VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Tue, 16 Dec 2025 11:16:49 +0100 Tue, 16 Dec 2025 11:16:49 +0100 TYPO3 news-35202 Tue, 16 Dec 2025 10:59:28 +0100 Mikrobe des Jahres 2026: Penicillium – Pinselschimmel rettet Leben https://www.vbio.de/aktuelles/details/mikrobe-des-jahres-2026-penicillium-pinselschimmel-rettet-leben Penicillium, ein Pinselschimmel, ist die Mikrobe des Jahres 2026. Dieser Pilz rettete in den letzten 80 Jahren Millionen Menschen das Leben - und tut es noch täglich. Zufälle ebneten diesen Weg: eine Verunreinigung im Labor, eine verschimmelte Melone sowie Forschende, die diese Beobachtungen hinterfragten. Dank vieler Optimierungen sind Penicillin und seine Verwandten noch heute die häufigsten Antibiotika. Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) ernennt mit Penicillium eine Mikrobe des Jahres, die außer in der Medizin auch für Käsegeschmack und andere Anwendungen von Bedeutung ist.  Der schottische Mediziner Alexander Fleming beobachtete 1928, dass auf einer Agarplatte weniger Bakterien wuchsen: Dort hatte sich als Verunreinigung ein Schimmelpilz ausgebreitet. Er schloss daraus, dass dieser Pilz eine Substanz in den Agar ausscheidet, die das Bakterienwachstum hemmt. Ähnliche Beobachtungen hatten auch andere Wissenschaftler beschrieben. Später wurde der Pilz als Penicillium notatum identifiziert und die ausgeschiedene Substanz Penicillin genannt. Fleming vermutete, dass Penicillin die Bakterien zerstören würde - heute wissen wir, dass dieses Antibiotikum die Zellwandsynthese der Bakterien stört - sie können nicht mehr wachsen und sich vermehren.

1941 isolierten und reinigten der Pathologe Howard Florey und der Chemiker Ernst Chain Penicillin als Substanz aus Penicillium notatum. Ärzte im Krankenhaus Oxford behandelten im selben Jahr erstmals einen Patienten: Ein Kratzer im Gesicht des Polizisten Albert Alexander hatte sich infiziert. Das neuartige Penicillin senkte umgehend das hohe Fieber, der Appetit kam wieder, die Wunden begannen zu heilen. Dennoch starb der Patient wenige Tage später – der Penicillin-Vorrat war zu schnell aufgebraucht.
Im selben Jahr isolierten Mitarbeitende der Northern Regional Research Laboratories in Illinois (USA) einen neuen Penicillium-Stamm aus einer angeschimmelten Cantaloupe-Melone. Er lieferte ausreichende Penicillin-Mengen, um infizierte Soldaten und Zivilisten zu behandeln. Noch heute stammen alle weltweit industriell genutzten Penicillin-Produzenten vom Cantaloupe-Stamm ab und liefern bei Anzucht in Fermentern hunderttausendfach mehr Penicillin als der Ausgangsstamm. Immer noch sind Penicillin und seine synthetischen Derivate die am häufigsten eingesetzten Antibiotika gegen bakterielle Infektionen. Die jährliche Weltproduktion liegt bei etwa 50.000 Tonnen. Für die Entdeckung des Penicillins und seine heilende Wirkung bei Infektionskrankheiten erhielten Fleming, Florey und Chain 1945 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

Penicillium bildet fädige Strukturen mit charakteristischen Sporen. Damit sehen sie aus wie kleine Pinsel (lateinisch penicillus). Penicillium-Arten werden daher auch als Pinselschimmel bezeichnet. Über die - oft farbigen - Sporen pflanzt sich Penicillium asexuell fort. Allerdings identifizierten Forschende 2008 überraschend zwei Geschlechter (Kreuzungstypen). Sexuelle Kreuzung erlaubt nun, Produktionsstämme mit neuen Eigenschaften zu züchten.
Käsehersteller wollen so beispielsweise degenerierten Pilzstämmen neue Kraft einflößen. Denn Pinselschimmel produzieren den Geschmack und Geruch von Käsearten wie Camembert, Brie und Blauschimmelkäse. Deren weiße, halbfeste "Rinde" besteht überwiegend aus Penicillium camemberti, der auch für die weiche, buttrige Konsistenz von Brie und Camembert verantwortlich ist. Penicillium roqueforti wird für die Produktion der gleichnamigen Käsesorten eingesetzt; er produziert Enzyme wie Proteasen und Lipasen, die Milchkasein spalten und flüchtige Verbindungen bildet, die dem Käse Geschmack, Aroma und Textur verleihen und vor unerwünschten Kontaminationen schützen. Die Sporen dieser Pilze werden im industriellen Maßstab hergestellt und dem Käse während der Reifung zugesetzt, wo sie auskeimen und wachsen. Französische Forschende berichten, dass die seit langem verwendeten Stämme an Vitalität verlieren. Eine Kreuzung mit „frischen“ Wildtyp-Stämmen könnte die Käse-Produzenten verjüngen und somit ein wichtiges Kulturgut erhalten.

Penicillium ist aber auch ein großer Akteur in der Biotechnologie: So produzieren Penicillium-Arten Enzyme, die praktischerweise während der Fermentation direkt in das Kulturmedium gelangen. Penicillium citrinum stellt beispielsweise Pektinasen und Cellulasen her, die in der Lebensmittelindustrie zur Klärung von Fruchtsäften und in der Textilindustrie zur Vorbehandlung von Geweben verwendet werden. Und auch andere antibiotisch wirksame Produkte werden heutzutage mit Penicillium produziert. Penicillium coprobium produziert das Meroterpenoid Pyripyropen A. Ein daraus entwickeltes Insektizid wirkt spezifisch gegen Schadinsekten wie Blattläusen und Weiße Fliegen. Schon 1893 beschrieb der Italiener Bartolomeo Gosio die Mycophenolsäure aus Penicillium brevicompactum. Er isolierte sie als erstes antibiotisch wirksames Produkt der Menschheitsgeschichte. Heute wird Mycophenolsäure als Immunsuppressivum bei Transplantationen und Autoimmunerkrankungen eingesetzt, da sie gezielt die Vermehrung von Lymphozyten hemmt. 

Penicillium, die Mikrobe des Jahres 2026, ist ein wahres Multitalent in Medizin, Lebensmittelproduktion und Biotechnologie.

Anja Störiko (VAAM)

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Fachgesellschaften Bundesweit
news-35201 Tue, 16 Dec 2025 10:53:55 +0100 Tropenkrankheit Oroya-Fieber: Aufklärung des Krankheitsmechanismus eröffnet Möglichkeit neuartiger Therapie https://www.vbio.de/aktuelles/details/tropenkrankheit-oroya-fieber-aufklaerung-des-krankheitsmechanismus-eroeffnet-moeglichkeit-neuartiger-therapie Der in Südamerika heimische Infektionserreger Bartonella bacilliformis verursacht eine der gefährlichsten Infektionserkrankungen überhaupt: das sogenannte „Oroya-Fieber“. Ohne antibiotische Behandlung führt es in mehr als 90 Prozent der Fälle zum Tod, denn der Erreger zerstört die roten Blutkörperchen. Forschende der Universitätsmedizin Frankfurt haben aufgeklärt, wie der Erreger die Krankheit auslöst. In Laborexperimenten gelang es ihnen zudem, die Zerstörung der roten Blutkörperchen zu hemmen. Die Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, eine neuartige Therapie gegen diese oft tödliche Infektionskrankheit zu entwickeln.  Das Oroya-Fieber ist zwar eine äußerst schwere Infektionskrankheit, gehört aber zu den so genannten vernachlässigten Tropenkrankheiten (Neglected Tropical Diseases). Denn die Infektion tritt – bisher – ausschließlich in hochgelegenen Tälern der südamerikanischen Anden auf, vor allem in Peru, aber auch in Ecuador und Kolumbien. Von der Forschung und der Arzneimittelentwicklung wurde die Krankheit daher bislang kaum beachtet. Ausgelöst wird das Oroya-Fieber durch das Bakterium Bartonella bacilliformis, das durch den Stich infizierter Sandmücken der Gattung Lutzomyia übertragen wird. Die Erkrankung beginnt meist mit hohem Fieber und einer massiven Zerstörung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) und resultiert in einer sogenannten hämolytischen Anämie. Ohne antibiotische Behandlung endet das Oroya-Fieber in bis zu 90 Prozent der Fälle tödlich. Bereits 26 Prozent der Erreger sind resistent gegen das Standardantibiotikum Ciprofloxacin, was eine antibiotische Behandlung deutlich erschwert.

