide“, rekonstruieren wesentliche strukturelle und funktionelle Merkmale der menschlichen periportalen Leberregion und besitzen patientenspezifische Eigenschaften. Dabei werden wichtige Funktionen der menschlichen Leber in einer Petrischale nachgebildet, die zum Beispiel die Entgiftung und der Stoffwechsel von Medikamenten ermöglichen. Durch Manipulation kann dieses Modell der menschlichen periportalen Leber Merkmale der gallenwegsbedingten Fibrose nachahmen und es ermöglichen Lebererkrankungen bei Menschen besser zu erforschen, die Entwicklung neuer Medikamente zu beschleunigen, eine frühe Diagnose zu ermöglichen und die personalisierte Medizin voranzutreiben. Lebererkrankungen sind weltweit ein großes gesundheitliches Problem, an dem jährlich über zwei Millionen Menschen sterben. Tiermodelle haben zum Verständnis von Leberfunktion und Krankheitsverläufen beigetragen, lassen sich jedoch oft nicht genau auf die menschliche Biologie übertragen. Bisherige, aus Gewebe gewonnene Modelle der menschlichen Leber, bestehen nur aus einem Zelltyp. Sie können die komplexe Zellzusammensetzung und Gewebearchitektur der Leber und vielschichtige Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zelltypen in der Leber nicht nachbilden. Komplexe dreidimensionale Organoidmodelle mit mehreren Zelltypen, mit denen die zellulären Interaktionen im Leberportal des Menschen nachgebildet werden können, gab es für das Lebergewebe erwachsener Menschen bislang nicht. Dadurch sind die Möglichkeiten zur Erforschung von Lebererkrankungen und zur Entwicklung neuer Behandlungsmethoden eingeschränkt.

Bisherige Lebermodelle

Die Forschungsgruppe von Meritxell Huch, Direktorin am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden, befasste sich bereits in einer früheren Studie im Jahr 2021 mit diesem Thema (Dynamic cell contacts between periportal mesenchyme and ductal epithelium act as a rheostat for liver cell proliferation, Cordero-Espinoza, Lucía et al., Cell Stem Cell, Volume 28, Issue 11). In dieser Studie entwickelten die Forscher ein Leberorganoid, bestehend aus zwei Zelltypen, Cholangiozyten und Mesenchymzellen. Allerdings fehlten noch andere wichtige Zelltypen – vor allem Hepatozyten, die Zellen, die den größten Teil der Lebersubstanz ausmachen. Dieses Jahr gelang es der Forschungsgruppe von Meritxell Huch bereits, ein Organoidmodell einer neuen Generation zu entwickeln, das aus drei Leberzelltypen der Maus – adulten Hepatozyten, Cholangiozyten und mesenchymalen Leberzellen – besteht, und damit die periportale Region der Mausleber rekonstruiert (Mouse periportal liver assembloids recapitulate mesoscale hepatic architecture and biliary fibrosis, 29th May 2025, Nature).

Entwicklung eines mehrzelligen menschlichen Lebermodells

In der aktuellen Studie, die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, haben Forschende aus der Gruppe von Meritxell Huch zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Gruppe von Andrej Shevchenko am MPI-CBG, aus der Gruppe von Daniel Stange am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (UKD) Dresden und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) sowie aus den Gruppen von Daniel Seehofer und Georg Damm an der Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig ein patientenspezifisches menschliches periportales Leber-Assembloid entwickelt. Die Zellen organisieren sich nach ihrer Zusammensetzung selbst zu dreidimensionalen Strukturen, die in vitro (außerhalb des Körpers) die zellulären Anordnungen und Interaktionen wie im Gewebe in vivo (im lebenden Körper) nachbilden.

