VBIO News http://example.com VBIO News de Copyright Thu, 18 Sep 2025 13:09:41 +0200 Thu, 18 Sep 2025 13:09:41 +0200 TYPO3 news-33613 Thu, 18 Sep 2025 11:25:31 +0200 Die europäischen Wurzeln der afrikanischen Riesen-Raubsaurier https://www.vbio.de/aktuelles/details/die-europaeischen-wurzeln-der-afrikanischen-riesen-raubsaurier Die riesigen zweibeinigen Spinosaurier aus Afrika haben offenbar ihren Ursprung in Europa. Dies zeigen Untersuchungen neu entdeckter Funde des Raubsauriers Camarillasaurus cirugedae aus Spanien.  Tyrannosaurus ist der vielleicht bekannteste zweibeinige Raub-Dinosaurier – doch ist er längst nicht mehr der größte bekannte Vertreter dieser Gruppe: Spinosaurus stammt aus der unteren Oberkreide (vor etwa 95 Millionen Jahren) von Afrika und war mit bis zu 18 Metern Länge noch größer. In Zusammenarbeit mit spanischen Kollegen fand der SNSB Paläontologe Oliver Rauhut nun neue Hinweise, dass die gigantischen Spinosaurier ihre Wurzeln in Europa hatten. Neue Funde und die neue Untersuchung bereits früher gesammelter Überreste des bislang wenig bekannten Raubsauriers Camarillasaurus cirugedae aus der unteren Kreidezeit (vor ca. 128 Millionen Jahren) von Spanien zeigen, dass diese Art ein naher Verwandter der nordafrikanischen Riesen-Spinosaurier war. 
Camarillasaurus stammt aus der zentralspanischen Provinz Teruel. Ursprünglich wurden das Fossil den Ceratosauriern zugeordnet – eine Raubsauriergruppe, die aus Europa nur wenig bekannt ist, und deren Vorkommen in der Unterkreide Spaniens einen Fund „außerhalb von Raum und Zeit“ darstellen würde, wie es in der Original-Publikation hieß. Diese Interpretation basierte auf einigen wenigen fragmentarischen Überresten, die vor über zehn Jahren beschrieben wurden. Während einer neuen Grabungskampagne in der Originalfundstelle des Raubsauriers fanden Oliver Rauhut und seine Kollegen von der Universität Saragossa nun weitere Reste des Fossils, darunter Fragmente des Kiefers, Schwanzwirbels, eines Zahns, einen Oberschenkelknochen sowie eine Fußkralle. Die neuen Funde lassen die nun veröffentlichte Neuinterpretation der Verwandtschaftsverhältnisse des spanischen Raubsauriers zu. Gemeinsame Merkmale von Camarillasaurus und anderen Spinosauriern fanden die Paläontologen beispielsweise am Unterkieferknochen.

Oliver Rauhut, Dinosaurierexperte an der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG), geht sogar noch einen Schritt weiter: „Unsere phylogenetischen Analysen deuten darauf hin, dass auch verschiedene andere Vertreter der Spinosauriden der iberischen Halbinsel auf der Entwicklungslinie hin zu den nordafrikanischen Spinosauriden stehen. Wir vermuten, dass die riesigen Raubsaurier Afrikas ihren Ursprung in Europa haben.“

Überreste verschiedener Spinosaurier, meist Zähne, sind auf der Iberischen Halbinsel häufig, die meisten davon eingebettet in kontinentale Ablagerungen, so auch Camarillasaurus cirugedae. Forschende gehen daher davon aus, dass die Tiere auf dem Festland lebten und jagten. Der nordafrikanische Spinosaurus hingegen wird – aufgrund seiner Anatomie – in jüngerer Zeit eher als Fischfresser interpretiert, der sich die meiste Zeit im Wasser aufhielt. Funde aus Spanien, die diese These stützen, gibt es bisher nicht.

Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns


Originalpublikation:

Rauhut, Oliver W.M., Canudo, José Ignacio, and Castanera, Diego. 2025. Revision of the theropod dinosaur Camarillasaurus cirugedae from the Early Cretaceous (Barremian) of Teruel province, Spain. Palaeontologia Electronica, 28(3):a38. https://doi.org/10.26879/1543

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Wissenschaft Bayern
news-33612 Thu, 18 Sep 2025 11:09:26 +0200 Artenvielfalt braucht mehr als Blühstreifen https://www.vbio.de/aktuelles/details/artenvielfalt-braucht-mehr-als-bluehstreifen Blühstreifen zwischen Ackerflächen sind die beliebteste Agrarumweltmaßnahme. Sie locken Blütenbesucher wie Schmetterlinge und Wildbienen an, verschönern das Landschaftsbild und sind schnell angelegt. Das Ziel einer strukturell vielfältigen und damit auch besonders artenreichen Agrarlandschaft wird jedoch verfehlt, wenn es bei Blühstreifen bleibt und weitere Maßnahmen ausbleiben, die verschiedene Lebensräume über die gesamte Landschaft hinweg schaffen und erhalten.  Wie Agrarlandschaften gestaltet sein müssen, sodass sie viele Arten beherbergen und andere sozial-ökologische Funktionen wie Erholung und Klimaschutz gewährleisten, haben Forschende der Abteilung Funktionelle Agrobiodiversität & Agrarökologie der Universität Göttingen in der Fachzeitschrift Biological Conservation beschrieben.

Die landwirtschaftliche Nutzung und Expansion ist die wichtigste Ursache für den globalen Artenschwund. Für mehr Biodiversität in Agrarlandschaften muss es außerhalb der Anbauflächen Lebensräume geben, die zusätzliche Ressourcen bereitstellen. In der Europäischen Union sind einjährige Blühstreifen verbreitet. Sie unterstützen aber nur ein begrenztes Spektrum an Pflanzen- und Tierarten, so die Forschenden. 

