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COVID-19: Verunsicherung durch ambivalente Meldungen über ACE-Hemmer und Ibuprofen

Ultrastruktur des 2019 Novel Coronavirus (2019-nCoV). Rekonstruktion des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) - public domain

Neue Hypothesen rund um einen mutmaßlich ungünstigen Verlauf von COVID-19 Infektionen unter der Therapie mit blutdruckregulierenden ACE-Hemmern oder fiebersenkendem Ibuprofen verunsichern nicht nur PatientInnen, sondern auch viele ÄrztInnen. Wie stichhaltig und wissenschaftlich haltbar diese Behauptungen sind, weiß Hans-Günther Knaus, Direktor des Instituts für Molekulare und Zelluläre Pharmakologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Seit einigen Tagen kursieren unter WissenschafterInnen und auch in den Medien Mutmaßungen, wonach bestimmte Bluthochdruckmedikamente wie ACE Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorantagonisten, sog. Sartane, aber auch andere Arzneistoffe wie zum Beispiel bestimmte Antidiabetika oder Ibuprofen eine COVID-19-Infektionen negativ beeinflussen könnten. „Daraus zu folgern, diese Arzneistoffe sofort abzusetzen oder erst gar nicht mehr zu verwenden, ist nach aktuellem Kenntnisstand absolut nicht gerechtfertigt“, betont der Pharmakologe Hans-Günther Knaus nachdrücklich.

Kontroverse Rolle des Enzyms ACE 2

Das COVID-19 Virus nutzt zum Übertritt in Wirtszellen das Enzym Angiotensin Converting Enzym 2 (ACE2). Dieses wird hauptsächlich von Zellen der Lunge produziert, wo es sich an der Zelloberfläche präsentiert und als Eintrittspforte für das Virus dienen kann. ACE2 wird aber auch in löslicher Form produziert und verteilt sich im Serum des Menschen – eine Tatsache, die eine COVID-19 Infektion der Lunge deutlich unterdrücken oder verzögern könnte. „Zusammenfassend könnte eine erhöhte Expression von ACE2 also sowohl positive als auch negative Effekte im Rahmen einer Covid-19 Infektion haben“, so Knaus.

Hochdruckmedikamente, Antidiabetika, Ibuprofen und COVID-19 Infektionen

ACE2 baut Blutdruckhormone des Renin-Angiotensin-Systems ab, welche von dem verwandten Enzym ACE gebildet werden. Sehr häufig verwendete Bluthochdruckmedikamente, wie ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorantagonisten, blockieren die Blutdruckhormonbildung. In Studien an Ratten und einer Studie am Menschen hat dies zu einer leichten Erhöhung des ACE2 geführt. „Während die Bedeutung für eine möglicherweise erhöhte Infektanfälligkeit durch COVID-19 unklar ist, gibt es hingegen sehr überzeugende Daten für einen schützenden Effekt durch die Blockade des Renin-Angiotensin-Systems bei schwerem Lungenversagen, dem so genannten ARDS („acute respiratory distress syndrome“)“, weiß Hans-Günther Knaus.
So zeigen Daten, die anlässlich der ersten SARS Pandemie erhoben und im Fachjournal Nature veröffentlicht wurden, dass sowohl eine erhöhte Expression von ACE2, aber auch eine Blockade von ACE, wie sie z. B. durch Blutdrucksenker erreicht wird, den Verlauf des ARDS günstig beeinflussen. „Im Rahmen einer Lungenentzündung kann eine Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems also auch vorteilhafte Effekte vermitteln“, so Knaus.

Fortführung bestehender Therapien angezeigt

Nachdem Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Diabeteserkrankungen für sich schon als Risikofaktoren für einen problematischeren Verlauf einer COVID-19-Infektion gelten, unabhängig davon, mit welchen Substanzen sie behandelt werden, raten alle wesentlichen Fachgesellschaften, darunter die Europäische Gesellschaft für Klinische Pharmakologie, die Europäische Gesellschaft für Hochdruckerkrankungen und die Europäische Gesellschaft für Kardiologie, dringend davon ab, zum jetzigen Zeitpunkt die verordneten und wirksamen Therapien mit ACE Hemmern und Angiotension-Rezeptorantagonisten abzusetzen. Gleiches gilt auch für Therapien mit bestimmten Antidiabetika oder Ibuprofen. „Abgesehen davon, dass diese Risikodaten im Wesentlichen auf hypothetischen Annahmen beruhen und die Gültigkeit für den Menschen bisher in keiner Weise gezeigt wurde, könnte durch das Absetzen der bestehenden Medikation die Grunderkrankung substantiell verschlechtert werden – eine Tatsache, die wiederum eine mögliche COVID-19 Infektion komplizierend beeinflussen könnte“, schließt Knaus.

Medizinische Universität Innsbruck