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Tintenfisch inspiriertes Material heilt sekundenschnell

Ein Loch schließt sich von selbst
Ein Loch schließt sich von selbst, MPI für Intelligente Systeme

Ein weiches Material, das sich augenblicklich selbst heilt, ist keine Fiktion mehr, sondern Realität. Ein Team von Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und der Pennsylvania State University verändert die Nanostruktur eines neuen dehnbaren Materials so lange, bis es seine Struktur und Eigenschaften wieder vollständig zurückerhalten kann, nachdem es zerschnitten oder durchstochen wurde. Das von Tintenfischen inspirierte Material könnte das Forschungsgebiet der Soft Robotik revolutionieren. Da es jeden Schaden rückgängig machen kann, ermöglicht es viele Anwendungen in einer Welt, in der Roboter mit dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen zurechtkommen müssen.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS) in Stuttgart und der Pennsylvania State University (PSU) in den USA haben ein weiches Material entwickelt, das sich nach einer Beschädigung innerhalb einer Sekunde selbst heilen kann. Die Moleküle bisheriger verformbarer selbstheilender Materialien brauchen mehrere Stunden oder sogar Tage, um sich wieder miteinander zu verbinden – oft mit geringer Festigkeit an der Stelle, an der sie durchstochen oder zerschnitten wurden. Das neu entwickelte dehnbare Material stellt jedoch seine Struktur und Eigenschaften im Handumdrehen vollständig wieder her – immer und immer wieder.

„Wir haben ein neues Material entwickelt, das viel schneller heilen kann, ohne seine Festigkeit zu verlieren. Wir haben es auf verschiedenste Weise beschädigt und jedes Mal hat es sich innerhalb von Sekunden repariert“, sagt Dr. Abdon Pena-Francesch, Erstautor der Publikation „Biosynthetic self-healing materials for soft machines“, die am 27. Juli in Nature Materials veröffentlicht wird. Das Fachjournal ist eines der renommiertesten auf dem Forschungsgebiet der Materialwissenschaft.

Selbstheilende weiche Materialien stoßen bei Wissenschaftlern auf zunehmendes Interesse, insbesondere in der Robotik. Dort könnte nämlich ein solch einzigartiges Material den Ausschlag dafür geben, ob Roboter im Alltag tatsächlich eingesetzt werden können. Denn wenn Roboter eines Tages Menschen in sehr dynamischen und unvorhersehbaren Umgebungen unterstützen, sollten sie aus einem weichen und biegbaren Material sein. Doch je weicher, desto schneller geht das Material kaputt. Das schränkt die Langlebigkeit und Leistung und somit die praktische Anwendung von Robotern ein. Sekundenschnelle Selbstheilungskräfte könnten dieses Manko ausgleichen. In Zukunft könnten solche Roboter in vielen Bereichen eingesetzt werden, zum Beispiel in gefährlichen Situationen wie der Erdbebenbergung. Oder das Material kommt bei Schutzkleidung zum Einsatz, bei Handschuhen z.B., die sich nach einem Schnitt sofort selbst reparieren können.

Dr. Pena-Francesch und seine Co-Autoren Dr. Huihun Jung und Prof. Melik C. Demirel von der PSU und Prof. Metin Sitti, Direktor der Abteilung für Physische Intelligenz am MPI-IS, ließen sich von der Natur und den zahlreichen Wundern der Erde inspirieren. Sie suchten nach einer Vorlage, wie ein solch intelligentes Material gebaut werden könnte. „Unser Ziel war es, mit Hilfe der Synthetischen Biologie ein selbstheilendes, programmierbares Material zu kreieren, dessen physikalische Eigenschaften wir kontrollieren können", sagt Prof. Demirel. Das Team untersuchte daraufhin die Molekülstruktur und die Aminosäuresequenzen von Tintenfischproteinen. Darauf aufbauend entwickelten sie mit Hilfe des Protein-Engineering das flexible, gummiartige Material. „Wir veränderten die molekulare Struktur so, dass wir die Selbstheilungskräfte des Materials auf die Spitze treiben konnten“, fügt er hinzu. „Wir konnten eine 24-Stunden dauernde Heilungsphase auf eine Sekunde verkürzen. Soft-Roboter, die aus diesem Material gebaut wären, könnten sich nun sofort selbst reparieren. In der Natur dauert die Selbstheilung sehr lange. Unsere Technologie stellt damit die Natur in den Schatten.“

Ein Tintenfisch braucht länger, um zu heilen, da die Protein-Moleküle in seinen Tentakeln nur lückenhaft miteinander verwoben sind. Bei dem im Labor entwickelten Material veränderten die Wissenschaftler die Nanostruktur der Moleküle so, dass sie alle miteinander verbunden sind. „Ein Netzwerk, in dem nur wenige Punkte miteinander verbunden sind, birgt Schwachstellen. Wir aber haben alle Punkte miteinander vernetzt und das Material so verbessert“, erklärt Pena-Francesch. Hinzu kommt: während die Moleküle bisheriger flexibler Materialien permanente Verbindungen haben, die einmal getrennt nicht wieder zusammengefügt werden können, verhält es sich bei dem neuen Material anders. Jede physikalische Verbindung ist reversibel. Verbindungen, die an einer Stelle getrennt wurden, klicken wieder in die richtige Position zurück.

Ein supramolekulares Netzwerk mit beispiellosen Selbstheilungseigenschaften eröffnet ein großes unerforschtes Gebiet möglicher Anwendungen in der Robotik. „Selbstreparierende physikalisch intelligente weiche Materialien sind für den Bau robuster und fehlertoleranter Soft-Roboter in naher Zukunft unerlässlich", sagt Prof. Metin Sitti. Seine Vision ist es, solch selbstreparierende weiche Materialien einzusetzen bei der Erforschung medizinischer Soft-Roboter oder um Robotergreifarme noch besser zu machen. Tests dazu gab es bereits, zum Beispiel wurden verschiedene Objekte damit angehoben. Wenn ein Objekt dann beim Herumtragen den Greifarm beschädigt, könnte er sich leicht selbst heilen.

Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme