VBIO

Bremst die Systematik den Naturschutz? Stellungnahme internationaler Taxonomen

Ein kleiner Ausschnitt der knapp 300 im Jahr 2017 durch Senckenberg-Wissenschaftler neu beschriebenen Arten. Foto: Senckenberg

Über 180 Taxonomen aus 37 Ländern – unter ihnen auch der Senckenberg-Wissenschaftler Professor Uwe Fritz– haben im Fachjournal „PLoS Biology“ einen kürzlich in „Nature“ erschienenen Artikel kritisiert. In diesem wurde vorschlagen, die Art und Weise, wie Tiere und Pflanzen benannt und klassifiziert werden, grundlegend zu ändern.

Die Erde befindet sich mitten im sechsten großen Massenaussterben ihrer Geschichte – verursacht durch die wachsende menschliche Bevölkerung. Oft sterben Arten aus, bevor sie wissenschaftlich erkannt und beschrieben wurden. „Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der unbeschriebenen Arten mindestens so hoch ist, wie die der uns bereits bekannten Arten“, erklärt Prof. Dr. Uwe Fritz, Sprecher des Forschungsbereiches Biodiversität, Systematik und Evolution bei Senckenberg. „Der Beitrag von unbekannten Arten zu einem funktionierenden Ökosystem lässt sich kaum einschätzen; genauso wenig kann man diese Arten schützen“, führt Fritz weiter aus.

Die australischen Wissenschaftler Stephen T. Garnett und Les Christidis greifen diese Aspekte auf und schlagen in ihrem kürzlich erschienenen Artikel „Taxonomy anarchy hampers conservation“ im renommierten Fachmagazin „Nature“ vor, dass Arten in Zukunft von einem internationalen Gremium, dem keine Naturwissenschaftler, sondern z.B. Anwälte, Anthropologen und Soziologen angehören, als „gültig“ erklärt werden. Damit würden wissenschaftliche Dispute verhindert und z.B. Beschreibungen neuer Arten quasi zu einem „Verwaltungsvorgang“ umgewandelt, womit letztlich ihrem Schutz gedient sei. Bisher ist es nämlich so, dass die Existenz neubeschriebener Arten oft von anderen Wissenschaftlern angezweifelt und kritisch überprüft wird – ein Prozess, der mitunter Jahre dauern kann. Dieser Ablauf wird von Garnett und Christidis als „taxonomische Anarchie“ missverstanden.

Dieser Prozess führt aber langfristig zu einer zuverlässigen Einschätzung der Artenvielfalt und einer zutreffenden Benennung der Arten, so die Taxonomen in ihrer Stellungnahme. Er liefert damit für Biologen und Naturschützer das solide Fundament ihrer Arbeit. Fritz und seine Kollegen befürchten nun „dass ein nicht-wissenschaftliches Gremium die Qualität der taxonomischen Arbeit massiv beeinträchtigen würde.“ Fehleinschätzungen könnten weltweit zu noch mehr Misswirtschaft, z.B. falschen Fangquoten in der Fischerei, und zur Verschwendung von Geldern im Naturschutz führen, wenn beispielsweise Arten anerkannt und geschützt werden, die sich im Diskurs als wissenschaftliche Fehler erweisen oder wenn Arten anerkannt werden, die sich in Wirklichkeit aus mehreren unterschiedlichen Spezies zusammensetzen. „Aus unserer Sicht ist die unzureichende Finanzierung taxonomischer Forschung das weitaus größere Problem, als die von Garnett und Christidis genannte ‚Anarchie’ in der Systematik“, schließt Fritz.

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen


Originalartikel:

Thomson SA, Pyle RL, Ahyong ST, Alonso-Zarazaga M, Ammirati J, Araya JF, et al. (2018) Taxonomy based on science is necessary for global conservation. PLoS Biol 16(3): e2005075.

https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2005075