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Gemeinsam Wissen schaffen – Die Citizen-Science-Strategie 2030

Citizen Science
Naturbeobachtungen von Bürgerwissenschaftler:innen. Detlef Metzer/naturgucker.de

Die Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland setzt sich mit den größten Herausforderungen und Potenzialen von Citizen Science in den nächsten zehn Jahren auseinander und beinhaltet 94 konkrete Handlungsempfehlungen, um Bürgerforschung in Deutschland weiterzuentwickeln und dauerhaft in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zu verankern. Die Strategie wurde in einem zweijährigen partizipativen Prozess mit mehr als 200 Personen aus 136 Organisationen erarbeitet. Der Prozess wurde zu großen Teilen durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Citizen Science, zu Deutsch Bürgerforschung, erfährt eine stetig wachsende Resonanz. Das spiegelt sich auch auf politischer Ebene wider – etwa durch die Ankündigung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, Citizen Science künftig stärker in die Forschung einbeziehen zu wollen. Der Begriff Citizen Science umschreibt eine Teilhabe von ehrenamtlich aktiven Bürger:innen an wissenschaftlichen Forschungsprozessen, in der Regel in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen. „Bei Citizen Science geht es um die konkrete Zusammenarbeit von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Somit verfolgt Citizen Science auch ein sehr wichtiges Ziel, nämlich gemeinsam wissensbasierte gesellschaftspolitische Lösungen für zentrale Herausforderungen unserer Gesellschaft zu finden“, unterstreicht Prof. Aletta Bonn, vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und dem Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) sowie Vorsitzende des Lenkungskreises, der den Strategieprozess begleitet hat. „Citizen Science ist ein wichtiger Pfeiler der wissensbasierten Demokratie in Deutschland“, fügt Prof. Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, hinzu.

Der langfristige Plan, der notwendig ist, um dieses Ziel zu erreichen, liegt nun mit der Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland in Form eines sogenannten Weißbuchs auf dem Tisch. Die Strategie soll helfen, Citizen Science in der Arbeit von Universitäten und Forschungseinrichtungen, Verbänden, Vereinen, Museen, Bibliotheken, aber auch von Behörden oder nicht formell organisierten Initiativen zu verankern und echte Partizipation in Wissenschaft möglich zu machen. „Gerade in Zeiten von Fake News ist der Dialog zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft von unschätzbarem Wert“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander Bonde. „Er stärkt die Demokratie, indem Bürgerinnen und Bürger ihr Wissen über Natur, Technik und Geschichte erweitern, wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse besser einschätzen lernen und manipulativer Desinformation keine Chance geben.“ Die Stiftung hat neben dem BMBF den Weißbuchprozess entscheidend gefördert.

Strategieprozess
Das Weißbuch wurde auf Basis des 2016 erschienenen Grünbuchs „Citizen-Science-Strategie für Deutschland 2020“ entwickelt. Das heißt: Die im Grünbuch formulierten Visionen und Handlungsoptionen wurden in einem zweijährigen Bottom-up-Prozess, der aus vielen Aktionen und Einzelmaßnahmen bestand, kritisch überprüft und aktualisiert. Beteiligt daran waren mehr als 200 sehr unterschiedliche Akteure – aus wissenschaftlichen Einrichtungen, Museen und Archiven, Bibliotheken, Wissenschaftsläden, Verbänden und Fachgesellschaften, Stiftungen sowie Privatpersonen. So entstanden seit April 2020 unter der Leitung von 41 Themenchairs in zweiwöchentlichen Treffen, öffentlichen Dialogforen und Schreibwerkstätten die Inhalte der 15 Handlungsfelder zu verschiedenen Schwerpunktthemen von Citizen Science, wie zum Beispiel dem Freiwilligenmanagement, dem Datenmanagement und der Datenqualität, dem Recht und der Ethik oder den Möglichkeiten der Anerkennung von Citizen-Science-Aktivitäten. Außerdem wurden neue Anwendungsfelder von Citizen Science erörtert – etwa in Medizin und Gesundheit, Sensorik und künstlicher Intelligenz – und Fragen der Begleitforschung diskutiert.

Jetzt gilt es die Citizen-Science-Strategie in den Institutionen zu verankern, von der Ambition in die Implementierung zu kommen und die Weiterentwicklung zu fördern. „Das heute veröffentlichte Weißbuch ist ein weiterer wichtiger Meilenstein hin zu einer nachhaltigen Verankerung des Citizen-Science-Ansatzes im deutschen Wissenschaftssystem. Als BMBF werden wir auch in Zukunft unseren Beitrag zur Stärkung von Citizen Science in Gesellschaft und Wissenschaft leisten, damit sich langfristig die Innovationspotenziale von Citizen Science entfalten können", unterstreicht Dr. Roland Philippi, Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und Strategien; Koordinierung im BMBF.

Ergebnisse
Als Ergebnis des zweijährigen, partizipativen Prozesses wurden 94 Handlungsempfehlungen erarbeitet, die konkrete Optionen zur Weiterentwicklung und Integration von Citizen Science in Deutschland aufzeigen. 15 Leitbilder skizzieren dazu die Visionen. Darüber hinaus wurden über eine online-Konsultation und öffentliche Abendgespräche interessierte Bürger:innen in den Weißbuchprozess einbezogen. Auf diese Weise flossen mehr als 1.300 Meinungsbeiträge in dessen finale Version ein.

Zusammenfassend kann festgestellt werden:
● Um Citizen Science als Innovationstreiber für Wissenschaft zu verstetigen, braucht es die Öffnung der Förderprogramme für Citizen Science und aller Disziplinen. In einer Umfrage schätzen die meisten Beteiligten Citizen Science als Möglichkeit, „gemeinsam mit anderen etwas zu bewegen“ und neues Wissen zu erwerben. Hier spielen systematisches Feedback zu Projektaktivitäten und persönlicher Austausch eine wesentliche Rolle für ein vertieftes, langfristiges Engagement. Die Citizen-Science-Strategie empfiehlt daher das Einrichten von Citizen-Science-Stabsstellen an jeder größeren Forschungsinstitution im Hinblick auf einen selbstverständlichen, professionell-modernen Forschungsdialog.
● Um eine lebendige und vielschichtige Citizen Science als Innovation für die Gesellschaft und lebenslanges Lernen fest zu etablieren, braucht es die Förderung der vielen lokalen und regionalen Akteure und Citizen-Science-Anlaufstellen in jeder Behörde und Kommune.
● Um Citizen Science als wichtigen Bestandteil der Teilhabe in unserer Gesellschaft und als Grundpfeiler unserer Demokratie zu verankern, braucht es deren Etablierung in Strategien von Universitäten und Forschungsorganisationen, Behörden und Kommunen sowie eine gute Ausstattung aller Museen, Bibliotheken, Wissenschaftsläden, Reallabore, Volkshochschulen und außerschulischen Lernorte.

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung


Originalpublikation:

Bonn, A. et al.: Weißbuch Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland. (2021) Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen, Leipzig, Berlin. https://doi.org/10.31235/osf.io/ew4uk

Weitere Informationen:
https://www.buergerschaffenwissen.de/netzwerk/ag-weissbuch