Der Erhalt von Biodiversität erfordert den Expertinnen und Experten zufolge vielfältige Maßnahmen auf Landschaftsebene: Es braucht unterschiedliche Lebensraumtypen, zum Beispiel Ackerflächen mit einer Vielfalt an Feldfrüchten zusammen mit einjährigen und mehrjährigen Lebensräumen an Land sowie fließenden und stehenden Gewässern. Indem Ackerflächen verkleinert werden, entstehen außerdem mehr Randstrukturen, die Tieren Nahrung, Nistplätze und Rückzugsräume bieten. Unterschiedlich strukturierte Lebensräume können sich im Laufe des Jahres in der Verfügbarkeit von Ressourcen ergänzen, sodass Arten zwischen ihnen wechseln können. So entstehen vielfältige Lebensraumtypen und Lebensgemeinschaften, die weniger vom Aussterben bedroht sind und wichtige Ökosystemleistungen fördern, beispielsweise die Bestäubung von Nutzpflanzen und die biologische Schädlingsbekämpfung. 

Agrarumweltprogramme sollten zudem mehr auf Zusammenarbeit innerhalb der Landwirtschaft und mit anderen Akteuren setzen. „Wir brauchen eine stärkere Kooperation aller Interessensgruppen für biodiversitätsfreundliche Agrarlandschaften mit unterschiedlichen Lebensräumen, damit der Artenreichtum unserer Kulturlandschaften wiederhergestellt und erhalten werden kann“, betont Erstautor Prof. Dr. Teja Tscharntke.

Universität Göttingen


Originalpublikation:

Teja Tscharntke et al.: Beyond flower strips – restoring biodiversity needs more landscape heterogeneity. Biological Conservation (2025). https://doi.org/10.1016/j.biocon.2025.111474

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Nachhaltigkeit/Klima Politik & Gesellschaft Niedersachsen
news-33611 Thu, 18 Sep 2025 10:50:22 +0200 Das Geschlecht des Körpers: Warum unsere Organe kein einfaches männlich oder weiblich kennen https://www.vbio.de/aktuelles/details/das-geschlecht-des-koerpers-warum-unsere-organe-kein-einfaches-maennlich-oder-weiblich-kennen Unsere Organe bilden ein Mosaik geschlechtsspezifischer Merkmale – fernab der strikten Einteilung in „männlich“ und „weiblich“. Nur Sexualorgane trennen klar: In allen anderen Organen zeigen sich überlappende Muster männlicher und weiblicher Genaktivität. Dies zeigt eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön und dem Biomedical Pioneering Innovation Center der Peking University in Beijing, China  Geschlecht im Körper: Viel komplexer als gedacht
Biologisches Geschlecht wird meist in einfachen binären Begriffen beschrieben: männlich oder weiblich. Diese Sichtweise passt gut, wenn es um Keimzellen (Spermien versus Eizellen) geht – für die übrigen Körperorgane ist sie jedoch wenig hilfreich.
Eine jetzt in eLife veröffentlichte Studie* zeigt: In vielen Organen überlappen die geschlechtsspezifischen Muster stark. Nur Hoden und Eierstöcke sind klar unterscheidbar. In allen anderen Organen finden sich mosaikartige Kombinationen von weiblichen und männlichen Eigenschaften.

Besonders deutlich treten geschlechtsspezifische Gene in den Sexualorganen hervor. Doch in den übrigen Organen ist das Bild komplexer. Bei Mäusen zeigen vor allem Niere und Leber große Unterschiede, beim Menschen das Fettgewebe. Das Gehirn dagegen weist bei beiden Arten nur minimale Unterschiede auf – was sich auch mit früheren Untersuchungen zur Hirnstruktur beim Menschen deckt.

Um diese Vielfalt messbar zu machen, entwickelten die Forschenden einen Sex-Bias-Index (SBI). Dieser fasst die Aktivität aller männlich- und weiblich-spezifischen Gene in einem Organ zu einem einzigen Wert zusammen. Während der Index in den Sexualorganen eine klare Trennung zeigt, liegen die Werte anderer Organe oft so dicht beieinander, dass Männer und Frauen nicht eindeutig zu unterscheiden sind. So kann das Herz eines Mannes stärker „weiblich“ geprägt sein als das mancher Frauen. Und sogar innerhalb eines Individuums können sich Organe unterschiedlich ausprägen – das Herz eher weiblich, die Leber eher männlich. Es entsteht ein mosaikartiges Muster von Geschlechtsmerkmalen, das dem Bild einer klaren Trennung widerspricht.

Evolutionäre Dynamik: Warum Unterschiede so schnell wechseln
Die Studie zeigt außerdem, dass geschlechtsspezifische Genaktivität in Körperorganen sehr schnell evolviert – viel schneller als Gene, die bei beiden Geschlechtern gleich aktiv sind. Schon zwischen Mausarten, die sich erst seit weniger als zwei Millionen Jahren getrennt haben, hat der Großteil der Gene seine geschlechtsspezifische Rolle verloren oder sogar gewechselt.

Im Vergleich zwischen Mensch und Maus finden sich deshalb nur sehr wenige Gene mit dauerhaft konservierter geschlechtsspezifischer Aktivität. Das bedeutet auch: Mausmodelle sind nur sehr eingeschränkt geeignet, um als Modelle für geschlechtsspezifische Medizin beim Menschen verwendet zu werden.

Die Forschenden fanden zudem, dass geschlechtsspezifische Gene häufig in „Modulen“ vorkommen, die gemeinsam reguliert werden. Evolution verändert Geschlechtsunterschiede also oft nicht an einzelnen Genen, sondern indem ganze Netzwerke neu angeordnet werden. Der treibende Faktor dafür ist die sexuelle Selektion – also der ständige evolutionäre Konflikt zwischen den Interessen von Männchen und Weibchen. Dieser Konflikt kann nie vollständig aufgelöst werden, da jede Anpassung wiederum neue Gegensätze schafft.

Überträgt man die Methode auf menschliche Gewebe, zeigt sich ein klares Muster: Deutlich weniger geschlechtsspezifische Gene als bei Mäusen und noch stärkere Überlappungen zwischen Männern und Frauen. In unserer Spezies sind die Unterschiede also schwächer ausgeprägt, was die Vorstellung einer strikten binären Einteilung zusätzlich in Frage stellt.

Fazit: Geschlecht als Spektrum, nicht als Schublade
Die Studie kommt zu dem Schluss: Während die Sexualorgane ein klares binäres Muster zeigen, weisen die meisten anderen Gewebe ein Kontinuum geschlechtsspezifischer Genaktivität auf – ein dynamisches Spektrum, das sich zwischen Arten wie auch zwischen Individuen unterscheidet.
Geschlecht ist also nicht starr und eindeutig, sondern geprägt durch Evolution, Überschneidungen und individuelle Unterschiede. Statt den Körper anhand molekularer Merkmale streng als männlich oder weiblich einzuordnen, sollte er als ein komplexes Mosaik verstanden werden.

Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie


Originalpublikation:

Chen Xie, Sven Künzel, Diethard Tautz: Fast evolutionary turnover and overlapping variances of sex-biased gene expression patterns defy a simple binary sex classification of somatic tissues, eLife 13:RP99602, 2025, https://doi.org/10.7554/eLife.99602.4

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Wissenschaft Schleswig-Holstein
news-33610 Thu, 18 Sep 2025 10:26:48 +0200 Verhaltensforschung: Riechen Hunde menschliche Angst? https://www.vbio.de/aktuelles/details/verhaltensforschung-riechen-hunde-menschliche-angst Hunde sind bekannt für ihre Fähigkeit, menschliche Emotionen zu spüren. Aber wie reagieren sie auf den Geruch von Angst? Eine neue Studie beleuchtet diese Frage und zeigt, dass Hunde menschliche Angst-Chemosignale wahrnehmen und darauf individuell reagieren – was die bisherige Annahme eines einheitlichen Vermeidungsverhaltens in Frage stellt.  Die von Wissenschafter:innen des Domestication Lab des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung (KLIVV) der Vetmeduni durchgeführte Studie untersuchte, wie Hunde in einer kontrollierten Umgebung auf menschliche Angstgerüche reagieren. An der Studie nahmen 61 Hunde teil, die in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. Die Versuchsgruppe wurde zwei Zielobjekten ausgesetzt, von denen eines mit menschlichem Angstschweiß und das andere mit einem neutralen menschlichen Geruch versehen war. Die Kontrollgruppe wurde hingegen zwei Zielobjekten mit neutralem menschlichem Geruch ausgesetzt.

Keine einheitliche Vermeidungsreaktion, sondern individuelles Verhalten

Hunde, die dem Angstgeruch ausgesetzt waren, zeigten Verhaltensweisen, die auf Unbehagen oder Zögern hindeuteten, bespielsweise verbrachten sie mehr Zeit in der Nähe des Versuchsleiters, senkten ihre Schwänze und brauchten länger, um sich den Zielen zu nähern. Das auffälligste Ergebnis war jedoch die Variabilität der individuellen Reaktionen. Während einige Hunde zögerten, sich dem Angstgeruch zu nähern, näherten sich andere ihm schneller als dem neutralen Geruch. Dies stellt die gängige Annahme in Frage, dass Hunde eine angeborene Tendenz haben, menschliche Angstgerüche zu vermeiden.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hunde von menschlichen Angstgerüchen beeinflusst werden, ihre Reaktionen jedoch alles andere als einheitlich sind“, sagt Studien-Erstautorin Svenja Capitain vom KLIVV der Vetmeduni. „Diese Variabilität könnte durch Faktoren wie Lebenserfahrung, Training oder sogar Rasse beeinflusst werden, allerdings sind weitere Untersuchungen erforderlich, um diese Einflüsse zu bestätigen.“ Interessanterweise fand die Studie keine signifikanten Auswirkungen von Alter oder Geschlecht auf die Reaktionen der Hunde, was mit früheren Untersuchungen übereinstimmt.

Wichtige Erkenntnisse für Therapiehunde, menschliche Interaktion und die Ausbildung von Hunden

Die Ergebnisse der Studie könnten praktische Auswirkungen auf die Hundeausbildung, die Auswahl von Therapiehunden und die Verbesserung der Interaktion zwischen Mensch und Hund haben. Das Verständnis, warum manche Hunde sich Angstgerüchen nähern, während andere sie meiden, könnte dazu beitragen, das Wohlbefinden von Hunden zu verbessern, Stress zu reduzieren und sogar potenzielle Sicherheitsprobleme zu vermeiden, wie z. B. aggressive Reaktionen auf ängstliche Personen.

„Unsere Forschungsarbeit unterstreicht, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede im Verhalten von Hunden zu betrachten“, betont Svenja Capitain. „Indem wir uns von der Annahme der Gleichförmigkeit lösen, können wir unsere vierbeinigen Begleiter besser verstehen und dabei unterstützen, sich in der Welt der Menschen zurechtzufinden.“ Die Forscherinnen hoffen, dass zukünftige Studien die Rolle von Lebenserfahrungen, Training und Rasse bei der Prägung der Reaktionen von Hunden auf menschliche Angst-Chemosignale untersuchen werden. Sie schlagen außerdem vor, der Frage nachzugehen, wie Umweltfaktoren – beispielsweise vertraute gegenüber unbekannten Orten – diese Reaktionen beeinflussen könnten.

Veterinärmedizinische Universität Wien


Originalpublikation:

Svenja Capitain, Friederike Range und Sarah Marshall-Pescini: Not just avoidance: Dogs show subtle individual differences in reacting to human fear chemosignals, Frontiers in Veterinary Science 2025, https://doi.org/10.3389/fvets.2025.1679991

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Wissenschaft International
news-33609 Thu, 18 Sep 2025 10:00:41 +0200 Neue Studie kartiert Bindungsstellen von Proteinen über verschiedene Spezies hinweg https://www.vbio.de/aktuelles/details/neue-studie-kartiert-bindungsstellen-von-proteinen-ueber-verschiedene-spezies-hinweg Proteine erfüllen ihre vielfältigen Funktionen durch physikalische Wechselwirkungen mit anderen Molekülen. Insbesondere mit kleinen Molekülen, die in Zellen vorkommen, wie beispielsweise Metaboliten. Diese Wechselwirkungen finden an bestimmten Bindungsstellen auf der Oberfläche von Proteinen statt. Wissenschaftler des MPI-MP haben nun eine systematische Untersuchung aller Bindungsstellen – des „Pocketoms” – bei elf verschiedenen Arten aus unterschiedlichen Lebensbereichen durchgeführt.  Mithilfe von über 220.000 KI-vorhergesagten Proteinstrukturen aus der AlphaFold-Datenbank und hochentwickelten computergestützten Taschenerkennungswerkzeugen identifizierten die Bioinformatiker Hanne Zillmer und Dirk Walther fast 100.000 potenzielle Bindungsstellen in den elf Arten. Sie verglichen und gruppierten diese Stellen innerhalb und zwischen den Arten und erstellten eine globale „Karte” der Bindungsstellen und ihrer zugehörigen Merkmale. Zu den analysierten Proteomen gehörten diejenigen von Menschen, Mäusen, Hefen, dem Darmbakterium E. coli und einer Nematodenart sowie wichtige Nutzpflanzenarten wie Reis und Mais.

