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Studie zu invasiven Schlickgräsern im europäischen Wattenmeer

Spartina-Marsch im Sönke-Nissen-Koog, Schleswig-Holstein. Hier sind die beiden untersuchten Spartina-Cytotypen zu erkennen: Spartina x townsendii (nicht blühend) und Spartina anglica (blühend) Foto: UHH/Granse

Ein Forschungsteam des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat untersucht, wie sich invasive Schlickgräser der Gattung „Spartina“ im europäischen Wattenmeer ausbreiten. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die Pflanzen unterschiedlich auf Klima sowie Geomorphologie reagieren, und wurden in der Fachzeitschrift „Estuaries and Coasts“ veröffentlicht.

Schlickgräser (Spartina) sind Pflanzen, die vorwiegend in Salzmarschen der Meeresküsten vorkommen. Im europäischen Wattenmeer wurden im Rahmen von Landgewinnungsmaßnahmen vor etwa 90 Jahren Spartina-Individuen gepflanzt, um die Sedimentation zu erhöhen und die Bodenoberfläche zu stabilisieren. Fast alle angepflanzten Pflanzen stammten aus Poole Harbour, etwa 30 Kilometer südwestlich von Southampton in Großbritannien. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich das Schlickgras in den Salzmarschen des Wattenmeeres stark ausgebreitet.


Mit der Anpflanzung wurden zwei Cytotypen eingeführt: Spartina × townsendii und Spartina anglica. Bei Cytotypen handelt es sich um Individuen einer Pflanzenart, die sich durch ihre Chromosomenzahl unterscheiden. In diesem Falle ist Spartina anglica der direkte Abkömmling von Spartina x townsendii, hat jedoch einen verdoppelten Chromosomensatz, der durch eine (natürliche) Genomduplikation entstanden ist. Die Duplikation des gesamten Genoms (WGD; oder Polyploidisierung) ist ein Schlüsselmechanismus in der Evolution von Pflanzen. Sie kann dabei die Entwicklung und das Wachstum von Pflanzen verändern und ihre Fähigkeit erhöhen, unter schwierigen Bedingungen wie Sauerstoffmangel, erhöhtem Salzgehalt oder Verschmutzung zu leben.

„In den meisten Studien zur Salzmarschenvegetation des Wattenmeeres wurde nicht zwischen den Cytotypen unterschieden. So wurden die ökologischen Unterschiede zwischen den Typen möglicherweise weitgehend ignoriert“, sagt Dirk Granse, Doktorand in der Arbeitsgruppe Angewandte Pflanzenökologie am Fachbereich Biologie und Erstautor der Studie zur Verbreitung der Schlickgräser im Wattenmeer. „Um festzustellen, ob Spartina anglica im Allgemeinen toleranter gegenüber Stressbedingungen ist, haben wir die geografische Verbreitung beider Cytotypen im Wattenmeergebiet untersucht und die Aufteilung des Lebensraums bestimmt.“

Der Lebensraum der Schlickgräser entwickelt sich entlang geschützter Küstenlinien und wird im Einfluss der Gezeiten regelmäßig überflutet. Nehmen beispielsweise die Überschwemmungen zu, nimmt umgekehrt der in den Sedimenten für die Pflanzen verfügbare Sauerstoff ab. Ein weiterer Stressfaktor für das Pflanzenwachstum in Salzmarschen ist der erhöhte Salzgehalt, der neben den Überflutungen mit Meerwasser auch durch Niederschlag, Hitzewellen und Sommertrockenperioden beeinflusst wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nehmen an, dass diese Bedingungen durch den globalen Wandel weiter zunehmen und einen Einfluss auf die Vegetation haben werden.

Um die Verbreitung der Schlickgräser zu untersuchen, hat das Forschungsteam insgesamt 96 mit Spartina bewachsene Parzellen in den Salzmarschen des europäischen Wattenmeeres untersucht. Von Den Helder in den Niederlanden bis Skallingen in Dänemark wurde in den Jahren 2017 und 2018 Pflanzenmaterial an Standorten gesammelt, die etwa 50 Kilometer voneinander entfernt lagen. Von 2017 bis 2019 wurden zusätzlich Schlickgräser entlang der Festlandsalzmarschen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste beprobt.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass Spartina × townsendii vor allem im nordöstlichen Teil des Wattenmeeres, vom niedersächsischen Wangerland (Deutschland) bis Skallingen (Dänemark), vorkam, während Spartina anglica im gesamten Wattenmeergebiet zu finden war. Darüber hinaus stellte das Team fest, dass Spartina anglica nicht nur eine größere geografische Verbreitung hat, sondern auch in Mischbeständen dominiert und bis in deutlich höhere Gezeitenlagen vorkommt als Spartina × townsendii. Die Forschenden vermuten, dass dies durch Unterschiede in Klima und Geomorphologie verursacht werden könnte: Während das ost-westlich verlaufende Wattenmeer als stabil gilt, kommt es im nordöstlichen Teil zu Landverlusten oder Absenkungen. Außerdem hat der nordöstliche Teil kältere Winter.

„Die Genomduplikation bei Spartina anglica hat offenbar nicht die Fähigkeit erhöht, besser in stressigen Lebensräumen oder hochdynamischen Umgebungen vorzukommen“, sagt Prof. Dr. Kai Jensen, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Pflanzenökologie am Fachbereich Biologie. „Spartina × townsendii dagegen hat sich vor allem in Nischen etabliert, wo der Stress durch Umweltfaktoren stärker war, der Wettbewerb zwischen den Pflanzen jedoch geringer. Jedoch sind weitere Studien erforderlich, um die Unterschiede zwischen den Spartina-Cytotypen in Bezug auf Pflanzeneigenschaften, Leistung und ihre unterschiedliche Rolle im Ökosystem der Salzmarschen zu beschreiben.“

(Universität Hamburg)
 


Originalpublikation:
Dirk Granse, Mariana Romeiro Motta, Sigrid Suchrow, Klaus von Schwartzenberg, Arp Schnittger and Kai Jensen. The Overlooked Hybrid: Geographic Distribution and Niche Differentiation Between Spartina Cytotypes (Poaceae) in Wadden Sea Salt Marshes. Estuaries and Coasts (2021). https://doi.org/10.1007/s12237-021-00985-4