Lutzomyia-Sandmücken kommen bisher nur in Südamerika vor. Als Folge der Klimaerwärmung sowie der zunehmenden Reisefrequenz erwarten Experten jedoch, dass sich das Verbreitungsgebiet dieser Sandfliegen künftig auch auf andere Kontinente und bis nach Europa ausdehnen könnte. 

Ein internationales Forschungsteam um Prof. Volkhard Kempf von der Universitätsmedizin Frankfurt und der Goethe-Universität hat jetzt mehr als 1.700 genetische Varianten des Erregers hergestellt und analysiert und so zwei Proteine identifiziert, die Bartonella für die Zerstörung der roten Blutkörperchen benötigt: Ein sogenanntes Porin, das den Austausch zum Beispiel von Ionen mit der Umgebung ermöglicht, sowie ein Enzym namens α/β-Hydrolase, die beide zusammen für die Hämolyse verantwortlich sind. Strukturanalysen und gezielte Punktmutationen zeigten, dass die hämolytische Aktivität von Bartonella bacilliformis strikt von der enzymatischen Intaktheit der α/β-Hydrolase abhängt. „Beide Proteine sind im Zusammenspiel für die Zerstörung humaner Erythrozyten entscheidend und liefern damit eine Erklärung für das charakteristische Krankheitsbild des Oroya-Fiebers“, erklärt Dr. Alexander Dichter, Erstautor der Studie. „Das macht die α/β-Hydrolase zu einem geeigneten Zielprotein für medikamentöse Wirkstoffe.“

In Laborexperimenten konnten die Forschenden denn auch einen Hemmstoff identifizieren, einen Phospholipase-Inhibitor, der die Aktivität der α/β-Hydrolase blockiert und auch die Hämolyse von Erythrozyten verhindern kann. „Wenn es gelänge, auf eine solche Weise auch im menschlichen Körper gezielt die krankmachende Wirkung des Bakteriums auszuschalten, hätte man womöglich eine Therapie, gegen die sich kaum Resistenzen bilden können“, ist Dichter überzeugt.

„Das Oroya-Fieber ist ein ernstes Gesundheitsproblem in Peru und Südamerika, an dem jedes Jahr hunderte Menschen sterben, ohne dass dieses von der restlichen Welt zur Kenntnis genommen wird. Die Krankheit ist armutsbedingt und zählt zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten, die viel zu wenig Beachtung in der Öffentlichkeit erhalten“, erklärt Prof. Volkhard Kempf, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Universitätsmedizin Frankfurt, an dem auch das vom Robert Koch-Institut benannte Konsiliarlabor für Bartonella-Infektionen angesiedelt ist. „Umso mehr freuen wir uns, dass wir das Fundament für die Entwicklung neuartiger Therapiemöglichkeiten gegen das Oroya-Fieber gelegt und damit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen diese vernachlässigte Tropenerkrankung geleistet haben.“

Nach dem Auslaufen der Förderung für das Projekt bemühe man sich jetzt um Finanzierungsmöglichkeiten, um die Forschung fortzusetzen, so Kempf. „Nachdem wir die Hämolyse aufgeklärt haben, wollen wir als nächstes wissen, wie der Erreger an die Erythrozyten bindet, da ja die Adhärenz von Erregern an Wirtszellen immer den ersten Schritt einer Infektion darstellt. Die Adhärenzmechanismen eines verwandten Erregers, des Bakteriums Bartonella henselae, konnten wir vor einigen Jahren bereits aufklären.“

Goethe-Universität Frankfurt


Originalpublikation:

Alexander A. Dichter, Florian Winklmeier, Diana Munteh, Wibke Ballhorn, Sabrina A. Becker, Beate Averhoff, Halvard Bonig, Adrian Goldman, Meritxell García-Quintanilla, Luis Solis Cayo, Pablo Tsukayama, Volkhard A. J. Kempf: Porin A and α/β-hydrolase are necessary and sufficient for hemolysis induced by Bartonella bacilliformis. Nature Communications (2025). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-66781-x

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Wissenschaft Hessen
news-35200 Tue, 16 Dec 2025 10:45:15 +0100 Wie ernähren sich Korallen? https://www.vbio.de/aktuelles/details/wie-ernaehren-sich-korallen Korallen beziehen Energie auf zwei Wegen: Zum einen durch Photosynthese ihrer symbiotischen Algen, zum anderen, indem sie kleine Nahrungspartikel wie Plankton direkt aus dem Wasser aufnehmen. Diese Form der Ernährung wird in der Fachsprache „Heterotrophie“ genannt. In einer Studie im Fachjournal Communications Biology zeigt ein internationales Forschungsteam, dass der Beitrag der heterotrophen Nahrungsaufnahme zur Energiegewinnung bei Korallen bisher oft deutlich unterschätzt wurde. Der Grund dafür liegt in den gängigen Messmethoden.  Korallenriffe dienen Millionen Menschen als Lebensgrundlage – sei es durch Fischerei, Küstenschutz oder Tourismus. Doch die Klimakrise macht Korallenriffen weltweit zu schaffen. Kürzlich legten wissenschaftliche Berichte wie der Global Tipping Points Report nahe, dass diese wichtigen Ökosysteme bald einen Kipppunkt erreicht haben. 

Wie Korallen sich resilienter gegen steigende Temperaturen und Versauerung in den Ozeanen entwickeln können, ist ein Thema der aktuellen Forschung. Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie Korallen sich ernähren, welche Rolle die direkte Aufnahme von organischer Nahrung aus der Meeresumwelt (Heterotrophie) spielt und was die Algensymbionten der Koralle leisten.

Bislang wurde der heterotrophe Anteil an der Ernährung von Korallen vor allem über Kohlenstoffisotope im Gewebe der Korallen gemessen. Doch Forschende der University of Rhode Island und des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen konnten jetzt nachweisen, dass diese Methode allein kein vollständiges Bild der Nahrungsaufnahme liefert. 

Denn der aufgenommene Kohlenstoff aus der heterotrophen Nahrung wird von der Koralle häufig nicht im Gewebe gespeichert, sondern wieder ausgeschieden oder schnell veratmet. Viel besser lassen sich hingegen Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäuren als Marker nutzen. Diese Stoffe gelangen direkt in das Gewebe der Koralle und bleiben dort auch länger nachweisbar.

In ihren Experimenten, die Ende 2019 am Interuniversity Institute for Marine Sciences (IUI) in Eilat, Israel, durchgeführt wurden, arbeitete das Team mit der riffbildenden Steinkoralle Stylophora pistillata, einer häufig untersuchten Art, die in tropischen Riffen weit verbreitet ist.

Im Rahmen einer 22-tägigen Versuchsreihe wurde die Ernährungsweise dieser Art systematisch untersucht. Die Korallen wurden dabei unterschiedlichen Fütterungsszenarien ausgesetzt: Einige Kolonien wurden nicht gefüttert, andere zweimal pro Woche, andere sechsmal pro Woche und eine weitere Gruppe wurde zuvor gebleicht und anschließend intensiv gefüttert. Als Nahrung dienten frisch gezüchtete Larven von Salinenkrebsen (Zooplankton).

„Parallel dazu haben wir physiologische Parameter wie Photosyntheseleistung, Dichte der Algensymbionten, Chlorophyllgehalt, Wachstum und Proteinreserven gemessen, um die Auswirkungen der Fütterung sichtbar zu machen“, erklärt Marleen Stuhr vom ZMT. 

Marker decken Nährstoffpfade auf

Methodisch wandten die Forschenden drei Messansätze an: Sie untersuchten die stabilen Isotope von Kohlenstoff und Stickstoff, führten eine Analyse von Fettsäureprofilen durch, und maßen unmittelbar, wie viel Futter die Korallen gefressen hatten. 
„Durch diese Kombination konnten wir testen, welche Marker sich am besten eignen, um den Beitrag der heterotrophen Ernährung zu erfassen“, berichtet Erstautor Connor Love von der Universität Rhode Island in den USA.

Die Versuche ergaben, dass die Steinkoralle Stylophora pistillata ihre Nährstoffe aus dem Futter nicht gleichmäßig aufnimmt, sondern sehr selektiv. Stickstoff wird in wesentlich größerem Maße in das Gewebe eingebaut als Kohlenstoff. Kohlenstoff hingegen wird von der Koralle oft veratmet oder als Mukus wieder abgegeben.

„Somit unterschätzen viele herkömmliche Methoden, die sich auf die Analyse von Kohlenstoffisotope stützen, den tatsächlichen Anteil heterotropher Ernährung erheblich“, sagt Marleen Stuhr. „Gleichzeitig konnten wir verdeutlichen, dass Stickstoffisotope und bestimmte Fettsäure-Biomarker sehr verlässliche Indikatoren für Nahrungsaufnahme sind – und zwar sowohl in der Koralle als auch in den Symbionten.“ 

Damit werde klar, dass bisherige Standardmethoden nicht immer aussagekräftig seien und eine Kombination mehrerer Marker ein realistischeres Bild der Nahrungsaufnahme liefere.
„Wenn nur ein Teil der aufgenommenen Nährstoffe im Gewebe messbar ist, fällt ein wesentlicher Beitrag der Ernährung unter den Tisch“, erklärt Connor Love. „Indem wir robustere Marker wie Stickstoffisotope und Fettsäureprofile einsetzen, können wir künftig wesentlich genauer nachvollziehen, wie Korallen ihr Energiemanagement zwischen autotropher Photosynthese und heterotropher Nahrungsaufnahme ausbalancieren.“

Mit den getesteten Biomarkern lässt sich in experimentellen Studien, beim Monitoring oder der Riffrestauration besser beurteilen, ob und wie viele Nährstoffe die Korallen zusätzlich zur Photosynthese aufnehmen, um beispielsweise Stress zu kompensieren, so das Forschungsteam. Zudem ergaben die Versuche, dass das Füttern der Korallen für die direkte Nahrungsaufnahme zwar einige Parameter verbessern, die Folgen der Korallenbleiche aber nicht vollständig kompensieren konnte.

Was die Ergebnisse für den Schutz von Korallenriffen bedeuten

Die Studie zeigt, dass die bisher üblichen Methoden den Beitrag der heterotrophen Ernährung von Korallen deutlich unterschätzen. Damit besteht die Gefahr, dass die Widerstandsfähigkeit von Riffen in Ökosystemmodellen oder bei Restaurationsprojekten falsch eingeschätzt wird.

Die neuen Erkenntnisse sind wichtig, um zu verstehen, wie Korallen auf Umweltstress reagieren und in nährstoffarmen Meeresregionen überleben können. Bei steigenden Meerestemperaturen oder nach Korallenbleichen kann die Fähigkeit zur zusätzlichen Nahrungsaufnahme entscheidend sein. Durch ein besseres Verständnis ihrer Ernährungsstrategien lassen sich Vorhersagen über das Überleben von Korallen in der Klimakrise verbessern.

„Riffe sind hochkomplexe und produktive Ökosysteme, deren Stabilität maßgeblich von der Ernährung der einzelnen Korallen abhängt. Wenn Korallen in der Lage sind, durch verstärkte Heterotrophie Energie- und Nährstoffverluste zu kompensieren, können sie Stresssituationen, wie den Verlust ihrer Symbionten (Korallenbleiche) durch Hitzewellen, unter Umständen besser überstehen“, erläutert Marleen Stuhr. „Genauere Bewertungen der Riff-Resilienz stützen Entscheidungen in Küstenschutz, Fischerei und Tourismus.“

Connor Love ergänzt: „Für den Schutz der Riffe bedeutet unsere Studie zweierlei: Erstens sind Korallen wahrscheinlich stärker auf heterotrophe Ernährung angewiesen als bisher angenommen, was das Überleben der Riffe mit der Dynamik des Planktons im Ozean in Verbindung bringt. Zweitens haben wir eine zuverlässige Reihe von Biomarkern gefunden, die als wertvolles Instrument zur Bewertung des Ernährungszustands, der Widerstandsfähigkeit von Korallen und beim Monitoring von Riffen dienen können.“

Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung


Originalpublikation:

Love, C.R., Stuhr, M., Fox, M.D. et al. Selective nutrient incorporation may underestimate heterotrophy of a mixotrophic reef-building coral. Communications Biology 8, 1285 (2025). DOI: 10.1038/s42003-025-08621-8, https://doi.org/10.1038/s42003-025-08621-8

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Wissenschaft Bremen
news-35199 Tue, 16 Dec 2025 10:38:56 +0100 Verborgene Partner: Symbiotische Bakterien klären Abwasser –– doch nicht ganz ohne Tücken https://www.vbio.de/aktuelles/details/verborgene-partner-symbiotische-bakterien-klaeren-abwasser-doch-nicht-ganz-ohne-tuecken In Kläranlagen auf der ganzen Welt gedeihen verborgene, mikroskopisch kleine Partnerschaften. Die winzigen Verbündeten – spezialisierte Bakterien, die in einzelligen Wirtstieren leben – spielen eine überraschende Rolle sowohl bei der Reinigung des Abwassers als auch bei der potenziellen Entstehung von Treibhausgasen.  Eine vielfältige Gemeinschaft von Mikroorganismen entfernt in Kläranlagen Schadstoffe aus landwirtschaftlichen, industriellen und häuslichen Abwässern und ist damit unerlässlich zum Schutz unserer Gesundheit und der Umwelt. Bislang konzentrierte sich die Forschung vor allem auf freilebende Bakterien innerhalb dieser Gemeinschaft. Eine neue Studie zeigt nun, dass auch mikrobielle Symbiosen – Bakterien, die in anderen Mikroorganismen leben – dort weit verbreitet und aktiv sind.

Mikroorganismen im Team

Vor einigen Jahren entdeckte ein Forschungsteam um Jana Milucka vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie seltsame winzige Partnerschaften: Bakterien, die symbiontisch zusammenleben mit Ciliaten – das sind einzellige Lebewesen, die überall dort vorkommen, wo es Wasser gibt. Die Symbionten versorgen ihre Wirte, die Ciliaten, mit Energie, ähnlich wie Mitochondrien unsere eigenen Zellen mit Energie versorgen – eine bis dahin beispiellose Verbindung. Die Daten der Forschenden deuteten darauf hin, dass diese Organismen besonders häufig in Abwässern vorkommen könnten. So beschlossen Milucka und ihr Team, dort weiter zu suchen.

Weit verbreitet im Abwasser-Mikrobiom

Durch die Analyse von Daten aus Kläranlagen auf der ganzen Welt identifizierten die Forschenden 14 neue Arten dieser endosymbiotischen Bakterien. „Durch die sogenannte Denitrifikation helfen die Bakterien, Nitrat aus dem Abwasser zu entfernen. Gleichzeitig unterstützen sie ihre Wirte bei der Energiegewinnung, indem sie schädliche Nitrate in Stickstoffgas umwandeln“, erklärt Erstautorin Louison Nicolas-Asselineau. Die Forschenden fanden solche Symbiosen in bis zur Hälfte aller untersuchten Kläranlagen. Sie sind also vermutlich ein wichtiger, aber bislang übersehener Teil des Ökosystems. Und möglicherweise gibt es noch mehr davon: „Wir haben festgestellt, dass die Zahl der Symbionten in den einzelnen Kläranlagen zeitlich stark schwankt. Es ist also gut möglich, dass wir einige übersehen haben.“

Bedenklich für das Klima

Denitrifizierende Endosymbionten, darunter auch die neu identifizierten Arten aus Kläranlagen, verfügen typischerweise über einen vollständigen Denitrifikationsweg. Sie können also Nitrat vollständig zu Distickstoffgas (N2) veratmen. Darüber hinaus besitzen die meisten dieser Endosymbionten auch ein Enzym namens Cytochrom-cbb3-Oxidase, das es ihnen ermöglicht, neben Nitrat auch Sauerstoff zu veratmen. 