Die Entwicklung des Lebermodells war echte Teamarbeit. Beteiligt waren nicht nur die Forschenden aus dem Huch-Labor und Klinken aus Leipzig und Dresden, sondern auch Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker, sowie technische Assistentinnen und Assistenten aus verschiedenen Labors. Einer der vier Hauptautorinnen und -autoren, Yohan Kim, ehemaliger Postdoktorand in der Huch-Gruppe und jetzt Assistenzprofessor an der Sungkyunkwan-Universität in Suwon, Südkorea, sagt: „Als wir das Gewebe von den Patientinnen und Patienten erhielten, mussten wir zunächst die einzelnen Zelltypen trennen und sie in einer Petrischale vermehren, bevor wir sie wieder zusammenfügen konnten. Ich habe die Kulturbedingungen für das Wachstum der Zellen vor ihrer Zusammenfügung untersucht, bevor ich meine neue Stelle an der Sungkyunkwan-Universität antrat.“ Das Gewebe der Patienten wurde vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus (UKD) in Dresden und der Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universitätsklinikum Leipzig zur Verfügung gestellt. Mit Unterstützung des technischen Forschungsassistenten Robert Arnes-Benito wurden die Kulturbedingungen weiter optimiert, bis die endgültigen Kulturbedingungen für die Vermehrung menschlicher Hepatozyten gefunden waren.

Sagarika Dawka, Doktorandin und ebenfalls Hauptautorin der Studie, setzte die Arbeit von Yohan fort, indem sie Bedingungen fand, unter denen die Hepatozyten außerhalb des Körpers in der Petrischale ausreifen konnten. Sie sagt: „Ich habe das Lebermodell so weiterentwickelt, dass es Gallengänge enthielt, ähnlich der Gallengänge über die im periportalen Bereich der Leber die Galle abfließt. Wenn dieses Gallenabflusssystem gestört ist, kommt es zu Leberschäden und Erkrankungen. Deshalb war es so wichtig, dass unsere Lebermodelle Gallengänge enthielten. Unsere Studie präsentiert das erste komplexe menschliche Lebermodell außerhalb des Körpers, das Gallengänge aufweist.“ 

Lei Yuan, Postdoktorand und einer der Hauptautoren, arbeitete anschließend daran, die Zellen miteinander zu kombinieren, um die periportalen Assembloide herzustellen. Zunächst markierte er die verschiedenen Zellen (mesenchymale Leberzellen und Cholangiozyten), um sie nach der Kombination identifizieren zu können. Dann fand er die richtigen Bedingungen, um ihre Selbstorganisation zu initiieren. „Darüber hinaus habe ich das Protokoll für die periportalen Assembloide optimiert, von der Assemblierungsmethode bis hin zu den Medien, in denen die Zellen wachsen. Das richtige Medium ist für das Wachstum und die Differenzierung der Zellen von entscheidender Bedeutung“, sagt Lei.

Eine weitere Hauptautorin der Studie und Postdoktorandin, Anke Liebert, befasste sich hauptsächlich mit der molekularen und funktionellen Charakterisierung der Organoidmodelle. „Ich habe getestet, wie ähnlich unsere Organoide den Zellen des Patientengewebes sind und wie gut unsere Lebermodelle im Vergleich zu normalen menschlichen Leberzellen funktionieren. Mit Hilfe des Bioinformatikers Fabian Rost habe ich auch untersucht, ob die Modelle die Genexpression des lebenden Gewebes korrekt erfassen.“ 

Mit ihren vorliegenden Lebermodellen erstellte die Gruppe eine Biobank mit Hepatozyten-Organoiden von 28 Patienten, die eingefroren und bei Bedarf wieder aufgetaut werden können, um die Kulturen zu reaktivieren.

