Viel hilft viel: Diese Lebensweisheit würde ein Bakterium – wenn es denn könnte – mit der philosophischen Antwort „Kommt drauf an“ kontern. Denn Bakterien wie das Bacillus subtilis schwimmen in feuchten Milieus mithilfe von Flagellen als Antrieb. Und je nach Anzahl dieser geißelartigen Fäden, die an die Tentakel von Quallen erinnern, können sie entweder größere Entfernungen zurücklegen, dafür aber weniger genau die Umgebung absuchen, oder aber sie decken eine Fläche in unmittelbarer Umgebung sehr genau ab, deren Radius dann allerdings sehr klein ist.
Diese Erkenntnisse haben Physiker um Christian Wagner, Professor für Experimentalphysik an der Universität des Saarlandes, gemeinsam mit Biotechnologen der Universität Marburg gewonnen. Sie haben drei Stämme des Bacillus subtilis genauer untersucht, die 10, 25 und 40 Flagellen haben. Javad Najafi, Doktorand bei Professor Wagner, hat die Messungen durchgeführt, der theoretische Physiker Reza Shabani hat im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1027 der Saar-Uni ein Modell entwickelt, das die Bewegungen der Bakterien beschreibt.
Dabei haben sie herausgefunden, dass die Bakterien mit weniger Flagellen auf der Suche nach Nahrung zwar weitere Strecken zurücklegen konnten, aber dafür weniger akribisch die dazwischenliegende Fläche abgesucht haben. Die Bakterien mit vielen Flagellen sind zwar nicht so weit gekommen, ihr Bewegungsradius war deutlich kleiner. Dafür haben sie die Fläche innerhalb dieses kleineren Radius sehr gründlich abgesucht.
Die Bakterien bündeln ihre Flagellen zum Schwimmen wie zu einer Art Schiffsschraube mit mehr oder weniger vielen Schraubenblättern, je nach Anzahl der Flagellen. „Nach kurzer Zeit jedoch ‚entbündeln‘ sich die Flagellen wieder, um in einen kurzzeitigen chaotischen Zustand zu verfallen, bevor sie sich wieder zu Bündeln zusammenfinden, um weiterzuschwimmen“, erklärt Christian Wagner. Während dieser chaotischen Phase taumeln die Bakterien dann umher, um anschließend in eine neue Richtung zu schwimmen. Unabhängig von diesen Richtungswechseln beobachten die Physiker: „Je mehr Flagellen, desto ‚kurviger‘ schwimmen die Bakterien“, so Christian Wagner.
Das führt letztendlich zu dem beobachteten Effekt, dass die Bakterien, wie erwähnt, entweder schneller weiter weg kommen oder besonders gründlich die Umgebung absuchen können. Und je nach Zielstellung kann es für die Bakterien von Vorteil sein, das eine oder das andere zu tun. „Das ist vergleichbar mit verschiedenen Suchstrategien. Wenn man blind einen mehrere Kilometer entfernten Hügel in einer Landschaft sucht, ist es nicht nötig, im Zickzack umherzulaufen und dabei möglichst viel Fläche abzusuchen. Suche ich aber die Brille, die mir im Bad heruntergefallen ist, ist es sinnvoll, den Boden des Badezimmers gründlich danach abzusuchen“, vergleicht Christian Wagner.
Die Erkenntnisse der Physiker sorgen für ein tieferes Verständnis von der Funktionsweise von Bewegungen im Mikrokosmos. Die Regeln der Fortbewegungsarten auf kleinen Skalen unterscheiden sich fundamental von den Regeln, denen unsere Fortbewegung folgt. „Für Bakterien ist Schwimmen im Wasser zum Beispiel in etwa so, als schwämmen wir in flüssigem Honig“, verdeutlicht Christian Wagner einen signifikanten Unterschied. Die Forscher hoffen, dass die Arbeit Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet sein kann.
Universität Saarland
Originalartikel:
Javad Najafi, Mohammad Reza Shaebani, Thomas John, Florian Altegoer, Gert Bange, Christian Wagner: Flagellar number governs bacterial spreading and transport efficiency, Science Advances 2018, DOI: 10.1126/sciadv.aar6425