Eine Art sticht jedoch hervor: Candidatus Azoamicus parvus kann nicht nur keinen Sauerstoff veratmen, sondern ist auch nicht in der Lage, Lachgas (N₂O), ein Zwischenprodukt im Denitrifikationsprozess, weiter abzubauen. Anstatt N2O in harmloses N2 umzuwandeln, setzt sie dieses starke Treibhausgas also in das umgebende Wasser frei. Lachgas ist 300 Mal stärker als CO₂, und die Abwasserbehandlung trägt bekanntermaßen zu den vom Menschen verursachten N2O-Emissionen in die Atmosphäre bei.

Es ist besorgniserregend, dass gerade diese Art weltweit in Kläranlagen häufig zu finden ist. „Dies ist das erste Mal, dass wir einen denitrifizierenden Endosymbionten gefunden haben, der Lachgas produziert, und zufällig ist es ausgerechnet derjenige, der in Kläranlagen am weitesten verbreitet ist“, sagt Jana Milucka, die leitende Autorin der Studie.

Warum das wichtig ist

Abwasserbehandlung ist einer der größten Anwendungsbereiche der Mikrobiologie und entscheidend, um Umwelt und Gesundheit zu schützen. Die mikrobiellen Partnerschaften, die nun in der Fachzeitschrift ISME Communications beschrieben werden, wurden bislang weitgehend übersehen. „Wir waren sehr überrascht, dass denitrifizierende Endosymbiosen in Abwässern so häufig vorkommen und weit verbreitet sind, da in diesen Systemen sehr veränderliche Bedingungen und starker ökologischer Druck herrschen“, sagt Nicolas-Asselineau. „Unsere Studie unterstreicht, wie wichtig es ist, die an den Klärprozessen beteiligten Mikroorganismen besser zu verstehen. Sie könnten der Schlüssel zur Verbesserung der Abwasserbehandlung und zur Verringerung ihrer Umweltauswirkungen sein.“

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie


Originalpublikation:

Louison Nicolas-Asselineau, Daan R Speth, Linus M Zeller, Ben J Woodcroft, Caitlin M Singleton, Lei Liu, Morten K D Dueholm, Jana Milucka (2025): Occurrence and temporal dynamics of denitrifying protist endosymbionts in the wastewater microbiome, ISME Communications, Volume 5, Issue 1, DOI: https://doi.org/10.1093/ismeco/ycaf209

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Wissenschaft Bremen
news-35198 Tue, 16 Dec 2025 10:20:07 +0100 Jahrestreffen der Vorsitzenden der Landesverbände im VBIO in München https://www.vbio.de/aktuelles/details/jahrestreffen-der-vorsitzenden-der-landesverbaende-im-vbio-in-muenchen Zum diesjährigen Treffen der Landesverbände im VBIO am 15. November 2025 hatte der Vorsitzende des Landesverbandes Bayern, Peter Niesslbeck in das Hansa-Haus in Münchens Mitte in unmittelbarer Nähe zum Königsplatz eingeladen. Er war ein großartiger, ideenreicher Gastgeber, der es sich nicht nehmen ließ, auch mit einem ansprechenden Rahmenprogramm aufzuwarten.  Am Vortag der Arbeitssitzung gab es gleich zwei hoch interessante Einblicke: Im Haus der Bayerischen Wirtschaft gab der Technische Leiter, Herr Philip Schöttl, den Teilnehmenden Einblicke in die Möglichkeiten des Hauses mit seinen einladenden Konferenzräumen und technische Möglichkeiten modernster Kommunikationsmedien wie etwa das Greenscreen-Studio, das TV-Studio, Erstellung von Audio & Podcast, Streaming sowie das Angebot von Webinaren & Webcasts wurden gezeigt und erklärt.

Darauf folgte eine auf ganz andere Weise beeindruckende Führung – nämlich die durch das Paläontologische Museum. Die Paläontologischen Sammlungen in München gehören heute zu den größten und bedeutendsten wissenschaftlichen Fossilsammlungen in Deutschland und Europa. Forschungsdirektor für Paläontologie und Geobiologie, Prof. Dr. Gert Wörheide, informierte persönlich, erklärte die Architektur des Hauses und wies insbesondere auf die Sonderausstellung „Tintenfische, Teufelsfinger und Tentakel“ hin. Die Stücke stammen aus aller Welt und aus verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte. Die Einmaligkeit der Sammlung Keupp beruht insbesondere auf den tausenden Exemplaren pathologischer Cephalopoden. Dies sind Gehäuse oder andere Hartteile, die durch genetische Defekte, Erkrankungen, Verletzungen oder Einwirkung von Räubern Veränderungen ihres Gehäuses bzw. ihrer Hartteile aufweisen. Am Ende der Führung stand der Einblick in aktuelle Umweltforschung: Insbesondere fesselten die Teilnehmenden Versuche zu Umweltfaktoren und welchen Einfluss sie auf Korallenriffe haben.

Wer noch am Sonntag blieb, ging in den Botanischen Garten und kam vorher in den Genuss einer ausgezeichneten Führung durch das Museum „Mensch und Natur“ mit dem Museumsleiter, Dr. Michael Apel.  

Am Samstag, dem 15.11.2025, fand die ganztägige Arbeitssitzung im Hansa-Haus statt, an der neben den Landesvorsitzenden auch der Präsident des VBIO, Prof. Dr. Markus Engstler, teilnahm und Prof. Dr. Felicitas Pfeifer, die Sprecherin der Fachgesellschaften. Beide bereicherten mit ihren Informationen und Erfahrungen die Sitzung. Wertvolle Unterstützung kam dieses Mal von beiden Geschäftsstellen des VBIO; alle fünf Mitarbeiter/-innen waren anwesend und brachten sich zum Gelingen der Sitzung in München mit ein.

Während Elke Weinhardt (Geschäftsstelle München) es wieder grafisch gekonnt verstand, die Finanzen und die Mitgliederentwicklung darzustellen, informierte Dr. Simon Häußler (Geschäftsstelle München) zur diesjährigen, bundesweit so erfolgreich abgelaufenen Verleihung des Karl-von-Frisch-Preises. So gab es insgesamt 646 Anmeldungen, die zu 516 Auszeichnungen führten und 100 Anerkennungsurkunden. Erneut wurde das Engagement der Lehrkräfte hervorgehoben, die ihre Schüler/-innen anmelden und die sich dankenswerterweise auch die Zeit nehmen, die erforderlichen Gutachten zu schreiben.

Zwei Tagesordnungspunkte führten in die sich ständig weiter entwickelnde Medienwelt, der sich auch der VBIO stellen muss und möchte. So stellte Dr. Kerstin Elbing (Geschäftsstelle Berlin) den Landesvorsitzenden die Parameter vor, die bei digital durchgeführten Vorstandssitzungen erfüllt sein müssen. Sachkundig stellte sie sich allen auftauchenden Fragen, die sich nach ihrem Vortrag und in der sich anschließenden Diskussion ergaben. Ein großes Problem besteht nach wie vor darin, dass nicht alle Mitglieder eine E-Mail-Adresse haben, denn auch diese müssen die Möglichkeit erhalten, an der Wahl teilzunehmen.

Referentin Angelika Krupa trug zum Thema KI vor. Um zielgruppengerecht informieren zu können, hatte sie mithilfe von Marga Radermacher im Vorfeld über einen Fragebogen ermittelt, wo Bedarfe liegen. Neben insbesondere Urheberrecht und Haftungsfragen waren Aspekte wie z. B. Effizienzsteigerung und Einsatz bei der Öffentlichkeitsarbeit sowie Datenschutz und Datensicherheit gefragt. Natürlich waren brauchbare Tools von Interesse; aber auch die Grenzen von KI wurden thematisiert und die Transparenzpflicht beim Einsatz von KI wurde immer wieder betont. 