„Die Verfügbarkeit von KI-basierten und zuverlässig vorhergesagten Proteinstrukturen, wie sie von AlphaFold generiert werden, ermöglicht nun eine beispiellose Breite und Tiefe struktureller Untersuchungen”, sagt Doktorandin Hanne Zillmer.

Die Studie offenbarte einen überraschenden evolutionären Trend: Mit der Entwicklung komplexerer Proteome – Proteom: die Gesamtheit aller Proteine einer Spezies – nahm die Vielfalt ihrer Bindungsstellen sublinear zu. Einfacher ausgedrückt: Während die Anzahl der Proteine mit der Evolution zunahm, wuchs die Anzahl der unterschiedlichen molekularen Interaktionsstellen weniger als proportional, was auf mögliche Grenzen oder geringen Bedarf an strukturellen und funktionellen Innovationen hindeutet.

„Wir hatten erwartet, dass mehr Proteine proportional zu einer größeren Vielfalt an Interaktionsstellen führen würden“, sagt Dr. Walther, Professor für Bioinformatik, „stattdessen scheint die Evolution entweder bei der Gestaltung völlig neuer Bindungsstellen eingeschränkt zu sein, oder es besteht nur ein begrenzter Bedarf an völlig neuen Interaktionsmodi.“

„Mit dieser nun verfügbaren umfassenden Übersicht über die Pocketome verschiedener Spezies wird eine systematische Untersuchung der molekularen Interaktionen zwischen Proteinen und kleinen Molekülen sowie das Verständnis der spezies- oder gattungsspezifischen Bindungsmodi erheblich erleichtert“, sagt Hanne Zillmer.

Darüber hinaus liefert die Forschung eine Perspektive über viele Spezies hinweg, die in diesem Bereich bisher weitgehend fehlte. Während sich die meisten früheren Studien auf biomedizinische Anwendungen und die Arzneimittelwirksamkeit von Bindungsstellen oder Unterschiede zwischen Arzneimittel-Protein- und Metabolit-Protein-Bindungsereignissen konzentrierten, betont diese Studie die evolutionären Trends und die strukturelle Vielfalt im gesamten Stammbaum des Lebens. Artenübergreifende Vergleiche werden beispielsweise auch dazu beitragen, sicherere Agrochemikalien zu entwickeln, die speziell auf Krankheitserreger abzielen, aber in Bestäubern oder Menschen inaktiv sind.

Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie


Originalpublikation:

Zillmer H, Walther D (2025). Towards a comprehensive view of the pocketome universe—biological implications and algorithmic challenges. PLoS Computational Biology. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1013298

Weitere Informationen:

Der vollständige Datensatz, Visualisierungen und Software-Tools sind als Open Source verfügbar unter: https://github.com/zillmerhanne/PocketomeUniverse

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Künstliche Intelligenz Wissenschaft Brandenburg
news-33608 Thu, 18 Sep 2025 09:45:34 +0200 Wachstumsfaktor Erythropoietin verbessert Denkprozesse im Gehirn – Potenzial für Therapien https://www.vbio.de/aktuelles/details/wachstumsfaktor-erythropoietin-verbessert-denkprozesse-im-gehirn-potenzial-fuer-therapien Der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO), bekannt aus der Blutbildung, hat auch wichtige Effekte im Gehirn – insbesondere auf sogenannte Oligodendrozyten. Diese Zellen sind zuständig für die Bildung von Myelin, der „Isolierung“ der Nervenfasern, die eine schnelle Signalübertragung ermöglicht. Die Ergebnisse der Forschenden des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim deuten darauf hin, dass EPO nicht nur zur Blutbildung nützlich ist, sondern auch eine Schlüsselrolle für Lern- und Denkprozesse spielt. Die Erkenntnisse bieten neue Perspektiven für mögliche Therapien.  Im Gehirn ist nicht nur wichtig, dass Nervenzellen Signale senden, sondern auch wie schnell sie das können. Damit Informationen reibungslos fließen, ist eine Art biologische Isolierung notwendig. Dafür bildet das Gehirn spezialisierte Zellen aus, sogenannte Oligodendrozyten. Sie umhüllen die langen Fortsätze von Nervenzellen, die Axone, mit einer schützenden Myelinschicht. Ähnlich wie die Isolierung von Stromkabeln sorgt diese Schicht dafür, dass elektrische Signale effizient und schnell übertragen werden. Ohne die Hilfe der Oligodendrozyten wäre das Gehirn langsamer, anfälliger für Störungen und viele komplexe Funktionen des Denkens, Fühlens und Bewegens wären kaum möglich.

Einfluss von EPO auf Entwicklung und Reifung der Oligodendrozyten

Einen bislang unbekannten Einflussfaktor auf diese spezialisierten Zellen haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen und des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim entdeckt. Ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich und Prof. Dr. Klaus-Armin Nave konnte anhand von Versuchen an Mäusen zeigen, dass der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO), bekannt aus der Blutbildung, die Entwicklung und Reifung der Oligodendrozyten fördert – von unreifen Vorläuferzellen bis hin zu vollständig ausgereiften myelinbildenden Zellen. Besonders spannend: Auch körpereigenes EPO, das bei geistiger oder körperlicher Anstrengung im Gehirn gebildet wird, zeigt ähnliche Effekte. Ihre Ergebnisse haben die Forschenden nun in Nature Communications veröffentlicht. 

„Wir konnten nachweisen, dass EPO die Entwicklung von Oligodendrozyten anregt und somit die Bildung der schützenden Myelinschichten um Nervenzellen unterstützt. Interessanterweise wirkt EPO dabei nicht nur als Medikament von außen, sondern wird auch vom Körper selbst gebildet, etwa durch körperliche oder geistige Aktivität“, sagt Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelle Medizin am ZI und Letztautorin der Studie. „Dies bestätigt unsere These, dass Bewegung und kognitive Aktivität über das EPO-System direkt die Struktur des Gehirns verbessern können“, ergänzt Prof. Dr. Klaus-Armin Nave, Direktor am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften. 

