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Genome von winzigen Würmern im großen Maßstab editieren

Da Würmer der Art Caenorhabditis elegans spezialisierte Zelltypen und Entwicklungen aufweisen, eignen sie sich hervorragend für Untersuchung humaner Genregulationsprozesse.
Da Würmer der Art Caenorhabditis elegans spezialisierte Zelltypen und Entwicklungen aufweisen, eignen sie sich hervorragend für Untersuchung humaner Genregulationsprozesse. AG N. Rajewsky, MDC

In mikroskopisch kleinen Würmern können jetzt verschiedene genetische Mutationen induziert und deren Auswirkungen beobacht werden. In der Fachzeitschrift Cell Reports beschreiben MDC-Forschende den In-vivo-Ansatz der parallelen Genetik und eine neue Analysesoftware namens crispr-DART.

Um das Genom, die normale Entwicklung und das Entstehen von Krankheiten zu erforschen, ist es wichtig zu verstehen, was Mutationen in genregulatorischen Regionen bewirken – also in den Abschnitten der DNA und RNA, die Gene ein- und ausschalten. Es ist allerdings eine Mammutaufgabe, eine Vielzahl von Mutationen in diesen regulatorischen Regionen systematisch zu untersuchen. Während bei Zelllinien und Hefe bereits Fortschritte erzielt wurden, gibt es bislang nur wenige Studien an lebenden Tieren, insbesondere an großen Populationen.

Experimentelle und Computerbiologen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) haben sich zusammengetan, um einen Ansatz zu etablieren, mit dem Tausende verschiedener Mutationen in bis zu einer Million mikroskopisch kleiner Würmer induziert und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die körperlichen Eigenschaften und Funktionen der Würmer analysiert werden können.

„Bei Zelllinien fehlen Entwicklungsprozesse, viele Zelltypen sowie Interaktionen zwischen Zelltypen, die alle die Genregulation beeinflussen“, sagt Jonathan Fröhlich, Doktorand in der MDC-Arbeitsgruppe Systembiologie von Gen-regulatorischen Elementen am Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) und einer der Erstautor*innen der Publikation. „Wir können diese regulatorischen Sequenzen nun wirklich in der Umgebung testen, in der sie wichtig sind, und die Auswirkungen auf den Organismus beobachten.“

Würmer treffen auf CRISPR-Cas9

Die winzigen Würmer Caenorhabditis elegans eignen sich hervorragend, um menschliche Genregulationsprozesse abzubilden und zu untersuchen. „Wir sind ihnen sehr ähnlich“, sagt Fröhlich. „Sie haben spezialisierte Gewebe, wie Muskeln, Nerven, Haut, einen Darm und ein Fortpflanzungssystem. Für Genregulationsstudien ist es wichtig, mit spezialisierten Zelltypen und Entwicklung zu arbeiten.“

Um in einer großen C. elegans-Population effizient eine Vielzahl von Mutationen zu induzieren, nutzten die Forscher*innen das Gen-Editierungs-Tool CRISPR-Cas9. Sie identifizierten bis zu zehn Abschnitte der DNA, die vom Cas9-Enzym geschnitten werden, das durch RNA zu diesen Stellen geführt wird. Die Forscher gaben keine weiteren Anweisungen und überließen es den Organismen, die DNA-Brüche durch natürliche Mechanismen zu reparieren. Dies führt zu zahlreichen Mutationen in Form von Deletionen oder Insertionen des genetischen Codes, die als Indels bezeichnet werden.

Wie es der Zufall will

Im Bereich der Genom-Editierung möchten Wissenschaftler*innen oft sehr präzise sein und sehen, wie sich eine Mutation auf das System auswirkt. Nicht so aber bei diesem Versuchsaufbau; er zielt darauf ab, viele unterschiedliche Mutationen gleichzeitig zu betrachten.