In ihrem Bericht zur Arbeit des Bundesverbandes ging Marga Radermacher auf die komplexe Struktur des VBIO mit all seinen Gremien ein, mit deren Hilfe der VBIO die Vielfalt seiner Aufgaben umsetzt. Insbesondere in den Ständigen Ausschüssen kann zur Entlastung des Präsidiums intensive Arbeit geleistet werden. Mit Blick auf die Fachgesellschaften wurden die neu erfolgten Beitritte der Deutschen Gesellschaft für Geschichte und Theorie der Biologie (DGGTB), der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie (DGaaE), der Gesellschaft für Ökologie (GfÖ) sowie die Übernahme der Mitgliederverwaltung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (DZG) durch die Geschäftsstelle München des VBIO erwähnt. Ein großartiges Ereignis stellte im September die Bakterien-Summerschool 2025 des VBIO dar, zu dessen Auftaktveranstaltung auch ein Vortrag von Prof. Markus Engstler, dem Präsidenten des VBIO, gehörte, der es sehr gut verstand, die überwiegend jungen Zuhörer/-innen zu erreichen. Dr. Carsten Roller (GS München) unterstrich die gute Zusammenarbeit mit den Referent/-innen und den aktiven, jungen Teilnehmer/-innen. Neuerungen gibt es bei der personellen Besetzung der BiuZ: So übernahm Prof. Karl-Josef Dietz die Rolle des Chief Editors von Prof. Wolfgang Nellen. Letzterer berichtete nicht ohne berechtigten Stolz zum Erfolg des CRISPR/Cas-Sonderheftes der BiuZ (11/2024), das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell unterstützt worden war. Die Umsetzung für ein weiteres Sonderheft „Mikrobe des Jahres“ ist noch unsicher. Als sehr erfolgreich haben sich die Angebote des VBIO „Dialogforum“ und „Faszination Biologie“ erwiesen, was hohe Zuschaltquoten belegen. Exemplarisch wurden ferner zwei Beispiele deutlicher Reaktionen des VBIO zum Thema erhoben: Das war zum einen der Vorschlag der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK), die Naturwissenschaften in der Sekundarstufe I zu einem Verbundfach zusammenzufassen, was bei den Fachverbänden auf erhebliche Kritik stößt. Aus den Diskussionsbeiträgen der Anwesenden wurde darüber hinaus deutlich, dass eine Stärkung des Selbstverständnisses der Biologie als eigenständige und ernst zu nehmende (Leit-)Wissenschaft sowie des Eigenverständnisses als „Biologe/Biologin“ dringend notwendig ist. Es wurden Vorschläge unterbreitet, wie man dazu ein Bewusstsein schaffen könnte. Schließlich berichtete Prof. Markus Engstler zum Thema „Biologische Datenbanken sind in Gefahr“, welches am 21. Mai 2025 als wegweisende Pressemitteilung vom VBIO veröffentlicht wurde und immer noch hochaktuell ist.

Breiten Raum nahm am Nachmittag das World Café zum Thema „Einen Landesverband neu denken – gemeinsam aufbauen“ ein. Als Anregung hierzu gab es durch Marga Radermacher eine zusammenfassende Präsentation der Arbeit und Arbeitsformate in den verschiedenen Landesverbänden. Das Konzept zum World Café entstand in Zusammenarbeit mit der Geschäftsstelle München (Federführung Dr. Simon Häußler). Insgesamt gab es vier Themen „Menschen gewinnen und motivieren“, Sichtbarkeit und Kommunikation“, Struktur und Organisation“ sowie „Regionale Identität und erste Aktionen“. Zielsetzung war es vor allem, Susan Hanisch zu unterstützen, die sich im Sommer dieses Jahres bereit erklärt hatte, als Landesvorsitzende für Sachsen-Anhalt die Arbeit zu beginnen. Aber auch die langjährigen Landesvorsitzenden konnten in diesem intensiven Austausch so manche neue Idee für sich und ihre eigene Verbandsarbeit mitnehmen.

Die nächste Arbeitssitzung wird 2026 in Berlin stattfinden; die Landesvorsitzende Berlin/Brandenburg, Helga Fenz, hat alle dazu herzlich eingeladen.

LRSD‘ a. D. Marga Radermacher 

(Sprecherin der Landesverbände und Vorsitzende des Landesverbandes NRW im VBIO)

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VBIO Bundesweit
news-35167 Mon, 15 Dec 2025 10:46:01 +0100 Klima beeinflusst Wettrüsten zwischen Ameisen und ihren Sozialparasiten https://www.vbio.de/aktuelles/details/klima-beeinflusst-wettruesten-zwischen-ameisen-und-ihren-sozialparasiten Der Konflikt zwischen Ameisenwirten und ihren Sozialparasiten wird maßgeblich vom Klima beeinflusst. Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmen, wie sich die Ameisen verhalten, kommunizieren und sogar evolutionär verändern – wobei Wirte und Parasiten mit sehr unterschiedlichen genetischen Strategien reagieren. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Studien, in denen Forschende Verhaltensversuche mit modernen genomischen Analysen kombiniert haben.  Der Konflikt zwischen Ameisenwirten und ihren Sozialparasiten wird maßgeblich vom Klima beeinflusst. Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmen, wie sich die Ameisen verhalten, kommunizieren und sogar evolutionär verändern – wobei Wirte und Parasiten mit sehr unterschiedlichen genetischen Strategien reagieren. Zu diesem Ergebnis kommen zwei aktuelle Studien, in denen Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums Verhaltensversuche mit modernen genomischen Analysen kombiniert haben. „Die Unterschiede im Verhalten von Wirten und Parasiten lassen sich durch das Klima deutlich besser erklären als durch die Häufigkeit der Parasiten selbst“, sagt Prof. Dr. Susanne Foitzik, Seniorautorin beider Studien und Leiterin des Arbeitsbereichs Verhaltensökologie und Soziale Evolution am Institut für Organismische und Molekulare Evolution (iomE) der JGU.

In der ersten Studie, veröffentlicht im Journal of Evolutionary Biology, untersuchte das Team eine Parasitenart, die sogenannte „Sklavenhalter-Ameise“ Temnothorax americanus, und ihren Wirt Temnothorax longispinosus. Die Sozialparasiten dringen in die Nester der Wirte ein und stehlen deren Brut, um sie im Parasitenstaat später als Arbeiterinnen einzusetzen – eine außergewöhnliche Form dieser sozialen Ausbeutung. Die Forschenden untersuchten, wie sich das Verhalten und die chemische Kommunikation der Ameisen in unterschiedlichen Klimazonen unterscheiden. Der Vergleich von zehn natürlichen Populationen entlang eines tausend Kilometer langen Nord-Süd-Gradienten in den USA zeigte, dass das Klima den Konflikt stärker beeinflusst als die lokale Häufigkeit parasitischer Kolonien.

Unterschiede im Aggressionsverhalten

„Wirts- und Parasitenpopulationen unterscheiden sich in Aggression, Überfallaktivität und ihren chemischen Profilen – und diese Unterschiede folgen dem Temperatur- und Feuchtigkeitsgradienten“, erklärt Erstautor Dr. Erwann Collin, der kürzlich seine Promotion am iomE abgeschlossen hat. „In wärmeren und trockeneren Regionen zeigten Wirtsameisen eine geringere Aggressivität und transportierten ihre Brut häufiger weg, statt das Nest zu verteidigen. Sozialparasiten aus diesen Regionen waren stattdessen bei Überfällen aktiver und aggressiver.“ In kühleren, feuchteren Regionen im Norden zeigte sich das gegenteilige Muster: Wirte verteidigten ihre Nester energisch, während Parasiten vorsichtiger agierten.

Auch die chemische Kommunikation veränderte sich systematisch mit den lokalen Klimabedingungen. Dies betraf insbesondere die Zusammensetzung der kutikulären Kohlenwasserstoffe, also jener Wachsschicht auf der Ameisenoberfläche, die der Erkennung von Nestgenossen dient und vor Austrocknung schützt. Da alle Kolonien für ein ganzes Jahr unter identischen Laborbedingungen gehalten wurden, spiegeln diese Unterschiede nicht kurzfristige Umweltreaktionen, sondern langfristige evolutionäre Anpassungen wider.

