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Tropenkrankheiten nicht vergessen

Professor Markus Engstler forscht im Biozentrum der Uni Würzburg über die Afrikanische Schlafkrankheit. Universität Würzburg

Am Samstag, 30. Januar, ist der Welttag der vernachlässigten Tropenkrankheiten. Darüber hat die Pressestelle der Universität Würzburg mit Professor Markus Engstler vom Biozentrum der Universität gesprochen. Er erforscht die Afrikanische Schlafkrankheit.

Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 hat die Welt vor allen Dingen eines gelehrt: „Wir müssen die Gefahr von Pandemien früher als bisher erkennen. Dabei ist der One-Health-Ansatz zentral“, sagt Markus Engstler, Leiter des Lehrstuhls für Zell- und Entwicklungsbiologie am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU).

One Health? Das bedeutet, salopp formuliert, dass Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen, vor allem auch aus der Tiermedizin, an einem Strang ziehen müssen, um die Verbreitung von Krankheitserregern zu verhindern. Denn viele Erreger stammen ursprünglich aus Tieren und sind auf den Menschen übergesprungen.

Markus Engstler ist Teil einer deutschlandweiten Community, die sich dem One-Health-Prinzip verpflichtet fühlt: Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen setzen sich darin gemeinsam für die Prävention und Behandlung vernachlässigter Tropenerkrankungen ein.

„Deutsches Zentrum für die sektorübergreifende Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten“ (DZVT), so heißt die international einzigartige Initiative, die 2019 auf Engstlers Anregung gegründet wurde. „Das DZVT ist meine persönliche Mission“, bekennt der Professor, der an der JMU seit über zehn Jahren die Afrikanische Schlafkrankheit erforscht.

Einzigartiges Schwerpunktprogramm eingerichtet

Was Engstler in Würzburg tut, ist exemplarisch für die Grundlagenforschung über vernachlässigte Tropenkrankheiten. Das zeigt sich aktuell an einem weltweit einzigartigen Schwerpunktprogramm, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf Engstlers Initiative hin eingerichtet hat. Dabei kooperieren Parasitologen mit Physikern.

„Physik des Parasitismus“ nennt sich das Projekt. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass sich die Erreger der Schlafkrankheit durch Strömungen und andere physikalische Einwirkungen verändern. Von daher ist es nur bedingt hilfreich, sie in kleinen Fläschchen im Labor zu kultivieren: „In Wirklichkeit schwimmen sie ja durch den Blutstrom.“

Welchen großen Einfluss die Umwelt auf Erreger hat, war lange unbekannt. Doch tatsächlich macht es einen deutlichen Unterschied, ob man infizierte Zellen in einem Reagenzglas beobachtet oder ob man infiziertes Hautgewebe untersucht. Im Mittelpunkt des Würzburger Forschungsprogramms stehen deshalb auch aufwändig konstruierte Hautmodelle, die natürlicher Haut sehr nahekommen. Sie werden von Tsetsefliegen mit Trypanosomen, den Erregern der Schlafkrankheit, infiziert. Engstlers Team beobachtet, wie sich die einzelligen Erreger verhalten: „In der extremen Enge der kollagenreichen Haut tun sie das völlig anders als im Reagenzglas.“

Wertvolles Knowhow geht verloren

Grundlagenforschung bleibt auf alle Fälle wichtig, auch wenn im Moment das Augenmerk auf der Bekämpfung der Corona-Pandemie liegt. „Wir forschen seit 120 Jahren weltweit an Trypanosomen, doch vieles verstehen wir immer noch nicht“, betont Engstler.

Sorgen bereitet dem Professor, dass sich einige Wissenschaftler, die sich bisher mit der Schafkrankheit befasst haben, anderen Feldern zuwenden, weil die Erforschung der Schlafkrankheit als nicht mehr so wichtig gilt. Dadurch geht wertvolles Knowhow verloren, warnt der Experte für Zellbiologie: „Und das ist fatal.“

Masterstudiengang für One Health geplant

Menschen zu helfen, die im weltgesellschaftlichen Abseits stehen, ist Markus Engstler bei all seinen Initiativen ein wichtiges Anliegen. In einem DZVT-Projekt, das er mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung realisieren möchte, stehen zum Beispiel die Bewohner der nigerianischen Stadt Lagos im Fokus.

Dort, sagt Engstler, existiere ein „regelrechter Hexenkessel für Erreger“. Das städtische Abwassernetz sei miserabel, der größte Teil des Schmutzwassers fließe ungeklärt in die Lagune vor der Stadt. Krankheitserreger hätten leichtes Spiel. Künftig sollen Fachleute, die in einem One-Health-Masterstudiengang in Würzburg und Nigeria ausgebildet werden, mithelfen, solche Situationen zu verbessern.

Weil Gesundheit nicht nur von einem medizinischen Gesichtspunkt aus betrachten werden kann, soll der neue Master auch für Studierende aus allen Bereichen offen sein, zum Beispiel aus Ökonomie, Politologie, Psychologie, Biochemie oder Kommunikationswissenschaften. Angeboten wird er voraussichtlich ab 2022/23 in Würzburg sowie an vier Partneruniversitäten in Nigeria.

Ziel: Direkt etwas für Menschen tun

Dass sich ein Experte für Zellbiologie nicht nur mit den komplexen Facetten seines Faches befasst, sondern darüber hinaus Projekte anstößt, um konkret zu helfen, findet man nicht oft. Nach über 25 Jahren Grundlagenforschung sei es für ihn an der Zeit, „auch direkt etwas für Menschen zu tun“, sagt Engstler.

Seitdem ist er auf immer neue Probleme gestoßen, die sich nur mit dem One-Health-Ansatz lösen lassen: „Wie erkläre ich beispielsweise ein agrarwissenschaftliches Projekt in Nigeria, wenn 90 Prozent der Bauern Analphabeten sind?“ Aus solchen Schwierigkeiten können Kommunikationswissenschaftler heraushelfen. Daneben ist psychologische Expertise wichtig, um Projekten vor Ort Akzeptanz zu verschaffen.

40 Studierende sollen nach Engstlers Plänen im neuen One-Health-Masterstudiengang qualifiziert werden: „20 in Würzburg und 20 in Nigeria.“ Zu den Partnern gehört auch die Würzburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (FH Würzburg-Schweinfurt), die Ingenieure ausbildet. Dieser Berufsstand ist wichtig, um in Ländern des Südens Projekte für sauberes Trinkwasser und zur Verbesserung der sanitären Situation anzustoßen.

JMU