EPO aktiviert oder unterdrückt zahlreiche Gene

Durch spezifische Analysen einzelner Zellkerne (single-nuclei RNA-Sequenzierung) fanden die Wissenschaftler zahlreiche Gene, die durch EPO aktiviert oder unterdrückt werden – viele davon hängen mit Zellreifung, Signalübertragung und kognitiven Fähigkeiten zusammen. Zudem zeigten Mäuse, denen ein bestimmter EPO-Rezeptor in reifen Oligodendrozyten fehlte, leichte Störungen in der Myelinstruktur des Hippocampus – ein Bereich, der für das Lernen und Gedächtnis wichtig ist. Diese Tiere schnitten auch schlechter in anspruchsvollen Gedächtnistests ab.

Neue Therapieansätze denkbar

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass EPO nicht nur zur Blutbildung nützlich ist, was ihm seinen Namen eingebracht hat, sondern auch eine Schlüsselrolle für Lern- und Denkprozesse spielt. Da EPO bereits als Medikament zugelassen ist und im Körper natürlich gebildet werden kann, ergeben sich neue Therapie-Perspektiven. „EPO könnte künftig helfen, kognitive Störungen oder neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer zu behandeln – sei es als Medikament oder durch gezielte Aktivierung des körpereigenen EPO-Systems, zum Beispiel durch motor-kognitives Training“, sagt Prof. Ehrenreich.

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit


Originalpublikation:

Ye, L., Daguano Gastaldi, V., Curto, Y. et al. Transcriptional dynamics of the oligodendrocyte lineage and its regulation by the brain erythropoietin system. Nat Commun 16, 8291 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-62791-x

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Wissenschaft Baden-Württemberg
news-33607 Thu, 18 Sep 2025 09:35:27 +0200 Mit der Genschere gegen erbliches Nierenleiden https://www.vbio.de/aktuelles/details/mit-der-genschere-gegen-erbliches-nierenleiden Mutationen, die zu der Nierenkrankheit ADPKD führen, haben Berliner Forschende jetzt in Zellen von Mäusen und Menschen per CRISPR/Cas9 repariert. Bei Mäusen konnte das Team um Michael Kaminski so ein wichtiges Symptom der schwer behandelbaren Krankheit lindern, berichten sie in „Molecular Therapy“.  Mindestens eines von tausend Kindern kommt mit der autosomal-dominanten polyzystischen Nierenerkrankung, kurz ADPKD, zur Welt. Diese gilt damit als eine der häufigsten Erbkrankheiten. Auslöser ist meist eine Mutation in den Genen PKD1 oder PKD2, die dominant vererbt wird. Durch den Gendefekt bilden die Nieren der Patient*innen Zysten, die unter anderem zu Bluthochdruck, Schmerzen und Infektionen sowie im weiteren Krankheitsverlauf zu Nierenversagen führen können.

„Bislang gibt es gegen die ADPKD nur ein einziges Medikament, das lediglich die Symptome bekämpft und oft schwere Nebenwirkungen hervorruft“, sagt Dr. Michael Kaminski, Leiter der Emmy Noether-Gruppe „Nierenzell Engineering“ am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) und Arzt in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Manche der Patient*innen, die den Wirkstoff erhalten, verlieren zum Beispiel bis zu sechs Liter Urin am Tag. Zudem wirkt er nicht gegen Leberzysten, an denen viele Betroffene ebenfalls leiden.

Neue Therapieoptionen sind daher von großem Interesse. Im Fachblatt „Molecular Therapy“ kann ein internationales Team um Kaminski, Dr. Sorin Fedeles und Dr. Matteus Krappitz jetzt erste Erfolge vermelden: Gemeinsam mit anderen Forschenden des Max Delbrück Center, der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Yale University und der University of Colorado ist es gelungen, Mutationen in Zellen von Mäusen und Menschen mit einer auf der der Genschere CRISPR/Cas9 basierenden Methode zu reparieren. Im Mausmodell ließen sich durch dieses Base Editing – den Austausch einzelner Nukleotide in der DNA – zudem Leberzysten reduzieren. Gemeinsame Erstautor*innen der Publikation sind Antonia Ibel aus Kaminskis Arbeitsgruppe und Dr. Rishi Bhardwaj von der Yale School of Medicine.

Das fehlende Protein wurde wieder vermehrt exprimiert

Im ersten Schritt haben sich die Forschenden Veränderungen im PKD1-Gen von ADPKD-Patient*innen in Zellkulturen näher angeschaut. „Dabei sind wir auf 39 unterschiedliche Punktmutationen gestoßen, von denen wir etwa ein Drittel mit hoher Präzision korrigieren konnten“, berichtet Kaminski. Als nächstes nahm sich das Team einen ganz bestimmten Gendefekt in Nierenepithelzellen vor, die sie aus dem Urin von ADPKD-Patient*innen der Charité gewonnen hatten. „Sowohl in den menschlichen Zellen als auch in Zellen von Mäusen mit einem nicht funktionierenden PKD1-Gen konnten wir zeigen, dass sich der Defekt, der zu einem verkürzten Protein führt, per Base Editing effizient korrigieren ließ“, sagt Kaminski. In den behandelten Mauszellen sei das Protein Polycystin-1, für das das Gen kodiert, wieder vermehrt exprimiert worden. Dadurch sei auch die Menge eines zellulären Stressmarkers gesunken.

Im dritten und letzten Schritt ihrer Studie haben die Wissenschaftler*innen das Verfahren in einem Mausmodell für die ADPKD getestet. Dazu wurden die einzelnen Komponenten für das Base Editing in Adeno-assoziierte Viren (AAVs) verpackt und den Tieren verabreicht. „Wir haben festgestellt, dass der Base Editor seine Arbeit vor allem in den Leberzellen der Mäuse gut verrichtete: Sowohl die Zahl als auch die Größe der Zysten gingen dort deutlich zurück“, sagt Kaminski. „Für Patientinnen und Patienten könnte dieser Effekt vor allem auch deshalb nützlich sein, da das einzige für die Therapie der ADPKD derzeit zugelassene Medikament, der Wirkstoff Tolvaptan, gegen Leberzysten nicht hilft“, erläutert der Forscher.