Genetische Anpassungen an das Klima

Aufbauend auf diesen Ergebnissen untersuchte die zweite Studie, veröffentlicht in Molecular Biology and Evolution, die genetischen Grundlagen der klimabedingten Merkmalsunterschiede. Mithilfe modernster molekularer Methoden – darunter Ganzgenomsequenzierung und Transkriptomik, also die Analyse aktiver Gene – erforschte das Team, wie natürliche Selektion die Genome der Wirts- und Parasitenpopulationen entlang desselben Klimagradienten formt.

„Dabei haben wir ein ‚geografisches Mosaik der Koevolution‘ entdeckt: Parasitenpopulationen unterscheiden sich von Region zu Region stärker voneinander, als es bei den Wirten der Fall ist“, erklärt Erstautorin Dr. Maide Macit, die ebenfalls kürzlich an der JGU promoviert hat. „Trotz dieser Unterschiede zeigen die beiden verwandten Arten vergleichbare genetische Anpassungen an das Klima, insbesondere bei Genen für Stresstoleranz und Schutz vor Austrocknung.“ In ihrem Umgang mit dem Parasit-Wirts-Konflikt unterscheiden sich die Arten jedoch deutlich.

Bei den Wirtsameisen wirken evolutionäre Veränderungen vor allem auf Gene im Bereich der Signalübertragung und chemischen Wahrnehmung – Gene, die helfen, eindringende Parasiten zu erkennen und abzuwehren. Mehrere dieser Gene zeigen Anzeichen einer evolutionären Anpassung an den Sozialparasiten. Während diese Gene bei anderen Arten der Abwehr von Mikroben dienen, richten sie sich hier offensichtlich gegen einen völlig anderen Gegner – eine Ameise. Beim Parasiten hingegen zielt die Evolution auf regulatorische Gene, die steuern, wie Überfälle organisiert und ausgeführt werden.

Veränderte Abwehrstrategien

Genexpressionsanalysen – die zeigen, welche Gene zu einem Zeitpunkt aktiv sind – unterstreichen die unterschiedlichen Reaktionsweisen. „Bei den Wirten spiegelte die Genaktivität vor allem wider, wie häufig parasitische Kolonien in einer Region vorkamen; bei den Parasiten hingegen wurde sie deutlich stärker durch das lokale Klima beeinflusst“, erklärt Dr. Barbara Feldmeyer, Co-Seniorautorin der Studie und Forscherin am Senckenberg-Zentrum. „Außerdem fanden wir heraus, dass die Variation in den chemischen Profilen nicht nur mit genetischen Unterschieden in den Enzymen zusammenhängt, die diese Verbindungen herstellen, sondern auch mit Veränderungen in Geruchsrezeptor-Genen. Diese codieren Proteine, die es Ameisen ermöglichen, chemische Signale wahrzunehmen.”

Das zeigt, wie wichtig chemische Kommunikation und Erkennung in diesem Konflikt sind – und dass die Evolution immer wieder genau an diesen Merkmalen ansetzt, wenn sich Wirte und Parasiten gegenseitig anpassen.

Zusammen verdeutlichen die beiden Studien in bislang einmaliger Breite, wie stark Klima und biologische Konflikte die Evolution von Arten prägen – und das in sehr unterschiedlichen Lebensräumen. „Wirt-Parasit-Systeme sind klassische evolutionäre Wettrüsten“, sagt Susanne Foitzik. „Da beide Arten auf chemische Kommunikation angewiesen sind, bietet ihr Zusammenspiel einen idealen Rahmen für zukünftige Studien zur molekularen Koevolution.“

Johannes Gutenberg-Universität Mainz


Originalpublikationen:

E. Collin et al.: Climate and parasite pressure jointly shape traits mediating the coevolution between an ant social parasite and its host, Journal of Evolutionary Biology, 3. November 2025, DOI: 10.1093/jeb/voaf129, https://doi.org/10.1093/jeb/voaf129

M. N. Macit et al.: Genomic Signatures of Selection Across Climate Gradients and a Geographic Mosaic of Coevolution in an Ant Social Parasite–Host System, Molecular Biology and Evolution, 11. November 2025, DOI: 10.1093/molbev/msaf293, https://doi.org/10.1093/molbev/msaf293

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Wissenschaft Rheinland-Pfalz
news-35166 Mon, 15 Dec 2025 10:30:39 +0100 Immunsystem hält Pilz auf Schleimhaut in Schach https://www.vbio.de/aktuelles/details/immunsystem-haelt-pilz-auf-schleimhaut-in-schach Der Hefepilz Candida albicans besiedelt die Schleimhäute und ist meist harmlos. Doch unter bestimmten Bedingungen kann er gefährliche Infektionen auslösen. Ein Forschungsteam der Universität Zürich hat nun herausgefunden, wie das Immunsystem die Verwandlung von einem harmlosen Besiedler zu einem Krankheitserreger verhindert. Dies geschieht unter anderem durch den Entzug von Zink. Das Mikrobiom besteht nicht nur aus Bakterien, sondern auch aus Pilzen. Die meisten von ihnen fördern die Gesundheit von Mensch und Tier. Einige Pilze haben jedoch auch das Potenzial zum Krankheitserreger. So kann beispielsweise der Hefepilz Candida albicans unkontrolliert auf der Mundschleimhaut wachsen und Soor auslösen.
In schweren Fällen kann dieser Pilz durch Ausbildung von fadenförmigen Hyphen auch in den Blutkreislauf gelangen und systemische Infektionen verursachen. Diese wiederum sind für jährlich über eine Million Todesfälle verantwortlich. Das passiert vor allem bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem auf der Intensivstation − beispielsweise, wenn sie aufgrund einer Transplantation oder Krebserkrankung immunsupprimiert sind.

Balance zwischen Freund und Feind 
«Die Mechanismen, welche den Pilz auf unserer Schleimhaut unter Kontrolle halten und eine Infektion verhindern, sind nach wie vor kaum verstanden», sagt Salomé LeibundGut-Landmann, Professorin für Immunologie an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich. Ihr Team hat nun zwei wichtige Entdeckungen gemacht: Sie zeigen auf, wie das Gleichgewicht durch ein feines Zusammenspiel zwischen Candida albicans und dem Epithel einerseits sowie dem Immunsystem andererseits aufrechterhalten wird. Für die Studien verwendeten die Forschenden verschiedene Stämme von Candida albicans und von Mäusen.

Toxin kann auch nützlich sein
Zunächst untersuchte das Team die Funktion von Candidalysin, einem Pilz-Toxin, das Wirtszellen direkt angreift und die schützende Körperoberfläche beschädigt. Die Forschenden fanden heraus, dass dieser Faktor – in kleinen Mengen − für das Überleben des Pilzes im Mund notwendig ist. Der Pilz nutzt das Toxin wie einen Türöffner, um sich in der Schleimhaut zu verankern, ohne diese zu schädigen. 
«Die Feinregulierung von Candidalysin entscheidet darüber, ob Candida albicans ein harmloser Besiedler oder ein Krankheitserreger», so LeibundGut-Landmann. Als Krankheitserreger produziert der Pilz grosse Mengen an Candidalysin. Daraufhin reagiert das Immunsystem sofort mit einer starken Entzündung. Im gutartigen Stadium hingegen produziert Candida albicans nur geringe Mengen des Toxins und kann so unbemerkt in der Schleimhaut verbleiben. «Der Pilz fährt sozusagen mit angezogener Handbremse. Er braucht ein wenig Toxin, aber zu viel davon wird sofort bestraft.» 

Interleukin übernimmt Verteidigung
In ihrer zweiten Studie untersuchten die Forschenden, wie Candida albicans in einem geschwächten Immunsystem von einem harmlosen Pilz zu einem Krankheiterreger wird. Sie gingen davon aus, dass der Immunfaktor Interleukin-17 dabei eine wichtige Rolle spielt − denn Menschen mit einem Defekt im Gen für Interleukin-17 leiden unter Soor in der Mundschleimhaut.
Die Ergebnisse zeigen, dass die durch Interleukin-17 vermittelte Immunität dafür sorgt, dass sich der Pilz nicht zu stark vermehren kann. Er verhindert zudem, dass er zu grosse Mengen an Candidalysin produziert und dadurch zum Krankheitserreger wird.