Personalisierte Medizin und Medikamentenentwicklung

Das neue menschliche Lebermodell verfügt über patientenspezifische Merkmale und behält wesentliche strukturelle und funktionelle Eigenschaften der menschlichen periportalen Leberregion bei. „Mit unserem neuen Modell haben wir eine große Herausforderung gemeistert. Bislang war es nicht möglich, die mehrzellige Organisation des periportalen Lebergewebes und die zellulären Interaktionen außerhalb des lebenden Körpers zu rekonstruieren. Mit unseren Modellen können wir verschiedene Teile der Leber im Labor nachbauen und kontrollieren. Das hilft uns zu verstehen, wie verschiedene Zellen und ihre Umgebung zusammenwirken, um eine gesunde Leber zu bilden, und wie Krankheiten wie Gallengangfibrose entstehen, wenn diese Interaktionen gestört sind“, sagt Meritxell Huch, die die Studie leitete und betreute. „Unsere neuartigen Lebermodelle haben das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Lebererkrankungen untersuchen und behandeln, zu verändern. Sie könnten uns dabei helfen, neue diagnostische Tests zu entwickeln, die Sicherheit neuer Medikamente zu testen, die Bewertung der Medikamententoxizität zu verbessern und personalisierte Behandlungen für Patienten mit Lebererkrankungen zu entwickeln.“

Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik


Originalpublikation:

Yuan, L., Dawka, S., Kim, Y. et al. Human assembloids recapitulate periportal liver tissue in vitro. Nature (2025). doi.org/10.1038/s41586-025-09884-1

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Wissenschaft Sachsen
news-35238 Thu, 18 Dec 2025 10:46:56 +0100 Wie „Hangover“ der Fruchtfliege beim Alkoholstress hilft https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-hangover-der-fruchtfliege-beim-alkoholstress-hilft Eine neue Studie zeigt, dass spezifische Schaltvorgänge im Erbgut die Alkoholtoleranz der Fruchtfliege bestimmen Wenn Fruchtfliegen feiern, dann richtig: Ihr Lebensraum ist vergärendes Obst – und damit eine dauerhafte Happy Hour. Doch während wir Menschen nach einer langen Nacht mit einem „Hangover“, einem heftigen Kater, kämpfen, brauchen die kleinen Insekten genau dieses Protein, um einen Kater zu vermeiden. Ohne „Hangover“ geraten sie unter Alkoholeinfluss schnell aus dem Gleichgewicht und entwickeln keine Toleranz. Was dieses ungewöhnlich benannte Molekül im Körper der Fliege genau macht, war bislang allerdings ein Rätsel. In ihrer jüngsten Publikation im Fachmagazin „Nucleic Acids Research“ untersuchen Marburger Biolog*innen um die Forschenden Jonathan Lenz und Alexander Brehm die Rolle von Hangover näher.

Das Team der Philipps-Universität Marburg hat nun entschlüsselt, wie Hangover die Genaktivität steuert. Die Forschenden zeigen erstmals, dass Hangover direkt in epigenetische Prozesse eingreift und dadurch reguliert, welche Gene eingeschaltet oder gedrosselt werden. Besonders bemerkenswert: Das Protein bindet an eine große Zahl von Genen und interagiert mit vielen weiteren Regulatoren, die gemeinsam bestimmen, wie Zellen auf äußere Reize reagieren. Damit wird deutlich, dass die Fähigkeit der Fliege, Alkoholtoleranz zu entwickeln, viel stärker von fein abgestimmten Genprogrammen abhängt als bisher angenommen.

Für ihre Studie nutzten die Wissenschaftler*innen moderne genomische und proteomische Verfahren in einer Drosophila-Zelllinie. Sie konnten so präzise verfolgen, wo Hangover im Erbgut bindet, wie es die Aktivität zahlreicher Gene beeinflusst und welche Partner es dabei unterstützt. Die Erkenntnisse weisen darauf hin, dass epigenetische Steuerprozesse eine zentrale Rolle bei der Alkoholtoleranz spielen – nicht nur bei Fliegen, sondern möglicherweise auch bei anderen Organismen. Künftige Untersuchungen sollen klären, wie diese Mechanismen im lebenden Tier koordiniert werden und in welche weiteren molekularen Prozesse Hangover eingreift.

Universität Marburg


Originalpublikation:

Jonathan Lenz, Laura Schmelzer, Ignasi Forné, Andrea Nist, Axel Imhof, Thorsten Stiewe, Alexander Brehm, Hangover regulates gene expression by limiting NSL-mediated H4K16 acetylation, Nucleic Acids Research, Volume 53, Issue 22, 11 December 2025, gkaf1349, https://doi.org/10.1093/nar/gkaf1349

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Wissenschaft Hessen