Unklar ist, ob die Gentherapie auch in späteren Krankheitsstadien hilft

Zufriedengeben möchte sich Kaminski mit den bislang erzielten Ergebnissen trotzdem noch nicht. „Aktuell arbeiten wir an Vehikeln, mit denen sich die Genschere besser als bisher in die Zellen der Niere schleusen lässt, so dass wir den Krankheitsverlauf auch dort – im Zentrum des Geschehens – beeinflussen können“, sagt er. Zudem will der Forscher gemeinsam mit seinem Team jetzt auch andere Mutationen, die eine ADPKD hervorrufen können, beheben und die möglichen Effekte der Genreparatur untersuchen. Schließlich beschäftigt Kaminski noch die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt für die Therapie. „In unserem jetzigen Modell haben wir die Basenkorrektur sehr früh im Krankheitsverlauf vorgenommen“, sagt er. „Ich würde gerne herausfinden, ob das Verfahren womöglich auch im fortgeschrittenen Stadium Zysten reduzieren kann.“

Max Delbrück Center


Originalpublikation:

Antonia Ibel, Rishi Bhardwaj, et al. (2025): „In vivo base editing reduces liver cysts in autosomal dominant polycystic kidney disease“. Molecular Therapy, DOI: 10.1016/j.ymthe.2025.08.026 

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Wissenschaft Berlin
news-33606 Thu, 18 Sep 2025 09:23:03 +0200 Ein epigenetisches Muster der Depression https://www.vbio.de/aktuelles/details/ein-epigenetisches-muster-der-depression Sogenannte epigenetische Markierungen an der Oberfläche der Erbsubstanz DNA - infolge von Erfahrungen und Erlebnissen eines Menschen - beeinflussen, wann unsere Zellen welche Gene aktivieren und bestimmte Proteine herstellen. Für den Stoffwechsel der Zellen und den gesamten Organismus können diese epigenetischen Markierungen erhebliche Folgen haben. Eine internationale Studie unter Beteiligung der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des LMU Klinikums hat nun erstmals anhand einer sehr großen Stichprobe epigenetische Marker identifiziert, die charakteristisch für die Erkrankung Depression sind.  Zu den häufigsten epigenetischen Markierungen der DNA gehören chemische Veränderungen, die als „Methylierungen“ bezeichnet werden. Genau diese Methylierungen haben die Autorinnen und Autoren der neuen Meta-Analyse unter die Lupe genommen. Für eine Meta-Analyse nutzt man die Daten vorheriger Studien zu einer bestimmten Fragestellung. So kommt letztlich eine größere Stichprobe zusammen, die in der Regel statistisch wertvolle Analysen ermöglicht. 

So auch in diesem Fall: Die DNA-Methylierungen von mehr als 26.000 Probandinnen und Probanden mit und ohne Depression sollten Erkenntnisse darüber liefern, ob sich ein bestimmtes epigenetisches Muster erkennen lässt, das typischerweise gehäuft bei Patientinnen und Patienten mit der Erkrankung auftritt. Und darüber, welche Gene bei diesen Betroffenen epigenetisch verändert sind. Beides gibt Hinweise auf die Mechanismen der Entwicklung einer Depression. 

Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des LMU Klinikums steuerte umfangreiche Daten von Heranwachsenden aus der BioMD-Y-Studie bei, die von Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne geleitet wird und an der Prof. Dr. Ellen Greimel, Dr. Lisa Feldmann und Dr. Aline Scherff aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie beteiligt sind. Im Kontext des Projekts besteht auch eine langjährige Kooperation zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit dem Max-Planck-Institut für Psychiatrie. „Die Ergebnisse untermauern auch die Annahme, dass das Immunsystem ein vermittelnder Faktor für die Entwicklung einer Depression sein könnte“, sagt Prof. Dr. Ellen Greimel. Die Studienergebnisse wurden jetzt im Fachjournal Nature Mental Health veröffentlicht.

Das Ergebnis der Meta-Analyse

Insgesamt haben die Forschenden 15 spezifische Zielorte der Methylierung im Erbgut identifiziert, die signifikant mit einer Diagnose von Depression verbunden sind. Bei diesen Stellen handelt es sich unter anderem um Gene, die mit Autoimmunerkrankungen (wie zum Beispiel rheumatoide Arthritis) zusammenhängen. Dazu passend zeigte sich, dass ein aus den Daten berechneter Methylierungs-Score nicht nur mit Depression zusammenhängt, sondern auch mit bestimmten Entzündungsmerkmalen. „Das“, erklärt Aline Scherff, „weist auf die vermittelnde Rolle des Immunsystems bei der Entstehung von Depressionen hin.“

Darüber hinaus hängt das Methylierungsmuster mit depressionsrelevanten Merkmalen wie dem Body-Mass-Index zusammen. Der BMI ist deshalb depressionsrelevant, weil er den allgemeinen Gesundheits- und Ernährungszustand sowie Stoffwechselprozesse widerspiegelt, die nicht nur mit Risikofaktoren für körperliche und psychische Erkrankungen assoziiert sind, sondern auch spezifisch die Entstehung von Depression begünstigen können. Last not least, so Scherff, „brachte die Analyse der Daten Hinweise, dass die DNA-Methylierung möglicherweise ursächlich zur Entstehung einer Depression beiträgt.“ Dieser Befund muss allerdings in weiteren Studien bestätigt werden.

