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Wir brauchen ein Sicherheitsnetz für die Biodiversität

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Um dem alarmierenden Rückgang der biologischen Vielfalt entgegenzuwirken, braucht es ein „Sicherheitsnetz" aus miteinander verbundenen ehrgeizigen Zielen. Denn kein einzelnes Ziel kann dem breiten Spektrum der Anforderungen gerecht werden, so das Fazit eines großen internationalen Teams mit dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Die in der Fachzeitschrift Science erschienene Studie skizziert die wissenschaftliche Grundlage für die Neugestaltung der Ziele der UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD).

Die wissenschaftliche Beratung kommt zu einem wichtigen Zeitpunkt: Die UN-Konvention über die Biologische Vielfalt (CBD) hat kürzlich in ihrem Bericht dargelegt, dass keines ihrer 20 Aichi-Biodiversitätsziele für 2020 erreicht wurde. Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Verhandlungsführende der Länder bereiten einen neuen Zielrahmen für die internationale Biodiversitätspolitik der Vereinten Nationen vor, der auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz der DBD vereinbart werden soll. Organisationen und Interessengruppen haben Vorschläge für die verschiedenen Aspekte der Biodiversität – wie Vielfalt der Arten, Vielfalt der Ökosysteme oder die genetische Vielfalt – eingereicht.

Unter der Leitung von Forschenden der Earth Commission analysierte eine Gruppe von mehr als 60 führenden Biodiversitätsexpert*innen aus 26 Ländern diese Vorschläge unter den Aspekten, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse sie stützen, wie diese Ziele sich gegenseitig verstärken oder schwächen, und wie sich Synergien erzielen lassen.

Das Ergebnis ist eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte und umfassende Bewertung. „Wir hoffen, dass dies ein nützliches Instrument bei den CBD-Verhandlungen über eine neue Strategie für Natur und Mensch ist“, sagt Sandra Díaz, Hauptautorin der Studie. Sie ist Professorin an der Universidad Nacional de Córdoba, außerdem Co-Leiterin einer Arbeitsgruppe der Earth Commission und war Mitvorsitzende der Global Assessment of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES).

Um sich erholen zu können, brauchen Ökosysteme, Arten und die genetische Vielfalt unterschiedliche Ziele, und diese Ziele müssen zu einem Sicherheitsnetz verwoben werden und erreichbar, aber ausreichend ambitioniert sein.

Drei Punkte sollten von der UN-Konvention bei der Festlegung der neuen Biodiversitätsziele berücksichtigt werden:

Erstens: Ein Ziel, das sich auf eine einzige Facette stützt – nur auf das Aussterben von Arten oder die Fläche des Ökosystems – ist riskant; ähnlich wie das „unter 2°C“-Ziel für das Klima. Für Ökosysteme, Arten, Gene und die ökosystemaren Leistungen für den Menschen sind mehrere, unterschiedliche Ziele erforderlich, um sicherzustellen, dass keines von ihnen „durch die Lücken fällt“.
Zweitens: Da die Facetten der Natur miteinander verbunden sind und sich gegenseitig im Guten wie im Schlechten beeinflussen, müssen die Ziele ganzheitlich und nicht isoliert definiert und umgesetzt werden.
Drittens: Nur ein Höchstmaß an Ambition bei der Festlegung jedes einzelnen Ziels und der integrierten Umsetzung aller Ziele ergibt eine realistische Chance, den rasant voranschreitenden Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen bis 2050 abzuschwächen.

Die Studie liefert die wissenschaftliche Grundlage für die Unterscheidung zwischen niedrigen und hohen Ambitionen. Zu den ehrgeizigen Zielen sollten gehören: ein striktes „kein Nettoverlust"; die gezielte Wiederherstellung von Ökosystemen sowohl in natürlichen als auch in vom Menschen genutzten Gebieten; eine Minimierung des Artenverlustes; die Erhaltung von 90 Prozent der genetischen Vielfalt und die Sicherung eines breiten Spektrums von ökosystemaren Leistungen für den Menschen.

„Der Aufbau eines ausreichend ambitionierten Sicherheitsnetzes für die biologische Vielfalt wird eine große globale Herausforderung sein. Aber wenn wir es nicht tun, hinterlassen wir für jede zukünftige Generation riesige Probleme“, sagt Sandra Díaz.

„Der Wandel der Biodiversität ist eine Herausforderung, die noch komplexer ist als der Klimawandel. Die Community der Biodiversitätsforschenden hat eine Agenda zur Bewältigung dieser Herausforderung erarbeitet, die in gewisser Weise weiter fortgeschritten ist als die derzeitigen Klimaziele, da sie anerkennt, dass wir in synergetischer Weise und auch an unterschiedlichen Stellschrauben ansetzen müssen, um die Ziele zu erreichen“, fügt Prof. Henrique Miguel Pereira hinzu, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz bei iDiv und MLU.

„Die Biodiversität ist multidimensional; Die verschiedenen Dimensionen und Ebenen müssen synergetisch ausgerichtet werden, um unser Ziel der Erhaltung der biologischen Vielfalt zu erreichen. Wir sind zum Scheitern verurteilt, wenn wir diese Multidimensionalität nicht berücksichtigen", sagt Luc De Meester, Direktor des IGB und Professor für Freshwater Science an der Freien Universität Berlin.

Die Autor*innen haben eine Checkliste mit den wichtigsten wissenschaftsbasierten Punkten erstellt, die den Akteur*innen bei den bevorstehenden Verhandlungen über den endgültigen Text der neuen Biodiversitätsziele hilfreich sein könnte.

IGB


Originalpublikation:

Díaz S, Zafra-Calvo N, Purvis A, Verburg PH, Obura D, Leadley P, Chaplin-Kramer R, De Meester L, Dulloo E, Martín-López B, Shaw MB, Visconti P, et al. (2020). Set ambitious goals for biodiversity and sustainability: Coordinated goals and holistic actions are critical. Science DOI: 10.1126/science.abe1530

https://doi.org/10.1126/science.abe1530