Ein Pilz auf Entzug
Dies geschieht unter anderem durch einen wenig bekannten Mechanismus namens «Nutritional Immunity»: Interleukin-17 entzieht dem Pilz indirekt Zink − einen wichtigen Faktor, den er für die Produktion der fadenartigen Hyphen und Candidalysin benötigt. «Interleukin-17 ist wie ein Torwächter, der dafür sorgt, dass Candida albicans harmlos bleibt», so LeibundGut-Landmann. Der Verlust dieses Tors löse eine Kaskade aus, die zu einer Veränderung des Pilzes, Gewebeschäden und chronischen Erkrankungen führt.

Preiswürdige Erkenntnisse
Die Resultate sind wichtig angesichts der zunehmenden Verwendung von Immuntherapien, die den Interleukin-17-Immunweg blockieren. Solche Therapien werden für die Behandlung von Schuppenflechte und anderen entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Wenig überraschend entwickelt ein Teil der Patienten, die Antikörper gegen Interleukin-17 oder dessen Rezeptor erhalten, als Nebenwirkung eine mukokutane Candidose einschliesslich Soor.

Universität Zürich


Originalpublikationen:

Fróis-Martins, R., Lagler, J., Schille, T.B. et al. Dynamic expression of candidalysin facilitates oral colonization of Candida albicans in mice. Nat Microbiol 10, 2472–2485 (2025). https://doi.org/10.1038/s41564-025-02122-4

Fróis-Martins, R., Martinez de San Vicente, K., Maufrais, C. et al. IL-17-mediated antifungal immunity restricts Candida albicans pathogenicity in the oral cavity. Nat Microbiol (2025). doi.org/10.1038/s41564-025-02198-y

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Wissenschaft International
news-35164 Mon, 15 Dec 2025 09:34:14 +0100 Europaweite Moor-Emission doppelt so hoch wie geschätzt https://www.vbio.de/aktuelles/details/europaweite-moor-emission-doppelt-so-hoch-wie-geschaetzt Entwässerte Moore in der EU stoßen jedes Jahr rund 232 Megatonnen CO₂-Äquivalent aus – und damit fast doppelt so viel, wie die EU-Mitgliedsstaaten bislang beim UN-Klimarahmenübereinkommen (UNFCCC) angegeben haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt in Nature Communications veröffentlichte Studie unter Beteiligung von Dr. John Couwenberg, PD Dr. Franziska Tanneberger und weiteren Wissenschaftlerinnen aus dem Sonderforschungsbereich WETSCAPES2.0 der Universität Greifswald. Das Forschungsteam hat erstmals eine hochauflösende Karte der Treibhausgas-Emissionen entwässerter Moore erstellt.  Die Differenz entspricht in etwa den jährlichen Emissionen des gesamten europäischen Flugverkehrs. Auf Basis umfangreicher Boden- und Landnutzungsdaten sowie mithilfe von Treibhausgasmodellierungen im Supercomputer entstand in Zusammenarbeit mit Forschenden der Radboud Universität (Niederlande) und des finnischen Forschungsinstituts LUKE eine Hotspot-Karte. Sie macht sichtbar, wo Emissionen aus entwässerten Mooren in der EU besonders konzentriert sind und wo Wiedervernässung besonders wirksam wäre.

Nordseeküste, Ostdeutschland, Baltikum, Irland: Wo die Emissionen besonders hoch sind
Die Karte zeigt klare räumliche Schwerpunkte. Besonders betroffen sind die Nordsee-Region (Nordwestdeutschland, Niederlande, Südost-England), Ostdeutschland, die baltischen Staaten und Ostpolen sowie Irland und Nordirland. Diese Gebiete fallen bei den Gesamtemissionen aus entwässerten Mooren besonders stark ins Gewicht und verursachen zusammen rund 40 % der gesamten EU-Mooremissionen.
Dort kommen viele, ausgedehnte, teils sehr mächtige Moorflächen und eine intensive landwirtschaftliche Nutzung zusammen. Beispielsweise: In der Nordsee-Region, auch in Nordwestdeutschland, treiben großflächig entwässerte und einst mächtige Küstenmoore im Zusammenspiel mit intensiver Landwirtschaft die Emissionen besonders hoch – allein rund 20 % der EU-weiten Mooremissionen stammen aus einer Region, die nur etwa 4 % der europäischen Moorfläche umfasst. In Ostdeutschland entsteht ein weiterer Hotspot, weil dort flachere, aber besonders umfangreiche Moorflächen großräumig und tiefgreifend für die Landwirtschaft entwässert wurden.
Diese Regionen sind somit besonders geeignet für gezielte und wirksame Klimaschutzmaßnahmen.

Ein kritischer Schritt für die EU-Berichterstattung
Bisher müssen EU-Staaten dem UNFCCC keine detaillierten räumlichen Daten zu Mooren vorlegen. Dadurch lassen sich Emissionen nur schwer präzise erfassen und politische Maßnahmen schwer zielgerichtet planen. Die bis zu 1-km²-aufgelöste Hotspot-Karte schließt diese Lücke: „Unsere Daten zeigen sehr deutlich, dass weit bessere Informationen über die Verbreitung von Mooren verfügbar sind, als sie in vielen nationalen Inventaren genutzt werden“, sagt PD Dr. Franziska Tanneberger. „Wir können nun detailliert zeigen, wo die größten Emissionsquellen liegen. Es ist unglaublich wichtig, Treibhausgas-Emissionen sichtbar zu machen, darin sind Karten sehr wirkungsvoll.“
Die Hotspot-Karte liefert damit eine neue wissenschaftliche Grundlage für die europäische Klimapolitik: Sie ermöglicht es, politische Instrumente wie die Gemeinsame Agrarpolitik, die Nature Restoration Regulation oder Carbon-Farming-Programme effektiver zu machen, da sie gezielter auf Regionen ausgerichtet werden können. 

Warum bisher so wenig gemeldet wurde
Ein wesentlicher Grund für die große Lücke zwischen wissenschaftlichen Schätzungen und den offiziellen Inventaren liegt darin, dass viele Moorflächen nicht korrekt erfasst werden. Moorflächen, die als Weiden oder Wälder genutzt werden, werden häufig nicht als Moore gemeldet. Hinzu kommt, dass zahlreiche Inventare mit unvollständigen Emissionsfaktoren arbeiten. Dabei bleiben einzelne Treibhausgase oder der Abfluss gelöster organischer Kohlenstoffe unberücksichtigt, was zu einer deutlichen Unterschätzung der tatsächlichen Emissionen führt.

Entwässerte Moore gehören daher zu den am stärksten unterschätzten Klimafaktoren in der europäischen Berichterstattung. Analysen gingen bereits zuvor davon aus, dass sie rund 7 % der EU-Treibhausgasemissionen ausmachen, entsprechend dem durchschnittlichen Gesamtverbrauch von 91 Mio. PKW. Das zeigt deutlich, wie dringlich es ist, die Emissionen aus entwässerten Mooren zu verringern. Die Ergebnisse dieser Studie können eine Grundlage dafür bieten, und zugleich die europäische und internationale Klimaberichterstattung verbessern.