Auch unabhängig von den aktuellen Ergebnissen ist die Depression nach aktuellem Stand der Forschung multifaktoriell bedingt. Das heißt, bei der Entstehung von Depression handelt es sich stets um ein komplexes Zusammenspiel aus Stress in Form belastender Lebensereignisse oder anhaltender alltäglicher Belastungen und biologisch/genetischer beziehungsweise psychischer Veranlagung. „Die Epigenetik ermöglicht uns eine Erklärung, wie im Rahmen dieses Entstehungsmodells eine genetische Veranlagung in der Interaktion mit Umweltfaktoren zu einem erhöhten Risiko für Depression beitragen könnte“, betont Ellen Greimel. Langfristig, so die Psychologin weiter, „könnte die Untersuchung der DNA-Methylierung die Erfassung des individuellen Depressionsrisikos unterstützen.“

LMU Klinikum München


Originalpublikation:

Shen, X., Barbu, M., Caramaschi, D. et al. A methylome-wide association study of major depression with out-of-sample case–control classification and trans-ancestry comparison. Nat. Mental Health (2025). https://doi.org/10.1038/s44220-025-00486-4

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Wissenschaft Bayern
news-33605 Thu, 18 Sep 2025 09:00:38 +0200 Überraschende Etikettierung https://www.vbio.de/aktuelles/details/ueberraschende-etikettierung Ubiquitin bestimmt das Schicksal vieler Proteine in menschlichen Zellen: Es entscheidet, ob sie aktiv bleiben oder abgebaut werden und welche Funktionen sie ausführen. Ubiquitin-Ligasen sind hierfür unerlässlich. Als molekulare Etikettiermaschinen heften sie das kleine Protein Ubiquitin an die zu steuernden Zielproteine an. Forschende haben nun entdeckt, dass die menschliche Ubiquitin-Ligase HUWE1 Ubiquitin nicht nur an zelluläre Proteine anheftet. Sie kann auch von außen zugesetzte arzneimittelähnliche Moleküle damit markieren und so das Ubiquitin-System in der Zelle beeinflussen. Diese Erkenntnisse könnten neue Möglichkeiten in der Arzneimittelforschung und Biotechnologie eröffnen.  Klein – und trotzdem mächtig: Ubiquitin steuert die Lebenszeit und Verteilung von Proteinen in der Zelle, kann aber auch deren Form, Funktion oder Wechselwirkungen mit anderen Zellbestandteilen bestimmen. Entscheidend dabei ist, dass Ubiquitin-Ligasen die entsprechenden Proteine unter Zehntausenden von Molekülen zuverlässig erkennen und passende Anweisungen übermitteln. Ist dieser präzise Etikettier-Vorgang gestört, können Prozesse in der Zelle fehlerhaft sein und Krankheiten wie Krebs entstehen. Umgekehrt ist es möglich, Ubiquitin-Ligasen durch Medikamente so zu beeinflussen, dass einzelne krankheitsfördernde Proteine mit Ubiquitin etikettiert und somit abgebaut werden. Dieses Prinzip ist bisher jedoch nur für wenige der über 600 menschlichen Ubiquitin-Ligasen anwendbar.

Ein interessanter, bislang nicht genutzter Angriffspunkt für therapeutische Strategien ist die Ubiquitin-Ligase HUWE1, die eine wichtige Rolle in Tumoren und bei geistigen Entwicklungsstörungen spielt. Zwar werden arzneimittelähnliche Substanzen als Hemmstoffe für HUWE1 in der Forschung bereits verwendet, ihr Wirkprinzip war jedoch bisher unverstanden. Dies verhinderte ihre Weiterentwicklung hin zu potenziellen therapeutischen Wirkstoffen. 

Raffinierter Entdeckungsprozess

Den überraschenden Wirkmechanismus dieser Substanzen entschlüsselte jetzt ein Team um Sonja Lorenz vom MPI für Multidisziplinäre Naturwissenschaften mit einem interdisziplinären Ansatz. Die Forschenden kombinierten dabei Methoden aus der Proteinbiochemie, Zellbiologie und der sogenannten Click-Chemie. Entscheidend für den Erfolg seien außerdem maßgeschneiderte Molekülsynthesen durch Medizinchemiker um Matthias Gehringer an der Universität Tübingen, massenspektrometrische Messungen der Forschungsgruppe von Henning Urlaub sowie Molekulardynamiksimulationen durch Kollegen aus der Abteilung von Helmut Grubmüller am MPI gewesen, wie die Forschungsgruppenleiterin betont. 

Wettbewerb statt Hemmung

„Wir haben herausgefunden, dass die arzneiähnlichen Verbindungen, die als Hemmstoffe für HUWE1 vertrieben werden, in der Tat mit diesem Enzym wechselwirken. Aber nicht, indem sie es hemmen. Vielmehr erkennt HUWE1 die Substanzen selbst als Zielmoleküle und markiert sie mit Ubiquitin“, berichtet Lorenz. „Wenn die arzneimittelähnlichen Stoffe in im Reagenzglas im Überschuss gegenüber einem natürlichen Zielprotein einsetzt werden, verbrauchen sie das Ubiquitin. Dann liegt nämlich eine Wettbewerbssituation zwischen den arzneimittelähnlichen Stoffen und dem Zielprotein vor, die zuvor irrtümlich als Hemmung von HUWE1 interpretiert wurde“, ergänzt Pavel Pohl, einer der Hauptautor*innen der jetzt im Fachmagazin Nature Communications erschienenen Arbeit. 

Dem Team gelang außerdem erstmals der Nachweis, dass die synthetischen Substanzen auch in lebenden Zellen mit Ubiquitin versehen werden. Hier ist die Situation allerdings deutlich komplexer als im Reagenzglas. „In der Zelle fördert HUWE1 zwar die Ubiquitinierung der Substanzen, treibt sie aber nicht allein an“, erklärt Barbara Orth, ebenfalls Hauptautorin der Studie. Dies bedeutet, dass neben HUWE1 auch andere zelluläre Ubiquitinierungsenzyme die Fähigkeit besitzen, arzneimittelähnliche Moleküle mit Ubiquitin zu etikettieren. Diese Erkenntnis ist von grundlegender Bedeutung, da man Ubiquitin-Signale in Zellen bisher nur auf Proteinen, Zuckern und anderen Biomolekülen beobachtet hatte, nicht aber auf synthetischen Substanzen. 

„Das neuartige Substratspektrum wird besonders für therapeutische und biotechnologische Anwendungen im Ubiquitin-Feld interessant sein. Unsere Entdeckung liefert konkrete Ansätze für neue molekulare Werkzeuge, um von außen in das Ubiquitin-System einzugreifen und so Krankheitsprozesse zu beeinflussen“, erklärt Lorenz.

Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften


Originalpublikation:

Orth, B., Pohl, P., Aust, F. et al. Selective ubiquitination of drug-like small molecules by the ubiquitin ligase HUWE1. Nat Commun 16, 8182 (2025). doi.org/10.1038/s41467-025-63442-x

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Wissenschaft Niedersachsen
news-33604 Thu, 18 Sep 2025 08:56:30 +0200 Vogelgrippe in der Antarktis breitet sich aus https://www.vbio.de/aktuelles/details/vogelgrippe-in-der-antarktis-breitet-sich-aus Forschende der Universität Jena befürchten erhebliche Auswirkungen auf die Vogelpopulationen  Ein Forschungsteam der Universität Jena bestätigt jetzt einen befürchteten Trend: Nachdem im Oktober 2023 das Vogelgrippevirus H5N1 auf der subantarktischen Insel Südgeorgien und nachfolgend im Februar 2024 in der Antarktis, auf James Ross Island, nachgewiesen wurde, dokumentierten die Forschenden um Christina Braun bei ihrer jüngsten Expedition 2025 erstmalig Anzeichen für das Auftreten der hochpathogenen Variante auch auf der Fildes-Halbinsel auf King George Island. Die Forschenden beobachteten eine erhöhte Sterblichkeit bei verschiedenen Seevogelarten.

Einzigartiges Langzeitprojekt seit 1979

Unter Anleitung von Christina Braun, die bereits 15 Forschungsreisen in die Antarktis unternommen hat, führten die Studentinnen Julia Engelhardt und Katharina Engl von Anfang Januar bis Ende Februar 2025 auf der uruguayischen Forschungsstation „Base Cientica Antárctica Artigas“ das Monitoring durch. Seit 1979/80 beobachten deutsche Biologen, und ab 1983 die Arbeitsgruppe Polar- und Ornitho-Ökologie der Universität Jena die Entwicklung von 14 Brutvogelarten in einem 35 km² großen Gebiet. Dazu zählen Zügel-, Adélie- und Eselspinguine sowie Skuas und Riesensturmvögel. Das vom Umweltbundesamt geförderte Projekt gilt weltweit als einzigartige Langzeitstudie. Neben den Populationsdaten von Vögeln und Robben erfassen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch angeschwemmte Abfälle – darunter verbranntes Plastik, Verpackungen oder Fischereireste. In diesem Jahr lag die Dichte bei rund einem Objekt pro Meter Küstenlinie. Das ist ein vergleichsweise hoher Wert für einen Ort, der praktisch nicht von Menschen bewohnt ist.

52 tote Tiere in nur einer Saison

Normalerweise finden die Forschenden nur wenige sogenannte frischtote Tiere im Zeitraum ihrer zwei- bis dreimonatigen Expedition, aber während des letzten Monitorings waren es 52 tote Tiere, mehrheitlich Skuas (Raubmöwen), die Tage beziehungsweise einige Wochen vor ihrem Fund gestorben waren. Forschende vom Alfred-Wegner-Institut in Potsdam und chilenische Kollegen entnahmen und analysierten die Proben teilweise vor Ort und bestätigten den Verdacht auf H5N1. 

Das Forschungsteam befürchtet, dass sich das Virus weiter ausbreiten wird, denn die Vögel brüten auf sehr beengtem Gebiet – nur etwa 2 % der antarktischen Fläche sind eisfrei. „Das Gebiet, das wir beobachten, ist sehr klein und vogelreich. Außerdem brüten die antarktischen Vögel typischerweise in Kolonien. Deshalb ist die Ansteckungsgefahr sehr groß. Ist die Mortalitätsrate sehr hoch in einer Population, kann es sein, dass sie komplett zusammenbricht“, so Markus Bernhardt-Römermann vom Institut für Biodiversität, Ökologie und Evolution. Die Forschenden mussten besondere Schutzkleidung tragen, denn die Gefahr einer Übertragung des Virus auf den Menschen besteht. In Chile, Peru und Argentinien sprang H5N1 bereits auf Säugetiere wie Robben, Seelöwen und Seeelefanten über, was 2023 zu einem Massensterben an den dortigen Küsten führte. „Einzelne Infektionen bei Menschen nach direktem Kontakt mit infizierten Vögeln sind ebenfalls dokumentiert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen also sehr vorsichtig sein und sich selbst schützen,“ erklärt Braun die Situation vor Ort.

Klimawandel verändert Artenzusammensetzung

Die Vogelarten der Antarktis reagieren zudem empfindlich auf die Klimaerwärmung. „Die Artenzusammensetzung verschiebt sich rasant“, erklären die Forschenden. So sind die Kapsturmvögel, die noch vor wenigen Jahren zu Hunderten im Untersuchungsgebiet brüteten, inzwischen praktisch verschwunden. In der aktuellen Saison konnte kein einziges Brutpaar festgestellt werden. Dagegen profitieren Riesensturmvögel sowie Eselspinguine, die ursprünglich subantarktische Regionen bevorzugten, von den veränderten Bedingungen. 
Adélie- und Zügelpinguine hingegen gehen stark zurück.

„Wir wissen nicht, ob die Vögel andere Brutgebiete aufsuchen oder tatsächlich verschwinden – es fehlt an vergleichbaren Langzeitdaten anderer Forschungsgruppen“, betont Braun. „Genau deshalb sind kontinuierliche Projekte wie unseres so wichtig.“

Forschung mit Studierenden

Seit Jahren besteht das Team der Polarökologie u. a. aus Studierenden des englischsprachigen Masterstudiengangs Evolution, Ecology and Systematics der Fakultät für Biowissenschaften. Die Studierenden unterstützen zwei bis drei Monate lang die Arbeit vor Ort. Das Team legt täglich rund 15 Kilometer zu Fuß zurück, dokumentiert Vogel- und Robbenbestände und sammelt Müll. „Mit der Arbeit hier auf King George Island bekommen wir Studierenden die einzigartige Möglichkeit verantwortungsvoll Daten und Proben von Tieren aufzunehmen, die kaum in Kontakt mit Menschen kommen und durch die internationale Zusammenarbeit lernen wir mehr über effektive Kommunikation und Koordination in wissenschaftlichen Teams“, berichtet Julia Engelhardt. 

Ausblick

Wie sich die Vogelgrippe langfristig auf die antarktische Tierwelt auswirkt, das werden die Jenaer Forschenden und Studierenden auch weiterhin dokumentieren. Bereits im November bricht erneut ein Team aus Jena in die Antarktis auf – das Monitoring wird fortgesetzt.

Universität Jena

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Wissenschaft Thüringen