„Ein Teil ist gesteuert – nämlich der, bei dem wir die Guide-RNA entwerfen und der Cas9-Nuklease ihre Ziele vorgeben. Das Ergebnis ist dann aber zum Teil vom Zufall gesteuert“, sagt Fröhlich. „Es wird viele verschiedene Mutationen geben, und wir können sehen, wie sich jede einzelne auf die Tiere auswirkt.“

Bemerkenswert ist, dass die Forscher*innen nur eine Elterngeneration von C. elegans manipulieren mussten. Sie fügten den Elterntieren das Cas9-System hinzu; als sie die Würmer zwei Stunden lang hohen Temperaturen aussetzten, zerschnitt das Enzym die DNA in reproduktive Keimbahnzellen. Dann pflanzten sich die hermaphroditischen Würmer fort und produzierten auf diese Weise Tausende von Nachkommen mit einer Vielzahl von Mutationen. Es war dafür nicht nötig, die Genome einzeln, Wurm für Wurm, zu verändern.

crispr-DART

Um die resultierenden Mutationen in Hunderttausenden von Würmern zu identifizieren, nutzte das Team viele verschiedene genomische Sequenzierungsverfahren, die eine riesige Datenmenge produzierten. Um diese effizient zu analysieren, tat sich das Team mit der Bioinformatics & Omics Data Science Platform des MDC zusammen.

Der Bioinformatiker Dr. Bora Uyar suchte zunächst nach bestehenden Tools, die bei der Beantwortung notwendiger Fragen helfen könnten, beispielsweise: Wurde das Cas9-System aktiviert? Wurden die anvisierten Bereiche der DNA geschnitten? Welche Sequenzen sind für die Genomfunktion wichtig? „Ich habe die vorhandenen Tools ausprobiert. Keines von ihnen war darauf ausgelegt, diese Probleme mit einer solchen Vielzahl von Datentypen und einer großen Anzahl von Mutationen zu lösen und die interaktiven Datenvisualisierungen zu erstellen, die wir letztendlich wollten“, so Uyar.

Also machte er sich an die Arbeit und entwickelte eine neue Software, die er crispr-DART nannte – kurz für „Downstream Analysis and Reporting Tool“. Sie ist eine Hommage an den parallelen Editierungs-Ansatz, der nicht zu 100 Prozent gesteuert ist und daher nicht immer zu Mutationen in den Zielbereichen führt. „Deshalb nenne ich es crispr-DART. Man schießt quasi ein paar Pfeile auf das Genom und das Tool sagt einem dann, ob man tatsächlich getroffen hat oder eben nicht“, sagt Uyar.

Die Software, die öffentlich verfügbar ist, kann eine Vielzahl von verschiedenen Sequenzierungsdatentypen verarbeiten, darunter Long Read, Short Read, Single Reads, Paired Reads, DNA und RNA. Das System verarbeitet die Proben schnell, auch wenn neue Arten von Informationen hinzugefügt werden. Dies kann zu interessanten Einsichten führen, etwa hinsichtlich der Effizienz des Protokolls und wie Mutationen in verschiedenen Experimenten aussehen.

„crispr-DART folgt den Prinzipien, die wir auch in unseren anderen Pipelines verwenden. Reproduzierbarkeit, Benutzerfreundlichkeit und informative Berichte spielen dabei eine sehr wichtige Rolle“, sagt Dr. Altuna Akalin, der die Bioinformatics & Omics Data Science Platform des MDC leitet.

Überraschendes Ergebnis

Mithilfe des neuen Protokolls konnte das Team mehrere Mutationen in regulatorischen Regionen mit spezifischen physiologischen Effekten in Verbindung bringen. Dabei machten die Forscher*innen einen unerwarteten Fund. Schon lange wurde angenommen, dass zwei microRNA-Bindungsstellen in einem Gen namens lin-41 gemeinsam die Genexpression steuern. Mithilfe des parallelen Editiersystems induzierte das Team Mutationen an jeweils einer der Stellen, dann an beiden Stellen zusammen. Solange eine Stelle intakt war, entwickelten sich die Würmer normal. Waren aber beide Stellen mutiert, schritt die Genexpression unreguliert voran. Die Würmer entwickelten sich dann nicht mehr normal und starben.

„Das zeigt sehr schön, wie dieses System genutzt werden kann, um die Genregulation während der Entwicklung zu untersuchen“, so Professor Nikolaus Rajewsky, wissenschaftlicher Leiter des Berlin Institute for Medical Systems Biology (BIMSB) am MDC und Projektverantwortlicher. „Wir freuen uns darauf, diesen Ansatz der parallelen Genom-Editierung auf weitere Fragestellungen anzuwenden.“

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin


Originalpublikation:

Jonathan J. Froehlich et al.: Parallel genetics of regulatory sequences using scalable genome editing in vivo, in: Cell Reports, DOI: 10.1016/j.celrep.2021.108988

doi.org/10.1101/2020.07.28.224998