Universität Greifswald


Originalpublikation: 

van Giersbergen, Q.; Barthelmes, A.; Couwenberg, J.; Lång, K.; Martin, N.; Tegetmeyer, C.; Fritz, C.; Tanneberger: Identifying hotspots of greenhouse gas emissions from drained peatlands in the European Union. Nature Communications 16, 10825 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-65841-6

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Nachhaltigkeit/Klima Wissenschaft Mecklenburg-Vorpommern
news-35163 Mon, 15 Dec 2025 09:28:40 +0100 Mini-Tumoren aus dem Labor simulieren Immun-Reaktionen https://www.vbio.de/aktuelles/details/mini-tumoren-aus-dem-labor-simulieren-immun-reaktionen Normalerweise erkennt und beseitigt das Immunsystem veränderte Zellen. Doch Krebszellen entwickeln Strategien, um dieser Kontrolle zu entgehen: Sie blockieren Abwehrreaktionen oder senden hemmende Signale aus. Auf diese Weise können sie der Immunüberwachung entkommen und Tumoren können ungehindert wachsen. Mit dieser Herausforderung haben sich Forscherteams aus Deutschland, Großbritannien und Ungarn gemeinsam beschäftigt. Sie entwickelten künstliche Tumormodelle, in denen synthetische Zellen Immunreaktionen nachahmen. In der gemeinsamen Studie wurden künstliche Zellen so gestaltet, dass sie sich mit echten Krebszellen zu dreidimensionalen Mini-Tumoren, sogenannten Tumoroiden, verbinden. Grundlage dieser Verbindung von lebendem und synthetischem Material ist die Fähigkeit von Zellen zur Selbstorganisation. Welche Strukturen dabei entstehen, hängt unter anderem von der Stärke der Zelladhäsion oder der „Weichheit“ der Zelloberfläche ab. Es stellte sich heraus, dass synthetische Zellen besonders geeignet sind, wenn sie von einer dünnen Fettschicht umhüllt sind, die der Zellmembran natürlicher Zellen ähnelt. So lassen sich künstliche Tumor-Immunumgebungen erzeugen und typische Signale nachahmen, wie sie sonst von Immunzellen ausgehen. Auf diese Weise können die Forschenden untersuchen, wie Tumoren das Immunsystem austricksen – ohne echte Immunzellen einsetzen zu müssen.

„Mit unserem Modell können wir nachvollziehen, wie Tumoren das Immunsystem täuschen und blockieren“, erläutert Dr. Oskar Staufer vom INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken. „Besonders beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer sehr aggressiven Krebsart, haben wir auf diese Weise einen neuen Mechanismus entdeckt, wie der Krebs Immunzellen gezielt außer Gefecht setzt.“ Die Studie belegt außerdem, dass die Oberflächenbeschaffenheit und andere physikalische Eigenschaften der künstlichen Zellen entscheidend dafür sind, ob sich Tumormodelle korrekt ausbilden. Diese Erkenntnisse eröffnen die Möglichkeit, künstliche Tumorumgebungen künftig gezielt zu gestalten. Zum weiteren Vorgehen sagt Nils Piernitzki, Erstautor der Studie: „Bisher haben wir uns auf einen simplen experimentellen Aufbau konzentriert, um das Potenzial des Modells abschätzen zu können. Als Nächstes wollen wir die Tumorumgebung im menschlichen Körper möglichst lebensecht nachahmen.“

Langfristig könnte die Methode nicht nur die Krebsforschung voranbringen, sondern auch neue Ansätze schaffen, um „lebende“ und „nicht-lebende“ Bausteine in innovativen medizinischen Materialien zu kombinieren.

INM - Leibniz-Institut für Neue Materialien


Originalpublikation:

Piernitzki, N., Gao, N., Gasparoni, G. et al. Self-assembly of hybrid 3D cultures by integrating living and synthetic cells. Nat Commun 16, 11073 (2025). https://doi.org/10.1038/s41467-025-66789-3

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Wissenschaft Biobusiness Saarland
news-35162 Mon, 15 Dec 2025 09:21:54 +0100 Selbstaktivierung gehört zur Erfolgsstrategie parasitischer Unkräuter https://www.vbio.de/aktuelles/details/selbstaktivierung-gehoert-zur-erfolgsstrategie-parasitischer-unkraeuter Parasitische Unkräuter entziehen ihren Wirtspflanzen Wasser und Nährstoffe. Doch was macht diese Parasiten so erfolgreich? Forschende konnten jetzt zeigen, dass bestimmte Schmarotzerpflanzen ihre Saugorgane unabhängig von der Wirtspflanze aktivieren. Diese Strategie steigert ihre Fähigkeit, den Wirt erfolgreich zu befallen.  Ein Team um Prof. Dr. Susann Wicke vom Institut für Evolution und Biodiversität der Universität Münster hat nun untersucht, wie bestimmte Schmarotzerpflanzen ihre Saugorgane entwickeln, mit denen sie sich an die Wurzeln anderer Pflanzen anheften und ihnen Nährstoffe entziehen. Ein Fazit: Die Parasiten bilden bereits in ihren Samen verschiedene Stoffe und setzen sie frei. Sie stoßen damit die Entwicklung ihrer Saugorgane, fachsprachlich Haustorien genannt, auch ohne einen Wirt an. So gelangen die jungen Parasiten sehr früh in einen Zustand, in dem sie besonders schnell und wirksam an eine Wirtspflanze andocken. Diese Aktivierung aus sich selbst heraus steigert ihre Fähigkeit, den Wirt erfolgreich zu befallen – ein zentraler Punkt, der erklärt, warum diese Unkräuter in der Landwirtschaft schwer zu kontrollieren sind.

Das Forschungsteam beobachtete dieses Phänomen bei drei Arten von parasitischen Sommerwurzgewächsen, die beispielsweise Raps, die Ackerbohne, Reis- oder Maispflanzen befallen und erhebliche Ertragseinbußen verursachen können. Darunter sind zwei Arten, die vollständig von Wirten leben, und eine andere, die nach einigen Wochen totaler Wirtsabhängigkeit teilweise Selbstständigkeit erlangt. Alle zeigten eine eigenständige Voraktivierung ihres Saugorgans, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. „Damit weist unsere Studie darauf hin, dass dieser Mechanismus weiter verbreitet sein könnte als bislang angenommen“, betont Susann Wicke.Die Ergebnisse stießen einen grundlegenden Wandel im bisherigen Verständnis parasitischer Pflanzen an. Lange habe als unumstößlich gegolten, dass die Schädlinge erst mit der Ausbildung ihrer Saugorgane beginnen, wenn ein Wirt bestimmte Wachstumsfaktoren und bestimmte pflanzliche Hormone absondert.

Das Wissen, dass die Schädlinge ihre entscheidenden Entwicklungsschritte schon früh und aus eigener Kraft einleiten, schafft neue Ansatzpunkte für Gegenstrategien. Denkbar ist etwa, jene selbst erzeugten Stoffe gezielt zu blockieren, die den Aufbau der Saugorgane anstoßen, oder in den Ablauf der früh aktiven Gene einzugreifen.

Die Studie zeigt auch: Verschiedene Stoffgruppen entfalten zusammen eine viel stärkere Wirkung auf die Entwicklung der parasitischen Saugorgane als einzeln. Bestimmte Gene der parasitischen Pflanzen werden in einem sehr genauen zeitlichen Ablauf aktiv, darunter auch solche, die für die Entstehung von Leitbahnen wichtig sind, also die inneren Strukturen, über die der Parasit Wasser und Nährstoffe des Wirts aufnimmt. Samen anderer Pflanzen – ganz gleich, ob es sich um Wirtspflanzen oder Nicht-Wirte handelt – setzen Stoffe frei, die die Selbstaktivierung der Schädlinge zusätzlich verstärken. Damit rückt die Dichte an Samen in Parasiten-verseuchten Böden als bisher wenig beachteter Faktor in den Fokus der Schädlingsbekämpfung.

Das Forschungsteam kombinierte Keim- und Wachstumsversuche unter streng kontrollierten Bedingungen mit verschiedenen Mikroskopietechniken, um die Entwicklung der jungen Pflanzen direkt zu beobachten. Zur Bestimmung der gelösten Stoffe setzten die Forscherinnen und Forscher eine besonders empfindliche Analysemethode (UHPLC-MS/MS) ein, mit der sich winzige Mengen verschiedener Moleküle präzise messen lassen. Zusätzlich erhoben sie, welche Gene zu welchem Zeitpunkt in den Zellen eingeschaltet werden und die Entwicklungsprozesse steuern.

Universität Münster


Originalpublikation:

Guillaume Brun, Florian Schindler, Amal Bouyrakhen, Olivier Dayou, Wolfram Weckwerth, Susann Wicke (2025): Seed metabolites headstart haustoriogenesis and potentiate aggressiveness of parasitic weeds; Science Advances; DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.aea1449

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Wissenschaft Nordrhein-Westfalen